Asperger-Syndrom
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 4. März 2024Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
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Als Asperger-Syndrom wird eine Entwicklungsstörung bezeichnet, die zum Spektrum der autistischen Erkrankungen gezählt wird. Das Asperger-Syndrom geht mit einer beeinträchtigten sozialen Interaktion sowie immer wiederkehrenden Verhaltensmustern einher. Da die Ursachen der Erkrankung bis heute nicht geklärt sind, gilt das Asperger-Syndrom als nicht heilbar.
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Was ist das Asperger-Syndrom?
Das Asperger-Syndrom ist eine Entwicklungsstörung, die häufig mit einem leicht ausgeprägten Autismus verglichen wird und durch Störungen in der sozialen und kommunikativen Interaktion trotz normal entwickelter Intelligenz gekennzeichnet ist.
Vom Asperger-Syndrom Betroffene besitzen in der Regel eine eingeschränkte Empathiefähigkeit (Einfühlungsvermögen) und fallen durch unangemessenes Sozialverhalten auf. Dies ist darauf zurückzuführen, dass verbale und nonverbale Zeichen der menschlichen Kommunikation von den vom Asperger-Syndrom Betroffenen nicht interpretiert werden können. Sie können weder Ironie oder Sarkasmus noch Mimik oder Gestik des Gegenübers deuten.
Unkonventionelle, Außenstehenden hinsichtlich der Intensität und des Inhalts als anormal erscheinende Interessen und Vorlieben (Auswendiglernen bestimmter Daten) sowie sich wiederholende, beinahe ritualisierte Verhaltensmuster, von denen sich Betroffene nur schwer lösen können, sind charakteristische Symptome des Asperger-Syndroms.
Ursachen
Bis heute sind die Ursachen des Asperger-Syndroms nicht hinreichend geklärt. Es wird davon ausgegangen, dass das Asperger-Syndrom größtenteils genetisch bedingt ist. Ferner werden Störungen in der Entwicklung neuronaler Strukturen vermutet, die eine fehlerhafte Informationsverarbeitung komplexer Zusammenhänge (zentrale Kohärenz) bedingen.
Darüber hinaus führen neurophysiologische Beeinträchtigungen beim Asperger-Syndrom zu Störungen der Fein- und Sensomotorik, schränken die visuell-räumliche Wahrnehmung sowie die nonverbale Kategorienbildung ein. Dies wird teilweise auf eine bei Betroffenen beobachtete verminderte Aktivität in spezifischen Arealen des präfrontalen Cortex (zum Frontallappen gehörender Teil der Großhirnrinde) zurückgeführt.
Auch die Amygdala (Mandelkern), die als Bestandteil des limbischen Systems wesentlich für die emotionale Beurteilung und Zuordnung von Situationskontexten ist, weist bei vom Asperger-Syndrom Betroffenen Anomalien auf. Demgegenüber wird von nicht-somatischen (Traumata) und sozialisationsbedingten Ursachen (Erziehung) abgesehen.
Symptome, Beschwerden & Anzeichen
Menschen mit dem Asperger-Syndrom haben Probleme, sich in andere Menschen hineinzuversetzen. Den Tonfall, sowie Mimik und Gestik ihres Gegenübers können sie nicht richtig deuten. Sie sind meistens überdurchschnittlich intelligent und wortgewandt. Bevor sie laufen können, beginnen Asperger-Kinder zu sprechen. Ihr Tonfall ist monoton und die Mimik kaum vorhanden. Ein fester und regelmäßiger Tagesablauf ist ihnen wichtig.
Kinder haben Schwierigkeiten, Freundschaften zu schließen und werden oft geärgert. Ihre körperliche Koordination ist tollpatschig bis schlecht und ihre Haltung auffällig. Sie können ihre Gefühle schlecht kontrollieren und sind empfindlich gegenüber Berührungen, Geräuschen und Gerüchen. Menschen, die das Asperger-Syndrom haben, gelten als Perfektionisten, lieben die Detailtreue und sind übergenau in ihrem Handeln.
