Morbus Sandhoff
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 25. März 2024Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
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Morbus Sandhoff stellt eine lysosomale Speicherkrankheit dar, bei welcher es zu einer Speicherung von GM2-Gangliosiden in den Nervenzellen kommt. Dabei ist die Enzymaktivität von Hexosaminidase A und B eingeschränkt. Die Prognose ist meist sehr schlecht.
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Was ist Morbus Sandhoff?
Morbus Sandhoff gehört zu den lysosomalen Speicherkrankheiten. Die Erkrankung wurde im Jahre 1968 erstmalig von dem deutschen Biochemiker Konrad Sandhoff beschrieben. Bei diesem Syndrom werden GM2-Ganglioside in den Nervenzellen angereichert, weil zwei Gangliosid abbauende Enzyme eine eingeschränkte oder gar keine Funktionsfähigkeit mehr besitzen.
Ganglioside sind wasserunlösliche Lipide, die in den Membranen aller Zellen vorhanden sind. Hier bestimmen sie die Struktur des äußeren Teils der Membran. Chemisch sind sie aufgebaut aus zwei Fettsäuremolekülen, welche an den Aminodialkohol Sphingosin gebunden sind. Am anderen Ende des Sphingosinmoleküls befindet sich ein Oligosaccharid aus mehreren Zuckermolekülen.
Die Fettsäurereste ragen in die Zellmembran hinein in Richtung Zelle. Dieser Teil des Moleküls ist unpolar und daher fettlöslich. Der Zuckeranteil befindet sich an der Oberfläche der Zellmembran und interagiert mit polaren Molekülen wie beispielsweise Wasser. Zur Anreicherung von GM2-Gangliosiden kommt es vor allem in den Nervenzellen. Dort wird eine besondere Funktion von Gangliosiden in der Informationsübertragung zwischen den Nervenzellen vermutet.
Besonders reich an Gangliosiden ist die Graue Substanz des Gehirns. Dort machen sie circa sechs Prozent aller Lipide aus. Allerdings bilden sich ständig neue Ganglioside, die normalerweise auch wieder abgebaut werden müssen, um im Gleichgewicht zu bleiben. Im Falle von Morbus Sandhoff ist der Abbauprozess jedoch gestört, wobei es zur Anreicherung von Gangliosiden kommt. Die Krankheit ist sehr selten. Es wird eine Prävalenz von 1 zu 130.000 in Europa angegeben.
Ursachen
Der erbliche Defekt wird autosomal rezessiv vererbt. Damit die Erkrankung in ihrem vollen Umfang ausbricht, müssen die entsprechenden Gene beider Elternteile defekt sein. In der Folge der Abbaustörung sammeln sich in den Nervenzellen immer mehr Ganglioside an. Schließlich wird die Funktion der Nervenzellen massiv beeinträchtigt, da immer mehr Gangliosidmoleküle hinzukommen.
Die Nervenzelle vergrößert sich immer mehr. Dieser Effekt äußert sich im allmählichen Anschwellen des Gehirns. Dadurch wird die Reizweiterleitung zwischen den Neuronen gestört. Neue Verbindungen zwischen den Neuronen können nicht mehr gebildet werden und alte Verknüpfungen brechen auf. In der Folge setzt der geistige Verfall ein.
Symptome, Beschwerden & Anzeichen
Beim Morbus Sandhoff wird wie bei vielen lysosomalen Speicherkrankheiten zwischen mehreren Ausprägungsgraden unterschieden. Diese sind abhängig von der jeweiligen Restenzymaktivität. So gibt es eine infantile, eine juvenile und eine adulte Form der Erkrankung. Bei der infantilen Verlaufsform entwickeln die Kinder nach einer unauffälligen Entwicklungsphase ab dem dritten Lebensmonat [Entwicklungssttörungen bei Kinder|Entwicklungsverzögerungen]]. Es kommt zu muskulärer Hypotonie, häufigen Schreckreaktionen und motorischen Störungen.
Im weiteren Verlauf kommen Krampfanfälle, Hirnvergrößerung und abnehmendes Sehvermögen hinzu. In späten Stadien geht das Sehvermögen ganz verloren. Die geistigen und motorischen Fähigkeiten nehmen immer weiter ab. Am Augenhintergrund bildet sich ein kirschroter Fleck in der Makula. Diese Verlaufsform endet meist zwischen dem dritten und fünften Lebensjahr tödlich.
Im Rahmen der juvenilen Verlaufsform beginnen die ersten Symptome zwischen dem zweiten und fünften Lebensjahr. Auch hier kommt es zu den gleichen Veränderungen. Allerdings schreitet der Krankheitsprozess langsamer voran. Hier liegt die Lebenserwartung zwischen 15 bis 20 Jahren.
Bei der adulten Verlaufsform kommt es zu unterschiedlichen Symptomen, die sich in neurologischen und psychiatrischen Auffälligkeiten manifestieren. Sehvermögen und geistige Entwicklung können unbeeinträchtigt bleiben. Der weitere Verlauf ist von der Restaktivität der Enzyme abhängig.
