Prosopagnosie (Gesichtsblindheit)

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 7. März 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Menschen, die unter einer Prosopagnosie leiden, sind nicht in der Lage eine ihnen persönlich bekannte Person an deren Gesicht zu erkennen. Im deutschen Sprachgebrauch wird diese Krankheit auch Gesichtsblindheit genannt.

Inhaltsverzeichnis

Was ist Gesichtsblindheit?

Apperzeptive Prosopagnostiker können aus einem Gesicht keine Informationen wie Alter oder Geschlecht ableiten. Das Herauslesen von Emotionen bereitet ihnen starke Probleme.
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Man unterscheidet mehrere verschiedene Formen der Prosopagnosie: die apperzeptive, die assoziative und die kongenitale Prosopagnosie. Die kongenitale Form ist eine angeborene Gesichtsblindheit.

Die meisten betroffenen Menschen sind sich über ihre Erkrankung gar nicht bewusst, da sie diesen Zustand für normal halten. Sie können nicht nachvollziehen, dass andere Menschen Gesichter anders wahrnehmen können.

Menschen mit einer apperzeptiven Prosopagnosie sind nicht in der Lage anhand eines Gesichts das Alter der Person einzuschätzen. Auch das Geschlecht der Person können sie aus dem Gesicht nicht ablesen. Außerdem können sie aus den Gesichtszügen nur schwer auf die Emotionen der Person schließen.

Personen, die unter einer assoziativen Prosopagnosie leiden hingegen können beim Betrachten eines Gesichts auf das Alter und das Geschlecht der Person schließen. Eine konkrete Zuordnung, wie das Erkennen prominenter Personen, ist auch ihnen nicht möglich.

Ursachen

Die Ursache der angeborenen Prosopagnosie, also der kongenitalen Form der Gesichtsblindheit, ist noch nicht vollständig geklärt. Als Auslöser könnte eine veränderte Erbinformation in Betracht kommen. Beispielsweise die Mutation eines Gens, das für die Funktion der Gehirnnervenzellen verantwortlich ist.

Bei schwerer Ausprägung der Gesichtsblindheit kann es auch vorkommen, dass eine Unterscheidung zwischen Personen und Gegenständen nicht möglich ist. Hierbei sind oftmals mehrere Hirnbereiche geschädigt. Die angeborene Form der Gesichtsblindheit ist eine vererbbare Störung und geht manchmal mit Autismus oder dem Asperger-Syndrom einher.

Ursächlich für die apperzeptive und die assoziative Prosopagnosie ist eine Schädigung des Gehirns. Diese kann durch eine Erkrankung wie einen Schlaganfall oder auch durch eine traumatische Verletzung eintreten. Der Grad der Schädigung hat hierbei Auswirkungen auf die Ausprägung der Gesichtsblindheit.

Symptome, Beschwerden & Anzeichen

Das klinische Bild der Prosopagnosie entscheidet über die Symptome, die mit dieser Teilleistungsschwäche einhergehen. So sind zunächst einmal fast alle Betroffenen der Gesichtsblindheit dazu in der Lage, ein Gesicht zu erkennen. Die weiteren Informationen, die aus dem Gesicht gewonnen werden können, variieren. Auch können einige Gesichtsblinde sich Gesichter nur sehr kurz merken.

Apperzeptive Prosopagnostiker können aus einem Gesicht keine Informationen wie Alter oder Geschlecht ableiten. Das Herauslesen von Emotionen bereitet ihnen starke Probleme. Ein gezeigtes Gesicht einer bekannten Person stellt keine Verknüpfung zu sonstigen Informationen über diese Person her. Assoziative Prosopagnostiker können Gesichter unterscheiden, können Geschlecht und Alter zuordnen, können aber auch keine weiterführenden Informationen abrufen.

