Bisexualität
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 15. April 2024Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
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Bisexualität ist eine sexuelle Orientierung, bei der sich ein Mensch zum eigenen und gleichzeitig zum fremden Geschlecht sexuell hingezogen fühlen kann.
Bisexualität ist auch ein Aspekt der menschlichen Sexualität, der oft missverstanden, manchmal ignoriert und doch ein fundamentaler Teil des breiten Spektrums unserer sexuellen Identitäten ist. Obwohl der Begriff "bisexuell" sich auf die romantische oder sexuelle Anziehung zu mehr als einem Geschlecht bezieht, umfasst die tatsächliche Erfahrung einer bisexuellen Person eine Vielfalt, die weit über einfache Definitionen hinausgeht.
In diesem Artikel werden wir Bisexualität in einem breiten Kontext betrachten: von historischen Perspektiven und wissenschaftlichen Erkenntnissen bis hin zu persönlichen Erfahrungen und gesellschaftlichen Herausforderungen. Ziel ist es, ein umfassendes Verständnis der Bisexualität zu entwickeln, das nicht nur Aufklärung bietet, sondern auch die vielfältigen Stimmen und Erfahrungen bisexueller Menschen würdigt.
In einer Zeit, in der die Rechte und die Sichtbarkeit von LGBTQ+-Personen weltweit zunehmend diskutiert werden, ist es wichtiger denn je, auch die spezifischen Belange und die einzigartige Situation bisexueller Personen in den Fokus zu rücken. Durch eine eingehende Betrachtung wollen wir das Bewusstsein schärfen und Vorurteile abbauen, um zu einer inklusiveren und gerechteren Gesellschaft beizutragen.
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Was ist Bisexualität?
Die Bisexualität ist eine sexuelle Orientierung, die in ihrer einfachsten Form von zwei Geschlechtern ausgeht, nämlich von den biologischen Geschlechtern. Ein bisexueller Mensch fühlt sich zum jeweils anderen, aber auch zum eigenen Geschlecht sexuell hingezogen.
Die Bisexualität kann angesichts der Gender-Diversifikation noch weitergehen und sich auch auf andere Geschlechteridentitäten ausdehnen. Dann ist aber meistens nicht mehr von Bisexualität die Rede, sondern der Mensch definiert seine sexuelle Orientierung weit komplexer. Im Wort "Bisexualität" steckt die Silbe "bi", also die Zahl zwei – die sich auf die Idee von zwei Geschlechtern bezieht.
Doch auch Bisexuelle, die sich für das fremde und das eigene Geschlecht interessieren, definieren dieses Interesse unterschiedlich. So können sich manche durchaus vorstellen, mit einem Menschen des gleichen Geschlechts eine genauso gleichwertige Liebesbeziehung aufzubauen wie mit einem Vertreter des anderen Geschlechts. Andere Bisexuelle dagegen würden eine ernste Beziehung nur mit jemandem des anderen Geschlechts eingehen, sexuelle Kontakte mit dem eigenen Geschlecht sind für sie aber vorstellbar.
Einige bisexuelle Menschen äußern, dass in ihren Gedanken das Geschlecht schlichtweg keine Rolle spielt. Sie verlieben sich in einen Menschen unabhängig davon welcher „Kategorie“ in der zugeschrieben wird.
Historischer Hintergrund
Die Geschichte der Bisexualität ist so alt wie die Menschheit selbst, doch ihre Wahrnehmung und Anerkennung haben sich im Laufe der Jahrhunderte deutlich gewandelt. Bisexualität wurde in vielen Kulturen der Antike offen praktiziert und sogar gefeiert, wie beispielsweise in der griechischen und römischen Kultur, wo sexuelle Beziehungen zwischen Personen desselben Geschlechts sowie zwischen Personen unterschiedlicher Geschlechter gleichermaßen Teil des gesellschaftlichen Lebens waren. Diese historischen Zeugnisse bieten einen faszinierenden Einblick in eine Zeit, in der Bisexualität als eine natürliche Facette menschlicher Sexualität angesehen wurde.