Diagnose & Krankheitsverlauf
Zur Diagnose von Morbus Sandhoff wird die Enzymaktivität von Hexosaminidase A und B bestimmt. Wenn beide Enzyme eine verringerte Aktivität aufweisen, kann von einem Morbus Sandhoff ausgegangen werden. Sollte nur eine Funktionseinschränkung von Enzym Hexosaminidase A vorliegen, handelt es sich um Morbus Tay-Sachs, welcher einen ähnlichen Verlauf nimmt. Eine Genanalyse kann die Diagnose bestätigen.
Komplikationen
Die Patienten leiden dabei nicht selten an Krämpfen und auch an einem verringerten Sehvermögen. Im schlimmsten Falle tritt dabei eine vollständige Erblindung ein. Ebenso nehmen die motorischen Fähigkeiten des Patienten im weiteren Verlauf der Erkrankung deutlich ab. Die Lebenserwartung wird durch den Morbus Sandhoff deutlich verringert, sodass die Betroffenen in der Regel maximal 20 Jahre alt werden.
Auch die Angehörigen und die Eltern sind vom Morbus Sandhoff betroffen und leiden dabei an starken psychischen Beschwerden oder an Depressionen. Die geistige Entwicklung des Patienten wird durch die Krankheit in der Regel nicht beeinflusst. Eine kausale Behandlung von Morbus Sandhoff ist in der Regel nicht möglich. Einige der Beschwerden können mit Hilfe von Therapien und Medikamenten eingeschränkt werden. Eine vollständige Heilung der Krankheit ist allerdings nicht möglich.
Wann sollte man zum Arzt gehen?
Treten im frühen Kindesalter oder im fortgeschrittenen Alter ungewöhnliche Symptome auf, sollte immer der Arzt aufgesucht werden. Zur Feststellung und Abgrenzung von ähnlichen Erkrankungsbildern sollte eine Genanalyse herangezogen werden.
Da der vererbbare Morbus Sandhoff eine meist früh auftretende neurodegenerative Stoffwechselerkrankung ist, sind erste Arztkontakte oft bereits bei betroffenen Kleinstkindern gegeben. Die bisher nicht behandelbare Erkrankung führt zu Erblindung und Verfall. Der regelmäßige Arztbesuch ist bei Morbus Sandhoff unvermeidlich. Die fortschreitende Fettstoffwechselerkrankung gehört zu den eher selten auftretenden Erkrankungen. Da die betroffenen Kinder meistens nicht einmal vier Jahre alt werden, können nur symptomatische Hilfestellungen angeboten werden.
Die schlechte Prognose erschwert den Eltern solcher Kinder den Umgang mit der Krankheit. Für die Kinder selbst kann ärztlicherseits nicht allzu viel getan werden. Die Abbaustörung verursacht immer gravierendere Schäden an den Nervenzellen. Auch das Gehirn wird stark in Mitleidenschaft gezogen. Der Ausprägungsgrad der Störung kann allerdings unterschiedlich sein. Das beeinflusst die medizinischen Handlungsoptionen.
Beim juvenilen Morbus Sandhoff ist bei guter Behandlung eine Lebenserwartung bis in die Pubertät oder darüber hinaus möglich. Die Symptome schreiten langsamer fort. Sie treten mit etwa zwei Jahren auf. Die adulte Form des Morbus Sandhoff ist die mit der höchsten Lebenserwartung. Diese ist allerdings abhängig von diversen Einflüssen im Enzymbereich.
Behandlung & Therapie
Eine ursächliche Therapie von Morbus Sandhoff ist leider nicht möglich, da die Erkrankung erblich bedingt ist. Lediglich symptomatische Behandlungen können durchgeführt werden. Es gibt hoffnungsvolle Therapieansätze, die aber alle erst in der Anfangsphase stecken. In der Regel ist die Prognose sehr schlecht.
Auch die Lebenserwartung kann heute leider noch nicht verlängert werden. Bei der adulten Form der Erkrankung ist die Lebenserwartung der Betroffenen jedoch etwas größer. Allerdings ist sie von der Restaktivität der Enzyme abhängig.
Aussicht & Prognose
Morbus Sandhoff ist eine schwere Erkrankung, die für die Erkrankten mit starken Beschwerden verbunden ist und innerhalb weniger Monate zum Tod führt. Die genetische Erkrankung bietet dementsprechend eine relativ schlechte Prognose. Die erkrankten Kinder versterben in der Regel kurz nach der Geburt und leiden zeitlebens an schweren körperlichen Einschränkungen. Im Durchschnitt sterben die meisten Morbus-Sandhoff-Patienten im dritten oder vierten Lebensjahr.
