Selbstverletzendes Verhalten
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 26. Februar 2024Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
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Bis zu 20 Prozent aller Jugendlichen verletzen sich selber, wobei Mädchen häufiger davon betroffen sind. Die Selbstverletzung tritt häufig als Symptom von psychischen Störungen oder Erkrankungen auf.
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Was ist Selbstverletzendes Verhalten?
Ein selbstverletzendes Verhalten bezeichnet Handlungen, bei denen die Körperoberfläche bewusst geschädigt wird. Dies bedeutet, dass sich der Betroffene selber wiederholt Verletzungen zufügt. Dies kann bewusst oder auch unbewusst geschehen. Bei der Selbstverletzung handelt es sich um kein eigenständiges Krankheitsbild, sondern um ein Symptom von Störungen.
Diese Selbstverletzungen haben jedoch keinen suizidalen Hintergrund. Am häufigsten erfolgen sie durch Schnittverletzungen mit spitzen oder scharfen Gegenständen, beispielsweise einer Rasierklinge, einem Messer oder Glasscherben. Dieses Schneiden oder Ritzen erfolgt meist an den Armen und Beinen. Auch Verbrennungen oder Verätzungen sind eine Form des selbstverletzenden Verhaltens.
Ursachen
Zu den Ursachen für ein selbstverletzendes Verhalten gehören stark belastende Ereignisse und Erlebnisse, die häufig bereits länger andauern. Dazu zählen beispielsweise die Vernachlässigung durch die Eltern, die zu einer mangelnden Geborgenheit führt, die Trennung der Eltern, welche Kinder häufig nicht verkraften, ein sexueller Missbrauch, ein geringes Selbstwertgefühl, die Neigung zu einer emotionalen Instabilität und die Unfähigkeit, Gefühle, Anspannung oder Wut auf einem anderen Wege auszudrücken.
Jugendliche mit psychischen Problemen oder Störungen haben ein sehr hohes Risiko, ein selbstverletzendes Verhalten zu entwickeln. Weitere Ursachen sind psychische Erkrankungen wie Depressionen, Angst-, Panik-, Zwangs-, Ess- oder die Borderline-Persönlichkeitsstörung. Die Gründe für das selbstverletzende Verhalten sind sehr vielfältig. Selten gibt es hierfür nur einen einzelnen Auslöser.
Häufig verbergen sich dahinter zahlreiche Ursachen und Gefühle, die der Betroffene mit dem Verhalten verbindet. Die emotionale Belastung wird in diesem Fall über körperliche Schmerzen abgebaut. Auf Schmerz reagiert der Körper mit einer erhöhten Ausschüttung der Endorphine, woraus ein Gefühl der Erleichterung und Entspannung resultiert. Oft entwickelt sich aus dem selbstverletzenden Verhalten eine Sucht, welcher die Betroffenen immer wieder nachgehen müssen. Ohne eine Hilfe von außen kann der Drang, sich zu verletzen, nicht gemildert werden.
Krankheiten mit diesem Symptom
Symptome, Beschwerden & Anzeichen
Bei einem selbstverletzenden Verhalten liegen meist mehrere Verletzungen vor. In erster Linie handelt es sich hierbei um Schnitt- oder Ritzverletzungen, die auf leicht erreichbaren Stellen durchgeführt werden, beispielsweise den Extremitäten. Die Verletzungstiefe ist meist gleich und die Verletzungen sind oftmals gruppiert, parallel gereiht oder symmetrisch.
In Bezug auf die Formen werden häufig Linien, Buchstaben und Wörter beobachtet. Für Eltern ist es schwierig, die Anzeichen für dieses Verhalten zu erkennen, da die Betroffenen ihre Verletzungen meistens unter der Kleidung verstecken und aus Scham niemanden einweihen. Daher ist es sehr wichtig, auf mögliche Warnzeichen zu reagieren, um frühzeitig Hilfe zu holen.
Diagnose & Verlauf
Neben den körperlichen Schädigungen, welche geringfügig, aber teilweise ebenso schwer oder sogar tödlich sein können, kommt es durch ein selbstverletzendes Verhalten ebenso zu psychosozialen Beeinträchtigungen, da sich Gefühle wie Scham, Schuld, Stigmatisierung oder ein verringertes Selbstwertgefühl einstellen können. Die Betroffenen leiden häufig unter einem gestörten Schlaf und Stimmungsschwankungen. Sie vernachlässigen Freunde oder Hobbys und ziehen sich zurück.
Durch die entstandenen Narben, die sie verbergen möchten, tragen sie auch an warmen Tagen lange Kleidung. Die Diagnose wird anhand der zugefügten Verletzungen am Körper gestellt. Schwere Krankheitsformen sind durch ein wiederholtes Verletzen über einen längeren Zeitraum. Oft entwickelt sich aus dem selbstverletzenden Verhalten eine Sucht, welcher die Betroffenen immer wieder nachgehen müssen. Ohne eine Hilfe von außen kann der Drang, sich zu verletzen, nicht gemildert werden.
