Fotografisches Gedächtnis
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 4. März 2024Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
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Das fotografische Gedächtnis wird auch als eidetisches oder ikonisches Gedächtnis bezeichnet.
Menschen mit einem fotografischen Gedächtnis haben die Gabe, bestimmte Details, Zahlen, Buchstaben, Bilder oder Namen so präzise aus der Erinnerung abzurufen, als wenn sie eine Fotografie betrachten würden.
Während manche Menschen sich lediglich an einzelne Gegenstände, Bilder oder Situationen erinnern, sind andere in der Lage, ganze Seiten aus Büchern oder Zeitungen aus der Erinnerung wiederzugeben.
Was ist das fotografische Gedächtnis?
Der Begriff fotografisches Gedächtnis bezeichnet in der Umgangssprache die besondere Fähigkeit von Menschen, sich Situationen, Bilder, Zahlen, Buchstaben oder Gegenstände bewusst oder unbewusst über einen längeren Zeitraum fehlerfrei einzuprägen.
Menschen, denen diese Gabe zugeschrieben wird, vertiefen sich in ihre Erinnerung wie in ein Foto, mit dem sie eine exakte Kopie der zuvor sensorischen Informationen erstellen.
Die bewusst antrainierte Merkfähigkeit, die zum Beispiel Schachspielern dabei helfen, sich hunderte von Partien zu merken, um ihr Spiel erfolgreich zu bestreiten, gehört nicht dazu. In diesem Fall gehen Forscher eher von einer Kombinationsgabe aus, sich bestimmte Spielordnungen zu merken und daran die sinnvollen Figuren-Konstellationen anzuknöpfen.
Die Psychologie spricht von einem eidetischen oder ikonischen Gedächtnis oder Phänomen.
Funktion & Aufgabe
Eidetiker können Fragen und Details zu einem Bild oder einer Szenerie beantworten und Gegenstände benennen. Ein gerne zitiertes Beispiel ist der Mensch, der ein Buch durchblättert und sich anschließend genau daran erinnern kann, welche Zeile oder Passage auf welcher Seite zu finden ist. Dass er anschließend in der Lage ist, sich an einzelne Zeilen oder Passagen der Lektüre seitengenau zu erinnern, ist nicht gleichbedeutend damit, dass er den Inhalt auch verstanden hat.
Obwohl die Menschen wohl nur etwa ein Viertel ihrer Gehirnkapazität sinnvoll nutzen, verfügen sie normalerweise nicht über ein fotografisches Gedächtnis, da die Aufnahmefähigkeit des Gehirns begrenzt ist. Zudem ist der Prozess des Vergessens von eher unwichtigen Informationen, ein wesentlicher Teil des Erinnerungsvermögens.
Eidetiker vertiefen sich in ihre Erinnerung wie in ein Foto. Komplett reproduzierbar ist diese Erinnerung jedoch nicht. Kinder sind ab einem gewissen Alter erwachsenen Menschen mit dem Erinnerungsspiel „Memory“ oft überlegen. Sie haben eine besondere Gabe, sich die Bilder der verdeckten Karten und ihrer Positionen zu merken. Studien belegen, dass etwa fünf bis zehn Prozent der Kinder ein eidetisches Gedächtnis besitzen, das sie später jedoch verlieren, vermutlich aufgrund der später stattfindenden Rekonstruktion und Reduktion der für die Erinnerungsfähigkeit zuständigen Neuronen-Verbindungen.
Noch positiver fallen Versuchsreihen mit Menschenaffen aus. Menschenaffen sind besser in der Lage, sich die Anordnung von Bildern und Ziffern zu merken als Menschen (wie zB die Experimente von Inoue & Matsuzawa, 2007, Matsuzawa, 2009 belegt haben).
Erwachsene Menschen tragen dem mit hohen Anforderungen und Informationseindrücken belasteten Alltag Rechnung und verfallen in eine Informationsökonomie, mit der sie sich ausschließlich die für sie wichtigen Informationen und Eindrücke merken und das meiste andere aus ihrem Gedächtnis vergessen.
Das Verschwinden des eidetischen Gedächtnisses ab der Pubertät wird in Zusammenhang gebracht mit dem Phänomen der Akzeleration, der Entwicklungsbeschleunigung, die im Verlauf der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts rasant zugenommen und zu tiefgreifenden Veränderungen unseres täglichen Lebens geführt hat.
Die Fähigkeit sich Worte, Bilder, Zahlen und Namen präzise ins Gedächtnis zu rufen, hängt von der Neuroplastizität des Gehirns und seiner Fähigkeit ab, sich wiederholt neu zu ordnen und Verknüpfungen zu löschen. Wissenschaftler sind der Meinung, dass es unmöglich ist, sich jedes Detail wie auf einem „inneren Foto“ zu merken und später ins Gedächtnis zu rufen.
Krankheiten & Beschwerden
Die begrenzte Kapazität des menschlichen Gehirns bedingt das Selektieren von wichtigen und unbewussten Informationen. Dieser Mechanismus ist wichtig, da das Gehirn ansonsten mit Informationen überflutet würde, die es nicht verarbeiten kann. Diese Situation stellt ein erhöhtes Stresslevel dar, das sich, hält es länger an, in negativen Auswirkungen wie emotionalen Überreaktionen und psychologischen Erkrankungen äußern kann.
Der Begriff „fotografisches Gedächtnis“ wird im Alltag nicht einheitlich verwendet. Viele Menschen können sich über Jahrzehnte lang an nahezu alle Einzelheiten ihres Lebens und ihre Begleitumstände erinnern, wobei viele Eindrücke dabei lediglich von begleitender oder unwichtiger Natur sind.
So auch die Amerikanerin Jill Price, die sich an jeden Tag ihres Lebens seit dem Jahr 1980 erinnern kann. Im März 2006 beschäftigten sich Hirnforscher der Universität Kalifornien mit dem scheinbar phänomenalen Gedächtnis der Kalifornierin und widmeten ihr eine Studie in der Fachzeitschrift “Neurocase“. Jill Price erinnert sich nicht nur an jeden Tag ihres Lebens seit nunmehr 35 Jahren, sondern auch an Begleitumstände, die in dieser Zeit passierten. So kann sie die Frage, was an einem bestimmten Datum passierte, exakt benennen, etwa einen Flugzeugabsturz am 19. Juli 1989, den sie in den Nachrichten verfolgt hatte. Sie gab jedoch zu, sich für diese Materie besonders zu interessieren und sagt aus, an Dinge, die für sie unwichtig sind, wie etwa im Kindesalter auswendig gelernte Gedichte oder historische Daten, erinnere sie sich nicht. Daher handelt es sich bei Jill Price wohl eher um ein autobiografisches Gedächtnis, mit dem das Unterbewusstsein Eindrücke ihres Lebens, die für sie besonders wichtig waren, gespeichert hat.
Die Erforschung des menschlichen Erinnerungsvermögens steht allgemein noch immer nicht auf validen wissenschaftlichen Grundlagen, da bisher keine einheitlichen Erkenntnisse existieren.