Schizoide Persönlichkeitsstörung

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 27. Februar 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Im Beruf sind Menschen mit einer schizoiden Persönlichkeitsstörung oft brillant im logischen und abstrakten Denken. Probleme treten eher auf, wenn sie enger mit anderen Menschen zu tun haben.

Inhaltsverzeichnis

Was ist eine schizoide Persönlichkeitsstörung?

Die Grenzen zwischen persönlichen Eigenarten und einer Störung sind mitunter sehr fließend, bei der schizoiden Persönlichkeitsstörung kommt es darauf an, ob die Betroffenen unter ihrem Rückzug leiden oder ob sie den Rückzug für ihr individuelles Wohlbefinden brauchen
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Von einer schizoiden Persönlichkeitsstörung spricht die Psychologie, wenn Menschen Probleme haben, soziale Kontakte zu anderen Menschen herzustellen, wobei die Grenzen zwischen persönlichen Eigenschaften und einer Störung fließend sind. Menschen mit einer schizoiden Persönlichkeitsstörung wirken auf andere Menschen kühl, unnahbar, emotional distanziert und haben Schwierigkeiten, ihre Gefühle angemessen auszudrücken.

Sie neigen dazu, Kontakte zu anderen Menschen zu meiden und sich in Fantasien zu flüchten, vielleicht als Ausgleich für das fehlende soziale Umfeld. Im Berufsleben bevorzugen sie Tätigkeiten, bei denen sie allein arbeiten können, ständige Teamarbeit ist nichts für sie. Sie sehnen sich nach Nähe, haben aber gleichzeitig auch Angst davor. Das kann zu einem Gefühl der Vereinsamung führen. Oft sind es aber weniger die Betroffenen, die unter der Störung leiden, sondern ihr soziales Umfeld.

Ursachen

Bei den meisten Persönlichkeitsstörungen liegt eine Mischung aus biologischen, genetischen und umweltbedingten Einflüssen vor. Es scheint eine genetische Vorbelastung zu geben, denn die schizoide Persönlichkeitsstörung tritt häufiger in Familien mit einer Schizophrenie eines Familienmitglieds auf. Viele Menschen mit dieser Persönlichkeitsstörung sind von ihrem Wesen her sehr empfindsam, gekoppelt mit einer leichten Kränkbarkeit.

Auch eine strenge Erziehung, Vernachlässigung oder seelische Misshandlung kann eine Rolle spielen oder eine Persönlichkeitsstörung bei einem Elternteil. Psychoanalytiker vermuten eine ablehnende Haltung oder Misshandlung durch die Eltern oder Frustrationserlebnisse bei früheren Kontaktaufnahmen. Eine mögliche Ursache könnte es auch sein, dass die Betroffenen zwar Gefühle wie Angst und Wut empfinden können, sie aber nicht angemessen zum Ausdruck bringen können und deshalb versuchen, Kontakte zu meiden.

Symptome, Beschwerden & Anzeichen

Die Grenzen zwischen persönlichen Eigenarten und einer Störung sind mitunter sehr fließend, bei der schizoiden Persönlichkeitsstörung kommt es darauf an, ob die Betroffenen unter ihrem Rückzug leiden oder ob sie den Rückzug für ihr individuelles Wohlbefinden brauchen. Die Psychologie hat neun mögliche Symptome festgelegt, die für eine schizoide Persönlichkeitsstörung zu sprechen:

  • geringe Freude an Tätigkeiten
  • reduzierte Affekte, emotionale Distanziertheit
  • Schwierigkeiten, warmherzige, zärtliche Gefühle oder Ärger auszudrücken
  • scheinbare Gleichgültigkeit gegenüber Lob und Kritik
  • geringes Interesse an sexuellen Erfahrungen mit anderen
  • starke Fantasien
  • Bevorzugung von einzelgängerischen Aktivitäten
  • geringer Wunsch nach engen sozialen Beziehungen
  • herabgesetztes Gefühl für soziale Normen

Diagnose & Krankheitsverlauf

Weil die Grenzen zwischen persönlichen Eigenschaften und Störungen fließend sind, ist es nicht leicht, eine schizoide Persönlichkeitsstörung zu diagnostizieren. Selbst für Fachleute wie Mediziner und Ärzte ist sie eine Herausforderung. Nach dem Kriterienkatalog ICD 10 müssen von den neun aufgeführten Symptomen mindestens drei für eine sichere Diagnose vorliegen. Diese wird durch verschiedene Umstände erschwert. Es genügen nicht zwei deutliche Symptome, es müssen zwingend drei sein.

