Reisekrankheiten erkennen und behandeln

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 15. November 2021
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Wie ein dunkler Schatten trübt der Gedanke an die Möglichkeit einer Seekrankheit vielen Menschen die Freude auf Kreuzfahrten oder eine Schiffsreise, und die Furcht vor der Flugangst bzw. Flugkrankheit lässt manchen auf eine Flugreise verzichten und lieber mit der Bahn oder dem Auto fahren, obwohl auch hier ähnliche Störungen des Wohlbefindens möglich sind, nur dass sie gemeinhin weniger gefürchtet werden als gerade die Seekrankheit und die Flugangst (oder Luftkrankheit). Immer häufiger kommen heutzutage zu ihrem Arzt mit der Frage nach dem Wesen und der Vorbeugung solcher Befindlichkeitsstörungen.

Inhaltsverzeichnis

Allgemeine Ursachen für Reisekrankheiten

Die Furcht vor der Flugangst bzw. Flugkrankheit lässt manchen auf eine Flugreise verzichten und lieber mit der Bahn oder dem Auto fahren, obwohl auch hier ähnliche Störungen des Wohlbefindens möglich sind.

Alle bei der Reise auftretenden Befindlichkeitsstörungen – ganz gleich ob Seekrankheit, Luftkrankheit, Eisenbahnkrankheit oder Autokrankheit – gehen auf eine besondere Form von Bewegungsimpulsen zurück, die dem Organismus vom Fahrzeug her aufgezwungen werden. Das Transportmittel nimmt seinerseits diese Bewegungen von der Fahrbahn, von der Schiene, vom Wasser oder von der Atmosphäre auf.

Daraus ersieht man, dass die Bekämpfung der sogenannten Reisekrankheiten auch noch eine technische Seite hat, und es ist nicht ausgeschlossen, dass sich die technische Vervollkommnung der Verkehrsmittel auch hier vorteilhaft auswirken könnte. Da diese Reisekrankheiten auf Bewegungsreize zurückgehen, hat man ihnen den Namen "Kinetosen" – abgeleitet von dem griechischen Wort "kinein" = bewegen – gegeben.

Organische Ursachen

Diese vom Fahrzeug ausgehenden Bewegungsreize sind in ihrer physikalischen Beschaffenheit mannigfaltig und führen zu einer mehr oder weniger starken Reizung des Gleichgewichtsorgans, auch Vestibularapparat genannt. Dieser befindet sich im Bereich des Innenohrs und besteht aus dem Säckchen (Sacculus) und den Bogengängen. Das erste enthält die bekannten Steine (Otolithen), die mittels Druck oder Zug bestimmte Sinnesorgane reizen und dadurch Lageveränderungen anzeigen.

Sie vermitteln also die Wahrnehmung der Kopfstellung im Raum und geradlinige Bewegungen, zum Beispiel Aufwärts- und Abwärtsbewegungen. Die Funktion der Bogengänge bewirkt die Wahrnehmung von Drehbewegungen. Es sind rechtwinklig aufeinanderstehende, halbkreisförmige Kanäle, die von einer Flüssigkeit, der Endolymphe, angefüllt sind. Bei schnellen Bewegungen bleibt diese Flüssigkeit infolge ihrer Trägheit anfangs gegenüber der Wand zurück; es kommt also zur Verschiebung der Flüssigkeit und dadurch zur unterschiedlichen Reizung der dort vorhandenen Nervenenden.

Diese Erregung der nervalen Anteile des Gleichgewichtsorgans wird dann schließlich auf dem Weg über den achten Hirnnerv (Nervus statoacusticus) zum Gehirn geleitet. Die bei stürmischer See, schwankendem Flugzeug und vibrierender Bahn kurz aufeinanderfolgenden Raumveränderungen, die wir nicht ausgleichen können, zwingen die Nervenenden des Gleichgewichtsorgans, Reize aufzunehmen und dem Gehirn zuzuleiten, die weit über das normale Maß hinausgeht.

Das wiederum bewirkt eine Hemmung der höchsten Abschnitte des Gehirns, die sich auf diese Weise sozusagen gegen eine Überbelastung absichern. Die dem Gleichgewichtsorgan zugeleiteten, aber nicht aufgenommenen Erregungsimpulse werden in Regionen des Zwischenhirns abgeleitet. Hier entsteht nun ein Erregungsherd, der zum Brechzentrum wird, wenn er Brechreiz und Erbrechen auslöst, das heißt, wenn er seine elektrische Ladung auf die beim Erbrechen verbundenen Nerven und Organe ableitet.

Symptome & Anzeichen

Erstes Anzeichen einer beginnenden Reisekrankheit ist häufig der Ausbruch von kaltem Schweiß bzw. Schweißausbrüchen. Bald danach stellen sich dann weitere Beschwerden ein: Ermüdung, Appetitlosigkeit, Schwindel, Magen-Darm-Beschwerden, Durchfall, vermehrter Speichelfluss, Kopfschmerzen und Übelkeit.