Sie entwickeln Vorlieben und starkes Interesse an bestimmten Dingen und beschäftigen sich intensiv damit. So lernen manche Menschen Fahrpläne auswendig oder sind fasziniert von der Geschichte und ihren Daten. Auf ihre Mitmenschen wirken sie arrogant und unhöflich und sind in jeder Lebenslage ehrlich. Asperger-Syndrome sind den Symptomen der Autisten ähnlich, unterscheiden sich jedoch wesentlich in der Gesamtheit der Krankheit. So fällt das Asperger-Syndrom erst im Kindergartenalter auf und Autismus im Kleinkindalter.
Diagnose & Verlauf
Für eine gesicherte Diagnose des Asperger-Syndroms sollten Erkrankungen mit ähnlicher Symptomatik (frühkindlicher Autismus, ADHS, Zwangsstörungen) im Vorfeld ausgeschlossen werden. So werden beim Asperger-Syndrom im Gegensatz zum frühkindlichen Autismus die ersten Symptome in der Regel erst nach dem dritten Lebensjahr sichtbar, wenn soziale Integrationsfähigkeiten vom Kind gefordert werden (etwa beim Kindergarteneintritt).
Zur Diagnose eines Asperger-Syndroms ermittelt ein Psychiater unter Berücksichtigung der Vorgeschichte sowie unter Zuhilfenahme spezifischer Merkmals- und Bewertungsskalen den kognitiven und sozialen Entwicklungsstand des Betroffenen und versucht beobachtend, charakteristische Verhaltensauffälligkeiten festzustellen.
Bei Erwachsenen werden spezielle Fragebögen angewendet und die Kindheit genauer beleuchtet, da in diesem Lebensabschnitt Verhaltensauffälligkeiten am besten beobachtet werden können. Idealerweise werden auch Personen aus dem Sozialisationskontext (Eltern, Geschwister) befragt. Ein Asperger-Syndrom weist einen chronischen Verlauf auf, wenngleich sich die individuellen Defizite durch eine psychologische Betreuung des vom Asperger-Syndrom Betroffenen abschwächen lassen können.
Komplikationen
Das Asperger-Syndrom ist angeboren und betrifft zumeist Kinder des männlichen Geschlechts. Die daraus resultierenden Komplikationen hängen von der jeweiligen Inanspruchnahme verschiedener Therapiemaßnahmen ab. Diese sind von Fall zu Fall unterschiedlich und variieren mit dem Lebensalter.
Die zugrunde liegenden Probleme bilden oft für die Eltern beziehungsweise der Bezugsperson eine größere Belastungsprobe als für das Kind selbst. Die ersten Symptome von Asperger zeigen Kinder zwischen dem ersten und dritten Lebensjahr beim Spracherwerb. Entweder artikulieren sie oder nicht. Oftmals wirken Asperger-Kinder verschlossen und haben Kontaktschwierigkeiten.
Der Betroffene bleibt für den Rest seines Lebens auf sich bezogen. Durch sein individuelles Benehmen können sich in der Schule und im Erwachsenenleben daraus Komplikationen ergeben. Zeitweise kann diese Eigenisolation in einer Depression enden. In manchen Fällen werden Asperger-Betroffene zu Pflegefällen, die sich weder beruflich noch allgemein in die Gesellschaft integrieren können.
Die Beeinträchtigungen des Kindes verstärken sich negativ, wenn Eltern auf die ärztliche Diagnose verzichten. Schulische Probleme ergeben sich dann durch das hyperaktive und ruppige Verhalten, weshalb bei nicht erstelltem Befund diese Kinder mit ADHS stigmatisiert und falsch behandelt werden. Asperger-Kinder weisen jedoch eine überdurchschnittliche Intelligenz auf. Sofern die Diagnose frühzeitig gestellt wird, kann das Kind, trotz des Defizits, seine Talente voll entfalten.
Wann sollte man zum Arzt gehen?
Bei dem Verdacht auf das Asperger-Syndrom sollte unbedingt ein Arzt zurate gezogen werden. Durch eine Diagnose der Entwicklungsstörung kann dem Betroffenen fast immer ein einfacheres Leben ermöglicht werden – sei es durch diverse Therapiemaßnahmen oder durch eine entsprechende Medikation. Wer bei seinem Kind Symptome des Asperger-Syndroms bemerkt, sollte also in jedem Fall medizinische Hilfe suchen. Je nach Ausprägung der Störung kann ein unbehandeltes Asperger-Syndrom große Probleme im Alltag und Beruf verursachen.
