Wernicke-Zentrum

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 9. März 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Das Wernicke-Zentrum ist das sensorische Sprachzentrum des Menschen und stellt das Sprachverständnis sicher. Da das Denken unlöslich mit der Sprache verknüpft ist, spielt das Wernicke-Zentrum nicht nur für Sprachproduktion und -verarbeitung, sondern für jeden menschlichen Denkprozess eine Rolle. Schädigungen des Areals haben oft eine Persönlichkeitsveränderung zur Folge.

Inhaltsverzeichnis

Was ist Wernicke-Zentrum?

Das sensorische Sprachzentrum ist je auf der dominanten Hemisphäre angesiedelt und liegt für Rechtshänder demzufolge linkshemisphärisch, während es für Linkshänder rechtshemisphärisch liegen kann.
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Als Sprachzentrum bezeichnen Mediziner und Biologen die Areale des Gehirns, denen eine wesentliche Funktion bei der Sprachverarbeitung und der Sprachproduktion zukommt. Prinzipiell stellt das Gehirn ein Netzwerk dar, dessen einzelne Areale untereinander verbunden sind.

Die Sprachverarbeitung und Sprachproduktion lässt sich deshalb nicht auf Einzelbereiche begrenzen. Was als Sprachzentrum bekannt ist, ist also nicht die einzig wesentliche Gehirnstruktur für die Sprache. Allerdings zeichnet sich das Sprachzentrum durch eine wesentlich höhere Beteiligung an der Sprachproduktion und -verarbeitung aus als andere Gehirnanteile. Gemeinsam mit dem Broca-Areal wird beim heutigen Stand der Medizin vor allem das Wernicke-Areal als Sprachzentrum bezeichnet.

Erstmals beschrieben wurde dieser Gehirnbereich im 19. Jahrhundert vom deutschen Neurologen Carl Wernicke. Beim Wernicke-Zentrum handelt es sich um das sensorische Sprachzentrum, das vor allem für semantische Zusammenhänge eine Rolle spielt. Der Gehirnbereich entspricht einem kortikalen Großhirnareal und liegt innerhalb des Parietal- und Temporallappens.

Anatomie & Aufbau

Das Wernicke-Areal liegt am Dorsalteil des Gyrus temporalis superior und erstreckt sich von dort aus bis über die Gyri angularis et supramarginalis im Parietallappen, die den Brodmann Arealen 22, 39 und 40 entsprechen.

Das sensorische Sprachzentrum ist je auf der dominanten Hemisphäre angesiedelt und liegt für Rechtshänder demzufolge linkshemisphärisch, während es für Linkshänder rechtshemisphärisch liegen kann. Seine Projektionen erhält das Wernicke-Zentrum aus unterschiedlichen Gehirnanteilen. Afferente Eingänge erreichen das Areal im Wesentlichen aus der Hörrinde. Aus diesem Grund gilt das Wernicke-Zentrum als Anteil des sekundär auditorischen Cortex. Neben den Afferenzen aus der primären Hörrinde (Gyri temporalis transversi oder Heschl- Querwindung) besitzt das Gehirnareal eine enge Beziehung zur sekundären Sehrinde.

Die Projektionen laufen über den Gyrus angularis. Darüber hinaus ist das Wernicke-Zentrum reziprok mit motorischen Spracharealen wie dem Broca-Areal verbunden. Diese Verbindung entspricht vorwiegend dem Fasciculus arcuatus. Das Wernicke-Zentrum nimmt Projektionen in zahlreiche Assoziationsfelder vor, in denen das Gehörte integrative Verarbeitung erfährt. Insbesondere die Verbindungen zwischen Wernicke-Sprachzentrums und motorischem Sprachzentrum sind in diesem Zusammenhang nennenswert. Die Fibrae arcuatae cerebri spielen dabei eine Hauptrolle. Da die Sprachbildung mit dem Sprachverständnis untrennbar vernetzt ist, kann das Broca-Zentrum ohne die Zuläufe des Wernicke-Areals seine Aufgabe nicht erfüllen.

Funktion & Aufgaben

Gemeinsam mit dem Broca-Areal ist das Wernicke-Zentrum wesentlich am Sprachverständnis und an der Sprachproduktion beteiligt. Während im Broca-Zentrum vor allem Sprachproduktion inklusive aller dazu erforderlichen Bewegungen stattfindet, ist das Wernicke-Zentrum vor allem mit der semantischen Sprachverarbeitung und damit dem Sprachverständnis betraut.

