Alien-Hand-Syndrom

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 8. März 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Das Alien-Hand-Syndrom ist eine seltene, neurologische Erkrankung, bei der der Patient eine seiner beiden Hände über gewisse Zeit nicht mehr willentlich kontrollieren kann. Meist ist eine Schädigung des Gehirnbalkens für diese Erscheinung verantwortlich, wie sie durch tumoröse Veränderungen, Schlaganfälle oder Infektionen entstehen kann.

Inhaltsverzeichnis

Was ist das Alien-Hand-Syndrom?

Das Alien-Hand-Syndrom ist eine seltene, neurologische Erkrankung, bei der der Patient eine seiner beiden Hände über gewisse Zeit nicht mehr willentlich kontrollieren kann.
Unter dem Alien-Hand-Syndrom versteht der Neurologe eine äußerst seltene Störung, bei der sich eine der beiden Hände des Patienten der willentlichen Steuerung entzieht und zum Teil gegen die andere Hand arbeitet. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wird die Störung erstmals von Kurt Goldsteins dokumentiert. Die heutige Bezeichnung prägt sich allerdings erst in einer Arbeit aus dem Jahr 1972, die drei Tumor-Patienten mit einem Geschwulst am Hirnbalken, also dem Corpus Callosum, dokumentiert.

Alle drei dieser Patienten leiden damals unter der Erscheinung, die in diesem Fall auf eine Unterbrechung des Corpus Callosum zurückzuführen war. Eine solche Unterbrechung des Corpus Callosum gilt noch bis heute als Hauptszenario für das Alien-Hand-Syndrom. Neben den damals dokumentierten, tumorösen Veränderungen können vermutlich aber auch Schlaganfälle, Infektionen oder traumatische Verletzungen des Hirnbalkens das Syndrom hervorrufen.

Ursachen

Die Ursachen für das Alien-Hand-Syndrom sind aufgrund der Seltenheit bislang nur unzureichend erforscht. So liegen lediglich Informationen zur möglichen Lokalisation von Gehirnschädigungen vor, die das Krankheitsbild entstehen lassen können. Mediziner vermuten, dass sich in dieser Hinsicht zwei verschiedene Szenarien unterscheiden lassen:

Wenn das Corpus Callosum zum Beispiel geschädigt ist, kann das Syndrom vermutlich ebenso eintreten, wie bei einer Schädigung des Frontallappens. Bei einer Schädigung des Corpus Callosum ist die Kommunikation der beiden Hirnhälften gestört. Jede Gehirnhälfte steuert die entgegengesetzte Körperseite und zwischen der linken und rechten Hirnseite besteht über das Corpus Callosum außerdem Informationsaustausch, der logisch-analytische Denkprozesse ermöglicht und feinmotorisch komplexe Bewegungen kontrollierbar macht.

Wenn das Corpus Callosum also beschädigt ist, ist auch die Koordination gestört - in diesem Fall vorzugsweise die der linken Hand. Bei einer ursächlichen Schädigung des Frontallappens ist dagegen die allgemeine Planung und Ausführung willentlicher Bewegungen gestört, was sich meist auf die jeweils dominante Hand auswirkt.


Symptome, Beschwerden & Anzeichen

Beim Alien-Hand-Syndrom kann der Patient die Bewegungen einer bestimmten Hand nicht mehr kontrollieren. Besonders häufig arbeitet eine der Hände gegen die andere, das heißt, wenn die eine Hand schreiben will, kommt die andere ihr dabei in die Quere. Wenn eine Schädigung des Corpus Callosum ursächlich für die Erscheinung ist, so bewegt sich die linke Hand vor allem dann unwillkürlich, wenn die rechte gerade eine Bewegung ausführt. In Ruhephasen der rechten Hand hält sie dagegen relativ still.

Falls statt dem Corpus Callosum der Frontallappen beschädigt ist, ist meist die dominante Hand von dem Kontrollverlust betroffen, wobei sich das Syndrom in diesem Fall oft in unwillkürlichen Greifbewegungen nach Gegenständen innerhalb des eigenen Gesichtsfelds äußert. Im Extremfall versucht die Alien-Hand, den Patienten entgegen seines Willens zu erwürgen oder fügt ihm anderweitigen Schaden zu.

