Paramyotonia congenita

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 19. März 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Die Paramyotonia congenita gehört zum Formenkreis der Myotonien, die sich durch lang anhaltende Spannungszustände der Muskeln auszeichnen. Es ist eine genetisch bedingte Erkrankung, bei welcher die Funktion der Natriumkanäle gestört ist. Die Symptome treten nur bei Abkühlung der Muskulatur oder längerer körperlicher Tätigkeit auf und sind bei Wärme nicht oder kaum bemerkbar.

Inhaltsverzeichnis

Was ist eine Paramyotonia congenita?

Die Paramyotonia congenita besteht von Geburt an, wobei die Symptomatik während des gesamten Lebens unverändert bleibt. Besonders betroffen sind Augenlidmuskulatur, Augenmuskeln, Gesicht, Hals sowie untere und obere Extremitäten.
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Die Paramyotonia congenita ist eine Erkrankung der Muskelfunktion, welche sich in lang anhaltenden Spannungen nach Muskelkontraktion oder Kälteeinfluss äußert. Erstmalig wurde diese Erkrankung durch den Neurologen Albert Eulenberg, der von 1840 bis 1917 lebte, beschrieben. Aus diesem Grund wird die Paramyotonia congenita auch als Eulenbergkrankheit bezeichnet.

Im Gegensatz zu den anderen Myotonien wie Myotonia congenita Thomsen und Myotonia congenita Becker handelt es sich nicht um eine Chloridkanalmyotonie, sondern um eine Natriumkanalmyotonie. Hier kommt es also zu einer Störung des Natriumionentransportes. Zur Erzeugung des Aktionspotenzials strömen Natriumionen in die Zelle. Diese werden nach der Muskelkontraktion normalerweise sofort wieder bis zur Ausbildung eines Membranruhepotenzials aus der Zelle befördert.

Bei der Paramyotonia congenita verläuft dieser Prozess verzögert und kann mehrere Stunden dauern. Hauptsächlich bei der Einwirkung von Kälte oder nach längerer Muskelbeanspruchung können die Spannungszustände der Muskeln nur schlecht abgebaut werden. Im Unterschied zu den Chloridkanalmyotonien versteift sich die Muskulatur bei Bewegung noch stärker. Besonders die willkürliche Muskulatur ist von dieser Erkrankung betroffen.

Ursachen

Als Ursache für die Paramyotonia congenita wurden Punktmutationen auf dem Gen SCN4A, welches sich auf Chromosom 17 befindet, ausgemacht. Als Folge dieser Mutationen ist in den Muskelzellen die Funktion des Natriumkanals sehr stark beeinträchtigt. Zur Entwicklung des Aktionspotenzials strömen Natriumionen in die Zelle. Im Zustand des Ruhepotenzials ist die Natriumionenkonzentration jedoch außerhalb der Zelle größer als innerhalb.

Damit liegt innerhalb der Zelle eine höhere Kaliumionenkonzentration als Natriumionenkonzentration vor. Das Ruhepotenzial wird aktiv durch die Ionenpumpenfunktion des Natriumkanals hergestellt. Wenn der Prozess der Wiederherstellung des Ruhepotenzials aus dem Aktionspotenzial gestört ist, kommt es zu einem lange aufrechterhaltenden Spannungszustand der Muskulatur. Dabei wird von Myotonie gesprochen, weil der Muskeltonus lange erhöht bleibt.

Bei der Paramyotonia congenita wird besonders bei Kälteeinwirkung und Muskelkontraktion das Einströmen von Natriumionen in die Zelle begünstigt. Dabei werden zwei Ursachen für den Aufbau eines besonders hohen Aktionspotenzials diskutiert. Ein Teil der Erkrankungen ist wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass die Natriumkanäle nicht mehr geschlossen werden. Ein anderer Teil der Natriumkanalmyotonien basiert auf dem verzögerten Verschließen der Natriumkanäle.

Bei weiterer Kälteeinwirkung oder fortgesetzter körperlicher Betätigung baut sich das Aktionspotenzial dadurch weiter auf. Erst bei Wärme und im Ruhezustand wird das Ruhepotenzial langsam wieder aufgebaut. Das steht jedoch im Gegensatz zu den Chloridionenkanalmyotonien, bei welchen das Ruhepotenzial bei körperlicher Bewegung aufgebaut wird.