Komplikationen
Wenn ein selbstverletzendes Verhalten nicht behandelt wird, so kommt es in der Regel oft dazu, dass sich die erkrankte Person in einem sehr hohen Maße selbst verletzt und sich selbst relativ großen Schaden zufügt. Solche Personen verletzen sich meistens an der Haut oder an anderen Stellen. Bei der Nicht-Behandlung dieses Verhaltens realisieren die Personen oft nicht, welchen Schaden sie sich selbst hinzufügen und hören damit auch nicht von alleine auf.
Hier kann es im schlimmsten Falle auch zum Selbstmord kommen oder zu Verletzungen, welche lebensgefährlich für den eigenen Körper sein können. Diese Personen denken oft nicht über die Konsequenzen der Selbstverletzungen nach und führen sich diese zu, ohne dabei zu wissen, dass sie daran im schlimmsten Falle sterben können.
Bei der Behandlung des selbstverletzenden Verhaltens werden in der Regel Medikamente und Gespräche mit einem Psychiater eingesetzt. Meistens haben die eingesetzten Medikamente starke Nebenwirkungen. Dazu gehört die Müdigkeit, Kopfschmerzen oder Lustlosigkeit. Diese Nebenwirkungen sind nicht besonders schlimm, sie sollen die Person in erster Linie davon abhalten, sich weiterhin selbst zu verletzen.
Wenn Fortschritte gemacht werden, können schwächere Medikamente genutzt werden, bei welchen es keine so starken Nebenwirkungen gibt. Bei schlimmen Fällen kann die Behandlung auch einen Aufenthalt in der geschlossenen Psychiatrie nach sich ziehen.
Wann sollte man zum Arzt gehen?
Bei einem selbstverletzenden Verhalten ist es immer ratsam, einen Arzt aufzusuchen. Falls kein Arzt aufgesucht wird, kann sich der Betroffene schlimme und lebensgefährliche Verletzungen zuziehen. Im schlimmsten Falle kann es dabei auch zu Selbstmordgedanken und schließlich auch zum Selbstmord kommen. In der Regel sollte selbstverletzendes Verhalten immer von einem Psychologen untersucht und behandelt werden. Dabei kann ein langer Zeitraum vergehen, bis die Ursache für das Verhalten gefunden wurde.
In vielen Fällen sieht der Patient nicht ein, dass er behandelt werden muss und an der Krankheit leidet. In diesen Fällen müssen Freunde und Familie die Behandlung und Untersuchung erzwingen. Es ist auch möglich, die Behandlung in einer geschlossenen Klinik durchzuführen. Eine dringende Maßnahme ist vor allem dann notwendig, wenn sich der Patient bereits Verletzungen zugezogen hat und schon über einen längeren Zeitraum am selbstverletzenden Verhalten leidet. Bei akuten Verletzungen kann auch der Notarzt gerufen oder der Betroffene in ein Krankenhaus gebracht werden.
Behandlung & Therapie
Oftmals gelingt es den Betroffenen nicht, sich allein vom selbstverletzenden Verhalten zu befreien. Durch Psycho- oder Verhaltenstherapie besteht eine gute Chance, davon loszukommen. Hierbei werden die Probleme, die zugrunde liegen, aufgearbeitet, denn es ist grundsätzlich sehr wichtig, dass die Grundstörungen erkannt und beseitigt werden. Der Betroffene wird dabei unterstützt, neue Bewältigungsstrategien zu erarbeiten, mit denen auf belastende Situationen reagiert werden kann.
Des Weiteren wird gelernt, über Emotionen zu sprechen, anstatt diese in der Form eines selbstverletzenden Verhaltens zu äußern. Je früher die Therapie einsetzt, desto besser sind auch die Heilungsaussichten, wobei es allerdings auch nicht therapiebare Personen gibt. Die Voraussetzung zur Heilung ist stets eine sichere Beziehung des Betroffenen, beispielsweise zum Partner, einem Familienmitglied, Freund oder Therapeuten. Die Therapie kann medikamentös unterstützt werden, wenn zum Beispiel starke Depressionen, eine Angsterkrankung oder zwanghafte Merkmale vorliegen.
Auch Entspannungstechniken wie Yoga können helfen, um das innere Gleichgewicht zu stärken. Für den Erfolg der Therapie ist in erster Linie die Motivation, das selbstverletzende Verhalten zu ändern, entscheidend. Eine Therapie, die gegen den Willen erfolgt, bringt meist keine Hilfe. Von Vorwürfen und Vorhaltungen seitens der Angehörigen ist abzuraten, denn dies kann die Sucht nach der Selbstverletzung noch verstärken. Verständnis zu zeigen, ist eine größere Hilfe.
