Gleichgewichtsorgan

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 4. März 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Das Gleichgewichtsorgan, auch Vestibularapparat, befindet sich paarig im rechten und linken Innenohr. Die drei jeweils senkrecht aufeinander stehenden Bogengänge melden Drehbeschleunigungen, und die Otolithenorgane (Sacculus und Utriculus) reagieren auf translatorische Beschleunigungen. Aufgrund der physikalischen Wirkungsweise kann es zu kurz anhaltenden Desorientierungen nach einer Beschleunigungs- oder Bremsphase kommen.

Inhaltsverzeichnis

Was ist das Gleichgewichtsorgan?

Die Vestibularorgane haben die Aufgabe, Dreh- und Linearbeschleunigungen an bestimmte Gehirnareale weiterzuleiten. Von je einem Bogengang werden Drehbeschleunigungen oder Abbremsungen in der Kipp-, Roll- oder Hochachse gemeldet.
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Das Gleichgewichtsorgan in seiner Gesamtheit oder besser, der Vestibularapparat, besteht aus mehreren Gleichgewichtsorganen im Innenohr. Für die Meldung von Drehbeschleunigungen stehen für die Nick-, Roll- und Hochachse je ein Bogengang zur Verfügung. Die drei Bogengänge stehen jeweils senkrecht aufeinander.

Zur Erfassung und Meldung linearer (translatorischer) Beschleunigungen dienen die beiden Otolithen- oder Maculaorgane Sacculus und Utriculus. Obwohl es sich nur um zwei Organe handelt, können lineare Beschleunigungen in den drei möglichen Richtungen oben/unten, rechts/links und vorwärts/rückwärts erkannt werden. Die Sensorik aller Gleichgewichtsorgane beruht auf der Massenträgheit der Endolymphe in den Bogengängen und winziger Kalziumkarbonat-Kristalle (Otolithen) in den Maculaorganen.

Die Funktion der Gleichgewichtsorgane ist sehr wichtig für den Gleichgewichtssinn, aber nicht exklusiv für das Gleichgewicht zuständig. Ergänzend – und teilweise korrigierend – wirkt der Sehsinn. Weitere Ergänzungen erfährt der Gleichgewichtssinn durch Tausende von Propriozeptoren, die Informationen über Muskelspannungen und über den Beugewinkel der einzelnen Gelenke beisteuern.

Anatomie & Aufbau

Die drei mit Endolymphe gefüllten Bogengänge bestehen aus kleinen halbkreisförmigen Röhrchen, die an der Basis miteinander in Verbindung stehen. Jeder Bogengang verdickt sich im unteren Bereich zur Ampulle, in die feine Sinneshärchen (Mechanorezeptoren) hineinreichen. Im Falle einer Drehbeschleunigung in der Ebene des entsprechenden Bogenganges verharrt die Endolymphe aufgrund der Massenträgheit kurzzeitig in der Ausgangslage, so dass sie sich entgegen der Drehbeschleunigung bewegt.

Hierdurch werden die Sinneshärchen in der Ampulle ausgelenkt und erzeugen einen elektrischen Reiz, der über den Nervus vestibulocochlearis an bestimmte Gehirnareale und an das Sehzentrum gemeldet wird. Eine gallertartige Membrane in den beiden Maculaorganen enthalten winzige Kalziumcarbonat-Kristallkörnchen (Otolithen oder Statolithen).

Im Falle einer Linearbeschleunigung wird die Statolithenmembran durch die Massenträgheit der winzigen Kristalle kurzzeitig in die der Beschleunigung entgegengesetzten Richtung ausgelenkt. Die in die Maculamembrane hineinragenden Sinneshärchen biegen sich ab und erzeugen einen elektrischen Reiz, der ebenfalls vom Nervus vestibulocochlearis weitergeleitet wird.