Im Mittelalter jedoch wandelte sich die gesellschaftliche Einstellung in Europa stark durch den Einfluss der christlichen Kirche, die sexuelle Beziehungen streng innerhalb der Ehe zwischen Mann und Frau definierte und andere Formen der Sexualität verurteilte. Diese Auffassung hielt sich über viele Jahrhunderte und führte dazu, dass bisexuelle Menschen ihre Sexualität verbergen mussten, um gesellschaftliche Ablehnung oder sogar Strafverfolgung zu vermeiden.
Die moderne Ära der Bisexualität begann sich erst im 20. Jahrhundert zu formen, als die sexuelle Revolution und die Bürgerrechtsbewegungen die öffentliche Diskussion über Sexualität und Geschlechterrollen neu entfachten. In den 1970er Jahren wurde der Begriff "bisexuell" im Zuge der aufkommenden LGBT-Bewegung als Identität anerkannt und definiert. Aktivisten wie Brenda Howard, die als "Mutter des Pride" bekannt ist, spielten eine entscheidende Rolle bei der Organisation der ersten Pride-Events und trugen dazu bei, die Sichtbarkeit und Akzeptanz von Bisexualität zu erhöhen.
In jüngerer Zeit haben bedeutende bisexuelle Persönlichkeiten in der Geschichte, wie Virginia Woolf und Frida Kahlo, die Diskussionen über Bisexualität und ihre kulturelle Relevanz bereichert. Ihre Lebensgeschichten und Werke bieten tiefe Einblicke in die innere Welt bisexueller Menschen und zeigen die Komplexität ihrer emotionalen und sexuellen Beziehungen auf.
Trotz dieser Fortschritte gibt es auch heute noch Herausforderungen in der Wahrnehmung und Akzeptanz von Bisexualität, die oft von Stereotypen und Missverständnissen geprägt ist. Ein historischer Überblick zeigt jedoch deutlich, dass Bisexualität eine beständige und authentische Form menschlicher Sexualität ist, die in vielen Kulturen und Epochen ihren Ausdruck gefunden hat. Durch das Verständnis dieser Geschichte können wir besser erkennen, wie wichtig es ist, für die Rechte und Anerkennung bisexueller Personen in der heutigen Gesellschaft zu kämpfen.
Funktion & Aufgabe
Abweichungen von der gegengeschlächtlichen sexuellen Orientierung kommen nicht nur beim Menschen vor. Auch bei manchen Arten im Tierreich sind sie zu beobachten. Bei der Bisexualität stellt sich allerdings, wie bei jeder anderen Abweichung, nach wie vor die Frage nach einem möglichen biologischen oder evolutionären Nutzen.
Die Forschung dazu ist noch nicht sehr weit fortgeschritten, da Phänomene wie die Bisexualität oder auch die Homosexualität noch nicht lange gesellschaftlich anerkannt sind. Daher wurden sie in früheren Jahrzehnten und Jahrhunderten eher wie eine Krankheit erforscht und es wurde Ursachenforschung betrieben, weniger aber auf ihren möglichen Nutzen für die Gesellschaft geachtet.
Denkbar ist auch, dass hinter Abweichungen von der gegengeschlechtlichen sexuellen Orientierung keine explizite erforderliche Entwicklung der Evolution steckt, sondern dass es sich um eine von vielen denkbaren Abweichungen handelt, die in der Natur nicht selten sind (bedenke etwa unterschiedliche Haarfarben ohne expliziten Nutzen).
Liebe hat im Allgemeinen, also zwischen gleichgeschlechtlichen oder gegengeschlechtlichen Partnern aber ebenso auch im freundschaftlichen Bereich, die Funktion, soziale Kontakte aufzubauen und zu erhalten. Denn kein Mensch kann auf Dauer alleine sein, ohne psychisch oder gar physisch darunter zu leiden. Die Liebe hilft dabei, Kontakte zu knüpfen und sie zu erhalten.
Biologische und psychologische Perspektiven
Die Untersuchung der Bisexualität aus biologischer und psychologischer Sicht bietet faszinierende Einblicke in die Komplexität menschlicher Sexualität. Beide Disziplinen tragen dazu bei, die Grundlagen der Bisexualität zu verstehen und Vorurteile abzubauen, indem sie wissenschaftliche Erkenntnisse über die Natur der sexuellen Orientierung liefern.