Manche Symptome ähneln denen anderer psychologischer oder neurologischer Diagnosen, zum Beispiel das Asperger-Syndrom, die durch die Diagnose ausgeschlossen werden müssen. Manchmal sind Mehrfachdiagnosen notwendig, weil sich mehrere Störungen überlappen und die schizoide Persönlichkeitsstörung verschleiern. Die Symptome dürfen auch nicht nur kurzzeitig auftreten, sondern müssen dauerhaft vorhanden sein. Erschwerend ist auch, dass viele Betroffene in der Lage sind, Verhaltensauffälligkeiten zu kompensieren, zeitweise zu unterdrücken oder hinter einer Fassade zu verstecken.

Komplikationen

Die Distanziertheit, die für Menschen mit schizoider Persönlichkeitsstörung typisch ist, kann vor allem in sozialen Situationen zu Missverständnissen führen. Andere Personen können die Distanziertheit als Desinteresse oder Ablehnung auffassen. Darüber hinaus zeigen schizoide Persönlichkeiten oft nur eingeschränkt Gefühle. Auf andere Personen können sie deshalb kalt oder gefühllos wirken.

Zum Teil bleiben ihre Emotionen und Bedürfnisse unberücksichtigt: Einerseits äußern viele schizoide Persönlichkeiten sich diesbezüglich nicht explizit genug, andererseits werden die Gefühlsausdrücke mitunter missverstanden oder übergangen. Ohne beständige Freundschaften und Beziehungen fühlen sich schizoide Persönlichkeiten oft ausgegrenzt, unverstanden und einsam. Die abgeflachten emotionalen Reaktionen können auch im Berufsleben zu Problemen führen.

Menschen mit einer schizoiden Persönlichkeitsstörung fühlen sich zum Teil stigmatisiert. Missverständnisse sind zudem möglich, wenn die schizoide Persönlichkeitsstörung mit anderen psychischen Erkrankungen verwechselt wird, zum Beispiel mit dem Asperger-Syndrom. Da die schizoide Persönlichkeitsstörung selten ist und andere Krankheiten auch Laien bekannt sind, geschehen solche Verwechslungen im Alltag häufig. Auch bei der Behandlung können Komplikationen auftreten, wenn die Differentialdiagnostik keine Berücksichtigung findet.

Als Komplikation können sich weitere psychische Krankheiten entwickeln. Andere psychische Störungen können jedoch auch gleichzeitig mit der schizoiden Persönlichkeitsstörung auftreten oder ihr vorangehen. Viele Betroffene leiden zusätzlich unter einer (Major) Depression. Mit und ohne Depression kann Suizidalität als schwere Komplikation der schizoiden Persönlichkeitsstörung auftreten.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

Menschen, die eine schizoide Persönlichkeit haben, erkennen dies meist nicht. Sie leben in der Überzeugung, dass mit ihnen alles in bester Ordnung ist. Vielmehr ist es das Umfeld, welches unter den Symptomen der Persönlichkeitsstörung leidet. Einen Arztbesuch mit dem Betroffenen zu initiieren ist äußerst problematisch. Das Vertrauensverhältnis muss sehr stabil sein und Belastungen aushalten können, damit eine Diagnosestellung möglich wird. Eine enge Bindung zu einem anderen Menschen wird jedoch von dem Betroffenen im Normalfall gemieden.