Erste Symptome treten zwölf bis vierzehn Monate vor dem Tod auf und führen meist durch schwere Organschäden oder Herz-Kreislauf-Beschwerden zu dem Tod des Kindes. Die genetische Erkrankung kann lediglich symptomatisch behandelt werden. Wenn Beschwerden wie der Strabismus oder der Nystagmus ausreichend behandelt werden, kann den erkrankten Kindern zumindest ein relativ beschwerdefreies Leben ermöglicht werden. Allerdings sind die regelmäßigen Arztbesuche für die Angehörigen und die Patienten selbst mit viel Stress verbunden.
Die Lebensqualität ist in der Regel stark reduziert. Aktuell entwickelte Therapien könnten die Prognose zukünftig verbessern. Generell sollten Patienten sich an die Einschätzungen des Arztes halten. Der Mediziner gibt im Hinblick auf das Symptombild und die Therapiemöglichkeiten eine akkurate Prognose.
Vorbeugung
In Familien mit Angehörigen oder Verwandten, die an Morbus Sandhoff leiden, besteht die Prophylaxe vor einer Weitervererbung des Syndroms in einer ausgiebigen humangenetischen Beratung. Die Erkrankung unterliegt einem autosomal rezessiven Erbgang. Das bedeutet, nur wenn beide Elternteile das defekte Gen besitzen, besteht eine Wahrscheinlichkeit von 25 Prozent, die Erkrankung an die Nachkommen weiterzugeben.
Zunächst sollte durch eine Genuntersuchung der Genstatus beider Elternteile bestimmt werden. Wenn nur ein Partner das defekte Gen besitzt, besteht keine Gefahr für das Kind.
Nachsorge
In den meisten Fällen sind die Maßnahmen und die Möglichkeiten einer direkten Nachsorge bei Morbus Sandhoff deutlich eingeschränkt oder stehen dem Betroffenen gar nicht erst zur Verfügung. Aus diesem Grund sollte der Betroffene schon sehr früh einen Arzt aufsuchen, um das Auftreten von anderen Komplikationen oder Beschwerden zu verhindern, da es dabei auch nicht zu einer selbstständigen Heilung kommen kann.
Ebenso ist auch bei einem erneuten Kinderwunsch ein Arzt aufzusuchen, damit es nicht bei den Kindern zum Auftreten von Morbus Sandhoff kommt, da es sich um eine erblich bedingte Erkrankung handelt. Die Betroffenen sind dabei auf die Einnahme von Medikamenten angewiesen, die die Beschwerden lindern und einschränken können. Es gilt, die Anweisungen des Arztes zu beachten, wobei auch bei Fragen oder bei starken Nebenwirkungen ein Arzt zu kontieren ist.
Weiterhin sollte die richtige Dosierung und auch die regelmäßige Einnahme der Medikamente beachtet werden. Häufig sind die Betroffenen von Morbus Sandhoff in ihrem Alltag auf die Hilfe und die Pflege durch andere Menschen angewiesen. Dabei kann auch der Kontakt zu anderen Patienten der Erkrankung sehr sinnvoll sein, da es dabei nicht selten zu einem Austausch an Informationen kommt.
Das können Sie selbst tun
Die Erkrankung gibt nur wenige Handlungsmöglichkeiten, die Patienten oder deren Angehörige im Alltag nutzen können. Eine Heilung ist bei der Genkrankheit nicht möglich. Weder auf schulmedizinischer noch auf alternativen Wegen kann eine Genesung erzielt werden. Patienten mit Morbus Sandhoff haben eine deutlich verkürzte Lebenserwartung. Im Bereich der Selbsthilfe liegt der Fokus letztlich auf einer Verbesserung der Lebensqualität.
Im Alltag ist der Umgang mit den Beschwerden und dem Krankheitsverlauf besonders wichtig. Die Erkrankung birgt nicht nur für den Patienten, sondern auch für dessen Umfeld große Herausforderungen. Die mentale Kraft ist zu stärken, damit die Umstände gut verarbeitet werden können. Neben der Nutzung von Entspannungstechniken helfen psychotherapeutische Maßnahmen. Zudem sollten sich die Angehörigen ausreichend Zeit für die Erfüllung ihrer eigenen Bedürfnisse nehmen. Nur so kann gewährleistet werden, dass sie im Umgang mit dem erkrankten Kind über genügend Ressourcen verfügen. Hilfreich und unterstützend werden Kontakte zu Selbsthilfegruppen oder anderen Erkrankten empfunden. Im Austausch findet eine gegenseitige Hilfe zur Selbsthilfe statt, da Hinweise und Tipps für die Bewältigung der Situation gegeben werden.
Zur Stabilisierung des Organismus sind ein gesunder Lebenswandel und eine ausgewogene Ernährung anzuraten. Die Lebensfreude ist trotz aller Widrigkeiten zu fördern, damit eine Verbesserung der Gesamtsituation erreicht wird.
Quellen
- Arasteh, K., et. al.: Innere Medizin. Thieme, Stuttgart 2013
- Hahn, J.-M.: Checkliste Innere Medizin. Thieme, Stuttgart 2013
- Piper, W.: Innere Medizin. Springer, Berlin 2013