Erotomanie
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 26. Februar 2024Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
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Erotomanie ist eine psychische Erkrankung, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts von dem französischen Psychiater Gaëtan Gatian de Clérambault in systematischer Form beschrieben wurde. Von der Krankheit, die auch als de-Clérambault- Syndrom oder als Liebeswahn bezeichnet wird, sind überwiegend Frauen betroffen. Auch wenn sie gelegentlich mit Stalking gleichgesetzt wird, ist darauf hinzuweisen, dass Stalking lediglich als Folge der Krankheit auftreten kann.
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Was ist Erotomanie?
Erotomanie ist eine wahnhafte Störung. Betroffene lassen sich nicht von der zwanghaften Vorstellung abbringen, dass sie von einer bestimmten Person geliebt werden. Sie interpretieren deren Gesten und Handlungen als Liebesbekundungen und als versteckte Liebesbeweise. Sie gehen davon aus, dass die Person, von der sie sich geliebt fühlen, ihre Gefühle absichtlich verheimlicht.
Der Liebeswahn kann auch ausbrechen, wenn es zuvor zu keinem persönlichen Kontakt zwischen den beiden Menschen gekommen ist. Häufig handelt es sich bei jenen Menschen, zu welchen diese obsessive Beziehung entwickelt wird, um Berühmtheiten oder um Personen, die hinsichtlich des sozialen Ranges höher stehen.
Das können Sänger und Schauspieler, aber auch Ärzte, Professoren oder Rechtsanwälte aus der näheren Umgebung sein. Entscheidend ist, dass es sich um bedeutende und um schwer bis unerreichbare Persönlichkeiten handelt.
Ursachen
Das de-Clérambault-Syndrom bricht meistens als Folge einer bestehenden psychischen Erkrankung (Schizophrenie, bipolare Störung) aus. Eher selten ist das isolierte, d.h. nicht mit anderen Krankheiten zusammenhängende, Auftreten der Krankheit. De-Clérambault hat diesbezüglich zwischen den zwei Grundtypen „Erotomanie symptomatique“ und „Erotomanie pure“ unterschieden.
Menschen, die an Liebeswahn erkranken, haben mit hoher Wahrscheinlichkeit während ihrer Kindheit zu wenig Liebe und Zuwendung erfahren. Nun versuchen sie, diesen Mangel auszugleichen und streben nach Anerkennung. Mehrheitlich leiden alleinstehende Frauen im Alter von 40 bis 60 unter der Krankheit. Der Umstand, dass deren obsessive Gedanken sich oft auf ältere und gut situierte Männer richten, lässt den Schluss zu, dass die Vater-Tochter-Beziehung defizitär gewesen ist.
Häufiger als Männer kämpfen Frauen ab einem gewissen Alter mit der Sorge, keine glückliche Beziehung mehr erleben zu können. Darüber hinaus wirken sich nicht nur frustrierende und gescheiterte Paarbeziehungen, sondern auch Einsamkeit und eine ausgeprägte Phantasie begünstigend auf die Krankheit aus.
Symptome, Beschwerden & Anzeichen
Die Symptome manifestieren sich darin, dass Handlungen oder Gesten der Person, von der sich der Betroffene irrigerweise geliebt fühlt, fehlinterpretiert oder überbewertet werden. Das Leben der Person wird verfolgt. Sofern die geliebte Person nicht bereits bekannt ist und sporadischer oder regelmäßiger Kontakt besteht, wird in den meisten Fällen auch Kontakt aufgenommen.
Es werden zufällige Begegnungen arrangiert, Besuche abgestattet, Geschenke und Andeutungen gemacht. Stalking kann ein Effekt der wahnhaften Liebe sein. Dabei kommt es zu lange währenden Observationen oder zu unbefugtem Eindringen in fremde Wohnungen. In manchen Fällen wird behauptet, mit dem Opfer verheiratet zu sein. Nicht auszuschließen ist, dass dem Opfer und dessen Angehörigen Gewalt zugefügt wird.
