Hyperfunktionelle Dysphonie
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 9. März 2024Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
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Die hyperfunktionelle Dysphonie ist eine Stimmstörung ohne organische Ursache. Die Patienten überbeanspruchen habituell die stimmgebungsbeteiligte Muskulatur. Bei der logopädischen Therapie lernen sie ihre Stimmbildung gezielt zu normalisieren.
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Was ist hyperfunktionelle Dysphonie?
Die Artikulation besitzt bis zu einem gewissen Grad einen stimmlichen Teil. Dieser stimmliche Anteil der Artikulation ist bei der Dysphonie beeinträchtigt. Die Abhängig vom Befund und der Ausprägung klingt die Stimme bei einer hyperfunktionelle Dysphonie heiser bis rau, ist behaucht oder belegt.
Die Klangfarbe der Stimme, die Tonhöhe der Artikulation und die Lautstärke der artikulierten Laute kann ein Patient mit Dysphonie nur noch mit Einschränkungen variieren. Patienten mit Dysphonie klagen oft über Trockenheit und ein Fremdkörpergefühl im Hals. Zwanghaftes Räuspern ist die Folge. Es gibt mehrere Untergruppen der Dysphonie. Eine davon ist die hyperfunktionelle Dysphonie.
Diese Sprechstörung entsteht durch eine regelmäßig unbeabsichtigte und übermäßige Kontraktion der Stimmbildungsmuskulatur. Neben der Phonationsmuskulatur ist die Atemmuskulatur und die Artikulationsmuskulatur sowie die Halsmuskulatur an der Stimmbildung beteiligt. Die hyperfunktionelle Dysphonie ist damit eine Stimmstörung, die sich aus der Überbeanspruchung dieser Muskeln ergibt.
Ursachen
Eine funktionelle Dysphonie hat ihre Ursache dagegen in einer Überlastung, so beispielsweise in stimmschädigenden Sprechangewohnheiten. Eine derartige Dysphonie wird auch als habituelle Dysphonie bezeichnet. Da die Ursache der hyperfunktionellen Dysphonie einer Überlast der artikulationsbeteiligten Muskulatur entspricht, handelt es sich bei dieser Art der Dysphonie oft um eine habituell funktionelle Dysphonie.
Die Bezeichnung als „hyperfunktionell“ gibt neben Informationen zur Ursache auch Informationen zur Auswirkung. Die Überlast der Muskeln führt bei der hyperfunktionellen Dysphonie zu einem zu starken Krafteinsatz bei der Artikulation und verändert auf diese Weise den Klang der artikulierten Laute. Neben den genannten Ursachen können Faktoren wie Alkoholkonsum und Nikotinkonsum zu einer hyperfunktionellen Dysphonie beitragen oder eine bestehende Dysphonie verstärken.
Symptome, Beschwerden & Anzeichen
Patienten mit hyperfunktioneller Dysphonie leiden an einer Reihe von unterschiedlichen Symptomen, die mehr oder weniger stark ausgeprägt sein können. In den meisten Fällen klingt ihre Stimme rau, belegt und diplophon. Viele der Betroffenen produzieren gleichzeitig mehrere Frequenzen und erleben ihre Stimmstörung zusätzlich mit einem Räusperzwang und Schluckzwang vergesellschaftet.
Beim Leerschlucken werden sie von einem Kloßgefühl geplagt. Ihre Heiserkeit nimmt in Abhängigkeit von der Stimmbelastung noch zu. Gelegentlich liegen Schmerzen im Kehlkopfbereich vor. In ihrem Hals besteht ein Fremdkörpergefühl, das oft als Schleim im Rachen beschrieben wird.
Einige der Patienten empfinden ein Schamgefühl oder zumindest unangenehme Gefühle gegenüber ihrer eigenen Stimmbildung. In manchen Fällen versuchen die Betroffenen, fortan so wenig wie möglich zu sprechen. In Ausnahmefällen führt die fehlende Flexibilität der Stimme zu Missverständnissen im sozialen Bereich.
