Regulationsstörungen

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 28. Februar 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Etwa eines von zehn Babys schreit in den ersten drei Lebensmonaten übermäßig viel und heftig. Weist der Säugling eine Regulationsstörung auf, sind in jedem Fall viel Nervenstärke, Ausdauer und innere Ruhe der Eltern gefragt. Ein veralterter Begriff für diese Störung ist Dreimonatskoliken.

Inhaltsverzeichnis

Was sind Regulationsstörungen?

Übermäßige Schreiintensität liegt vor, wenn die durchschnittliche altersgemäße Schreidauer pro Tag deutlich überschritten wird. Bei einem Säugling liegt diese innerhalb der ersten sechs Lebenswochen bei etwa ein bis zwei Stunden.
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Säuglinge, die ungewöhnlich viel schreien und nur schwer zu beruhigen sind, werden umgangssprachlich als "Schreibabys" bezeichnet. Der heutige medizinische Fachbegriff für das schwierige Verhalten lautet Regulationsstörungen.

Der Ausdruck Dreimonatskoliken gilt als veraltet. Ursprünglich wurde angenommen, dass Luft im Bauch der Säuglinge Bauchschmerzen und Blähungen verursache und das exzessive Schreien Ausdruck des Unwohlseins sei. Mittlerweile ist aber bekannt, dass die Luft im Bauch Folge des Schreiens ist, bei dem der Säugling auch viel Luft schluckt.

Ein Säugling gilt als Schreibaby, wenn es mehr als drei Stunden an mindestens drei Tagen wöchentlich ungewöhnlich viel und scheinbar grundlos schreit und sich nur schwer beruhigen lässt. Dieser Zustand muss über mindestens drei Wochen andauern, um als Regulationsstörung zu gelten.

Ursachen

Das exzessive Schreien ist Folge einer verspäteten Verhaltensregulation des Säuglings. Babys müssen lernen, ihr Verhalten in der jeweiligen, häufig interaktiven Situation angemessen zu regulieren, zum Beispiel beim Füttern, Schlafen, dem Wunsch nach Aufmerksamkeit oder der Selbstberuhigung.

Schreibabys haben große Schwierigkeiten damit, verschiedene Situationen richtig einzuschätzen und angemessen zu reagieren. In vielen Fällen tragen die Eltern keinerlei "Schuld" an der Regulationsstörung des Babys und sie können auch nur wenig Einfluss darauf nehmen: Der Säugling muss die Regulation letztendlich selbst lernen.

Da Babys aber stark auf die Eltern angewiesen sind und Bedürfnisse wie Nahrung noch nicht selbstständig befriedigen können, treten Regulationsstörungen oft im Zusammenhang mit Störungen der Mutter-Kind-Beziehung auf. Gründe hierfür können beispielsweise ein hoher Stressfaktor vor, während und nach der Geburt sein, Konflikte des Elternpaares oder der Herkunftsfamilie sowie psychische Erkrankungen eines Elternteiles oder beider Elternteile.

Symptome, Beschwerden & Anzeichen

Das Hauptsymptom von Regulationsstörungen ist exzessives Schreien. Übermäßige Schreiintensität liegt vor, wenn die durchschnittliche altersgemäße Schreidauer pro Tag deutlich überschritten wird. Bei einem Säugling liegt diese innerhalb der ersten sechs Lebenswochen bei etwa ein bis zwei Stunden. Von der sechsten bis zur zwölften Lebenswoche steigt sie auf zwei bis drei Stunden an.

Danach sinkt sie bei gesunden Kindern für gewöhnlich wieder. Die Beschwerden treten bei Regulationsstörungen an mindestens drei Tagen in der Woche auf. In vielen Fällen kommt es täglich zu mehreren Schreiattacken. Üblicherweise halten die Symptome mindestens über einen Zeitraum von drei Wochen an. Sie können auch in Schüben wiederkehren.

Auffällig ist bei Regulationsstörungen, dass die betroffenen Säuglinge ansonsten einen völlig gesunden Eindruck machen. Das Schreien tritt anfallsartig zumeist am frühen Abend oder nach den Mahlzeiten auf. Die betroffenen Babys bekommen plötzlich starke Bauchschmerzen und in vielen Fällen auch Blähungen. Häufig haben sie einen aufgeblähten Bauch und krümmen sich.

Ihre Haut kann sich rot färben. Die Muskulatur wirkt oftmals angespannt. Weitere Symptome können Gereiztheit und Schreckhaftigkeit sein. Es können zudem Schluckbeschwerden oder Schwierigkeiten beim Saugen vorliegen. Die meisten Säuglinge mit Regulationsstörungen haben außerdem Schlafstörungen und Einschlafprobleme. In wenigen Fällen kommt es zu Gedeihstörungen.

Diagnose & Verlauf

Hauptsymptom der Regulationsstörungen ist das exzessive, scheinbar grundlose Schreien und die fehlende Reaktion auf entsprechende Beruhigungsmaßnahmen.