Symptome, Beschwerden & Anzeichen

Die Paramyotonia congenita besteht von Geburt an, wobei die Symptomatik während des gesamten Lebens unverändert bleibt. Besonders betroffen sind Augenlidmuskulatur, Augenmuskeln, Gesicht, Hals sowie untere und obere Extremitäten. So kann ein geschlossenes Augenlid bei Kälteeinwirkung beispielsweise stundenlang nicht mehr geöffnet werden.

Eine Kälteeinwirkung besteht bereits dann, wenn ein feuchter und kühler Waschlappen aufgelegt wird. Außerdem versteift das Gesicht der Patienten bei Kälteeinwirkung maskenhaft. Gleichzeitig kommt es zu Bewegungsbehinderungen, wobei die Finger eine schmerzlose Beugestellung aufweisen. Die Steifigkeit verstärkt sich paradoxerweise noch bei wiederholten Bewegungen und Kälteeinwirkungen.

Nach ausdauernder Bewegung und Kälteeinfluss kommt es dann zu einer Muskelschwäche. Einige Patienten leiden ab der Pubertät auch unter periodischen hyperkaliämischen Lähmungen. Bei Wärme treten in der Regel gar keine oder nur geringfügige Symptome auf.

Diagnose & Krankheitsverlauf

Eine Myotonia congenita kann bereits durch die auftretenden Symptome diagnostiziert werden. Auch die Differenzialdiagnose zwischen den einzelnen Myotonieformen ist einfach. Während die Chloridionenkanalmyotonien Myotonia congenita Thomsen und Myotonia congenita Becker fast identische Symptome aufweisen, können sie jedoch von der Paramyotonia congenita gut abgegrenzt werden.

Eine einfache Untersuchungsmethode ist das Auflegen von kalten Kompressen zur Auslösung der Lidmyotonie. Danach ist es für die Betroffenen lange Zeit unmöglich, die Augenlider zu öffnen. Gleichzeitig sehen die Patienten Doppelbilder, wonach bei der Anamnese auch immer gefragt werden sollte. Auch die zunehmende Versteifung bei wiederholter Bewegung deutet auf die Natriumkanalmyotonie hin.

Im Blut finden sich die für Muskelerkrankungen typisch erhöhten Werte von Kreatininkinase. Da diese Werte jedoch auch bei anderen Erkrankungen vorkommen, sind sie für die Diagnosestellung unerheblich. Ein Gentest kann jedoch die Diagnose vollständig absichern.

Komplikationen

Bei richtiger Behandlung der Paramyotonia congenita treten keine Komplikationen auf. Die Lebenserwartung ist nicht herabgesetzt. Allerdings besteht besonders im Winter die große Herausforderung darin, eine Abkühlung der Gelenke zu vermeiden. Im Sommer versteifen die Gelenke unter anderem beim Baden gehen. Dabei kommt es zur Versteifung der Gelenke und zur allgemeinen körperlichen Schwäche. Das Gleiche gilt auch bei längerer körperlicher Arbeit.

Eine Abkühlung kann allerdings nicht vollständig vermieden werden. Das wäre nur erreichbar, wenn die Betroffenen sich ständig in höher temperierten Räumen aufhalten würden. Manche Patienten leiden auch psychisch darunter, dass sie viele Freizeitaktivitäten nur eingeschränkt ausführen können. In Einzelfällen kann es dadurch sogar zu psychischen Erkrankungen und Depressionen kommen. In der Regel ist bei der Paramyotonia congenita keine medikamentöse Behandlung notwendig.

Allein das Vermeiden von Abkühlungen der Gelenke reicht in den meisten Fällen aus, um die Versteifungen zu verhindern. In einigen wenigen Fällen können die Beschwerden jedoch so gravierend sein, dass eine Behandlung mit dem Medikament Mexiletin empfohlen wird. Allerdings sollte die Behandlung mit diesem Medikament, dass eigentlich bei Herzrhythmusstörungen eingesetzt wird, nur ausnahmsweise erfolgen, da es zu verschiedenen Nebenwirkungen führen kann. So treten machen sich bei der Einnahme desöfteren Schwindel, Stimmungsschwankungen, Sehstörungen oder Übelkeit bemerkbar. In sehr seltenen Fällen kann es auch zu einer Thrombozytopenie mit verstärkter Blutungsneigung kommen.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