Funktion & Aufgaben

Die Vestibularorgane haben die Aufgabe, Dreh- und Linearbeschleunigungen an bestimmte Gehirnareale weiterzuleiten. Von je einem Bogengang werden Drehbeschleunigungen oder Abbremsungen in der Kipp-, Roll- oder Hochachse gemeldet.

Der Utriculus nimmt Linearbeschleunigungen in den beiden horizontalen Richtungen „vorne/hinten“ und „rechts/links“ wahr und der Utriculus reagiert auf Vertikalbeschleunigungen. Bei aufrechter Position sind die Sinneshärchen des Sacculus aufgrund der Schwerkraft, die eine senkrechte Linearbeschleunigung in Richtung Erdmittelpunkt darstellt, ständig ein wenig ausgelenkt. Hierdurch entsteht ein Gefühl für die Lage des Körpers im Raum, was bei der Orientierung im Dunkeln äußerst hilfreich ist und Gehen oder Stehen ohne Sicht erst ermöglicht.

Gleichförmige Bewegungen sind zwar die Folge vorheriger Beschleunigungen, werden aber von den Mechanorezeptoren nicht wahrgenommen, weil sie nicht abgebogen werden. Abbremsungen einer Linear- oder Drehbewegung werden als Beschleunigung in die jeweilige Gegenrichtung empfunden. Außer der Unterstützung für die Orientierung im Raum haben die gemeldeten Beschleunigungen direkte Auswirkungen auf unwillkürliche Augenbewegungen.

Jede empfundene Dreh- oder Linearbeschleunigung bewirkt eine unwillkürliche reflexartige Augenbewegung in die Gegenrichtung, um das natürliche Umfeld im Blickfeld halten zu können. Die Augen werden sozusagen beim Gehen, Laufen und Springen stabilisiert, so dass wir das Umfeld trotz Beschleunigungen ohne „Verwacklungen“ weiterhin scharf sehen können (vergleichbar mit einer kreiselstabilisierten Kamera).

Krankheiten & Beschwerden

Wenn empfundene Beschleunigungen nicht mit dem Sehen übereinstimmen, bewirken die unterschiedlichen Empfindungen einen Sensorkonflikt (Gleichgewichtsstörung). In diesen Fällen wirkt das Sehen immer als „Master“, das vestibuläre Beschleunigungsempfinden wird manipuliert und an das Sehen angepasst.

Das kann in den Fällen, in denen es kurzzeitig (1 bis 3 Sekunden) zu vestibulären Falschmeldungen kommt, sehr hilfreich sein. Falls die Diskrepanzen länger anhalten, kann es zu Unwohlsein, Schwindelgefühlen oder Übelkeit bis zum Erbrechen kommen. Ähnliche Symptome können auch durch Störungen und Krankheiten im Innenohr an den Vestibularorganen verursacht werden. Vorübergehende Störungen können durch entzündliche Prozesse im Innenohr oder durch Verletzungen wie Schädelbasisbruch verursacht werden. Nach Ausheilung verschwinden die Symptome von selbst.

Unangenehme Schwindelgefühle können vielfältige Ursachen haben und als Begleiterscheinung bei Durchblutungsstörungen auftreten oder durch nervliche Schäden oder besondere psychische Ausnahmezustände verursacht werden. Bei länger anhaltenden und wiederkehrenden Anfällen von Drehschwindel (Vertigo) kann ein Morbus Menière die Ursache sein. Es handelt sich um eine Stoffwechselstörung des Innenohrs, deren Ursache nicht hinreichend geklärt ist. Da eine direkte ursächliche Behandlung nicht möglich ist, zielen medikamentöse Therapien und Behandlungen auf die Abmilderung der Symptome.

Quellen

  • Lippert, H. et al: Anatomie. Text und Atlas. Urban & Fischer/ Elsevier, München 2017
  • Piper, W.: Innere Medizin. Springer, Berlin 2013
  • Reia, M.: Facharztwissen HNO-Heilkunde. Springer, Heidelberg 2009

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