Lateralisation des Gehirns

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 14. März 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Mit der Lateralisation des Gehirns sind die strukturellen und funktionalen Unterschiede zwischen den Hemisphären des Großhirns gemeint. Bei den funktionalen Unterschieden kristallisiert sich eine linkshemisphärische Dominanz in Sprachprozessen heraus. Bei Gehirnläsionen in der Kindheit kompensieren die Hemisphären die Schädigung ganz.

Inhaltsverzeichnis

Was ist die Lateralisation des Gehirns?

Mit der Lateralisation des Gehirns sind die strukturellen und funktionalen Unterschiede zwischen den Hemisphären des Großhirns gemeint.

Das Großhirn weist zwei verschiedene Hälften auf. Diese sogenannten Hemisphären des Großhirns sind durch die Fissura longitudinalis cerebri getrennt und durch einen dicken Nervenstrang, das sogenannte Corpus callosum, miteinander verbunden.

Funktionell sind die beiden Großhirnhemisphären nicht identisch aufgebaut. Die Aufteilung von Prozessen auf die linke und rechte Gehirnhälfte wird mit dem medizinischen Terminus der 'Lateralisation' beschrieben und entspricht damit einer neuroanatomischen Ungleichheit in der Spezialisierung der Großhirnhemisphären.

Das Gehirn höherer Organismen ist meist bilateralsymmetrisch aufgebaut. Die Symmetrie verweist zwar auf einen gleichartigen Aufbau, aber Beobachtungen und Experimenten haben schon vor langer Zeit die räumliche Spezialisierung der Gehirnfunktionen ans Licht gebracht. Teilfunktionen werden bevorzugt in einer der Gehirnhälften ausgeführt.

Die strukturellen Unterschiede zwischen den Hemisphären werden als anatomische Asymmetrien bezeichnet und äußern sich beispielsweise in unterschiedlichen Volumina oder mit Bezug zur Länge, Tiefe oder Form der Gehirnfurchen. Auch im Hinblick auf das Vorkommen bestimmter Zellarten und die Vernetzung der Zellen untereinander unterscheiden sich die Hemisphären.

Wichtige Asymmetrien betreffen zum Beispiel die Sylvische Furche, den Heschl-Gyrus, das Planum temporale und den Sulcus centralis. Die Sylvische Furche ist in der linken Hemisphäre beispielsweise ausgedehnter, so vor allem bei Rechtshändern. Die linke Hemisphäre weist in der Regel ein größeres Gesamtgewicht, einen größeren Anteil an grauer Substanz, einen größeren inferiorer-Temporallappen und einen größeren Nucleus lateralis posterior im Thalamus auf.

Funktion & Aufgabe

Neben den strukturellen Asymmetrien der linken und rechten Großhirnhemisphären weisen die beiden Gehirnhälften auch funktionelle Unterschiede auf. Die Laterialisation des Gehirns entspricht sowohl den strukturellen, als auch funktionellen Unterschieden. Frühe Studien im Bereich der funktionalen Spezialisierung entsprechen vor allem neurologischen oder neuropsychologischen Studien zu Hirnverletzungen, die eine Auswirkung auf die kognitiven Fähigkeiten zeigen. Die Studien haben zum Beispiel Patienten mit Läsionen unterschiedlicher Hemisphären verglichen und so durch das Prinzip doppelter Dissoziation auf die funktionelle Lateralisierung geschlossen.

In den 1960ern fanden außerdem experimentelle Untersuchungen der funktionellen Lateralisation anhand von Epilepsie-Patienten statt, denen die Verbindung zwischen den beiden Hemisphären entfernt wurde.

Dank des technischen Fortschritts können mittlerweile auch bildgebende Verfahren wie die Magnetresonanztomographie (MRT) der Untersuchung von funktionaler Lateralisierung dienen. Bisher haben Studien bezüglich der kognitiven Fähigkeiten eine funktionale Asymmetrie der Hemisphären zum Beispiel für die Sprachproduktion nachgewiesen. In diesem Zusammenhang ist von einer Dominanz der linken Hemisphäre bei sprachlichen Prozessen die Rede, die an 95 Prozent der Rechtshänder und 70 Prozent der Linkshänder nachgewiesen werden konnte.