Biologische Aspekte
Biologische Forschungen zur Bisexualität befassen sich oft mit Fragen der genetischen, hormonellen und neurologischen Grundlagen sexueller Orientierung. Studien haben gezeigt, dass es keine einzelne "Ursache" für Bisexualität gibt, ähnlich wie bei anderen sexuellen Orientierungen. Vielmehr scheint eine Kombination aus genetischen, umweltbedingten und sozialen Faktoren die sexuelle Orientierung eines Individuums zu beeinflussen. Beispielsweise deuten Zwillingsstudien darauf hin, dass genetische Faktoren eine Rolle spielen könnten, aber sie sind nicht allein ausschlaggebend für die sexuelle Orientierung.
Neuere Forschungen haben auch die Gehirnstruktur und -funktion untersucht, um Unterschiede und Ähnlichkeiten zwischen heterosexuellen, homosexuellen und bisexuellen Personen zu identifizieren. Einige Studien weisen darauf hin, dass bestimmte Regionen des Gehirns bei bisexuellen Personen anders aktiviert werden als bei ausschließlich heterosexuellen oder homosexuellen Personen, insbesondere in Bereichen, die mit sexueller Erregung und Verarbeitung emotionaler Reize verbunden sind.
Psychologische Aspekte
Aus psychologischer Sicht wird Bisexualität oft im Kontext von Identitätsentwicklung und persönlichem Wohlbefinden untersucht. Forschungen haben ergeben, dass bisexuelle Personen spezifische psychosoziale Herausforderungen erfahren können, einschließlich der "Bisexualitäts-Erasure" (das Auslöschen der bisexuellen Identität), bei der die Legitimität dieser Orientierung oft in Frage gestellt wird, sowohl von der heterosexuellen Mehrheitsgesellschaft als auch innerhalb der LGBTQ+-Gemeinschaft selbst.
Darüber hinaus konfrontieren bisexuelle Menschen oft Stereotype und Missverständnisse, wie die fälschliche Annahme, sie seien lediglich "verwirrt" oder "in einer Phase". Diese Stigmatisierung kann zu einem erhöhten Risiko für psychische Probleme wie Angstzustände und Depressionen führen. Deshalb betonen Psychologen und Therapeuten die Bedeutung einer affirmativen, unterstützenden Herangehensweise, die bisexuelle Identitäten validiert und fördert.
Die psychologische Forschung hebt auch die Vielfältigkeit innerhalb der bisexuellen Gemeinschaft hervor und zeigt, dass die individuelle Erfahrung von Bisexualität stark variieren kann, abhängig von anderen Identitätsaspekten wie Geschlecht, Kultur, Alter und sozialem Umfeld.
Insgesamt tragen die biologischen und psychologischen Perspektiven wesentlich dazu bei, Bisexualität als eine valide und vielschichtige sexuelle Orientierung zu verstehen. Sie bieten wichtige wissenschaftliche Grundlagen, die nicht nur helfen, Bisexualität besser zu verstehen, sondern auch die gesellschaftliche Akzeptanz und Unterstützung für bisexuelle Personen zu fördern.
Gesellschaftliche Perspektiven
Die gesellschaftliche Wahrnehmung und Behandlung von Bisexualität ist ein facettenreiches Feld, das kulturelle, soziale und rechtliche Dimensionen umfasst. Bisexuelle Menschen stehen oft vor einzigartigen Herausforderungen und Diskriminierungen, die sowohl aus der heterosexuellen Mehrheitsgesellschaft als auch aus der LGBTQ+-Community selbst stammen können.
Gesellschaftliche Akzeptanz
In vielen Kulturen wird Bisexualität immer noch missverstanden oder gar nicht erst anerkannt. Dies kann teilweise auf das Phänomen der "Bisexual Erasure" (das Auslöschen der bisexuellen Identität) zurückgeführt werden, bei dem die Existenz oder Legitimität von Bisexualität in Frage gestellt wird. In der Popkultur, in der Medienberichterstattung und sogar in der wissenschaftlichen Forschung wird Bisexualität oft übersehen oder falsch dargestellt, was zu einem Mangel an Sichtbarkeit und Verständnis führt.
