Willebrand-Jürgens-Syndrom

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 18. März 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Das Willebrand-Jürgens-Syndrom ist eine angeborene Erkrankung mit erhöhter Blutungsneigung. Sie wird auch oft von-Willebrand-Syndrom oder kurz vWSgenannt und kann in verschiedene Typen unterteilt werden. Alle gehören zur Gruppe der hämorrhagischen Diathesen.

Inhaltsverzeichnis

Was ist das Willebrand-Jürgens-Syndrom?

Das Willebrand-Jürgens-Syndrom ist genetisch bedingt. Es finden sich verschiedene Mutationen auf dem Chromosom 12 am Genlokus 12p13.3.
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Die Gruppe von Erkrankungen wurde nach dem finnischen Arzt Erik Adolf von Willebrand und dem deutschen Arzt Rudolf Jürgens benannt. Gemeinsames Merkmal aller Formen des Willebrand-Jürgens-Syndroms ist eine quantitative oder qualitative Abweichung des sogenannten von-Willebrand-Faktors. Der von-Willebrand-Faktor wird häufig als Gerinnungsfaktor bezeichnet, weil er bei der Blutgerinnung eine wichtige Rolle spielt.

Da er aber nicht direkt an der Gerinnungskaskade beteiligt ist, ist diese Betitelung fachlich nicht ganz korrekt. Er gehört vielmehr zu den Akute-Phase-Proteinen. Durch die Abweichungen beim von-Willebrand-Faktor kommt es zu Störungen bei der Blutgerinnung und einer krankhaft gesteigerten Blutungsneigung. Man spricht auch von einer hämorrhagischen Diathese.

Ursachen

Das Willebrand-Jürgens-Syndrom ist genetisch bedingt. Es finden sich verschiedene Mutationen auf dem Chromosom 12 am Genlokus 12p13.3. Es gibt zwar auch erworbene Formen, diese sind aber äußerst selten. Sie treten meist als begleitende Erkrankung bei Herzklappendefekten, im Rahmen von autoimmunbedingten Erkrankungen oder bei lymphatischen Erkrankungen auf. Auch als Nebenwirkung von Medikamenten kann das Willebrand-Jürgens-Syndrom entstehen.

Männer und Frauen sind gleich häufig von der Erkrankung betroffen. Die Ausprägungen sind aber von Krankheitsfall zu Krankheitsfall verschieden. Beim Typ 1 des Syndroms liegt ein quantitativer Mangel vor, das bedeutet, es wird zu wenig von-Willebrand-Faktor gebildet. Etwa 60 bis 80 Prozent aller Erkrankungsfälle gehören dem Typ 1 an.

Etwa 20 Prozent aller Erkrankten leiden unter dem Typ 2. Hier ist der Willebrand-Faktor zwar in ausreichender Menge vorhanden, weist aber Defekte auf. Beim Typ 2 können wiederum fünf Unterformen unterschieden werden. Alle Unterformen mit Ausnahme des Typs 2C werden autosomal-dominant vererbt. Die seltenste aber schwerwiegendste Form des Willebrand-Jürgens-Syndroms ist der Typ 3. Hier ist im Blut überhaupt kein Willebrand-Faktor enthalten. Diese Form wird autosomal-rezessiv vererbt.

Symptome, Beschwerden & Anzeichen

Viele Patienten, insbesondere Patienten des Typs 1, zeigen kaum bis gar keine Symptome und können ein normales Leben führen. Einige der Betroffenen haben eine Neigung zu lang anhaltenden Blutungen bei Verletzungen oder zu Nachblutungen nach Operationen. Zudem kann es zu großflächigen Hämatomen schon bei kleinen Traumata kommen. Bei weiblichen Patientinnen kann die Monatsblutung verlängert sein. Man spricht hier von einer Menorrhagie. Ist die Menstruation zudem von einem erhöhten Blutverlust gekennzeichnet, so handelt es sich um eine Hypermenorrhoe.

Erste Anzeichen für das Willebrand-Jürgens-Syndrom sind häufiges Nasen- oder Zahnfleischbluten. Bei Kindern kommt es während des Zahnwechsels zu Blutungen, die nur schwer zu stillen sind. Bei schweren Verlaufsformen, vor allem beim Typ 3, können Einblutungen in Muskeln und Gelenke auftreten. Auch Blutungen im Magen-Darm-Bereich sind möglich. Diese treten bei Typ 3-Patienten oft schon im frühen Kindesalter auf.

Diagnose & Krankheitsverlauf

Bei Verdacht auf das Syndrom werden die Standarduntersuchungen der Blutgerinnung durchgeführt. Das Blutbild und der Quick-Wert (INR) sind in der Regel normal. Die Partielle Thromboplastinzeit (PTT) kann in schweren Fällen verändert sein. Die PTT liefert Hinweise auf die Funktionalität des intrinsischen Blutgerinnungssystems. Die Blutungszeit wird ebenfalls bestimmt, sie ist aber in vielen Fällen, insbesondere beim Typ 1, ohne Befund. Beim Typ 2 ist sie gelegentlich, beim Typ 3 eigentlich immer verlängert.