Verlauf
Erotomanie liegt dann vor, wenn Menschen von romantischen Beziehungen sprechen, die nicht existieren. Sie verhalten sich so, als ob sie real wären oder als ob sie nach der Beseitigung bestimmter Beziehungshindernisse real werden würden. De Clérambault hat in seiner Beschreibung drei einander ablösende Phasen unterschieden.
Zunächst ist die Patientin guten Mutes, dass sich die imaginierte Beziehung in die Realität überführen lässt. Die zweite Phase ist dadurch geprägt, dass der diesbezügliche Optimismus erschüttert wird. Die sich breitmachende Enttäuschung geht in der abschließenden dritten Phase in Hass wie auch in fremd- und autoaggressives Verhalten über.
Gewaltphantasien werden entwickelt und auch verwirklicht. Um die Gefahr der Fremd- und Selbstschädigung zu minimieren, sind eine frühzeitige Diagnose und Behandlung unabdingbar.
Komplikationen
In der Regel sind vor allem Frauen von der Erotomanie betroffen, allerdings tritt das Symptom auch bei Männern auf. Es treten dabei keine gesundheitlichen Komplikationen auf, die die Gesundheit des Patienten beeinträchtigen könnten. Allerdings hat die Erotomanie starke negative psychische Auswirkungen.
In den meisten Fällen kommt es dabei zu einer Fehlinterpretation oder einer Fehldeutung von Zeichen oder Gefühlen, sodass diese überbewertet werden. Der Patient fühlt sich von einer anderen Person geliebt, auch wenn diese dem Patienten nicht bekannt ist. Hierbei kann es zu Stalking kommen. Die Betroffenen treten allerdings oft direkt in Kontakt mit der Zielperson.
Dabei kann es zu starken psychischen Problemen kommen. Auch hat die Erotomanie strafrechtliche Auswirkungen auf den Patienten. Durch die Erotomanie konzentriert sich der Patient meistens nur noch auf seine Zielperson und vergisst andere wichtige Dinge, die im Leben geschehen. Freunde und das soziale Umfeld werden stark vernachlässigt. Hierbei kann es zu einer sozialen Ausgrenzung kommen.
Auch dringen die Patienten oft in die Wohnung der Zielperson ein oder arrangieren zufällige Treffen. Hierbei können die Betroffenen auch aggressiv werden, wobei es zu Verletzungen kommen kann. Die Behandlung findet vor allem auf der psychologischen Ebene statt und kann mit Medikamenten betreut werden. Oft dauert es mehrere Monate, bis die Behandlung anschlägt und der Patient sich eingesteht, dass er an der Erotomanie leidet.
Wann sollte man zum Arzt gehen?
Ein Arztbesuch ist notwendig, sobald der Betroffene durch ein auffälliges Sozialverhalten in Erscheinung tritt. Da es sich um eine psychische Erkrankung handelt, ist es sehr unwahrscheinlich, dass der Betroffene selbst die Auffälligkeit seines Verhaltens bemerkt und als besorgniserregend einstuft. Daher ist die Mitarbeit naher Angehöriger besonders wichtig. Bei dem Liebeswahn wird verstärkt die Nähe zu einer auserwählten Person ohne deren Einverständnis gesucht.
Ein Arzt oder Therapeut sollte hinzugezogen werden, sobald sich der Erkrankte wiederholt in aufdringlicher Form der Person nähert und sich bei Abweisung uneinsichtig zeigt. Beschäftigt sich der Betroffene sehr stark mit dem Leben und den Aktivitäten eines anderen Menschen, gilt dies als ungewöhnlich und sollte hinterfragt werden. Tut der Betroffene alles, um die Aufmerksamkeit der auserwählten Person zu erhalten, sollte dies mit einem Arzt oder Therapeuten besprochen werden. Sind im eigenen Leben, den Gedanken und der Lebensplanung nicht mehr die eigenen Bedürfnisse zentral, benötigt der Betroffene Hilfe.