Eine ärztliche Abklärung empfiehlt sich vor allem dann, wenn die Beeinträchtigungen einen Leidensdruck bei dem Betroffenen hervorrufen. Spätestens, wenn das Asperger-Syndrom zu selbst- oder fremdgefährdendem Verhalten führt, ist medizinischer oder therapeutischer Rat gefragt. Hierzu muss der Betroffene allerdings auch bereit sein, weshalb sich vorhergehende Gespräche empfehlen.
Kinder, die womöglich das Asperger-Syndrom haben, sollten gut auf einen Arztbesuch und etwaige Behandlungsmaßnahmen vorbereitet werden. Eltern und Bekannte sollten sich anhand von Info-Broschüren, Foren und Gesprächen mit Ärzten und Therapeuten über das Syndrom und den Umgang damit informieren, bevor schließlich der Schritt zum Arzt gewagt wird.
Behandlung & Therape
Eine Therapie für das Asperger-Syndrom zielt, da die Erkrankung nicht heilbar ist, auf eine Reduzierung der individuellen Defizite sowie die Förderung vorhandener Fähigkeiten. Sie gestaltet sich in Abhängigkeit von der Ausprägung der Symptome.
So müssen Betroffene mit einem leicht ausgeprägten Asperger-Syndrom nicht zwangsläufig therapeutisch behandelt werden und sind oftmals in der Lage, sich sozial und beruflich zu integrieren. Bei einem ausgeprägten Asperger-Syndrom sollte dagegen frühzeitig mit einer Langzeittherapie begonnen werden. Im Rahmen dieser werden mit Hilfe unterschiedlicher Therapiekonzepte Verhaltensregeln für den Alltag erlernt sowie zwanghaftes und ritualisiertes Verhalten zu reduzieren versucht.
Im Rahmen eines ABA-Programms (Applied Behavior Analysis) sowie eines Small-Talk-Trainings werden sozial angepasste Verhaltensmuster durch ständiges Wiederholen eingeübt. Durch das TEACCH-Programm (Treatment and Education of Autistic and related Communication handicapped Children) werden vom Asperger-Syndrom Betroffene in der Verarbeitung und Aneignung neuer Lerninhalte gefördert, indem diese nach den individuellen Interessen und vorhandenen Kompetenzen aufbereitet werden.
Eine medikamentöse Therapie entspricht beim Asperger-Syndrom nicht der Regel und kommt meistens nur bei Auftreten weiterer Störungen (ADHS) zur Anwendung.
Aussicht & Prognose
Im Gegensatz zum frühkindlichen Autismus liegen beim Asperger-Syndrom zu wenig Langzeiterkenntnisse vor, um die langfristige Entwicklung von Betroffenen realistisch einschätzen zu können. Fachleute beobachten eine relativ stabil verlaufende Entwicklung mit einer Tendenz der Besserung der Symptomatik im Laufe der Biographie. Heilbar ist das Asperger-Syndrom aber nicht, die charakteristischen Symptome bleiben zeitlebens erhalten.
Manchen Betroffenen gelingt es aber trotz ihrer sozialen Einschränkungen, eine stabile Paarbeziehung oder andere stabile soziale Beziehungen zu führen. Beruflich können sie Erfüllung finden, wenn die beruflichen Anforderungen mit ihrer Interessenlage übereinstimmen. Viele Asperger-Autisten haben in Informatikberufen Erfolg, wo sie nicht gezwungen sind, ständig mit anderen Menschen sozial in Kontakt zu treten.
Auch wenn sie häufig als unterkühlt und ichbezogen erscheinen, heißt das nicht, dass sie keine Gefühle haben. Die meisten Asperger-Autisten streben nicht eine Behandlung an, sie wünschen sich vielmehr, dass ihr Umfeld sie mit ihren Einschränkungen akzeptiert. Es kommt sehr auf die individuellen Lebensumstände der Betroffenen und die Akzeptanz durch ihr soziales Umfeld an, ob sie sich wohl fühlen und trotz ihrer Einschränkungen ein erfüllendes Leben führen können. Wenn sie sie als störend erleben, können sich auch Depressionen entwickeln. Eine pauschale Prognose ist schwierig, weil die Prognose von individuellen Faktoren abhängt.