Bei allen Typen ist das Faktor-VII-assoziierte Antigen, hierbei handelt es sich um den von-Willebrand-Faktor, immer verringert. Auch die vWF-Aktivität ist verringert. Beim Typ 3 und einem Untertypen des Typs 2 findet sich zudem ein verringerter Gerinnungsfaktor VIII-Wert. Beim Typ 1 und den den anderen Unterformen des Typs 2 ist dieser Gerinnungsfaktor allerdings normal.

Damit die verschiedenen Typen und Unterformen voneinander unterschieden werden können, werden sowohl quantitative als auch quantitative Untersuchungen des Willebrand-Faktors durchgeführt. Dafür kommen Verfahren wie ELISA, die Elektrophorese oder Multimeranalysen zum Einsatz. Wichtig ist eine differentialdiagnostische Abgrenzung zu hämorrhagischen Diathesen anderer Genese.

Komplikationen

In vielen Fällen leiden die Betroffenen beim Willebrand-Jürgens-Syndrom an keinen besonderen Beschwerden und damit auch an keinen weiteren Komplikationen. Allerdings kann das Syndrom bei einigen Menschen auch zu starken Blutungen und im Allgemeinen zu einer deutlich erhöhten Blutungsneigung führen. Dadurch können schon sehr leichte und einfache Verletzungen zu starken Blutungen und damit eventuell zu einem Blutverlust führen.

Auch ein ständiges Nasenbluten kann dabei auftreten. Vor allem bei Verletzungen oder nach operativen Eingriffen sind die Betroffenen daher auf die Einnahme von Medikamenten angewiesen, um diese Blutungen zu lindern. Bei Frauen kann das Willebrand-Jürgens-Syndrom damit auch zu einer starken und vor allem langen Regelblutung führen. Dadurch leiden viele Frauen auch an Stimmungsschwankungen und häufig auch an starken Schmerzen.

Bei vielen Betroffenen kommt es aufgrund des Syndroms auch zu einem Zahnfleischbluten und auch zu Blutungen im Bereich des Magens und des Darms. Die Behandlung des Willebrand-Jürgens-Syndroms kann mit Hilfe von Medikamenten stattfinden. Dabei kommt es nicht zu besonderen Komplikationen. Die Patienten sind in ihrem Leben immer auf die Einnahme von Medikamenten angewiesen, falls es zu Blutungen kommt. Bei einer frühzeitigen Diagnose und Behandlung der Erkrankung wird die Lebenserwartung des Betroffenen nicht verringert.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

Zeigen sich bereits bei kleineren Schnittwunden oder Verletzungen am Körper ungewöhnlich starke Blutungen, sollte ein Arzt aufgesucht werden. Leidet der Betroffene vermehrt unter der Entstehung von blauen Flecken oder Hautverfärbungen, ist ebenfalls die Abklärung der Ursache notwendig. Unbehandelt kann der Verlust von hohen Mengen Blut zu einem lebensbedrohlichen Zustand führen. Daher sollte bereits bei den ersten Auffälligkeiten ein Arztbesuch stattfinden. Ist bei geschlechtsreifen Mädchen oder Frauen die Menstruation mit einem immensen Blutverlust verbunden, sollte die Rücksprache mit einem Arzt stattfinden. Kommt es häufig zu Nasenbluten oder Blutungen des Zahnfleisches, ist anzuraten, die Beobachtungen mit einem Arzt zu besprechen.

Es kann sich um ein Warnsignal des Organismus handeln. Treten bei einem Blutverlust Beschwerden wie Schwindel, Taubheitsgefühle oder eine Abnahme der inneren Kräfte auf, liegt eine besorgniserregende Situation vor. In akuten Fällen muss schnellstmöglich ein Arzt aufgesucht werden. Bei Störungen des Bewusstseins oder einem Bewusstseinsverlust ist ein Rettungsdienst zu alarmieren. Darüber hinaus müssen von anwesenden Personen Erste-Hilfe Maßnahmen durchgeführt werden. Treten neben den körperlichen Unregelmäßigkeiten auch emotionale Störungen auf, besteht ebenfalls Handlungsbedarf. Bei Stimmungsschwankungen, Schmerzen, einem allgemeinen Unwohlsein oder einer inneren Schwäche, sind die Beschwerden von einem Arzt näher untersuchen zu lassen.

Behandlung & Therapie

Vor allem bei leichten Verlaufsformen ist eine Dauertherapie meistens nicht notwendig. Die Patienten sollten acetylsalicylhaltige Medikamente, wie beispielsweise Aspirin, meiden, da sie die Thrombozytenfunktion hemmen und die hämorrhagische Diathese verstärken können. Vor operativen Eingriffen oder bei vermehrtem Nasenbluten wird Desmopressin empfohlen. Desmopressin regt die Ausschüttung des von-Willebrand-Faktors an. Zeigt sich durch das Desmopressin keine Wirkung, kann die Gabe von den aktivierten Gerinnungsfaktoren VII oder VII indiziert sein.

