Biotinidasemangel

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 12. März 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Bei einem Biotinidasemangel handelt es sich um eine sehr seltene erbliche Stoffwechselkrankheit. Sie entsteht aufgrund eines genetisch bedingten Defektes des Enzyms Biotinidase. Etwa eines von 80.000 Kindern kommt mit einer solchen Enzymstörung zur Welt. Ein Neugeborenen-Screening hilft bei der Diagnosestellung.

Inhaltsverzeichnis

Was ist Biotinidasemangel?

Je nach Schwere der Erkrankung kommt es in Folge des Mangels zu Bewegungsstörungen wie Ataxie, Hypotonie oder spastischer Parese. Zudem steigt das Risiko für epilepsieartige Anfälle, Infekte und Entzündungen wie Dermatitis oder Konjunktivitis.
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Der Biotinidasemangel, kurz BTD, gehört zum Kreis der seltenen Erbkrankheiten. Wie fast alle Stoffwechselerkrankungen wird der Enzymdefekt autosomal rezessiv vererbt. Das heißt, beide Eltern sind zwar Überträger der Erkrankung, selbst aber nicht daran erkrankt. Die Ursache für einen Biotinidasemangel sind auf Mutationen des BTD-Gens zurückzuführen, das sich auf dem Chromosom 3 befindet.

Erst in den 1980er Jahren wurde der Biotinidase-Defekt als Auslöser für diese seltene Stoffwechselentgleisung entdeckt. Biotinidase ist ein Enzym. Es hat die Aufgabe aus der chemischen Verbindung Biocytin das darin enthaltene freie Biotin, das nicht an ein Protein gebunden ist, für den Organismus verwertbar aufzubereiten. Das ist sowohl beim Recycling des Biotins im Körper wichtig, als auch bei der Aufnahme von Biotin durch die Nahrung.

Ursachen

Kann das Enzym diese Arbeit nicht oder nur unzureichend verrichten, geht das Biocytin über die Niere verloren. Mit der Folge, dass sich die Biotinvorräte im Körper mit der Zeit reduzieren, selbst wenn mit der Nahrung ausreichend Biotin aufgenommen wird. So entsteht mit der Zeit ein Biotinidasemangel. Es werden zwei Formen des BTD unterschieden. Der schwere Biotinidasemangel, der eine Enzymaktivität von weniger als zehn Prozent aufweist. Und der partielle Mangel, der es noch zu einer Enzymaktivität von zehn bis 30 Prozent bringt.

Biotin, früher als Vitamin H oder Hautvitamin bezeichnet, ist wichtig für den Fettsäurestoffwechsel, hat Einfluss auf das Zellwachstum und ist für die Neubildung von Traubenzucker zuständig. Die Auswirkungen eines BTD-Mangels sind folgenschwer und betreffen vor allem Organe mit einer hohen Stoffwechselintensität. Dazu gehören das Gehirn, die Muskulatur und das Immunsystem.


Symptome, Beschwerden & Anzeichen

Die Folge von Biotinidasemangel sind Krampfanfälle, Entwicklungsrückstand, Hörverlust, fehlende Muskelspannung, Ataxie, degenerative Erkrankung des Sehnervs und Atemprobleme. Die Symptome entwickeln sich vom Säugling bis zum Kleinkind schleichend. Sie können im Verlauf von zwei Wochen bis hin zu drei Jahren auftreten.

Diagnose & Verlauf

Da bei einem Biotinidase-Defekt vier wichtige Enzyme in Mitleidenschaft gezogen sind, variiert die Symptomatik von Patient zu Patient stark. Auch tritt nicht jedes Symptom bei jedem Kind auf. Daher muss ein Biotinidasemangel so schnell wie möglich diagnostiziert werden, um ihn behandeln zu können. In der Bundesrepublik ist eine entsprechende Untersuchung seit 2005 Bestandteil des Neugeborenen-Screenings, dessen Kosten von den gesetzlichen Krankenkassen getragen werden.