Schließlich kommt es dann zum Brechreiz und Erbrechen. Das bei der voll ausgebildeten Seekrankheit vielfach mehr oder weniger deutlich einsetzende „Vernichtungsgefühl“, dass Ausdruck der Überbelastungshemmung zahlreiche Hirnnervenzellen ist, dürfte manchem Seereisenden noch lange Zeit in unangenehmer Erinnerung bleiben.

Auch Störungen des Herz- und Kreislaufsystems sind bekannt. Sie lassen sich mit geeigneten Messgeräten, wie Blutdruck- oder EKG-Apparaten, nachweisen. Die Atmung verhält sich unterschiedlich; gelegentlich ist eine Vertiefung und Beschleunigung der Atmung zu erkennen (Hyperventilation). Ebenso sind auch bestimmte Veränderungen des Blutes beschrieben worden.

All diese Veränderungen kennzeichnen die Beeinflussung großer Gebiete des Zentralnervensystems durch die vom Gleichgewichtsorgan ausstrahlenden Nervenimpulse.

Die Reihenfolge, in der diese Symptome auftreten, sowie ihre relative Häufigkeit und Ausprägung, sind von Mensch zu Mensch verschieden. Das wichtigste objektive Anzeichen einer eingetretenen Seekrankheit bleibt – außer der Hautblässe – das Erbrechen.

Im voll ausgebildeten Zustand kommt es zur lokomotorischen Insuffizienz, die es dem Betroffenen praktisch unmöglich macht, aufrecht umherzugehen.

Verlauf & Ursachen

Alle bei der Reise auftretenden Befindlichkeitsstörungen – ganz gleich ob Seekrankheit, Luftkrankheit, Eisenbahnkrankheit oder Autokrankheit – gehen auf eine besondere Form von Bewegungsimpulsen zurück, die dem Organismus vom Fahrzeug her aufgezwungen werden.

Wie schnell beispielsweise eine Luftkrankheit oder Seekrankheit entstehen kann, hängt von verschiedenen Umständen ab. Dabei spielen Art und Dauert der Flugzeug- oder Schiffsbewegung eine große Rolle. Beim Flugzeug soll die kritische Grenze nach einigen Untersuchungen bei einer Flugdauer von etwa 2 ½ Stunden liegen, während die Seekrankheit unter bestimmten Verhältnissen schon früher hervorgerufen werden kann.

Ebenso wichtig sind natürlich auch rein körperliche und seelische Faktoren. Allein schon die Angst seekrank zu werden, vermag das Auftreten zu begünstigen. Der Anblick seekranker Mitreisender oder der Geruch des Erbrochenen vermögen bei bis dahin noch verschont gebliebenen Personen eine Seekrankheit auszulösen. Auf keinen Fall sind aber die Reisekrankheiten als Ausdruck einer abnormen psychischen Störung anzusehen.

Seekrankheit

Die Seekrankheit ist das bekannteste und auch am häufigsten auftretende Bild einer Reisekrankheit. Sie ist schon so lange bekannt, wie sich Menschen mit einem Schiff aufs Meer hinaus gewagt haben. Schon aus dem klassischem Altertum liegen ziemlich genaue Beschreibungen vor. Ihre Häufigkeit wird teilweise recht unterschiedlich angegeben. Einige Mediziner rechnen damit, dass 95 Prozent aller Menschen seekrank werden können, währende andere nur von ca. 40 Prozent sprechen. Auf großen Kreuzfahrten liegt die Häufigkeit im Bereich von wenigen Prozenten, bei kleineren, ungünstiger beschaffenen Schiffen steigt sie dagegen bis fast 100 Prozent an.

Jedem Seefahrer ist bekannt, dass man sich weitgehend an die Schiffsbewegungen gewöhnen kann, ohne eine Seekrankheit zu bekommen. Diese Gewöhnung geht aber nach längerem Landaufenthalt wieder verloren. Auch hat die Erfahrung gelehrt, dass geistige Beschäftigung und Ablenkungsversuche den Eintritt einer Seekrankheit kaum zu verhindern vermögen.

Luftkrankheit bzw. Flugkrankheit

Die Luftkrankheit (nicht Flugangst) zeigt eine ähnlich große Schwankungsbreite in der Häufigkeit wie die Seekrankheit, wobei Einflüsse der atmosphärischen Turbulenz, des Flugzeugtyps und vor allen Dingen der Flugdauer eine unverkennbare Rolle spielen.

Die Luftkrankheit (nicht Flugangst) zeigt eine ähnlich große Schwankungsbreite in der Häufigkeit wie die Seekrankheit, wobei Einflüsse der atmosphärischen Turbulenz, des Flugzeugtyps und vor allen Dingen der Flugdauer eine unverkennbare Rolle spielen. Moderne Flugzeuge mit Druckausgleichkabinen befliegen im Allgemeinen größere Höhen, in denen die atmosphärische Turbulenz spürbar abnimmt, so dass hier die Wahrscheinlichkeit einer Erkrankung geringer ist als beim Flug in niedrigeren Höhen.