Die Intonation und ihre Variationsmöglichkeiten spielen zum Beispiel eine Schlüsselrolle für soziale Sprachhandlungen wie Ironie oder Sarkasmus. Die hyperfunktionelle Dysphonie kann so die Vermittlung von spezifischen Interpretationen des Artikulierten erschweren.
Diagnose & Krankheitsverlauf
Bei einer hyperfunktionellen Dysphonie nach hinten abgesenkte Epiglottis und gerötete Stimmlippen wegweisende Diagnosekriterien. Ein weiteres Kriterium sind vorgewölbte Taschenfalten und eine dorsal angesiedelte Schlussinsuffizienz. Auch eine lange Schlussphase und die geringe Amplituden von Stimmlippenschwingungen können für die Diagnose relevant sein.
Der Arzt stellt die Diagnose damit durch einen Stimmtest und kombiniert diesen Test mit blickdiagnostischen Begutachtung der artikulationsbeteiligten Strukturen. Die Prognose für Menschen mit einer hyperfunktionellen Stimmstörung ist günstig. Organische Stimmstörungen besitzen im Vergleich dazu eine deutlich ungünstigere Prognose und lassen häufig bleibende Stimmveränderungen zurück. Hypo- und hyperfunktionelle Dysphonien sind demgegenüber vollends heilbar.
Komplikationen
Es gibt erfolgversprechende Therapien die durch Stimmtherapeuten und Logopäden angeleitet werden. Komplikationen sind jedoch dabei möglich. Aus einer hyperfunktionellen Stimmstörung, die durch falschen Gebrauch verursacht wurde, kann im Verlauf eine organische Stimmstörung entstehen. Zu den häufigsten Veränderungen zählen die Stimmlippenknötchen, die auch Schreiknötchen genannt werden. Dabei bilden sich auf den Stimmlippen kleine Verdickungen, die im Anfangsstadium noch durch Stimmübungen zu behandeln sind.
Je länger sie existieren und je fester sie sind, desto wahrscheinlicher wird ein operativer Eingriff mit anschließender Stimmschonung und Therapie. Weiterhin sind hyperfunktionell belastete Stimmlippen empfänglich für Infekte und entzünden sich schnell. Immer wiederkehrende Heiserkeit und Stimmlosigkeit sind die Folgen. Die geschwollenen Stimmbänder verursachen dabei mitunter auch Atemnot.
Bei extrem überlasteten Stimmen ist es möglich, dass die sogenannte Taschenfaltenstimme entsteht. Die Taschenfalten liegen direkt über den eigentlichen Stimmbändern. Wenn sie für die normale Stimme einspringen, klingt die Stimme stark gepresst, rau, heiser und sehr tief. Zudem sind auch psychische Komplikationen zu erwarten. Nicht selten sind Patienten beruflich auf eine gute Stimme angewiesen. Fällt sie immer wieder aus, sind Zukunftsängste die Folge.
Wann sollte man zum Arzt gehen?
Veränderungen der Stimmgebung weisen auf Erkrankungen hin, die häufig behandlungsbedürftig sind. Halten die Auffälligkeiten über eine längere Zeit an oder nehmen sie an Intensität zu, muss ein Arzt aufgesucht werden. Eine fortbestehende Heiserkeit ohne einen ersichtlichen Grund ist untersuchen und behandeln zu lassen.
Ständiges Räuspern, Schluckbeschwerden oder eine Mundtrockenheit sind Anzeichen, die untersucht werden sollten. Bei einem Fremdkörpergefühl im Hals, Beschwerden im Bereich des Rachens oder Veränderungen der Schleimhäute im Hals, ist ein Arzt zu konsultieren. Kommt es zu Schmerzen, einem Engegefühl oder Appetitlosigkeit, empfiehlt sich eine Abklärung der Beschwerden.
Die Einnahme eines Schmerzmedikaments sollte nur in Rücksprache mit einem Mediziner erfolgen. Wird das Essen verweigert und kommt es zu einem starken Gewichtsverlust, benötigt der Betroffene Hilfe. Es droht eine Unterversorgung des Organismus. Schlafstörungen, eine Nervosität oder ein allgemeines Unwohlsein sind untersuchen zu lassen, sobald sie über mehrere Wochen anhalten.