Bei Verdacht auf BTD kann mit einem photometrischen Biotinidase-Test die Stoffwechselerkrankung nachgewiesen werden. Dafür ist eine Blutanalyse bei Neugeborenen unumgänglich. Diese erfolgt am dritten Lebenstag mittels einer Blutprobe, die meist aus der Ferse des Babys, seltener aus der Vene, entnommen wird. Das Blut wird gleichmäßig auf einer Filterpapierkarte verteilt und eine Stunde bei Zimmertemperatur getrocknet.

Danach geht die Probe ins Labor. Dieser erste Test ergibt allerdings noch keine endgültige Diagnose. Denn auffällige Blutwerte sind bei Säuglingen relativ häufig zu finden. Insbesondere bei Frühgeborenen, Fieberschüben oder bei einer Penicillin-Behandlung. Hinzu kommt, dass die Symptomatik eines BTD auch der anderen Stoffwechselerkrankungen ähnelt. Um ganz sicher zu gehen, wird fünf Tage später eine erneute Blutuntersuchung durchgeführt.

Aber auch dann ist noch nicht ganz sicher, um welche Stoffwechselerkrankung es sich wirklich handelt. Denn die Gene auf Chromosom 3 werden auch mit anderen genetisch bedingten Erkrankungen in Verbindung gebracht. Es sind mehr als 60 Mutationen bekannt, die einen Enzymdefekt verursachen. Daher wird noch ein Gentest herangezogen. Mit dieser Genanalyse wird die Blutdiagnose abgesichert.

Komplikationen

In Folge eines Biotinidasemangel können breit gefächerte Komplikationen auftreten. Je nach Schwere der Erkrankung kommt es in Folge des Mangels etwa zu Bewegungsstörungen wie Ataxie, Hypotonie oder spastischer Parese. Zudem steigt das Risiko für epilepsieartige Anfälle, Infekte und Entzündungen wie Dermatitis oder Konjunktivitis.

In der Folge kann es etwa zu Appetitlosigkeit, Schwäche und Abgeschlagenheit, aber auch zu Haarausfall und schweren Störungen des Immunsystems kommen. Oft erfolgt außerdem ein Gehörverlust sowie Augenschäden wie etwa eine Netzhautdegeneration oder Gesichtsfeldeinschränkungen. Im fortgeschrittenen Stadium kann ein Biotinidasemangel weitere Komplikationen hervorrufen.

Liegt ein partieller Biotinidasemangel vor, tritt im Verlauf oftmals eine atopische oder eine seborrhoische Dermatitis auf. Daneben kommt es meist zu grippalen Infekten, die in Verbindung mit dem bereits geschwächten Immunsystem zu schweren Folgen wie Herzinfarkt oder Kreislaufkollaps führen können. Selten kommt es in der Folge des Mangels zu Organversagen und in der Folge zum Tod des Patienten.

Die Komplikationen der Erbkrankheit treten meist bereits kurz nach der Geburt auf und können zu schweren Hirnschäden, Koma und Tod führen. Schwere Folgen dieser Art können durch eine lebenslange Behandlung mit Biotin vermieden werden.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

In der Regel sollte bei einem Biotinidasemangel sofort ein Arzt aufgesucht werden, um Komplikationen und andere Spätfolgen zu vermeiden. In den meisten Fällen macht sich der Biotinidasemangel durch Krampfanfälle, die mit starken Schmerzen verbunden sind, bemerkbar.

Sollte es daher ohne besonderen Grund zu diesen Anfällen oder zu epileptischen Anfällen kommen, so muss auf jeden Fall ein Arzt aufgesucht werden. Auch ein langsamer Hörverlust und Störungen und Verzögerungen der Entwicklung können auf einen Biotinidasemangel hindeuten und sollten von einem Mediziner untersucht werden.

In vielen Fällen leiden die Betroffenen beim Biotinidasemangel auch an einem Sehverlust und an Atembeschwerden. Die Beschwerden und Symptome sind bei dieser Krankheit schleichend und treten meistens nicht plötzlich ein. Aus diesem Grund sind vor allem bei Kindern regelmäßige Untersuchungen beim Arzt notwendig, um Komplikationen zu vermeiden.