Störungen des Muskelapparates sind ein Anzeichen für eine gesundheitliche Beeinträchtigung. Sie sollten ärztlich abgeklärt werden, damit ein Behandlungs- und Therapieplan erarbeitet werden kann. Die ersten Hinweise treten bereits in den ersten Lebenstagen oder -monaten auf. Kommt es bei einer Kälteeinwirkung oder intensiven körperlichen Betätigung zu einer Muskelsteifheit, ist ein Arztbesuch anzuraten. Bleibt die Erstarrung für mehrere Stunden erhalten, ist dies ein Hinweis auf die Paramyotonia congenita. Findet eine Bewegung der Gelenke statt, verstärkt sich die Steifheit um ein Weiteres.

Die Beschwerden der genetisch bedingten Erkrankung bleiben ohne medizinische Versorgung lebenslang konstant und nehmen nicht an Intensität zu. Störungen der Bewegungsabläufe, eine feste Beugestellung der Gelenke sowie Lähmungen sollten von einem Arzt untersucht werden. Charakteristisch bei der Erkrankung ist eine Beschwerdefreiheit unter warmen Umweltbedingungen. Kommt es zu Irritationen bei der Alltagsbewältigung oder können sportliche Aktivitäten sowie berufliche Tätigkeiten nicht wie gewünscht erfüllt werden, wird ein Arzt benötigt.

Eine erhöhte Sturz- oder Unfallgefahr, Gangunsicherheiten und Angst sollten mit einem Arzt besprochen werden. Zeigen sich aufgrund der körperlichen Einschränkungen gleichzeitig emotionale Probleme oder psychische Störungsbilder, ist eine Abklärung der Beschwerden nötig. Klagt der Betroffene während der Muskelsteifheit über Veränderungen des Sehens, besteht Handlungsbedarf. Häufig wird während der Phase das Sehen von Doppelbildern dokumentiert.

Behandlung & Therapie

Eine ursächliche Behandlung der Paramyotonia congenita ist nicht möglich, da es eine genetisch bedingte Erkrankung ist. Meist ist jedoch auch keine Behandlung notwendig, wenn Kälteeinflüsse und ausdauernde körperliche Betätigungen vermieden werden. Zur medikamentösen Behandlung liegen keine belastbaren Daten vor.

Um eine lang anhaltende Versteifung zu lösen, wird jedoch der Einsatz des Medikaments Mexiletin empfohlen. Da es sich bei diesem Medikament um ein Herzmittel handelt, sollte auf eventuell auftretende Nebenwirkungen geachtet werden.


Aussicht & Prognose

Die Paramyotonia congenita genannte Erkrankung kennzeichnet sich durch eine Übererregbarkeit der skelettären Muskulatur. Diese führt zu unwillkürlichen Muskelkontraktionen. Dennoch ist die Lebenserwartung nicht eingeschränkt. Die Prognose für die Paramyotonia congenita ist daher positiv. Die relativ selten auftretende Erbkrankheit wird autosomal-dominant vererbt.

Die Muskulatur der Betroffenen verkrampft unwillkürlich. Sie kann nur mühsam wieder entspannt werden. Anspannung und Entspannung beim Treppensteigen fallen schwer. Besonders durch Kälteeinwirkungen oder nach längerem Sitzen erleben die von der Paramyotonia congenita betroffenen Menschen Probleme. Sie können nur schwer gehen, greifen oder sich in Balance halten. Durch die unwillkürlich auftretenden muskulären Verkrampfungen sind sie sturzgefährdeter als andere.

Trotz der Paramyotonia congenita liegt keine Muskelschwäche vor. Die Betroffenen können durchaus einen athletischen Körperbau haben. Die sich ständig zusammenziehenden Muskeln erzeugen eine Art Trainingseffekt. Verbessert werden die Beschwerden durch gezieltes Training. Dieses hat zum Ziel, die Relaxationsstörung auszuhebeln, und in ihrer Wirkung abzuschwächen. Meistens funktioniert das recht gut. Die behandelnden Ärzte erwägen daher eher selten eine kurzzeitig durchgeführte medikamentöse Therapie.