Im Falle einer Blutung muss eine sorgfältige Blutstillung erfolgen. Hierfür eignet sich zum Beispiel ein Druckverband. Bei schweren Verläufen, vor allem beim Typ 3, wird bei Verletzungen und Traumata ein Blutgerinnungsfaktorenpräparat verabreicht. Eventuell wird der Willebrand-Faktor auch im Abstand von zwei bis fünf Tagen substituiert. Kinder und Jugendliche mit gesichertem Willebrand-Jürgens-Syndrom sollten immer einen Notfallausweis bei sich tragen. Auf diesem sollten die genaue Diagnose inklusive Typenangabe, die Blutgruppe und Kontaktdaten für den Notfall vermerkt sein.

Patienten mit einem schweren Syndrom sollten Risikosportarten und Ballsportarten mit einem hohen Verletzungsrisiko meiden. Liegt dem Willebrand-Jürgens-Syndrom eine andere Erkrankung zugrunde, so wird bei einer Heilung der ursächlichen Erkrankung auch das Syndrom geheilt.


Vorbeugung

In den meisten Fällen wird das Willebrand-Jürgens-Syndrom vererbt. Somit lässt sich der Erkrankung nicht vorbeugen. Um möglicherweise lebensgefährliche Blutungen zu verhindern, sollte bei ersten Hinweisen auf eine hämorrhagische Diathese aber immer ein Arzt zur medizinischen Abklärung aufgesucht werden.

Nachsorge

Dem Betroffenen stehen beim Willebrand-Jürgens-Syndrom in der Regel nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten der direkten Nachsorge zur Verfügung. Da es sich um eine angeborene Krankheit handelt, die in der Regel auch nicht vollständig wieder geheilt werden kann, sollten Betroffene idealerweise schon bei den ersten Anzeichen und Symptomen der Erkrankung einen Arzt aufsuchen und auch eine Behandlung einleiten, um das Auftreten von anderen Beschwerden zu verhindern.

Auch bei einem Kinderwunsch ist eine genetische Untersuchung und Beratung sehr sinnvoll, um eine mögliche Weitergabe des Syndroms an die Nachfahren zu verhindern. Die meisten Betroffenen sind bei dieser Krankheit auf verschiedene operative Eingriffe angewiesen, mit welchen die Beschwerden und die Fehlbildungen meistens gut gelindert werden können. Dabei sollte sich der Betroffene nach dem Eingriff auf jeden Fall ausruhen und schonen.

Von körperlichen Anstrengungen oder stressigen Betätigungen ist abzusehen, um den Körper nicht unnötig zu belasten. Die meisten Betroffenen sind bei dieser Krankheit auf die Einnahme von verschiedenen Medikamenten angewiesen, die die Beschwerden lindern und einschränken können. Dabei sollte der Betroffene immer auf eine regelmäßige Einnahme und ebenso auf die vorgegebene Dosierung der Medikamente achten, um die Beschwerden zu lindern und einzuschränken.

Das können Sie selbst tun

Im alltäglichen Geschehen sollte darauf geachtet werden, das Unfallrisiko des Betroffenen möglichst gering zu halten. Da die Blutgerinnung gestört ist, besteht bei offenen Wunden eine besondere Sorgfalt. Gefahrensituation, sportliche Aktivitäten sowie körperliche Tätigkeiten sind in der Form auszuführen, dass nach Möglichkeit keine Verletzungen entstehen.

Anzuraten ist ebenfalls, einen Hinweis mit der Blutgruppe sowie der diagnostizierten Erkrankung bei sich zu führen. Ein so genannter Notfallausweis sollte stets gut erreichbar am Körper oder in der Handtasche deponiert werden. Dies kann in Notfallsituationen lebensrettend sein, da Menschen oder Notärzte bei einem Unfall sofort über die Problematik informiert werden können und entsprechende Maßnahmen eingeleitet werden können. Des Weiteren sollte stets ausreichend Wundverband mitgeführt werden, damit bei möglichen Verletzungen unverzüglich reagiert werden kann.

Da die Erkrankung mit Stimmungsschwankungen oder anderen Auffälligkeiten des Verhaltens verbunden sein kann, sollte eine psychotherapeutische Begleitung in Anspruch genommen werden. Diese kann bei der Bewältigung von Stresssituationen oder in Phasen emotionaler Belastung als hilfreich empfunden werden. Es wird erlernt, wie der Betroffene in Situationen der seelischen Überforderung angemessen reagieren kann. Darüber hinaus erfährt er, wie er gleichzeitig sein Umfeld nach seinen Empfindungen gesichtswahrend über die möglichen Entwicklungen aufklären kann. Es hat sich gezeigt, dass Erkrankte in diesem Bereich häufig starke Bedenken haben.

Quellen

  • Arasteh, K., et. al.: Innere Medizin. Thieme, Stuttgart 2013
  • Hahn, J.-M.: Checkliste Innere Medizin. Thieme, Stuttgart 2013
  • Piper, W.: Innere Medizin. Springer, Berlin 2013

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