Diagnose & Verlauf

Da sich beim Alien-Hand-Syndrom ein sehr typisches und spezifisches Krankheitsbild zeigt, kann der Neurologe die Diagnose schon auf Basis der reinen Patientenbeobachtung stellen, ohne weitere Diagnoseverfahren einzuleiten. Unter Umständen erforscht er zusätzlich die konkrete Ursache, indem er ein MRT vom Gehirn anfertigen lässt und über die Bildgebung den Bereich der Schädigung in Erfahrung bringt.

Soweit wie möglich wird der Arzt außerdem differentialdiagnostisch erforschen, ob ein Schlaganfall, ein Tumor oder eine Infektion mit der Erscheinung in Zusammenhang stehen. Tumoröse Veränderungen zeigen sich schon in der Bildgebung. Auch ein Schlaganfall zeigt in der Bildgebung ein relativ typisches Bild, wobei eventuell eine zusätzliche Prüfung der hirnversorgenden Adern angezeigt sein kann.

Ursächliche Infektionen lassen sich dagegen über das Serum, eventuell die Liquor-Diagnostik sowie Messungen der Nervenpotenziale diagnostizieren, wo sie sich als verzögerte Übertragung zeigen. Der Krankheitsverlauf des Alien-Hand-Syndroms hängt stark von der jeweiligen Ursache der Störung ab. Das Syndrom selbst bildet sich in den meisten Fällen allerdings nach gewisser Zeit zurück.

Komplikationen

Das sehr selten auftretenden Alien-Hand-Syndrom ist eine mögliche Folgeerscheinung schwerer Hirnerkrankungen oder -verletzungen. Das Alien-Hand-Syndrom stellt daher bereits an sich eine Komplikation solcher Erkrankungen dar. Beide Formen des Alien-Hand-Syndroms sind in den Ursachen noch nicht hinreichend geklärt.

Daher sind auch hilfreiche Behandlungsansätze bisher Mangelware. Der einzige Trost für Betroffene ist, dass sich das Alien-Hand-Syndrom nach einigen Jahren von alleine wieder zurückbilden kann. Kommt es aufgrund der mangelnden Kontrolle einer Hand zu Verletzungen, kann es infolge der gestörten Wahrnehmung der Hand zu Komplikationen kommen.

Mangelnde Wundversorgung an der als Fremdkörper wahrgenommenen Hand kann behandlungsbedürftige Folgen zeitigen. Außerdem können infolge dieser seltenen Erkrankungen psychische Probleme auftreten. Wenn eine Hand Dinge tut, die jenseits der eigenen Willenskontrolle liegen, kann das seelisch sehr belastend sein.

Da es bisher kaum eine Behandlungsstrategie gibt, sind die Betroffenen in ihrem Leben sehr eingeschränkt. Meist können sie ihren Beruf nicht mehr ausüben. Oft ziehen sie sich aus der Öffentlichkeit zurück. Viele stellen den betroffenen Arm ruhig.

Wie in Filmen oft fälschlich dargestellt, kann ein Alien-Hand-Syndrom dazu führen, dass die eigenmächtig agierende Hand zu einem Amputationswunsch beim Betroffenen führt. Dies ist aber aus medizinischer Sicht unsinnig. Viel sinnvoller ist, diesen Zustand durch tägliches Training der betroffenen Hand zu verbessern.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

In der Regel handelt es sich beim Alien-Hand-Syndrom nicht um eine eigenständige Erkrankung, sodass eine gezielte und kausale Behandlung meistens nicht möglich ist. Allerdings kann das Alien-Hand-Syndrom viele Hinweise auf bestimmte Erkrankungen geben und sollte daher in jedem Fall von einem Arzt untersucht werden. In der Regel tritt das Alien-Hand-Syndrom nach einem Schlaganfall oder nach Verletzungen am Kopf oder direkt am Gehirn auf. Sollte es vorher zu solchen Verletzungen gekommen sein, so kann dieses Syndrom in einigen Fällen therapiert und eingeschränkt werden.