Kongenitale Prosopagnostiker können ihre Gesichtsblindheit verschiedentlich erleben. Dabei reicht sie von der völligen Unfähigkeit, Gesichter zu erkennen, bis hin zu Zuordnungsschwächen. Da dies aber angeboren ist, werden meist Kompensationsstrategien geschaffen, weshalb die Einschränkungen hierdurch gering ausfallen. Kommt es auch zu Problemen mit dem Erkennen von Emotionen, erinnert das Verhalten gelegentlich an die Symptomatik von Asperger.

Anzeichen für eine Form der Gesichtsblindheit sind Schwierigkeiten, Gesichter im Kopf zu behalten und die Unfähigkeit, von einem Gesicht auf eine Person zu schließen. Auch dann, wenn eigentlich bekannte Personen in einem veränderten Kontext nur schwierig erkannt werden, kann dies ein Anzeichen sein.

Diagnose & Verlauf

Die angeborene Gesichtsblindheit zu diagnostizieren ist in der Praxis nicht einfach. Die betroffenen Personen entwickeln in der Regel automatisch Möglichkeiten die Menschen in ihrem Umfeld an anderen Merkmalen zu erkennen.

Beispielsweise werden eine besondere Frisur, die Kleidung oder auch die Stimme und die Bewegungen einer bestimmten Person zugeordnet. Außenstehenden fällt es hierbei oftmals nicht auf, dass nicht das Gesicht der Person für das Erkennen ausschlaggebend war. Wenn häufige Verwechslungen von bekannten Personen vorkommen, kann dies ein Anzeichen für eine Prosopagnosie sein.

Häufig sehen die Betroffenen ihren Mitmenschen nicht ins Gesicht, weil dies für sie völlig uninteressant erscheint. Der fehlende Blickkontakt eines kleinen Kindes kann aber auch auf andere Erkrankungen wie zum Beispiel Autismus hinweisen und ist kein sicheres Zeichen für eine Gesichtsblindheit.

Bei den durch Unfall, Verletzung oder Krankheit erworbenen Formen der Gesichtsblindheit erkennen die betroffenen Personen und die Bezugspersonen, dass sich die Wahrnehmung und die Fähigkeit der Zuordnung von Personen zu Gesichtern verändert haben.

Komplikationen

Die visuelle Agnosie oder Prosopagnosie ist eine schwere erworbene oder angeborene Symptomatik. Die Betroffenen müssen zeitlebens mit Komplikationen in ihrem Leben rechnen. Problematisch ist bei einer angeborenen Gesichtsblindheit das soziale Miteinander. Die Betroffenen erkennen Menschen, die sie kennen müssten, nicht wieder.

Bei der erworbenen Gesichtsblindheit ist das Erkennen vertrauter Personen unmöglich geworden. Die Betroffenen müssen ihr Gegenüber aufgrund veränderter Strategien zuordnen lernen, sonst droht die soziale Isolation. Das größte Problem ist, dass die Betroffenen für ihre Mitmenschen nicht als gesichtsblind erkennbar sind. Das führt zu zahlreichen Missverständnissen und Komplikationen. Bei der Prosopagnosie können die Betroffenen auch Objekte nicht korrekt zuordnen, obwohl sie oft hochgradig begabt sind.

Bei der schwersten Form der Gesichtsblindheit, der erworbenen apperzeptiven Prosopagnosie, können die Betroffenen nicht einmal Alter oder Geschlecht des Gegenübers richtig zuordnen. Häufig ausgelöst durch schwere Kopfverletzungen, Schlaganfälle oder Hirntumoren, können bei den gesichtsblinden Menschen zusätzliche Komplikationen auftreten. Diese sind durch die vorliegenden Gehirnschäden bedingt.

