Narrative Expositionstherapie
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 13. November 2021Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
Sie sind hier: Startseite Behandlungen Narrative Expositionstherapie
Die Narrative Expositionstherapie (NET) ist eine psychotherapeutische Behandlungsmethode für Überlebende lebensbedrohender, komplexer traumatisierender Ereignisse.
Die NET fußt auf der Erkenntnis, dass die traumatisierenden Erlebnisse in zwei unterschiedlichen Gedächtnissystemen gespeichert werden, dem assoziativen Gedächtnis, in dem alle dem Ereignis zugehörigen Sinneswahrnehmungen und Gefühle registriert werden und dem autobiografischen Gedächtnis, in dem der zeitliche Ablauf festgehalten ist. Das Ziel der NET besteht darin, die bei traumatisierenden Ereignissen nicht mehr funktionierende Verknüpfung zwischen den beiden Gedächtnissystemen wieder herzustellen.
Inhaltsverzeichnis |
Was ist die Narrative Expositionstherapie?
Die Narrative Expositionstherapie beinhaltet eine psychotherapeutische Behandlungsmethode, bei der zwei unterschiedliche Therapieverfahren miteinander kombiniert werden. Es handelt sich dabei um eine Verknüpfung zwischen der „Testimony Therapie“ (TT) und der Exposition.
Die Testimony Therapie basiert darauf, dass die nur bruchstückhaft erinnerten traumatisierenden Erlebnisse in einen Zusammenhang gestellt und in mehreren Sitzungen zu stimmigen Ereignissen ergänzt werden. Der Patient wird durch die Exposition innerhalb der Narrativen Expositionstherapie immer wieder mit den schmerzlichen und belastenden Ereignissen konfrontiert. Hierdurch soll erreicht werden, dass wieder eine Verbindung und Zuordnung zwischen dem assoziativen und dem autobiografischen Gedächtnis hergestellt wird.
Im assoziativen Gedächtnis werden multisensorische Wahrnehmungen wie Gerüche, Geräusche, visuelle Eindrücke, Geschmack sowie die mit den Eindrücken verbundenen Emotionen abgespeichert, die im Zusammenhang mit den traumatisierenden Ereignissen stehen. Das autobiografische Gedächtnis dient der „Aufzeichnung“ und Zuordnung der chronologischen Abläufe und der geografischen Verortung der Einzelereignisse. Durch Überflutung mit Stresshormonen findet bei traumatisierenden Ereignissen eine Desintegration der beiden Gedächtnissysteme statt, so dass die Ereignisse häufig chronologisch und sogar räumlich fehlerhaft erinnert werden.
Die Stresshormone sorgen für eine einseitige Ausrichtung des Körpers auf Flucht oder Angriff und auf kurzzeitige muskuläre Höchstleistungen und auf ein möglichst geringes Blutungsrisiko bei Verletzungen. Gleichzeitig aktivieren die Stresshormone die Amygdala, was das assoziative Gedächtnis stärkt und blockieren den Hippocampus, in dem die zugehörigen biografischen Daten gespeichert werden. Während der einzelnen therapeutischen Behandlungen soll die Verknüpfung zwischen den beiden Gedächtnissystemen für bestimmte Ereignisse wieder hergestellt werden.
Funktion, Wirkung & Ziele
Die Therapie soll die einzelnen Patienten in die Lage versetzen, die mehrfach traumatisierenden Ereignisse so abrufen zu können, dass nicht immer wieder aufs Neue die im assoziativen Gedächtnis abgespeicherten Emotionen durchlebt werden müssen. Die NET wurde für Akutsituationen entwickelt, in der keine Zeit für lange währende, aufwändige psychotherapeutische Behandlungen zur Verfügung stand. Das heißt, dass es sich ursprünglich um eine typische Krisen- und Katastropheninterventionstherapie handelte. Ein wesentlicher Punkt, auf den sich die NET abstützt, ist die Erfahrung, dass die mit höchsten Emotionen empfundenen „heißen“ Erlebnisinhalte bei traumatisierenden, tief beeindruckenden Vorgängen (hot spots), die Verknüpfung zu den rationalen, „kalten“ Erlebnisinhalten verlieren.
Als wichtigstes Zwischenziel der NET wird angestrebt, den Patienten in die Lage zu versetzen, die traumatisierenden Ereignisse in einen stimmigen Zusammenhang zu bringen, und die ursprünglich vorhandene logische Verknüpfung zwischen dem assoziativen und dem autobiografischen Gedächtnis, das die Ereignisse zeitlich und räumlich verortet, wieder herzustellen. Um das Ziel zu erreichen, wird die gesamte Lebensgeschichte des Patienten aus der Distanz, also aus der „Ex-position“, einschließlich der positiven Erlebnisse und einschließlich der emotionalen Empfindungen immer wieder aufgerollt, bis das Erlebte sowohl im assoziativen wie auch im biografischen Gedächtnis widerspruchslos miteinander verknüpft ist.
Der Patient ist jetzt in der Lage, auch die traumatisierenden Ereignisse aus der zeitlichen und räumlichen Distanz anzusprechen. Im Laufe der Therapie kommt es deshalb zu einer Gesamtschau des eigenen Lebens des Patienten. Der Betroffene kann sein eigenes Lebensmuster und seine Zusammenhänge erkennen und akzeptieren. Mittlerweile liegen positive, empirische Daten über die Wirksamkeit der Narrativen Expositionstherapie vor, die dazu ermutigt haben, die Therapie so anzupassen, dass sie auch bei traumatisierten Kindern anwendbar ist. Aus der NET wurde damit KIDNET, die kindgerechte Form der NET, entwickelt. Kinder können sich dabei nicht nur verbal, sondern auch in Form von Zeichnen und Nachspielen von Szenen, also nonverbal ausdrücken.
Risiken, Nebenwirkungen & Gefahren
Insofern ist die NET nebenwirkungsfrei. Allerdings erhebt die Therapie nicht den Anspruch einer völligen Heilung. Eine völlige Heilung von einer starken Traumatisierung kann in der Regel nur in einem lebenslangen Prozess erfolgen, der immer wieder mit Rückschlägen verbunden ist. Das bedeutet, dass das Risiko besteht, die Therapieziele nicht vollständig zu erreichen.
Auch wenn die Therapie seine gesteckten Ziele nicht vollständig erreicht, weil sich die Traumatisierung als gravierender und komplexer erweist als ursprünglich angenommen, kann sie dem Patienten dazu verhelfen, die schlimmsten Folgen der am meisten belastenden Traumata zu überwinden. Die NET kann in diesen Fällen als Startpunkt für einen individuellen Heilungsprozess angesehen werden. Ein Problem kann auch darin bestehen, dass der Patient nicht in der Lage oder nicht willens ist, die Therapie zu seinem eigenen Nutzen nach bestem Vermögen zu unterstützen.
Quellen
- Arolt, V., Reimer, C., Dilling, H.: Basiswissen Psychiatrie und Psychotherapie. Springer, Heidelberg 2007
- Möller. H.-J., Laux, G., Deister, A., Braun-Scharm, H., Schulte-Körne, G.: Duale Reihe Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie. Thieme, Stuttgart 2013
- Schneider, F.: Facharztwissen Psychiatrie und Psychotherapie. Springer, Berlin 2012