In seinem Zustand ist es ihm ohne eine medizinische Unterstützung nicht möglich, seine Verhaltensmuster zu verändern. Das Streben nach Anerkennung durch die andere Person steht bei der Erotomanie im Mittelpunkt und schafft einen Leidensdruck, bei dem ein Arzt eingreifen sollte. Nimmt das wahnhafte Verhalten zu, muss nach Möglichkeiten einer Behandlung gesucht werden.
Behandlung & Therapie
Bei isoliertem Auftreten wird die Diagnose dadurch erschwert, dass der Wahn oft im Geheimen ausgelebt wird. Nicht selten wird die eingebildete Beziehung auch sehr überzeugend dargestellt. Deshalb sehen sich Angehörige bisweilen nicht dazu veranlasst, am Wahrheitsgehalt der Schilderungen und am Gesundheitszustand der betroffenen Person zu zweifeln.
Die betroffene Person steigert sich in den Wahn hinein und hat in der Regel nicht das Bedürfnis, davon abzulassen. Oft fehlt die Einsicht, krank zu sein, sich alles nur einzubilden und professionelle Hilfe zu benötigen. Das macht die Behandlung schwierig. Wird die Erkrankung diagnostiziert, so empfiehlt sich eine Psychotherapie, im Rahmen derer die Ursachen freigelegt und entsprechende verhaltenstherapeutische Maßnahmen gesetzt werden.
Die Gabe von Antipsychotika dient dazu, die Krankheit zu kontrollieren. Wenn Erotomanie Begleiterscheinung einer bereits bestehenden psychischen Störung ist, dann hängt der Behandlungserfolg auch von deren Schweregrad ab. Eine Spontanheilung kann sich einstellen, wenn die betroffene Person jemanden kennenlernt und eine erfüllte und reale Beziehung eingeht. Das kommt allerdings selten vor.
Aussicht & Prognose
Die Erotomanie ist eine psychische Erkrankung, die ohne eine Behandlung häufig an Intensität zunimmt. Zusätzlich ist die Vulnerabilität für die Ausbildung weiterer psychischer Störungen gegeben. Dies lindert die Aussichten auf eine Heilung und verlängert den Genesungsweg immens. Dennoch besteht bei einer Erotomanie die Möglichkeit, dass es jederzeit zu einer Spontanheilung kommt. Oftmals führen kognitive Prozesse oder Lebensveränderungen zu einer plötzlichen Wandlung und einer Verbesserung der Gesundheit.
Mit der Inanspruchnahme einer therapeutischen oder ärztlichen Betreuung können die Ursachen der Erotomanie geklärt und gezielt behandelt werden. Dies erhöht die Wahrscheinlichkeit einer dauerhaften Linderung der Beschwerden und einer Bearbeitung der ursächlichen Probleme. Der Heilungsprozess umfasst oftmals mehrere Monate bis Jahre. In dieser Zeit ist mit stetigen Veränderungen des Wohlbefindens zu rechnen. Der Patient kann trotz einer Linderung der Symptome jederzeit einen Rückfall erleiden. Dies ist unabhängig von der Behandlungsform oder der Wahl der Selbstheilung.
Die Prognose ist bei einem Wiederauftreten der psychischen Störung weiterhin von den individuellen Gegebenheiten abhängig. Mit zunehmenden Alter kommt es vermehrt zu weiteren Krankheiten, die insgesamt zu einer Schwächung des Wohlbefindens beitragen und einen negativen Einfluss ausüben. Je länger die Erotomanie besteht und je öfter sie im Laufe des Lebens auftritt, desto wahrscheinlicher ist ein chronischer Krankheitsverlauf.
Vorbeugung
Der Liebeswahn wird heutzutage durch den Umstand gefördert, dass die Medien beständig über Prominente berichten. Durch die sozialen Medien wird bei anfälligen Benutzern der Eindruck erweckt, dass diese de facto unerreichbaren Personen erreichbar wären. Besonders soziale isolierte Menschen tendieren dazu, sich Phantasiewelten zu schaffen, in denen sie anerkannt und glücklich sind.