Je nachdem, welchen Schweregrad die Prosopagnosie hat, kann auch der Schweregrad der möglichen Komplikationen schwanken. Beim schwersten Grad erkennen die Betroffenen nur schemenhafte Formen. So können beispielsweise Parkuhren aufgrund ihrer Form mit Gesichtern verwechselt werden. Sie werden aufgrund ihrer Größe für Kinder oder Jugendliche gehalten. Daraus erwachsen unzählige Probleme.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

Werden im Alltag Auffälligkeiten der Wahrnehmungsverarbeitung bemerkt, ist eine Überprüfung der Sinneseindrücke notwendig. Die Prosopagnosie wird in vielen Fällen über lange Zeit nicht bemerkt. Die Erkrankung besteht bereits bei der Geburt, so dass dem Betroffenen die Einschränkungen des Sehens anfänglich nicht bewusst sind. Häufig findet über die Stimme, den Körperbau oder die Kleidung des Gegenübers ganz selbstverständlich eine Erkennung des Menschen statt.

Daher wird bei der Erkrankung oftmals die Hilfe und Unterstützung von Personen aus dem nahen Umfeld benötigt. Kann der Betroffene bei einer direkten Aufforderung das Gesicht eines anderen Menschen nicht ausreichend beschreiben, muss ein Arzt konsultiert werden.

Die Prosopagnosie beschränkt sich auf eine Störung der Gesichtserkennung. Daher können alle anderen visuellen Sinneseindrücke vollständig verarbeitet und erkannt werden. Dies erschwert im Alltag die Entdeckung der vorhandenen Störung. Kinder sollten grundsätzlich in ihren ersten Lebensjahren regelmäßig zu Kontrolluntersuchungen bei einem Arzt vorgestellt werden. Dies gilt insbesondere, wenn die Erkrankung innerhalb der Familie bereits aufgetreten ist.

Behandlung & Therapie

Es gibt keine Therapiemöglichkeit, durch die sich eine Gesichtsblindheit beheben lässt. Betroffene können jedoch bestimmte Strategien erlernen um die Personen in ihrem Umfeld sicher zuordnen zu können. Anleitungen hierzu kann ein Neuropsychologe geben.

Um optimale Ergebnisse zu erreichen, müssen die Fähigkeiten immer wieder trainiert werden. Um Personen zu erkennen, können viele andere Elemente herangezogen werden. Dies können zum Beispiel die Stimme, das Gangbild, die Statur oder die Haltung der Person sein. Auch die Gestik kann einbezogen werden.

Darüber hinaus können Informationen über die Kleidung, die Frisur oder körperliche Besonderheiten, wie beispielsweise Narben hilfreich sein. Auch bestimmte Gegenstände der Person, wie die Uhr, der Schmuck oder die Brille erleichtert das Erkennen. Gesichtsblinde, die diese Fähigkeiten trainieren, sind oft in der Lage bestimmte Personen in der Umgebung zu erkennen, in der sie ihnen im Regelfall begegnen. So können sie beispielsweise ihre Kollegen im Büro auseinander halten.

Treffen sie diese Personen jedoch an einem anderen Ort, wie im Einkaufscenter oder im Restaurant, so dauert das Erkennen deutlich länger oder ist manchmal sogar gar nicht möglich. Menschen mit der angeborenen Form der Prosopagnosie profitieren davon, wenn die Krankheit sehr früh erkannt wird. Eltern und andere Bezugspersonen können dann gezielt das Erlernen der alternativen Zuordnungsmöglichkeiten fördern.


Vorbeugung

Eine Vorbeugung ist bei keiner der drei beschriebenen Formen der Prosopagnosie möglich. Es kann lediglich versucht werden, die bekannten Risikofaktoren für Schlaganfälle und andere Krankheiten durch eine gesunde Lebensweise zu minimieren. Vielen Kopfverletzungen kann durch das Tragen von Sturzhelmen vorgebeugt werden.