In der Regel kann bei Verdacht eines Biotinidasemangels ein Allgemeinarzt aufgesucht werden. Durch eine Blutanalyse kann der Biotinidasemangel bestimmt werden, sodass auch eine Behandlung eingeleitet werden kann. Sollte es bei den Eltern oder Angehörigen zu psychischen Beschwerden kommen, so sollte auch ein Psychologe aufgesucht werden.

Behandlung & Therapie

Die Krankheit kann zwar nicht geheilt werden, da ihre Ursache genetisch bedingt ist. Aber die Prognose ist sehr gut, wenn mit der Therapie noch vor dem Auftreten der ersten Symptome begonnen und sie konsequent durchgeführt wird.

Die Behandlung ist simpel und besteht aus der täglichen Gabe einer Biotintablette, das allerdings muss lebenslang erfolgen. In einem speziellen Stoffwechselzentrum werden die Patienten engmaschig betreut. Dazu gehört die regelmäßige Überwachung des Stoffwechsels, sowie Kontrollen der Augen und der Hörfunktion.

Aussicht & Prognose

Der Biotinidasemangel hat grundsätzlich eine schlechte Heilungsaussicht. Die genetische Erkrankung gilt als unheilbar. Rechtliche Vorgaben untersagen es Ärzten, Forschern und Wissenschaftlern, in die menschliche Genetik aktiv eingreifen zu dürfen. Dennoch ist es dank dem medizinischen Fortschritt gelungen, eine sehr gute Behandlungsmethode zu finden.

Durch eine rechtzeitige medikamentöse Behandlung ist der Patient lebenslang beschwerdefrei. Um diesen gesundheitlichen Zustand zu erreichen und zu halten, muss frühzeitig eine umfassende Untersuchung eingeleitet werden. Je eher eine Diagnosestellung stattfindet, desto eher kann die Therapie beginnen. Diese besteht darin, täglich ein Medikament einzunehmen.

Dabei handelt es sich um eine Langzeittherapie und die Arznei darf nicht abgesetzt werden. Alternativ käme es innerhalb kurzer Zeit zu einer Rückkehr der Symptome. Mit der Einnahme einer Biotintablette pro Tag ist dem Patienten eine beschwerdefreies Lebens bis zum Rest seines Lebens möglich.

Ohne eine ärztliche Behandlung drohen dem Patienten unterschiedliche Folgeerscheinungen der Erkrankung. Diese sind vielfältig und haben ganz unterschiedliche Schweregrade. In seltenen Fällen kann es bei einem geschwächten Immunsystem zu einem Herzinfarkt oder einem Zusammenbruch des Kreislaufs kommen.

Epileptische Anfälle können auftreten, die einen immensen Eingriff ist das Wohlbefinden und die Lebensqualität im Alltag darstellen. Unterstützend können für die Aufrechterhaltung der Gesundheit ausreichende Lebensmittel mit Vitamin B7 verzehrt werden.


Vorbeugung

Über den Erfolg der Behandlung eines Biotinidasemangels entscheidet die rechtzeitige Therapie vor Beginn einer Symptomatik. Hier spielt die intensive Aufklärung der Familien eine Rolle, um ihnen die Dringlichkeit einer Behandlung zu verdeutlichen. Denn die Krankheit führt ohne Therapie zu nachhaltigen Schädigungen. Dazu zählen Fehlfunktionen des Immunsystems, lebensbedrohliche Stoffwechselentgleisungen, Hirnschäden, die bis zum Koma, unter Umständen sogar zum Tode des Kindes führen können.

Darum ist der Zeitpunkt des Therapiebeginns von eminenter Bedeutung. Je früher, desto besser sind die Chancen der kleinen Patienten. Zeigen sich bei einem Kind bereits Entwicklungsverzögerungen, Hörschäden oder eine beginnende Degeneration des Sehnervs, besteht die Gefahr, dass sie auch durch eine Biotintherapie nicht mehr rückgängig gemacht werden können.

Ansonsten können die Patienten aber mit einer Biotin-Therapie ein ganz normales Leben erwarten. Lediglich auf rohe Eier sollten Betroffene verzichten. Diese enthalten Avidin, ein Glykoprotein, das Biotin binden kann. Ungefährlich hingegen sind gekochte Eier, in denen das Avidin nicht mehr aktiv ist. Die Behandlung mit Biotin ist völlig nebenwirkungsfrei.

