Autismus

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 5. März 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Per Definition bezeichnet der Autismus eine tiefgreifende Entwicklungsstörung, die bei Kindern unterschiedlichen Alters einsetzt. Dabei schränkt eine autistische Störung die Entwicklung der Persönlichkeit sehr stark ein.

Inhaltsverzeichnis

Was ist Autismus?

Bis heute sind die dem Autismus zugrunde liegenden Ursachen nicht eindeutig geklärt. Jedoch gilt es als sicher, dass entsprechende biologische bzw. genetische Faktoren eine wesentliche Rolle spielen.
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Es existieren unterschiedliche Formen des Autismus, die sich im Verlauf sowie in der Schwere der Symptome voneinander unterscheiden.

Der frühkindliche Autismus, das sogenannten Kanner-Syndrom, ist eine der bekanntesten Formen. Wird im Alltag vom Autismus gesprochen, ist in der Regel diese Form des Autismus gemeint.

Dagegen stellt das Asperger-Syndrom sowie der Atypische Autismus eine mildere autistische Störung dar. Das Rett-Syndrom ist eine tiefgreifende Entwicklungsstörung mit autistischen Zügen. Indes ist das Spektrum der möglichen Autismus-Störungen sehr breit.

Jedoch haben alle Störungen eins gemeinsam, nämlich dass bestimmte Persönlichkeitsmerkmale, wie zum Beispiel Schwierigkeiten beim Eingehen von Beziehungen mit Menschen, eine beeinträchtigte Sprachentwicklung sowie eingeschränkte Aktivitäten und Interessen und ein sich immer wiederholendes und stereotypes Verhaltensmuster bei Menschen mit Autismus gleich sind.

Ursachen

Bis heute sind die dem Autismus zugrunde liegenden Ursachen nicht eindeutig geklärt. Jedoch gilt es als sicher, dass entsprechende biologische bzw. genetische Faktoren eine wesentliche Rolle spielen. So zeigen gerade nahe Verwandte autistischer Menschen ebenfalls häufig autistische Symptome.

Weitere Hinweise auf eine genetische Ursache liefern die sogenannten Zwillingsstudien. Zeigt ein Zwillingskind autistische Symptome, entwickelt auch das andere Zwillingskind überdurchschnittlich häufig autistische Symptome. Zudem zeigen auch gesunde Geschwister von autistischen Menschen oft autistische Auffälligkeiten. Im Vergleich zu anderen Kindern verläuft die geistige und sprachliche Entwicklung meist eingeschränkt.

Es wird vermutet, dass vier bis zehn Genfaktoren an der Autismusentstehung beteiligt sind. Dies erklärt auch die unterschiedlichen Formen des Autismus. So gelang es beispielsweise beim Rett-Syndrom, welches nur Mädchen betrifft, die genetische Ursache herauszufinden, denn bei den Mädchen ist das Gen MeCP2 auf dem X-Chromosom verändert.


Symptome, Beschwerden & Anzeichen

Das Spektrum des Autismus ist breit, nicht alle Betroffenen sind gänzlich in ihrer eigenen Welt gefangen. Während manche Autisten lediglich kontaktscheu sind und daher Schwierigkeiten im Umgang mit ihren Mitmenschen haben, fallen andere durch ihre stereotypen Verhaltensweisen auf, sprechen nicht und sind zeitlebens auf Unterstützung oder gar Pflege angewiesen.

Eine autistische Störung weist nicht zwingend auf eine geistige Beeinträchtigung hin. Die Bandbreite reicht von hochgradiger Geistesschwäche bis zu einer extrem ausgeprägten Teilleistungsstärke, auch Inselbegabung genannt. Am bekanntesten ist das sogenannte fotografische Gedächtnis.

Dennoch weisen viele Autisten augenfällige Gemeinsamkeiten auf. Aufgrund ihrer andersartigen Sinneswahrnehmung erleben sie ihre Umwelt meist als unstrukturiertes Chaos. Laute Geräusche, helles Licht oder spontane Umarmungen können Angstreaktionen auslösen und zu einem Fluchtreflex führen. Im Regelfall beschränken sich Autisten auf ein einziges Interessengebiet, wobei sie gleichförmige, sich wiederholende Abläufe bevorzugen.

Dies spiegelt sich auch in der Sprache wider, die sich meist auf das mechanische Wiederholen von Wörtern und Sätzen beschränkt. Aufgrund seiner Unfähigkeit, die Mimik und Körpersprache anderer Menschen zu verstehen, bleiben einem Autisten die Gefühle selbst engster Familienmitglieder verborgen. So ist es vielen Betroffenen unmöglich, sich in einer größeren Gruppe zurechtzufinden und angemessen auf deren Anforderungen zu reagieren.

Diagnose & Verlauf

Eine Autismus-Diagnose zu stellen, ist nicht ganz leicht, denn nicht jedes Baby, das sich für seine Umwelt nicht interessiert, ist auch gleich autistisch. Auch einige Kinder im Kindergarten oder in der Schule möchten für sich sein, ohne dass gleich ein Autismus vorliegt.