Die Konsultation eines Arztes ist zu empfehlen, sobald es zu Verhaltensauffälligkeiten kommt, die als ab der Norm beschrieben werden. Emotionale Verletzungen sowie die Unfähigkeit zur Teamarbeit oder Rücksichtnahme gegenüber anderen Menschen, gelten als charakteristisch für die Persönlichkeitsstörung. Bei reduzierten Affekten, einer herabgesetzten emotionalen Teilhabe bei sozialen Interaktionen und bei der Entwicklung von lebhaften Fantasien besteht Anlass zur Besorgnis.

Gleichgültigkeit gegenüber Schicksalsschlägen, Lob und Kritik, die Unfähigkeit für den Austausch zärtlicher Gefühle sowie eine sexuelle Apathie weisen auf Unregelmäßigkeiten der menschlichen Psyche hin. Alleingänge im beruflichen Bereich oder ein Einzelgänger im Privatleben sind weitere Anzeichen, die der schizoiden Persönlichkeitsstörung zugeordnet werden. Ein Arzt wird immer dann benötigt, wenn der Betroffene oder Angehörige unter der Erkrankung leiden.

Behandlung & Therapie

Die Behandlung einer schizoiden Persönlichkeitsstörung erfolgt in der Regel durch eine tiefenpsychologische, psychoanalytische oder kognitiv-verhaltenstherapeutische Psychotherapie. Betroffene werden dabei wieder ermutigt, Kontakt mit anderen Menschen aufzunehmen und zu genießen. Selten beginnen Betroffene aber freiwillig eine Therapie, weil sie meistens keinen Handlungsbedarf sehen. In der Therapie wirken sie distanziert und unbeteiligt.

Deshalb muss der Therapeut für eine vertrauensvolle Beziehung sorgen und den Klienten stärker aktiv unterstützen. Gleichzeitig muss er darauf achten, den Klienten nicht durch zu viel Gefühlsarbeit zu überfordern, stattdessen den Distanzwunsch respektieren und ihm die Möglichkeit zu schriftlichen Hausaufgaben und E-Mail-Kontakt einzuräumen. Die psychoanalytisch orientierte Psychotherapie verfolgt das Ziel, dass Betroffene lernen, wieder Kontakt zu anderen Menschen aufzunehmen und diese Kontakte verlässlich und befriedigend zu gestalten, gleichzeitig aber auch das Alleinleben zufriedenstellender zu gestalten.

Die kognitive Verhaltenstherapie unterstützt Betroffene, sich emotionalen zwischenmenschlichen Erfahrungen wieder zu öffnen und eigene Gefühle besser wahrzunehmen. Auch lernen sie in der Therapie, sich mit den Gefühlen auseinanderzusetzen, die sie bei anderen durch ihr abweisendes Verhalten auslösen, und lernen angemessenere Strategien kennen.

Eine Gruppentherapie kann sinnvoll sein, um soziale Ängste abzubauen. Sie müssen sich dann aber in der Gruppe wohl fühlen. Vereinzelt werden bei schweren Depressionen oder Wahnvorstellungen parallel zu einer Psychotherapie Psychopharmaka verordnet, aber der positive Nutzen konnte bisher nicht klar nachgewiesen werden.


Vorbeugung

Eine besondere Vorbeugung gibt es bei Persönlichkeitsstörungen in der Regel nicht, weil sie sich erst im Laufe des Lebens entwickeln. Wenn sie auftreten, ist es wichtig, sie frühzeitig zu erkennen, um pathologisches Verhalten nicht von einer Generation an die nächste weiterzugeben. Hilfreich ist es auch, wenn Betroffene sich nicht abrupt aus Kontakten herausziehen, sondern ihre Bedürfnisse offen mit ihrem sozialen Umfeld kommunizieren.