Nachsorge

Ein Biotinidasemangel muss lebenslang behandelt werden. Die Nachsorge konzentriert sich auf regelmäßige Screenings und die Anpassung der Medikation an das sich ständig verändernde Symptombild. Entwicklungsrückstände, die im Laufe der Therapie nicht kompensiert werden konnten, müssen im Rahmen der Nachsorge ebenfalls medikamentös und verhaltenstherapeutisch behandelt werden.

Eine Besserung des Gesundheitszustandes ist dadurch zwar meist nicht möglich, allerdings kann ein weiteres Fortschreiten der Erkrankung oft vermieden werden. Darüber hinaus konzentriert sich die Nachsorge darauf, dem Patienten ein relativ beschwerdefreies Leben zu ermöglichen. Dies gelingt, indem frühzeitig entsprechende Hilfsmittel für eine etwaige körperliche Behinderung organisiert werden.

Die Symptome der Haut und des Stoffwechsels bilden sich im besten Fall vollständig zurück. Hier konzentriert sich die Nachsorge darauf, regelmäßig zu prüfen, ob sich ein Rezidiv gebildet hat oder ungewöhnliche Symptome auftreten, die einer weiteren Beobachtung bedürfen. Werden diese Maßnahmen zuverlässig eingehalten, können Patienten, die an einem Biotinidasemangel leiden, ein relativ beschwerdefreies Leben ohne weitere Komplikationen führen.

Die Eltern müssen nach der ursprünglichen Behandlung oft eine Therapie in Anspruch nehmen, da die Erziehung eines betroffenen Kindes unter Umständen mit enormen körperlichen und seelischen Anstrengungen verbunden ist.

Das können Sie selbst tun

Biotinidase ist ein für den Stoffwechsel und das Immunsystem sehr wichtiges Enzym, weil es aus Biocytin das enthaltene Biotin herauslösen kann, das auch als Vitamin B7 bekannt ist. Das Vitamin B7 übernimmt wichtige Querschnittsaufgaben in jedem Zellkern und im Kohlenhydrat-, im Protein- und im Fettstoffwechsel eine Schlüsselstellung ein. Ein Mangel an Biotinidase führt zu einem Mangel an Biotin.

Es ist sehr wichtig, dass die seltene Erbkrankheit, die den Mangel an Biotinidase verursacht, möglichst früh - kurz nach der Geburt - erkannt wird, um den Biotinmangel über die lebenslange orale Zufuhr mit einer täglichen Tablette auszugleichen. Die frühe Diagnose ist deshalb so wichtig, weil sich durch den Biotinmangel gravierende Stoffwechselschäden einstellen können, die nicht mehr reversibel sind.

Eine Anpassung an den Alltag und Selbsthilfemaßnahmen erübrigen sich, weil mit der täglichen Einnahme nur einer Biotin-Tablette eine normale Lebenserwartung ohne jegliche Einschränkungen in der Lebensführung verknüpft ist. Eine unbeabsichtigte Überdosierung ist völlig ungefährlich, weil der Stoffwechsel das Biotin im Falle eines Überangebotes problemlos weiter verstoffwechseln kann.

Es wird empfohlen, bei Reisen ins Ausland und vor allem bei Fernreisen, einen ausreichenden Vorrat an Biotintabletten mitzuführen, um die Einnahme des Biotins nicht unterbrechen zu müssen, was nach kurzer Zeit mit gravierenden und schwerwiegenden Folgen verbunden sein könnte.

Quellen

  • Buselmaier, W. et al.: Humangenetik für Biologen. Springer Verlag, Berlin Heidelberg 2005
  • Murken, J., Grimm, T., Holinski-Feder, E., Zerres, K. (Hrsg.): Taschenlehrbuch Humangenetik. Thieme, Stuttgart 2011
  • Wassermann, K., Rohde, A.: Pränataldiagnostik und psychosoziale Beratung. Schattauer, Stuttgart 2009

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