So können beispielsweise auch Angststörungen für ein solches Verhalten ursächlich sein. Besteht der Verdacht, wird in der Regel ein Kinder- und Jugendpsychiater die Eltern nach den typischen Verhaltensweisen des Kindes befragen. Des Weiteren existieren vorgefertigte Fragebögen zur Diagnosestellung. Ein sorgfältiges Beobachten des Kindes ist ebenfalls für die Diagnosestellung nützlich.

Alles zusammen hilft dem Arzt, sich ein sehr umfassendes Bild zu machen. Auch andere Erkrankungen, wie zum Beispiel Psychosen oder Intelligenzminderungen sollten ausgeschlossen werden. Untersuchungen in den Bereichen Wahrnehmung, Motorik, Sozialverhalten, Intelligenz und Sprache können genauere Informationen über die Schwächen und Stärken des Kindes geben.

Der Autismus äußert sich durch unterschiedliche Stadien, die jedoch nicht bei allen Autisten gleichermaßen auftreten müssen. So beginnt das Kanner-Syndrom beispielsweise schon im Säuglingsalter und beim Asberger-Syndrom zeigen sich die Symptome erst im Kindergarten- oder Grundschulalter. Zwischen dem 6. Lebensmonat und dem 4. Lebensjahr beginnt das Rett-Syndrom, wobei hier Symptome einer schweren Entwicklungsstörung auftreten.

Beim Autismus gibt es keinen einheitlichen Verlauf. Zudem hängt es immer davon ab, welche Form des Autismus vorliegt und wie stark diese ausgeprägt ist. Beispielsweise können Menschen mit dem Asperger-Syndrom im Erwachsenenalter häufig ihren Alltag gestalten und sogar einen Beruf ausüben. Dagegen benötigen Menschen mit dem Rett-Syndrom enorme Unterstützung bei ihrer Lebensführung.

Hinzu kommt, dass es bei dem Rett-Syndrom einen fortschreitenden Verlauf gibt und Betroffene im Laufe ihres Lebens zunehmend pflegebedürftig werden. Häufig leben autistische Menschen mit einer zurückgebliebenen geistigen Entwicklung in einer sozialen Einrichtung.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

Dass Symptome aus dem Bereich des Autismus-Spektrumstörung im Raum stehen, vermuten Eltern oder Erzieher oft schon in den ersten Jahren im Kindergarten. Es kommt aber auch vor, dass Schulkinder, Jugendliche und gar Erwachsene mit auffälligem Verhalten immer wieder Probleme haben und Anstoß erregen, eine Diagnostik aber niemals erfolgt ist.

Je früher im Zusammenhang mit Autismus eine fachärztliche Diagnose gestellt wird, desto eher können auch unterstützende Therapien einsetzen. Diese können bei vielen Patienten mit Autismus-Spektrumstörung eine gute Symptomkontrolle und damit auch mehr Teilhabe am gesellschaftlichen Leben bringen.

Bei vermutetem Autismus ist im Bereich des Kindergarten ein Arztbesuch sinnvoll, wenn Leidensdruck entsteht. Viele Symptome, die auf ein Störungsbild aus dem Bereich Autismus hinweisen, sind gerade bei jungen Kindern noch sehr unspezifisch. Naht aber die Schule und kommt es wiederholt zu problematischen sozialen Situationen, ist eine umfassende Diagnostik angezeigt.

Diese kann zwar auch Autismus nicht "heilen", jedoch durch Verhaltenstherapie und gegebenenfalls Unterstützung im Alltag durch beispielsweise Integrationshelfer wesentliche Vorteile für Betroffene bringen.

Behandlung & Therapie

Die Therapie von Autismus richtet sich nach dem betroffenen Menschen, den individuellen Einschränkungen sowie den Stärken. Eine Heilung des Autismus ist nicht möglich und wird den Betroffenen ein Leben lang im Sozialleben einschränken.

Die Therapie verfolgt die Ziele, der Hilfe und Unterstützung sowie die sich wiederholenden stereotypen Verhaltensweisen abzubauen. Dies versuchen Pädagogen, Psychiater und Psychologen mit unterschiedlichen Methoden. Des Weiteren sollte auch die pflegende Familie des Betroffenen durch diverse staatliche Einrichtungen unterstützt werden.

Eine zuverlässige und wirksame medikamentöse Therapie zur Behandlung des Autismus existiert bis heute nicht. Es können allerdings Neuroleptika oder Benzodiazepine zum Einsatz kommen, die dabei helfen sollen, starke Spannungszustände oder selbstverletzendes Verhalten zu begrenzen. Einige Autisten leiden an epileptischen Anfällen, die ebenfalls medikamentös behandelt werden können.

Aussicht & Prognose

Zur Aussicht und Prognose bei Störungen aus dem Autismus-Spektrum spielen viele Faktoren eine Rolle. So müssen etwa der Grad der Störung, eine mögliche Intelligenzminderung oder -steigerung, die Integration ins Umfeld und Begleiterkrankungen betrachtet werden.