Wenn (potenziell) von Erotomanie Betroffene über eine neue Beziehung reden, dann sollten Angehörige hellhörig werden und aufmerksam bleiben. Wird eine diesbezügliche Gefährdung wahrgenommen, so empfiehlt sich die Kontaktaufnahme mit dem zuständigen Gesundheitsamt oder mit Beratungseinrichtungen.
Nachsorge
Im Falle einer Erotomanie sind die Möglichkeiten der Nachsorge in den meisten Fällen stark eingeschränkt. Da es dabei nicht zu einer selbstständigen Heilung kommen kann, ist der Betroffene in erster Linie auf die medizinische Behandlung und Untersuchung durch einen Arzt angewiesen. Da es sich dabei auch um eine ernsthafte psychische Erkrankung handelt, sollte diese schon frühzeitig behandelt werden, um weitere Komplikationen zu verhindern.
Auch nach einer erfolgreichen Behandlung sollten regelmäßige Untersuchungen durch einen Arzt erfolgen, um das erneute Auftreten der Erotomanie zu verhindern. Die Behandlung der Erotomanie erfolgt dabei mit Hilfe von Medikamenten und durch eine psychische Behandlung. Die Medikamente müssen dabei regelmäßig eingenommen werden, wobei auch nach dem Ende der Behandlung eine Einnahme weitergeführt werden sollte.
Bei der Krankheit ist häufig auch die Unterstützung durch die eigene Familie und durch Freunde sehr wichtig. Die Angehörigen müssen dabei die Erkrankung verstehen und dürfen den Betroffenen nicht negativ verurteilen. Sollte den Angehörigen oder den Freunden auffallen, dass der Patient Symptome der Erotomanie zeigt, müssen diese ihn zu einer Behandlung bewegen. In der Regel verringert die Krankheit nicht die Lebenserwartung des Betroffenen.
Das können Sie selbst tun
Ein Wahn ist eine pathologische Fehlbeurteilung der Realität. An dieser Fehleinschätzung wird oft mit absoluter Gewissheit festgehalten und Widersprüche zur Wirklichkeit ignoriert oder wegrationalisiert. Beim Liebeswahn steigert sich eine Person in den Glauben hinein von einer anderen Person (heimlich) geliebt zu werden oder gar eine Beziehung zu führen. Sehr oft fehlt die Einsicht, dass es sich um eine behandlungsbedürftige Krankheit handelt. Solange der Patient nicht erkennt, dass er krank ist, ist er auch nicht im Stande sich selbst zu helfen. In manchen Fällen kann aber das soziale Umfeld intervenieren.
Sofern bei einem Betroffenen bereits einmal ein Fall von Erotomanie diagnostiziert worden ist, sollten Familienangehörige und Freunde hellhörig werden, sobald der Betroffene von einer neuen Beziehung berichtet. Dies gilt insbesondere dann, wenn der neue Partner sich nicht persönlich vorstellt, nie zu einer Familienfeier erscheint und nie mit dem Betroffenen gemeinsam gesehen wird.
Bestätigt sich der Verdacht, dass es sich bei der neuen Beziehung nur um einen Wahn handelt, sollte der Patient sensibel, aber konsequent mit diesem Umstand konfrontiert werden. Das Ziel muss darin bestehen, dass der Wahn-Kranke sich professionelle Hilfe sucht. Erster Ansprechpartner ist der Hausarzt, der gegebenenfalls einen Facharzt oder Psychotherapeuten zuzieht.
Patienten, die erkennen, dass sie an einem Wahn leiden, sollten zügig einen Arzt aufsuchen und eine Therapie beginnen.
Quellen
- Davison, G.C., Neale, J.M., Hautzinger, M.: Klinische Psychologie. Beltz PVU, München 2007
- Lieb, K., Frauenknecht, S., Brunnhuber, S.: Intensivkurs Psychiatrie und Psychotherapie. Urban & Fischer, München 2015
- Möller, H.-J., Laux, G., Deister, A.: Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie. Thieme, Stuttgart 2015