Nachsorge

Das Ausmaß einer vorliegenden Prosopagnosie kann durch eine spezielle Nachsorge nicht verringert werden. Das Hauptziel ist nun, dass die Betroffenen ihren Alltag mit der Gesichtsblindheit gut bewältigen und ein relativ normales Leben führen können. Bei einer angeborenen Prosopagnosie fällt der Umgang mit der Einschränkung deutlich leichter, als wenn die Störung beispielsweise durch einen Unfall oder eine Erkrankung entstanden ist.

Ähnliches ist auch bei anderen Behinderungen wie beispielsweise Blindheit oder Taubheit zu beobachten. Patienten, die bereits mit der Gesichtsblindheit geboren wurden, haben sich bereits in frühester Kindheit andere Strategien angeeignet, mit welchen sie unterschiedliche Menschen in einem gewissen Rahmen auseinanderhalten können.

Dies erklärt auch, warum vielen Prosopagnostikern oftmals gar nicht bewusst ist, dass sie von dieser Störung betroffen sind. In solchen Fällen ist daher in der Regel keine Nachsorge erforderlich und wird auch meistens nicht von den Betroffenen gewünscht. Bei einem späteren Auftreten der Prosopagnosie müssen alternative Erkennungsstrategien dagegen mühsam erlernt werden.

Hier kann unter Umständen ein gezieltes Training helfen, zur Standard-Nachsorge gehört es allerdings nicht. In einigen Regionen und im Internet gibt es außerdem Selbsthilfegruppen für Betroffene. Hier haben die Patienten die Möglichkeit, sich mit anderen Prosopagnostikern auszutauschen. Bereits die Gewissheit, nicht alleine mit der Einschränkung zu sein, kann die Lebensqualität der Betroffenen deutlich verbessern.

Das können Sie selbst tun

Die Prosopagnosie (Gesichtsblindheit) kann nicht behoben werden. Allerdings entwickeln viele Betroffene bereits frühzeitig Strategien, die Unfähigkeit Gesichter wiederzuerkennen, durch die Entwicklung anderer Fähigkeiten auszugleichen.

Durch viel Training können Prosopagnostiker lernen, wie sie mithilfe anderer Eigenschaften einen entsprechenden Menschen erkennen können. Solche Eigenschaften betreffen unter anderem die Stimme, den Gang oder die Gestik. Oft spielen auch die Frisur, bestimmte Narben oder Muttermale, eine bestimmte Brille und andere Merkmale eine Rolle. Manchmal hilft auch eine schriftliche oder gedankliche Auflistung, um herauszufinden, welche Personen an bestimmten Orten mit bestimmten Merkmalen getroffen werden können. Wenn dann noch andere Merkmale übereinstimmen, kann so die Person identifiziert werden. Die Entwicklung dieser Fähigkeiten ist unbedingt notwendig für die Betroffenen, um sich im sozialen Umfeld zurechtzufinden. Das Training dieser Fähigkeiten kann unter Anleitung eines Neuropsychologen durchgeführt werden.

Um Ausgrenzungen zu vermeiden, hilft es manchmal auch, die Probleme in der Familie oder unter vertrauten Bekannten offenzulegen. So kann zumindest der Vorwurf entkräftet werden, unfreundlich, unhöflich oder ignorant zu sein. Es gibt auch Selbsthilfegruppen für Prosopagnostiker, in denen Erfahrungen im Umgang mit der Umwelt ausgetauscht werden können. Des Weiteren findet hier auch der Austausch interessanter Strategien zur Wiedererkennung statt. Unter anderem im Internet besteht die Möglichkeit, nach diesen Selbsthilfegruppen zu suchen und Kontakte zu knüpfen.

Quellen

  • Gleixner, C., Müller, M., Wirth, S.: Neurologie und Psychiatrie. Für Studium und Praxis 2015/16. Medizinische Verlags- und Informationsdienste, Breisach 2015
  • Herold, G.: Innere Medizin. Selbstverlag, Köln 2016
  • Lang, G. K.: Augenheilkunde. Thieme, Stuttgart 2014

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