Bei Kindern wird das Vollbild der Verhaltensstörung in der Regel im Kindergarten- oder Vorschulalter erreicht. Während der ersten Schuljahre können die Probleme nachlassen.

Autismus geht bei etwa der Hälfte der Betroffenen im Jugend- und Erwachsenenalter mit einer bleibenden positiven Verhaltensänderung einher. Bei der anderen Hälfte stagniert das Störungsbild oder verschlechtert sich gar.

Insgesamt lassen Störungen aus dem Autismus-Spektrum keine Aussicht auf Heilung zu. Eine Besserung ist aber in den meisten Fällen möglich, wenn ausreichend früh mit einer fördernden Therapie begonnen wird. Diese zielt darauf ab, dass Betroffene Selbstständigkeit im Rahmen ihrer Möglichkeiten erlernen und Wege der Kommunikation und Selbstverwirklichung eröffnet werden.

Eine solche Therapie sollte schon im frühen Kindesalter begonnen werden. Die Prognose für eine deutliche Zustandsbesserung ist bei Autisten ohne Intelligenzminderung und Menschen mit Asperger-Syndrom deutlich besser als bei stark eingeschränkten Autisten.

Es ist ferner zu beachten, dass viele Autisten ein höheres Unfallrisiko und ein höheres Selbstverletzungsrisiko aufweisen, was oftmals dazu führt, dass die unmittelbare körperliche Unversehrtheit an die Qualität der Betreuung geknüpft ist.


Nachsorge

Eine Nachsorge im klassischen Sinne kann bei Autismus nicht erfolgen, da es sich um eine angeborene Neurodiversität handelt und folglich nicht heilbar ist. Da in Therapien aber der Umgang mit der Behinderung erlernbar ist, sind unterstützende Leistungen, die nach Ende der Therapie den Status quo aufrechterhalten sollen, in den meisten Fällen anzuraten.

Diese Unterstützung erfolgt meist in Form von betreutem Wohnen - entweder ambulant durch eine Pflegekraft, die den Autisten bei Einkäufen, Behördengängen und Arztbesuchen begleitet, oder in Form einer stationären Unterbringung in einer Pflegeeinrichtung.

Welche Unterstützungsleistung die richtige ist, hängt dabei stark vom einzelnen Klienten ab. Manche Autisten brauchen ihren persönlichen Freiraum und Autonomie und sind folglich für Wohngruppen, in denen sie sich Räumlichkeiten mit anderen Autisten teilen, ungeeignet. Andere Autisten sind ganz im Gegenteil auf eine sehr intensive Betreuung angewiesen, die ein ambulanter Pflegedienst nicht leisten kann.

Auch die persönliche Bindung an einen Betreuer kann ein entscheidender Faktor sein. Hier empfiehlt sich dann, eine Pflegekraft über das persönliche Budget anzustellen. Besonders unselbstständige und leicht überforderte Autisten bekommen zudem einen gesetzlichen Vormund, der wichtige Angelegenheiten wie Behördengänge stellvertretend für den Patienten regeln kann.

Das können Sie selbst tun

Wer an der Störung Autismus leidet, nimmt den Lebensalltag meist anders wahr als gesunde Menschen. Da Autisten einen durchstrukturierten Tagesablauf bevorzugen, sollten regelmäßige Abläufe zur Tagesordnung gehören. Dabei sollte im Vorfeld die Reihenfolge der Tätigkeiten festgelegt werden, damit Unvorhergesehenes vermieden werden kann. Die Routine im Tagesablauf stellt für den Betroffenen eine persönliche Sicherheit dar und trägt dazu bei, dass das Leben angenehmer erlebt wird.

Die meisten autistischen Menschen lehnen Nähe und Körperkontakt ab, daher sollte man ihnen auch ausreichend Zeit und Raum für eine persönliche Auszeit geben. Mit dem Autismus einher geht meist auch eine Unsicherheit dem Leben gegenüber. Um die persönliche Unsicherheit zu stabilisieren, sollte man das Tun autistischer Kinder und Erwachsener immer wieder bestätigen. Autisten sollten in Berufen arbeiten, die zu den speziellen Fähigkeiten des Menschen passen.

Wer an Autismus leidet, hat oftmals mit Reizüberflutungen zu kämpfen. Um diese zu minimieren, ist es wichtig, dass die Betroffenen ihre eigenen Bedürfnisse erkennen und Grenzen setzen. Oftmals hat eine künstlerische Betätigung einen positiven Einfluss auf die Autisten. In der Musik oder Kunst können sich die Betroffenen ausdrücken und ihre sinnliche Wahrnehmung ausbilden. Eine Massagetherapie kann für eine Entspannung sorgen und dazu beitragen, dass Betroffene sich besser spüren können.

Quellen

  • Aarons, M, Gittens, T.: Das Handbuch des Autismus. Beltz Verlag, Weinheim 2013
  • Michaelis, R., Niemann, G.W.: Entwicklungsneurologie und Neuropädiatrie. Thieme, Stuttgart 2010
  • Remschmidt, H.: Kinder- und Jugendpsychiatrie. Thieme, Stuttgart 2011

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