Der Säugling kann eben noch zufrieden und ruhig gewesen sein und im nächsten Moment in einen Schreianfall ausbrechen. Die Anfälle treten überwiegend abends auf. Das Baby hat starke Probleme beim Einschlafen und schläft tagsüber selten für mehr als 30 Minuten am Stück. Auch nachts wacht das Kind häufig auf. Eine allgemein ausgeprägte Schreckhaftigkeit und Reizbarkeit sind typisch für Schreibabys. Begleitsymptome während der Schreianfälle können eine intensive rote Hautfarbe und eine angespannte Muskulatur sein. Aufgrund der beim Schreien verschluckten Luft kann der Bauch etwas aufgebläht sein.

Um die Diagnose stellen zu können, müssen zunächst körperliche Erkrankungen oder eine Schädigung des Gehirns ausgeschlossen werden. Auch Kindesmisshandlung gilt als Ausschlussdiagnose für eine Regulationsstörung. Besonderes Augenmerk wird auf die Interaktion zwischen Mutter und Kind gelegt. Eigene Erfahrungen aus der Kindheit der Eltern, die Qualität der Beziehung des Elternpaares und sonstige psychosoziale Probleme der Eltern werden miteinbezogen.

Eine ausführliche Anamnese und eventuell Tagebücher sollen helfen, schwierige Situationen im Tagesablauf zu erkennen und zu verbessern. Weiterhin wird eine Untersuchung über eine mögliche Entwicklungsverzögerung des Säuglings durchgeführt.

Komplikationen

Gelegentlich haben Dreimonatskoliken Auswirkungen auf die psychische Verfassung der Eltern. Aufgrund von Stress und Schlafmangel kann sich eine aggressive Grundhaltung gegenüber Kind und Partner entwickeln, wodurch es wiederum zu Streit und einer Vernachlässigung des Kindeswohls kommt. Manchmal schütteln verzweifelte Eltern das Kind, wodurch es schnell zu schweren gesundheitlichen Schäden und sogar zum Tod des Kindes kommen kann.

Liegen bereits seelische Leiden vor, können Regulationsstörungen diese verstärken und im schlimmsten Fall zu einer Depression führen. Für das Baby selbst sind Regulationsstörungen unproblematisch. Liegen allerdings andere Erkrankungen vor, können die Dreimonatskoliken diese verstärken. Bei Kindern mit Magen-Darm-Erkrankungen oder Beschwerden des Herz-Kreislauf-Systems können plötzliche Bauchschmerzen und der damit verbundene Stress ernsthafte Komplikationen wie zum Beispiel Kreislaufstörungen oder Durchfall und Verstopfung hervorrufen.

Bei der Behandlung treten in aller Regel keine größeren Komplikationen auf. Gelegentlich verordnet der Kinderarzt leichte Beruhigungsmittel, durch die es zu vorübergehenden körperlichen Beschwerden kommen kann. Komplikationen können sich auch ergeben, wenn die Dreimonatskolik mit einer anderen Erkrankung verwechselt wird. Wird diese aufgrund einer Fehldiagnose zu spät erkannt, sind körperliche Beschwerden und Spätfolgen denkbar.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

Regulationsstörungen sollten mit einem Arzt besprochen werden. In der Regel verschwinden diese Störungen nicht wieder von alleine, sodass eine medizinische Behandlung auf jeden Fall notwendig ist. Nur durch eine frühe Diagnose und Behandlung der Regulationsstörungen können weitere Komplikationen vermieden werden. Ein Arzt ist dann aufzusuchen, wenn der Betroffene täglich sehr oft und lange schreit und seine Wut nicht mehr selbst kontrollieren kann.

Vor allem Kinder oder Jugendliche können von diesen Regulationsstörungen betroffen sein. Häufig müssen auch Außenstehende die Personen auf diese Störungen hinweisen und diese zu einer Untersuchung oder zu einer Behandlung überreden. In einigen Fällen können Regulationsstörungen auch zu starken Blähungen oder zu Bauchschmerzen führen. Sollten diese Beschwerden über einen längeren Zeitraum auftreten, so ist dabei auf jeden Fall ein Arzt aufzusuchen. In erster Linie kann der Allgemeinarzt besucht werden. In den meisten Fällen kommt es dabei auch zu einem positiven Krankheitsverlauf und nicht zu einer verringerten Lebenserwartung des Betroffenen.

Behandlung & Therapie

Zur Behandlung von Regulationsstörungen werden zunächst einmal Beruhigungsmaßnahmen durch die Eltern durchgeführt, beispielsweise Körperkontakt, Babymassagen und beruhigende Bäder, das Baby in eine andere Position bringen, Geräusche oder Bewegungen behutsam wiederholen, für gleichmäßige und beruhigende Hintergrundgeräusche sorgen und Einschlafrituale einführen.

Der Säugling sollte im ruhigen Zustand öfter von den Eltern umhergetragen werden, das hat sich in Studien als effektiver erwiesen als das Herumtragen als Beruhigungsmaßnahme bei einem Schreianfall. Insgesamt sollten Eltern versuchen, ruhig zu bleiben, eventuell seriöse Hilfe in Anspruch nehmen, und für einen geregelten und ruhigen Tagesablauf sorgen.