Vorbeugung
Wenngleich keine vorbeugenden Maßnahmen für das Asperger-Syndrom existieren, kann eine frühe Diagnose sowie ein frühzeitiger Therapiebeginn einen besseren Behandlungserfolg gewährleisten und Folgeerkrankungen (Depressionen) vermeiden helfen. Darüber hinaus hängt ein Therapieerfolg von der Integrationsbereitschaft des sozialen Umfelds und der zur Verfügung stehenden Betreuungsmöglichkeiten für vom Asperger-Syndrom Betroffene ab.
Nachsorge
Da es sich beim Asperger-Syndrom wie bei allen Störungen des Autismusspektrums um eine lebenslange, angeborene, psychische Behinderung handelt, gibt es nie einen wirklichen Abschluss oder gar eine Heilung. Je nach Patient kann eine einmalige Therapie genügen, um mit wenig oder ganz ohne Unterstützung den Alltag zu meistern. Ebenso gut ist es möglich, dass lebenslange Unterstützung von Nöten ist.
Die Nachsorge, die auf eine autismusspezifische Psychotherapie folgt, besteht zumeist aus einer ambulanten Pflege in Form von ambulant betreutem Wohnen oder einer Unterbringung in einem auf Autisten spezialisierten Wohnheim bzw. einer Wohngemeinschaft mit ganztägiger Betreuung. Weil die Hauptschwierigkeit für Asperger-Autisten in der sozialen Interaktion mit Nicht-Autisten, also Neurotypischen, liegt, brauchen sie hier auch am ehesten Unterstützung.
Wo eine Therapie nur theoretisch Szenarien durchspielen kann, bietet das betreute Wohnen die Möglichkeit, den Alltag eines Autisten zu begleiten und da zu unterstützen, wo die Probleme auftreten. Gerade weil viele Autisten arbeitsunfähig sind, fallen viele existenziell wichtige Behördengänge und Arztbesuche an, bei denen eine Begleitung notwendig ist. In manchen Fällen kann auch die Beauftragung eines gesetzlichen Vertreters sinnvoll sein, weil so der Druck, selbst für die Existenzsicherung verantwortlich zu sein, vom Patienten genommen wird.
Das können Sie selbst tun
Das Entscheidende im Alltag eines Menschen mit dem Asperger-Syndrom ist Struktur. Feste Pläne und Regeln nehmen ihnen den Druck schnelle Entscheidungen unter Reizüberflutung treffen zu müssen und geben ihnen die nötige Sicherheit Alltägliches anzugehen.
Zunächst sollten die persönlichen Stärken und Schwächen analysiert werden. Welche Situationen werden als besonders überfordernd empfunden? Welche Tätigkeiten als beruhigend? Auf dieser Grundlage können dann Tages- und Wochenpläne erstellt werden, bei denen es nicht um die vollständige Vermeidung aufregender Situationen geht. Ziel ist es eine Balance zwischen den belastenden Aktivitäten und Ruhephasen, in denen die Anspannung wieder abgebaut werden kann, zu finden.
Eine weitere wichtige Strategie ist das bewusste Studieren und Erlernen von Sozialverhalten. Betroffenen fällt es schwer Mimik und Gestik des Gegenübers zu interpretieren und selbst angemessen zu reagieren. Viele soziale Abläufe sind gleichbleibend und können im Rollenspiel eingeübt werden. Diese Übungen müssen nicht im Rahmen einer Verhaltenstherapie oder eines speziellen Kurses erfolgen. Familie, Freunde und Partner können ebenso helfen.
Zur Erleichterung der Kommunikation gibt es mittlerweile eine Reihe von Apps für das Smartphone. Sie helfen mittels Bildkarten und Satzbausteinen auch dann Sätze zu formulieren, wenn das Sprechen besonders schwer fällt.
Quellen
- Arolt, V., Reimer, C., Dilling, H.: Basiswissen Psychiatrie und Psychotherapie. Springer, Heidelberg 2007
- Köhler, T.: Medizin für Psychologen und Psychotherapeuten. Schattauer, Stuttgart 2014
- Remschmidt, H.: Kinder- und Jugendpsychiatrie. Thieme, Stuttgart 2011