Eine Heilung der Paramyotonia congenita ist derzeit nicht möglich. Die Erkrankung ist bereits im Kindealter etabliert. Sie bleibt lebenslang bestehen. Die Betroffenen können durch Myopathien erhöhte Risiken für Atemwegserkrankungen oder Atemlähmungen haben, wenn sie intensivmedizinisch behandelt werden müssen.

Vorbeugung

Eine Vorbeugung vor Paramyotonia congenita ist aufgrund ihrer genetischen Ursache nicht möglich. Allerdings kann bei bestehender Erkrankung weitgehende Symptomfreiheit bei Beachtung einiger Regeln erreicht werden. Wichtig ist es, Kälteeinflüsse, Baden in kühlen Gewässern und längere körperliche Betätigungen zu vermeiden. Da der Zusammenhang zwischen diesen Einflüssen und den Symptomen jedoch offensichtlich ist, werden die Betroffenen diese Regeln im Wesentlichen einhalten.

Nachsorge

In vielen Fällen stehen dem Betroffenen bei der Paramyotonia congenita nur eingeschränkte Maßnahmen einer Nachsorge zur Verfügung. In erster Linie sollte eine schnelle und vor allem eine frühzeitige Diagnose erfolgen, damit es nicht zu weiteren Komplikationen oder zu anderen Beschwerden beim Betroffenen kommt. Je früher ein Arzt aufgesucht wird, desto besser ist meistens auch der weitere Verlauf der Erkrankung, sodass der Betroffene idealerweise schon bei den ersten Anzeichen und Symptomen der Erkrankung einen Arzt aufsuchen sollte.

Die meisten Patienten sind bei der Paramyotonia congenita auf die Maßnahmen einer Physiotherapie und einer Krankengymnastik angewiesen. Hierbei können auch viele der Übungen aus diesen Therapien im eigenen Zuhause durchgeführt werden, um die Beweglichkeit des Körpers wieder zu steigern. In vielen Fällen wird die Paramyotonia congenita auch durch die Einnahme von verschiedenen Medikamenten behandelt.

Der Betroffene sollte stets auf eine regelmäßige und die vorgeschriebene Einnahme, um die Beschwerden richtig zu lindern. Bei Unklarheiten oder bei Fragen ist immer zuerst ein Arzt zu konsultieren. Dabei sollte auch bei starken Nebenwirkungen zuerst ein Arzt aufgesucht werden. Eventuell verringert die Paramyotonia congenita auch die Lebenserwartung des Betroffenen.

Das können Sie selbst tun

Patienten, die unter Paramyotonia congenita leiden, reagieren sehr empfindlich auf Kälte. Um zu vermeiden, dass es zu myotonen Reaktionen kommt, müssen sie deshalb ihre Muskulatur warmhalten. Vor allem in den Wintermonaten ist es deshalb wichtig, Kälte zu vermeiden. Warme Kleidung und beheizte Räume sind in der kalten Jahreszeit unverzichtbar. Auch im Sommer gibt es einige Herausforderungen, denn in einem kalten Badesee kommt es ebenfalls zu den charakteristischen Muskelverspannungen. Im Alltag kann schon kaltes Leitungswasser im Gesicht zu Lähmungen führen.

Abhängig davon, wie stark die Beschwerden sind, empfiehlt der Arzt möglicherweise eine medikamentöse Behandlung. Hier ist auf die richtige Dosierung zu achten. Arzneimittel lindern das Problem zwar, doch sie haben auch Nebenwirkungen. Wenn die Betroffenen die Ursache für ihre plötzlich auftretenden Muskelversteifungen kennen, lernen sie, damit umzugehen. So wärmen Betroffene den Waschlappen vor der Benutzung an und warten ab, bevor sie ihre Hände unter den geöffneten Wasserhahn halten, bis das Wasser warm ist.

Die Anspannung der Muskeln kann sich durch körperliche Aktivität noch verstärken. Deshalb ist zu viel Sport für die Patienten nicht empfehlenswert. Bei einer Versteifung hilft es, schnell zu handeln und die betroffenen Körperteile anzuwärmen.

Quellen

  • Berlit, P.: Basiswissen Neurologie. Springer, Berlin 2007
  • Grehl, H., Reinhardt, F.: Checkliste Neurologie. Thieme, Stuttgart 2012
  • Hahn, J.-M.: Checkliste Innere Medizin. Thieme, Stuttgart 2013

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