Untersuchungen haben erwiesen, dass die Reizverarbeitung in der rechten Hemisphäre keine sprach-expressive Äußerung erlaubt. Auch bei der Worterkennung und bei mathematischen Operationen gilt die linke Gehirnhälfte als dominante Hemisphäre. Von einer Dominanz der rechten Gehirnhälfte geht die Medizin zum Beispiel bei der Gesichtserkennung und der Raumwahrnehmung aus.

Annett beschrieb zur Lateralisation der Gehirnhälften die sogenannte Right-Shift-Theorie, die die Sprachdominanz der linken Gehirnhälfte auf lediglich ein einziges Gen zurückführt. Laut Annett sind mit einer extrem ausgeprägten Dominanz einer einzigen Hemisphäre Nachteile in der kognitiven und auch motorischen Leistungsfähigkeit verbunden. Annetts Right-Shift-Theorie bleibt in der Gegenwartsforschung umstritten, da Forscher wie Crow keinen Zusammenhang zwischen einer extremen Dominanz der Hemisphären und einer kognitiven oder motorischen Beeinträchtigung feststellen konnten.


Krankheiten & Beschwerden

Vor allem bei Schädigungen einer einzelnen Gehirnhemisphäre tritt die Lateralisation des Gehirns deutlich in Erscheinung. Wenn beispielsweise die linke Gehirnhälfte von einer hirninfarktsbedingten oder entzündungsbedingten Läsion betroffen ist, können sich Sprachschwierigkeiten einstellen. Auch Störungen der Worterkennung können die Folge einer solchen Läsion sein. Abhängig vom Ausmaß der Schädigung können sprachtherapeutische Maßnahmen die Beschwerden lindern. Falls dagegen die rechte Hemisphäre durch eine Läsion in ihrer Funktion beeinträchtigt ist, sind Orientierungslosigkeit und ein gestörtes Raumempfinden häufige Symptome.

Interessant wird eine solche Schädigung aus neurologischer Sicht vor allem dann, wenn die Lateralisation des Gehirns zum Zeitpunkt der Schädigung noch nicht vollständig abgeschlossen ist. Die Lateralisation des Gehirns wird erst in der Pubertät abgeschlossen und gilt danach als nur schwer veränderlich. Wenn Kinder zum Beispiel unfallbedingt oder anderweitig bedingt eine Schädigung der linken Hemisphäre erfahren, kann die unabgeschlossene Lateralisation zu einem großen Vorteil werden. So hat sich zum Beispiel herausgestellt, dass Kinder trotz einer Läsion der linken Hemisphäre im Erwachsenenalter in aller Regel keine Sprachstörungen zu verzeichnen haben. Vor dem Abschluss der Lateralisation ist das Gehirn demnach offenbar dazu in der Lage, den Schaden vollumfänglich zu kompensieren. Die unbeschädigte, rechte Hemisphäre übernimmt so bei einer aphasischen Schädigung im Sprechzentrum des Gehirns offenbar vollständig die Sprachfunktionen der linken Hemisphäre. Dasselbe kann bei Schädigungen der rechten Hemisphäre gelten, die eigentlich mit einem gestörten Raumempfinden einhergehen müssten.

Nach dem Abschluss der Lateralisation ist eine vollständige Übernahme von Funktionen zwischen linker und rechter Gehirnhälfte nicht mehr möglich. Die Kompensation der Schädigung gestaltet sich damit weitaus schwieriger und ist daher oft mit bleibenden Schäden assoziiert.

Quellen

  • Grehl, H., Reinhardt, F.: Checkliste Neurologie. Thieme, Stuttgart 2012
  • Masuhr K., Masuhr, F., Neumann, M.: Duale Reihe Neurologie. Thieme, Stuttgart 2013
  • Mattle, H., Mumenthaler, M.: Neurologie. Thieme, Stuttgart 2013


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