Verweigern Betroffene plötzlich das Sprechen oder schränken sie ihre Artikulation stark ein, sollte ein Kontrollbesuch eingeleitet werden. Kommt es durch die Stimmveränderungen zu Verhaltensauffälligkeiten, einem Rückzug aus dem sozialen Umfeld oder einer depressiven Stimmung, ist ein Arztbesuch notwendig. Bei Schamgefühlen, Ängsten oder einem melancholischen Verhalten, ist es ratsam, einen Arzt oder Therapeuten aufzusuchen.
Behandlung & Therapie
Alle funktionellen Stimmstörungen bedürfen Bewusstsein und vor allem Training. Das Bewusstsein über den Artikulationsakt und die Selbstüberwachung während der Artikulation bilden die Basis, um im Training an der Stimmgebung arbeiten zu können. Alle funktionellen Dysphonien werden im Rahmen einer gezielten Stimmtherapie behandelt.
An der Therapie sind Phoniater, Atemlehrer, Sprechlehrer und Stimmlehrer oder auch Logopäden beteiligt. Dieses interdisziplinäre Team aus Experten lehrt den Patienten Disziplinen wie eine atemrhythmisch angepasste Lautbildung. Der Patient wird über die Physiologie der Stimmgebung aufgeklärt, damit er sich beim Akt der Artikulation bewusst selbst überwachen kann.
Das Bewusstsein über die Ursachen seiner Stimmstörung hilft dem Betroffenen dabei, während des Sprechens vor allem auf die Lautstärke der eigenen Stimme zu achten. Da die habituell hyperfunktionelle Dysphonie eine Stimmstörung aus Angewohnheit ist, kann die Therapie lange Zeit in Anspruch nehmen. Angewohnheiten sind nur mit konsequent und regelmäßig gezieltem Training über einen mehr oder weniger großen Zeitraum abzuändern.
Stück für Stück gewöhnt sich der Patient daran, wieder in einer normal lauten Stimme zu reden. Die Atem-, Phonations-, Hals- und Artikulationsmuskulatur lernt er weniger zu beanspruchen. Anders als bei organischen Stimmstörungen werden bei funktionellen und hyperfunktionellen Stimmstörungen keine invasiven Behandlungen angewandt.
Dem Patienten bleiben damit jegliche Operationsverfahren erspart. Während der Zeit der Therapie wird den Betroffenen meist zum Verzicht auf Nikotin und Alkohol geraten.
Aussicht & Prognose
Die Prognose der hyperfunktionellen Dysphonie wird als günstig beschrieben. Da keine organische Ursache der Stimmstörung vorliegt, ist eine dauerhafte Heilung der Beschwerden möglich. In vielen Fällen wird dafür eine gute und erfolgreiche Therapie benötigt, damit die Ursachen erarbeitet und verändert werden können. Der Behandlungsweg kann Wochen bis mehrere Jahre umfassen. Die zugrunde liegende Ursache sowie die Bereitschaft des Patienten zur Mitarbeit in einer Therapie sind dafür maßgeblich.
Eine Spontanheilung ist jederzeit möglich. Ebenso kann es zu einer Rückbildung der Beschwerden kommen, wenn der Behandlungsplan nicht eingehalten wird und die auslösende Überlastung erneut gelebt wird. Der Patient muss für eine dauerhafte Beschwerdefreiheit lernen, seine Stimmgebung den Bedürfnissen und Möglichkeiten des Organismus anzupassen.
Mit hilfreichen Tipps für den Umgang mit der Stimme, Hinweisen zur Veränderung der Lebensführung sowie ausreichenden Erklärungen über die Funktionsweise der Stimmgebung soll eine Bewusstseinssensibilität beim Betroffenen erreicht werden. Dies führt langfristig zu einer anhaltenden Genesung sowie der günstigen Prognose.
Darüber hinaus werden Frühwarnsignale erlernt, so dass der Patient schnellstmöglich bei einer Wiederkehr der Beschwerden Veränderungen und Optimierungen einleiten kann. Je später eine Therapie stattfindet, desto schwieriger wird das Umlernen des Sprechens. Dennoch ist auch in diesen Fällen eine Heilung möglich.