Auch bei der Luftkrankheit ist der Trainingseffekt erkennbar. Untersuchungen, die in einer Fliegerschule vorgenommen wurden, zeigten, dass beim ersten Flug mehr als 10 Prozent aller Flugschüler luftkrank wurden, nach dem zehnten Flug aber nur noch etwa 1 bis 2 Prozent. Eine längere Flugdauer begünstigt den Ausbruch einer Luftkrankheit. Hier jedoch vermögen geistige Beschäftigung und Ablenkung den Eintritt der Luftkrankheit hinauszuzögern oder gar zu vermeiden, weshalb fast alle Fluglinien heute ihren Fluggästen Filme und Musik zur Unterhaltung und Ablenkung anbieten.

Reisekrankheit bei Busreisen, Bahnreisen & im Auto

Andere Formen von Reisekrankheit, wie sie zum Beispiel im Auto, im Bus, in der Bahn, aber auch in Vergnügungsmitteln wie Schaukeln, Lufträdern usw. bemerkt werden, sind vielfach beschrieben worden.

Bei der Bahn und bei Bussen rechnen einige Forscher mit einer Erkrankungshäufigkeit von etwa 4 Prozent. Beim Auto werden Reiseerkrankungs-Beschwerden nicht selten mit der sogenannten Autokrankheit verwechselt, die durch Einatmung von Verbrennungsstoffen des Motors hervorgerufen wird und zweifellos gefährlicher ist.

Die Frage, wie man sich am besten vor einer Reisekrankheit schützen kann, ist schwer zu beantworten. Ein in allen Fällen sicher helfendes Medikament konnte bisher trotz langwieriger Experimente noch nicht gefunden werden. In nicht wenigen Fällen ist eine günstige Wirkung von Meclozin und Vitamin B6 Präparaten beschrieben worden, so dass ein Versuch mit solchen Medikamenten durchaus gerechtfertigt ist. Dennoch können einige dieser Mittel auch unangenehme Nebenwirkungen hervorrufen, so dass im Fall einer Reise zunächst der Hausarzt diesbezüglich zu konsultieren ist.

Seekrankheit & Reisekrankheit vorbeugen & behandeln

Der Genuss von Kaffee, Alkohol oder Zigaretten vor und während einer Reise wird unterschiedlich bewertet. Man wird wohl kaum einen grundsätzlichen Erfolg damit haben. Aus Untersuchungen wissen wir, dass die Seekrankheit in Rückenlage entweder gar nicht auftritt oder schnell gemindert werden kann. Militärische Untersuchungen haben bestätigt, dass die Seekrankheit in Rückenlage nur selten auftrat.

Ließ man nun aber in Rückenlage den Kopf hängen, wurden fast 70 Prozent der Marinesoldaten seekrank. Bei sitzenden Personen kam es in 60 Prozent zur Seekrankheit. Sowie sie dann aber den Kopf rückwärts beugen, blieb die Seekrankheit aus.

Daraus lässt sich schließen, dass wohl die Kopf-, nicht aber die Körperhaltung für die Ausbildung einer Reisekrankheit wichtig ist.

Infolge dieser Begebenheiten könnte durch Rückenlage die Seekrankheit unter Umständen gemindert oder teilweise verhindert werden. Dabei kommt es also auf die Kopf- und nicht auf die Körperhaltung an. Das gleiche gilt für die Luftkrankheit, so dass es sich empfiehlt, die Sitze bei lang andauernden Flügen zur Liege umzustellen.


Selbstbehandlung & Techniken

Über all diese Maßnahmen hinaus hat es der einzelne – besonders bei Flügen – zu einem großen Teil in der Hand, ob er sie gut übersteht. Einer Gesetzmäßigkeit der Nerventätigkeit folgend, dass jede Erregung eines Hirngebietes durch die stärkere Erregung eines benachbarten Hirnabschnittes gehemmt wird, muss man sich bemühen, selbst – also aktiv – solch ein starkes Erregungsfeld aufzubauen.

Dazu eignet sich die Atmung, zumal sie beinahe gleiche Organe und Nerven beansprucht wie das Erbrechen. Indem wir bewusst und schnell – wenn möglich unter Einbeziehung von Zwerchfell und Bauchmuskulatur – atmen, kann die Erregung des Brechzentrums nicht zustande kommen, und die Flugkrankheit ist verhütet. Bei der Seekrankheit versagt diese Methode deshalb, weil die Fahrt meist so lange dauert, dass ein bewusstes Atmen nicht aufrechterhalten werden kann.

Wie wichtig aber diese auf die Nerventätigkeit bezogene Vorbeugung von Reisekrankheiten ist, zeigt sich daran, dass beim Autofahren der Fahrer selbst praktisch nie, der Beifahrer neben ihm selten, am häufigsten jedoch die hinteren Mitfahrer erkranken.

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