Aussicht & Prognose
Die Aussichten und Prognosen bei einem selbstverletzenden Verhalten hängen stark von der Ausprägung des Symptoms sowie vom Willen des Patienten ab und können daher nicht universell vorausgesagt werden. In den meisten Fällen ist eine Therapie bei einem Psychologen notwendig, um dieses Verhalten zu behandeln.
Es dauert in der Regel mehrere Monate, bis sich das Verhalten verändert. Von einem Erfolg kann allerdings nicht immer ausgegangen werden. Dieser hängt auch stark vom Hintergrund des Patienten und seinem Willen ab. Nicht selten müssen Betroffene daher in speziellen Kliniken behandelt werden. In diesem Falle kommt es oft zu einem positiven Krankheitsverlauf und zur Bekämpfung des Symptoms.
Wird das selbstverletzende Verhalten nicht behandelt, so wird sich der Patient immer weiter verletzen. Oft wird das Verhalten durch eine aggressive Stimmung begleitet. Der Betroffene wendet sich von Freunden und von der Familie ab und schränkt sich sozial sehr ein. Hier kommt es zu sozialen Ausgrenzungen und damit häufig auch zu Depressionen und Selbstmordgedanken. Im schlimmsten Falle kann sich der Patient so stark selbst verletzen, dass es zum Selbstmord kommt. Daher sollten Betroffene so wenig wie möglich allein gelassen werden, damit es nicht zu lebensbedrohlichen Verletzungen kommt.
Vorbeugung
Grundsätzlich kann einer Veränderung des Schmerzempfindens nicht vorgebeugt werden. Menschen, die unter einer Schmerzunempfindlichkeit leiden, können jedoch lernen, dass Verletzungen vermieden werden. In erster Linie ist stets ein stabiles Umfeld wichtig, in dem Liebe und Geborgenheit herrscht, um von Anfang an die Entwicklung von psychischen Problemen zu vermeiden.
Durch ein sofortiges Reagieren auf mögliche Anzeichen kann verhindert werden, dass sich das selbstverletzende Verhalten zu einer Sucht entwickelt. Entspannungstechniken sowie sportliche Betätigung können ebenso bei der Vorbeugung helfen, da dies ein gutes „Venti“ darstellt, um abzuschalten, Frust und Ärger abzubauen und den Kopf frei zu bekommen.
Das können Sie selbst tun
Zunächst ist es wichtig, neue Bewältigungsstrategien kennenzulernen, die anstelle der Selbstverletzung angewendet werden können. Diese sollen helfen, mit den starken Gefühlen umzugehen, ohne dass dem Körper Schaden zugefügt wird. Ist der Drang zur Selbstverletzung akut, kann Auspowern beim Sport als Ventil dienen. Eine kreative Beschäftigung, wie Malen, kann ebenfalls als Ventil dienen.
Ablenkung oder Entspannungsübungen sind ebenfalls denkbar, die starken Gefühle zu kontrollieren. Wenn möglich, kann der Kontakt zu einer Vertrauensperson hergestellt werden. Ein Gespräch über die momentane Gefühlslage hilft nicht allein zu sein. Sich etwas Gutes tun, sich etwas gönnen kann Betroffenen helfen die Anspannung und den Selbstverletzungsdruck zu mindern. Notfalls kann auf Ersatzhandlungen zur Selbstverletzung ausgewichen werden, die zwar einen körperlichen Reiz setzen, dem Körper jedoch nicht schaden. Denkbar sind beispielsweise eine kalte Dusche, etwas Scharfes zu essen oder ein Gummiband, das sich die Betroffenen auf den Arm schnallen lassen.
Welche Strategien im Einzelfall helfen, muss ausprobiert werden. Auf längere Sicht ist es sinnvoll, sich mit den Auslösern des selbstverletzenden Verhaltens auseinanderzusetzen. Besonders kann dabei eine Psychotherapie eine große Hilfe sein. Ist es trotz allem zu einer Selbstverletzung gekommen, ist es wichtig, die Wunden gut zu versorgen und notfalls ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Quellen
- Davison, G.C., Neale, J.M., Hautzinger, M.: Klinische Psychologie. Beltz PVU, München 2007
- Dilling, H., Mombour, W., Schmidt, M.H.: Internationale Klassifikation psychischer Störungen – ICD 10, Kapitel V (F), Diagnostische Kriterien für Forschung und Praxis. Huber, Bern 2011
- Klingelhöfer, J., Rentrop, M.: Klinikleitfaden Neurologie und Psychiatrie. Urban & Fischer, München 2009