Ein positiver Krankheitsverlauf kann allerdings nicht im Allgemeinen vorausgesagt werden. Weiterhin kann das Syndrom auf einen Tumor hindeuten, der bei einer rechtzeitigen Diagnose möglicherweise noch entfernt werden kann. Falls die ursächliche Behandlung dieser Krankheit zu einem Erfolg führt, so verschwinden die Beschwerden des Alien-Hand-Syndroms in der Regel nach einer kurzen Zeit wieder und führen nicht zu weiteren Komplikationen. Die Feststellung der Krankheit kann bei einem Allgemeinarzt erfolgen. Die weitere Behandlung hängt allerdings von der Ursache ab und wird daher bei einem Facharzt durchgeführt.

Behandlung & Therapie

Das Alien-Hand-Syndrom selbst lässt sich ausschließlich provisorisch behandeln, so zum Beispiel durch eine Fixierung der betroffenen Hand, die sie von unwillkürlichen Bewegungen abhält. Selten stellt sich durch physiotherapeutisches Training ein Erziehungseffekt der Hand ein, der das Syndrom abschwächt oder ganz vergehen lässt.

Da sich die Erscheinung meist aber ohnehin nach gewisser Zeit zurückbildet, liegt der Fokus bei der Behandlung vor allem darauf, die Lebensqualität des Betroffenen für die Zeit der Störung wieder der Norm anzunähern. Je nachdem, welche Erkrankung das Symptom hervorgerufen hat, muss zusätzlich die ursächliche Erkrankung therapiert werden. Falls tumoröse Veränderungen am Frontallappen oder dem Corpus Callosum erkennbar sind, wird der Mediziner soweit wie möglich die operative Entfernung einleiten.

Wenn sich ein Schlaganfall als ursächlich erwiesen hat, kann dagegen eine konventionelle Schlaganfall-Prävention eingeleitet werden. Bei einer Infektion des Gehirns, wie beispielsweise einer Infektion durch Bakterien, werden Patienten wiederum meist intensivstationär behandelt, wobei medikamentöse Behandlung und Flüssigkeitsgabe genauso bedeutend sind, wie fiebersenkende Maßnahmen.

Aussicht & Prognose

Durch das Alien-Hand-Syndrom kommt es beim Patienten in der Regel zu verschiedenen Beschwerden und Komplikationen. In den meisten Fällen können Regionen des Gehirns so geschädigt werden, dass es zu Lähmungen oder zu anderen Störungen der Sensibilität kommt. Ebenso kann es auch zu motorischen Einschränkungen kommen. Auch die Bewegung der Hände und Füße kann durch das Alien-Hand-Syndrom eingeschränkt sein. In schwerwiegenden Fällen kann die Hand des Betroffenen auch versuchen, dem Patienten selbst Schaden zuzufügen.

Weiterhin führt das Alien-Hand-Syndrom zu extremen Depressionen und weiteren psychischen Beschwerden. Die Lebensqualität wird durch diese Krankheit deutlich verringert und eingeschränkt. Oft sind die Patienten auch auf die Hilfe anderer Menschen in ihrem Alltag angewiesen.

Die Behandlung des Alien-Hand-Syndroms kann mit Hilfe von verschiedenen Therapien durchgeführt werden. In einigen Fällen kommt es allerdings auch zu einer spontanen Besserung. Leider kann im Allgemeinen keine Prognose gegeben werden. Oft können die Beschwerden allerdings durch Therapien gelindert werden, sodass der Betroffene seine Hände wieder gewöhnlich nutzen kann. Die Lebenserwartung wird durch das Alien-Hand-Syndrom nicht eingeschränkt.


Vorbeugung

Dem Alien-Hand-Syndrom lässt sich nicht vorbeugen. Da es sich aber um eine äußerst seltene Erscheinung handelt, sollte trotzdem niemand in Furcht vor dem Syndrom leben.