Nachsorge

Psychische Erkrankungen bedürfen selbst nach einer erfolgreich abgeschlossenen Therapie einer professionellen Nachsorge. Die Symptome begleiten den Betroffenen noch über Jahre hinweg, in vielen Fällen ein Leben lang. Besonders nach einem Psychiatrieaufenthalt muss der Patient zurück in seinen Alltag und das gewohnte Umfeld integriert werden. Den Schritt kann er nicht allein aus eigener Kraft bewältigen. Dazu benötigt er die unterstützende Hilfe von einem Psychotherapeuten.

Schizoide Persönlichkeitsstörungen gehen mit einem auffälligen Rückzug in sich selbst einher. Der Betroffene meidet Bekanntschaften, die er vor Ausbruch seiner Krankheit aufrechterhalten hat. Im Rahmen der Nachsorge muss differenziert werden, ob der soziale Rückzug tatsächlich (noch) krankheitsbedingt ist oder mit der Persönlichkeit des Patienten zusammenhängt.

Beendet der Erkrankte bestimmte freundschaftliche Bindungen, wirkt dabei aber zufrieden, sollte der Therapeut die Entscheidung akzeptieren. Für die Genesung des Betroffenen kann ein bewusster Kontaktabbruch sogar nötig sein. Freunde, die seine Krankheit nicht berücksichtigen oder als solche begreifen können, wirken sich negativ auf sein seelisches Gleichgewicht aus.

Im Falle einer Verschlechterung aufgrund akuter Begebenheiten leistet der behandelnde Facharzt erste Hilfe. Diese professionelle Anlaufstelle gibt dem Erkrankten ein Gefühl der Sicherheit. Die Rückkehr in den Alltag wird ihm damit leichter gemacht. Angehörige des Betroffenen können sich bei spezifischen Fragen ebenfalls an den Therapeuten wenden.

Das können Sie selbst tun

Klare Anleitungen für die Selbsthilfe sind für die schizoide Persönlichkeitsstörung selten, da diese Persönlichkeitsstörung zum einen nicht häufig auftritt und zum anderen oft mit sozialem Rückzug verbunden ist. Diese Merkmale erschweren eine enge Zusammenarbeit in Selbsthilfegruppen.

Im Alltag leiden Personen mit einer schizoiden Persönlichkeitsstörung in vielen Fällen darunter, dass sie nur oberflächlich mit anderen Menschen in Kontakt stehen. Darüber hinaus wird ihr Verhalten von anderen Menschen oft missverstanden. Ein Ansatz zur Selbsthilfe kann deshalb darin bestehen, das eigene Verhalten dem Partner, der Familie oder anderen nahestehenden Personen begreifbar zu machen. Eine Möglichkeit besteht darin, die eigenen Gefühle zu verbalisieren, wenn sie anders nicht ausgedrückt werden können. Da die schizoide Persönlichkeitsstörung im Alltag zu sehr unterschiedlichen Schwierigkeiten führen kann, sind individuelle Lösungen erforderlich. Um solche zu identifizieren, kann es sinnvoll sein, Vertraute um Rückmeldungen zu bitten. Was würde ihnen helfen, um mit einer (fehlenden) Reaktion besser umgehen zu können? Wichtig ist, zu begreifen, dass sich die schizoide Persönlichkeitsstörung dadurch nicht „ausschalten“ lässt. Möglicherweise kann sie jedoch für den Partner und andere direkte Angehörige verständlicher werden.

Wie Menschen ihren Alltag mit einer schizoiden Persönlichkeitsstörung am besten gestalten, kann auch im Rahmen der Therapie thematisiert werden. Insbesondere in der Verhaltenstherapie geben Therapeuten ihren Patienten oft Hausaufgaben, um die Erkenntnisse aus den Therapiesitzungen im Alltag zu verankern.

Quellen

  • Lieb, K., Frauenknecht, S., Brunnhuber, S.: Intensivkurs Psychiatrie und Psychotherapie. Urban & Fischer, München 2015
  • Morschitzky, H.: Angststörungen – Diagnostik, Konzepte, Therapie, Selbsthilfe. Springer, Wien 2009
  • Möller, H.-J., Laux, G., Deister, A.: Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie. Thieme, Stuttgart 2015

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