Vorbeugung
Hyperfunktionellen Dysphonien lässt sich vorbeugen. Neben Nikotinkarenz und Alkoholkarenz kann die Beschäftigung mit dem Akt der Artikulation als Vorbeugemaßnahme verstanden werden. Wer sich über den physiologischen Akt der Stimmgebung bewusst ist, neigt weniger dazu, die beteiligte Muskultur übertrieben stark zu beanspruchen.
Nachsorge
Die Nachsorge der hyperfunktionellen Dysphonie konzentriert sich zunächst auf die Anpassung der Stimme auf die körperlichen Möglichkeiten und Bedürfnisse. Das bedeutet für die Betroffenen, dass sie bei ihren Lebensgewohnheiten umdenken müssen. Die ärztlichen Ratschläge beziehen sich vorrangig auf den Einsatz der eigenen Stimme und auf die Erklärungen der Stimmfunktion.
Die erhöhte Sensibilität der Patienten hilft dabei, eventuelle Warnsignale früh zu erkennen. Entsprechend schnell lassen sich Verschlechterungen oder Veränderungen erkennen. Gegebenenfalls hilft dann ein erneuter Arztbesuch, um die Therapie entsprechend darauf abzustimmen. Oft beinhaltet die Nachsorge eine logopädische Behandlung.
Diese konzentriert sich auf spezielle Übungen für die Stimme und auch für die Sprache. Durch ein regelmäßiges Training gelingt es den Betroffenen bald, diese Übungseinheiten in eigener Verantwortung zuhause durchzuführen. So setzt sich das Stimmtraining im Anschluss an die Therapiestunden fort. Weitere sinnvolle Maßnahmen im Zusammenhang mit dieser direkten Nachsorge hängen mit dem Gesundheitsbewusstsein zusammen.
Störende Einflüsse wie Zigarettengenuss und Alkohol sollten nach Möglichkeit vermieden werden. In der Folge verbessert sich nicht nur das körperliche Befinden, sondern auch der psychische Status quo. Dabei spielt auch die soziale Kommunikation eine gewisse Rolle, denn sie sorgt für eine bessere Lebensqualität.
Das können Sie selbst tun
Um sein Wohlbefinden trotz Hyperfunktioneller Dysphonie zu verbessern, setzt der Patient mit seinen Maßnahmen zur Selbsthilfe sowohl an den physischen als auch an den seelischen Beschwerden der Erkrankung an.
Die in der Regel ungewöhnliche Stimme der Betroffenen ist für außenstehende Personen auffällig und führt deshalb bei den Patienten häufig zu Schamgefühlen. Im schlimmsten Fall resultieren daraus sozialer Rückzug und Depressionen. Um die Lebensqualität beizubehalten oder zu steigern, gehen Patienten offen mit der Hyperfunktionellen Dysphonie um und informieren ihr Umfeld darüber, dass sie unter der Erkrankung leiden. Die entgegengebrachte Akzeptanz hilft den Betroffenen beim Umgang mit der Hyperfunktionellen Dysphonie und unterstützt das seelische Wohlbefinden.
Hinsichtlich der körperlichen Beschwerden erhält der Patient üblicherweise eine logopädische Therapie, in deren Rahmen er diverse Übungen für das Training der Stimme und Sprache erlernt. Ein für den Erfolg der Logotherapie wesentlicher Faktor ist die eigenverantwortliche Durchführung der Trainingseinheiten zu Hause, da die Therapiestunden allein oft nicht ausreichend für eine gravierende Besserung sind. Außerdem verzichten die Patienten nach Möglichkeit auf Zigarettenkonsum und Alkohol, wodurch sich nicht nur ihr körperliches und psychisches Wohlergehen verbessert, sondern sich auch ein positiver Effekt auf den Verlauf der Hyperfunktionellen Dysphonie ergibt.
Quellen
- Boenninghaus, H. G., Lenarz, T.: Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde. Springer, Heidelberg 2012
- Herold, G.: Innere Medizin. Selbstverlag, Köln 2016
- Piper, W.: Innere Medizin. Springer, Berlin 2013