Die Eingänge aus der Hörrinde liefern dem Wernicke-Zentrum auditive Sinnesreize, die innerhalb des Areals verarbeitet und damit verstanden werden. Auf das semantische Verständnis des Wernicke-Zentrums greift das Broca-Zentrum wiederum bei der Sprachproduktion zurück. Über die Efferenzen zwischen Wernicke- und Broca-Zentrum können Sprachbewegungen sinnvoll durchgeführt werden und sind auf diese Weise erst verständlich. Neben der semantischen Verarbeitung übernimmt das Wernicke-Zentrum also auch die Integration von Sprach- sowie Textinhalten, die dem Sprachverständnis entspricht.

Da das Wernicke-Zentrum ununterbrochen mit dem Broca-Zentrum und damit den sprachmotorischen Cortex-Arealen interagiert, kommt dem Gehirnanteil bei der Sprachproduktion eine Verantwortlichkeit für die semantische Ebene der Sprache zu, wie sie für willkürlich sprachliche Mitteilungen und Sprachreaktionen auf äußere Sinnesreize relevant ist. Beide Sprachzentren sind für die menschliche Kommunikation unersetzlich. Während der Evolution hat sich der Mensch von der non-verbalen Kommunikation entfernt und immer mehr auf den verbalen Kommunikationsakt konzentriert.

Das Wernicke- und Broca-Zentrum spielen für diese evolutionsbiologische Besonderheit eine wichtige Rolle. Mittlerweile ist außerdem bekannt, dass große Teile des menschlichen Denkens an Sprache gebunden sind. Solange jemand beispielsweise kein Wort für ein bestimmtes Objekt kennt, erinnert er sich schwerer daran.


Krankheiten

Wie alle anderen Gehirnanteile kann das Wernicke-Zentrum durch Gewalteinwirkung, Entzündungen, Tumore, degenerative Erkrankungen, Sauerstoffminderversorgungen und Blutungen Schädigungen erfahren. Der komplette oder anteilige Ausfall der Wernicke-Region führt zu einer sensorischen Aphasie.

Diese Art der Sprachstörung manifestiert sich durch Symptome wie Störungen des Sprachverständnisses. Das Ausmaß dieser Störungen hängt von der Schwere der Schädigungen ab. Anders als Patienten mit motorischer Aphasie können solche mit sensorischer Aphasie vorgesprochene Laute zwar in begrenztem Umfang nachahmen, verstehen das Gesagte allerdings nicht. Da das Sprachverständnis auch für die Sprachproduktion eine Rolle spielt, liegen neben Verständnisstörungen Sprachproduktionsstörungen vor. In vielen Fällen produzieren Patienten mit Schädigungen des Wernicke-Areals ausschließlich willkürliche Laureihen, die bei Außenstehenden sowie ihnen selbst wenig Verständnis hervorrufen.

Da das Wernicke-Zentrum mit der Hörrinde verbunden ist, kann eine Schädigung des Wernicke-Areals außerdem zur Zuordnungsunfähigkeit von auditiven Eindrücken führen. Wenn sie zum Beispiel neben einem startenden Auto stehen, hören sie zwar den Motor, verbinden das Geräusch aber nicht mit seiner tatsächlichen Quelle. Patienten mit Schädigungen des Broca-Zentrums können zwar verbal nur noch eingeschränkt kommunizieren, die schriftliche Kommunikation ist allerdings noch möglich. Bei Schädigungen des Wernicke-Zentrums sind beide Kommunikationsarten unmöglich.

Da das gesamte Denken des Menschen an Sprache geknüpft ist, zeigen sich für Patienten mit beeinträchtigtem Sprachverständnis generelle Denkschwächen, die oftmals eine schwerwiegende Veränderung der Persönlichkeit nach sich ziehen.

Quellen

  • Frotscher, M., et al.: Taschenatlas Anatomie, Band 3: Nervensystem und Sinnesorgane. Thieme, Stuttgart 2018
  • Hacke, W.: Neurologie. Springer, Heidelberg 2010
  • Herold, G.: Innere Medizin. Selbstverlag, Köln 2016

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