Retroviren

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 7. März 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

Sie sind hier: Startseite Krankheitserreger Retroviren

Retroviren haben das menschliche Erbgut seit Jahrmillionen beeinflusst. Aber auch bedeutende Infektionskrankheiten sind auf Retroviren zurückzuführen.

Inhaltsverzeichnis

Was sind Retroviren?

Der bekannteste Retrovirus ist der HI-Virus (humanes Immundefizienz-Virus), der beim Menschen eine Immunschwäche bewirkt.
© artegorov3@gmail – stock.adobe.com

Ein Virus ist ein nicht zur selbständigen Vermehrung fähiges, infektiöses Partikel. Viren verfügen auch nicht über einen eigenen Stoffwechsel. Daher werden Viren nicht zu den Lebewesen gezählt, obwohl sie einzelne Merkmale des Lebens aufweisen.

Ein Retrovirus ist ein Virus ohne eigene DNA (Desoxyribonukleinsäure), eines bei allen Lebewesen sowie bei einigen Viren vorkommenden Moleküls, das aus einer Doppelhelix besteht und alle Erbinformationen beinhaltet.

Das Erbgut (Genom) der einen Durchmesser von ungefähr 100 nm aufweisenden Retroviren enthält hingegen lediglich einen Strang RNA (Ribonukleinsäure), die von einer aus Proteinen (Eiweißen) bestehenden Verpackung („Kapsid“) umgeben ist. Die äußere Hülle der Retroviren wird von weitgehend wasserunlöslichen Molekülen (aus „Lipid“-Stoffen) gebildet, in die Virusproteine eingelagert sind.

Bedeutung & Funktion

„Endogene Retroviren“ („XRV“) wurden vor vielen Generationen in das Genom einer in der Keimbahn des Wirtsorganismus befindlichen Wirtszelle integriert („Provirus“) und werden von Generation zu Generation weitervererbt.

Forschungen ergaben, dass ungefähr 9 Prozent des menschlichen Erbguts aus Virus-RNA besteht. Der überwiegende Anteil dieser RNA kam vor geschätzten 40 bis 70 Millionen Jahren in das Genom unserer Vorfahren. Noch im menschlichen Genom erkennbare Teilbausteine von Retroviren wurden vor 100 Millionen zum Bestandteil des Erbguts. Den Genomen einiger endogener Retroviren kommt sogar eine Schutzfunktion für das Leben zu: Menschliche Schwangerschaften sind beispielsweise nur deshalb möglich, weil ein bestimmter uralter Retrovirus die Abstoßung des Embryos verhindert.

„Exogene Retroviren“ („ERV“) dringen dagegen durch Infektion in den Wirtsorganismus ein. Retroviren, die insbesondere Wirbeltiere infizieren, befallen bestimmte tierische Körperzellen, auf die sie spezialisiert sind. Innerhalb der von ihnen infizierten Zelle bauen sie ihr Erbgut in das Wirtszellenerbgut ein. Nach der Reproduktion von Retroviren innerhalb der Wirtszelle werden die Viren in den Blutkreislauf abgegeben und können somit weitere Zellen befallen. Die DNA einer Zelle sorgt für die Herstellung von RNA, das selbst als Teil des Genoms fungiert und außerdem als „Boten-RNA“ (mRNA, messenger RNA) Informationen übermittelt, die für die Bildung von Eiweißen (Proteinen) notwendig sind.

Die Bezeichnung „Retrovirus“ resultiert daraus, dass diese Virusform das Ausgangserfahren bei der RNA-Bildung innerhalb einer Zelle umkehrt: Nicht die ursprüngliche DNA der Wirtszelle löst nunmehr den Anweisungen zur RNA-Bildung aus. Vielmehr verändert der Retrovirus die DNA der Wirtszelle, die nach einer Infektion Anweisungen zur Produktion neuer Retroviren gibt. Die sogenannte „Reverse Transkriptase“ (RT), ein spezielles „Enzym“ des Retrovirus ermöglicht die Einbringung der Retrovirus-RNA in die DNA der Wirtszelle. Enzyme sind Stoffe, die bestimmte biochemische Reaktionen auslösen können.


Gefahren, Störungen, Risiken & Krankheiten

Der bekannteste Retrovirus ist der HI-Virus (humanes Immundefizienz-Virus), der beim Menschen eine Immunschwäche bewirkt. Der HIV ist auf sog. „T-Helfer-Zellen“ (auch „CD4-Lymphozyten“ genannt) spezialisiert, die im menschlichen Körper für die Koordination der Abwehr gegen Krankheitserreger und Fremdstoffe zuständig sind.

Lymphozyten gehören zu den weißen Blutkörperchen („Leukozyten“). T-Helfer-Zellen stellen eine Untergruppe der „T-Zellen“ dar. Die Bezeichnung „T-Zelle“ bezieht sich auf den „Thymus“, der Bestandteil des sogenannten „lymphatischen Systems“ und damit des Immunsystems ist. Der Thymus ist ein aus zwei Lappen zusammengesetztes Organ, das sich bei Menschen oberhalb des Herzens befindet. Die im Knochenmark erzeugten und von dort zum Thymus wandernden „T-Zellen“ („T-Lymphozyten“) sind nach ihrer Ausreifung im Thymus für die Immunabwehr verantwortlich.

Weltweit haben sich 34 Millionen Menschen mit dem HIV-Virus infiziert. SIV (simianes Immundefizienz-Virus) ist eine Virengruppe, aus der sich vermutlich das HIV entwickelt hat. „Simian“ bedeutet „affenartig“ und weist auf die Träger des SIV hin. Auch der HTLV-1-Virus (humanes T-lymphotropes Virus 1), das bei Menschen und verwandten Primaten ebenfalls die CD4-T-Lymphozyten befällt, zählt zu den Retroviren. Eine kleine Zahl infizierter Menschen erkrankt an neurologischen Krankheiten wie der “Tropischen Spastischen Paraparese“ oder an „T-Zell-Leukämie“.

Die Symptome der Tropischen Spastischen Paraparese ähneln der Multiplen Sklerose. T-Zell-Leukämie führt zu bösartigen („malignen“) Tumoren, die von den Lymphozyten ausgehen. Die Infektionsrate mit dem HTLV-1-Virus ist in Europa gering: In Westeuropa sind vermutlich 6.000 Personen infiziert, von denen etwa ein Prozent an der Tropischen Spastischen Paraparese erkranken. Weltweit wurden allerdings schätzungsweise bis zu 20 Millionen Menschen vom HTLV-1 befallen.

Die Schwächung des Immunsystems durch Verminderung der Anzahl der T-Zellen führt zu einer erhöhten Anfälligkeit für Infektionen. Die Bekämpfung von Erkrankungen durch Retroviren wird durch eine hohe Mutationsrate erschwert: Bei jeder tausendsten bis zehntausendsten Reversen Transkriptase kommt es zu einer Retrovirus-Mutation. Die Entwicklung von Medikamenten zur Therapie von Retrovirus-Erkrankungen zielt vor allem auch auf die Beeinflussung der Reversen Transkriptase.

Quellen

  • Hahn et al.: Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie. Springer, Berlin 2009
  • Kayser et al.: Medizinische Mikrobiologie. Thieme, Stuttgart 2010
  • Knipper, R.: Molekulare Genetik. Thieme, Stuttgart 2006

Das könnte Sie auch interessieren