Weiterhin können verschiedene therapeutische Ansätze den Eltern helfen, die Bedürfnisse ihres Kindes besser zu verstehen und angemessen reagieren zu können. Gängige Methoden sind beispielsweise eine Beziehungsanalyse mit Videofeedback oder eine Eltern-Kind-Psychotherapie.


Vorbeugung

Um Regulationsstörungen vorzubeugen, ist eine ausgeglichene Interaktion zwischen Eltern und Kind wichtig. Die oben genannten Maßnahmen wie ein geregelter Tagesablauf, ruhige Hintergrundgeräusche, minimale Hektik und Reizüberflutung des Säuglings sowie eine liebevolle Bindung sind die wichtigsten Faktoren zur Vorbeugung einer Regulationsstörung. Bei Problemen und Unsicherheiten sollte möglichst schnell professionelle Hilfe aufgesucht werden.

Nachsorge

Die akute Behandlung und die Nachsorge von frühkindlichen Regulationsstörungen gehen ineinander über, da es sich im Regelfall um mehrere Aspekte in der frühkindlichen Entwicklung handelt, die dem Säugling Schwierigkeiten bereiten. Nicht alle Symptome der Regulationsstörung werden gleichzeitig behandelbar sein und sich auch nicht alle zu einem Zeitpunkt legen. Wichtig ist die genaue Beobachtung des Kindes und der auftretenden Symptome.

Regulationsstörungen sind bei Neugeborenen keine Seltenheit und bedürfen nicht in jedem Fall einer weiterführenden Nachsorge, da sie sich nach und nach mit zunehmendem Lebensalter legen. Bei schweren frühkindlichen Regulationsstörungen wird ein Kinderarzt entsprechend der Auswirkungen behandeln und die Eltern in Bezug auf Nahrungsgabe sowie unterstützende Verhaltensweisen beraten und aufklären.

Eine weitere Nachsorge ist bei einem gesunden Kind üblicherweise nicht zu erwarten. Der Kinderarzt wird bei Kontrollterminen beziehungsweise bei den U-Untersuchungen einen entsprechenden Fokus auf die Regulationsstörung haben. Außerdem wird die weitere kindliche Entwicklung genau beobachtet, um etwaige Erkrankungen, die die Regulationsstörung verursacht haben könnten, auszuschließen oder frühstmöglich behandeln zu können. Bei der Regulationsstörung selbst ist keine weitere Nachsorge erforderlich, wenn das Kind gesund ist und die Symptome sich vollständig gelegt haben.

Das können Sie selbst tun

Die Regulationsstörungen gelten als ein vorübergehendes Phänomen. Im Rahmen der Selbsthilfe können Eltern und Angehörige eines Neugeborenen in Zusammenarbeit mit Ärzten aber auch erfahrenen Eltern verschiedene Methoden ausprobieren, um eine Linderung der Beschwerden zu erreichen. Letztlich werden durch das Testen unterschiedlicher Ansätze individuelle Wege gefunden, die den Nachwuchs beruhigen.

Das Baby sollte in verschiedene körperliche Positionen gebracht werden, damit Veränderungen wahrgenommen werden können. Körperkontakt, Wärme sowie Zuneigung helfen in den meisten Fällen. Zudem können wärmende Bäder oder beruhigende Hintergrundgeräusche dazu beitragen, dass der Säugling zu einer inneren Ruhe findet.

Oftmals ist darauf zu achten, dass die Eltern oder die Menschen, die den Säugling betreuen, eine ausreichende Entlastung erfahren. Sie benötigen ausreichenden Schlaf sowie Pausen bei der Betreuung des Neugeborenen, um sich selbst regenerieren zu können. Wichtig ist es, insgesamt bei dem Nachwuchs sowie den Eltern jegliche Stressoren zu minimieren. Laute Geräusche, Konfliktsituationen oder Lärm sind zu vermeiden. Ausreichende Bewegung bei frischer Luft, eine gesunde Ernährung sowie das Unterlassen einer Verbreitung von Unruhe helfen dabei, eine Verbesserung der Gesamtsituation zu erwirken.

Spielerische Aktivitäten, Aufmunterungen sowie das Bewahren von Souveränität sind bei den Schreiattacken des Nachwuchses anzuraten. In Situationen der Überforderung sollte eine andere Aufsichtsperson um Hilfe gebeten werden.

Quellen

  • Gortner, L., Meyer, S., Sitzmann, F.C.: Duale Reihe Pädiatrie. Thieme, Stuttgart 2012
  • Kerbl, R. et al.: Checkliste Pädiatrie. Thieme, Stuttgart 2011
  • Stiefel, A., Geist, C., Harder, U.: Hebammenkunde: Lehrbuch für Schwangerschaft, Geburt, Wochenbett und Beruf. Hippokrates, Stuttgart 2012

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