Nachsorge

Die Notwendigkeit der Nachsorge beim Alien-Hand-Syndrom betrifft zunächst die auslösende Grundproblematik. Die medizinischen Nachsorgemaßnahmen konzentrieren sich daher zunächst darauf, die neurologischen Ursachen des Alien-Hand-Syndroms, nämlich Tumoren, Schlaganfälle und ähnlich schwere neurologische Erkrankungen in den Griff zu bekommen. Ob diese neurologischen Erkrankungen operativ oder medikamentös behandelt werden können, ist unterschiedlich.

Da jedoch die Verursacher des Alien-Hand-Syndroms Syndroms nicht immer entdeckt werden können, ist die Nachsorge lediglich bei erkannten Verursachern standardisiert. Bei nicht erkennbaren Ursachen wird es mit der Nachsorge schwierig.

Klar ist lediglich, dass die Ursache des Phänomens in einer das Gehirn betreffenden Störung oder neurologischen Erkrankung im Gehirn liegt. Die Nachsorge für das Alien-Hand-Syndrom ist schon deshalb schwierig, weil es für das Syndrom selbst bisher kaum Behandlungsansätze gibt. Lediglich die zugrunde liegende Erkrankung kann medizinisch therapiert werden.

Der einzige Trost für die Betroffenen bleibt, dass sich mit der Behandlung und Besserung der verursachenden Symptomatik oft auch das Alien-Hand-Syndrom bessert. Es kann von selbst verschwinden, wenn die auslösende Grunderkrankung erfolgreich behandelt wurde.

Als Maßnahme der Nachsorge für die betroffene Hand hat sich ein gezieltes Training der unkontrolliert agierenden Hand als hilfreich erwiesen. Dennoch sind die Betroffenen in ihrem zukünftigen Leben oft stark eingeschränkt. Sie benötigen meist häusliche Hilfestellungen und sollten einer regelmäßigen medizinischen Nachkontrolle zugeführt werden.

Das können Sie selbst tun

Einhergehend damit, dass es keine bekannte Therapie für das Alien-Hand-Syndrom gibt, erschöpfen sich auch die Möglichkeiten der Betroffenen, die Beschwerden zu lindern, schnell. Ein paar Methoden können angewandt werden, wobei die Erfolge sehr individuell ausfallen und deshalb kein Versprechen auf Besserung gegeben werden kann.

Es hat sich lediglich gezeigt, dass andauernde Beschäftigung der betroffenen Hand diese ruhiger stellen kann. So können ihr beispielsweise alltägliche Objekte anvertraut werden, die so gestaltet sein sollten, dass sie gut gegriffen und befühlt werden können. Kleine, weiche Bälle und Stifte werden oftmals verwendet. Bei Betroffenen, die durch ihre Hand beim Schlafen gestört werden, kann ein Topfhandschuh vor dem Zubettgehen helfen. Das Vermindern der sensorischen Empfindsamkeit der Alien Hand kann ihre Aktivität einschränken.

Auch das ständige Wiederholen von Aufgaben, die beide Hände miteinbeziehen, kann der betroffenen Hand gewisse Bewegungsabläufe anerziehen. Welche Übungen dies sind und wie komplex sie sein dürfen, ist aber individuell festzustellen und nicht immer mit Erfolgen verbunden. Es muss hierbei vor allem auf Einfachheit geachtet werden.

Betroffene können das Verhalten ihrer fehlgesteuerten Hand studieren, um eventuelle Muster in den willkürlich auftretenden Handlung der Hand zu erkennen. In einigen Fällen lassen sich so Störungen durch die Alien Hand verhindern, indem Bewegungsabläufe angepasst werden.

Quellen

  • Berlit, P. (Hrsg.): Klinische Neurologie. Springer, Berlin 2012
  • Grehl, H., Reinhardt, F.: Checkliste Neurologie. Thieme, Stuttgart 2012
  • Masuhr, K.F. et al.: Duale Reihe Neurologie. Thieme, Stuttgart 2013

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