Diskriminierung und Herausforderungen
Bisexuelle Personen erleben oft Diskriminierung auf mehreren Ebenen. In der heterosexuellen Gemeinschaft können sie aufgrund ihrer LGBTQ+-Zugehörigkeit Ausgrenzung und Vorurteile erfahren, während sie innerhalb der LGBTQ+-Community selbst manchmal als "nicht schwul genug" oder "nicht hetero genug" angesehen werden. Diese doppelte Diskriminierung kann Isolation und ein Gefühl der Nichtzugehörigkeit verstärken. Zusätzlich sind bisexuelle Menschen oft überproportional von psychischen Gesundheitsproblemen, wie Depressionen und Angststörungen, betroffen, was teilweise auf diese sozialen Stressfaktoren zurückzuführen ist.
Rechtliche Situation
Weltweit variiert die rechtliche Lage für bisexuelle Menschen erheblich. Während einige Länder Fortschritte in der Anerkennung und im Schutz von LGBTQ+-Rechten gemacht haben, gibt es immer noch viele Orte, an denen bisexuelle Personen keine rechtliche Anerkennung oder Schutz vor Diskriminierung erfahren. In einigen Fällen kann das Offenlegen der eigenen sexuellen Orientierung sogar gefährlich sein und zu strafrechtlicher Verfolgung führen.
Diese gesellschaftlichen und rechtlichen Hürden zeigen, wie wichtig es ist, aktiv für die Rechte und die Anerkennung bisexueller Menschen einzutreten. Bildungsinitiativen, die auf die Aufklärung und Sensibilisierung der Öffentlichkeit abzielen, sind entscheidend, um Stereotype abzubauen und ein umfassenderes Verständnis von Bisexualität zu fördern. Ebenso sind politische und rechtliche Reformen notwendig, um bisexuellen Menschen den gleichen Schutz und die gleichen Rechte wie anderen Bürgern zu gewährleisten.
Die gesellschaftlichen Perspektiven auf Bisexualität beleuchten die Notwendigkeit, fortlaufende Bemühungen zu unternehmen, um die Sichtbarkeit und Akzeptanz bisexueller Menschen zu verbessern. Durch das Überwinden von Missverständnissen und die Förderung einer inklusiveren Gesellschaft können wir einen Kontext schaffen, in dem alle Menschen, unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung, Würde und Respekt erfahren.
Beschwerden
Die Bisexualität gehört zu denjenigen sexuellen Orientierungen, die keinen Krankheitswert haben. Anders als etwa bei Nekrophilie ist ein bisexueller Mensch meist sehr gut in die Gesellschaft integriert und hat alleine durch die Bisexualität keine sexuellen Probleme.
Tatsächlich problematisch wird Bisexualität, wenn sie nicht offen ausgelebt werden will oder darf. Das kann in streng religiösen Gesellschaften der Fall sein und wird dann zum Problem, wenn sich ein bisexueller Mensch in einen gleichgeschlechtlichen Partner verliebt. Denn dann entsteht ein Leidensdruck, der etwa Depressionen auslösen kann, weil sich der Mensch nicht frei fühlt.
Diesen Druck kann sich ein bisexueller Mensch auch selbst machen, wenn er sich die sexuelle Orientierung selbst nicht eingesteht und nach außen hin ein unerfülltes heterosexuelles Leben lebt. Möglicherweise spürt dieser Mensch, dass er sexuell anders als gedacht orientiert ist. Ahnt er die Bisexualität, können die eigenen Schwierigkeiten, sie zu akzeptieren, zu seelischen Problemen führen - er kann aber auch ahnungslos darüber sein, wieso er sich so anders fühlt.
Fazit
In diesem Artikel haben wir Bisexualität aus historischen, biologischen, psychologischen und gesellschaftlichen Perspektiven betrachtet. Diese vielschichtige Herangehensweise offenbart die Komplexität und die Vielfalt der Erfahrungen bisexueller Menschen und unterstreicht die Notwendigkeit einer differenzierten Betrachtung dieses Themas.
Die historische Analyse zeigte, dass Bisexualität in vielen Kulturen eine anerkannte und sogar gefeierte Form der Sexualität war, deren Wahrnehmung sich jedoch durch gesellschaftliche und religiöse Einflüsse drastisch veränderte. Biologische und psychologische Studien haben zur Entmystifizierung der Bisexualität beigetragen, indem sie wissenschaftliche Erkenntnisse über die Natur der sexuellen Orientierung lieferten und damit ein fundiertes Verständnis förderten. Die gesellschaftliche Perspektive verdeutlichte die anhaltenden Herausforderungen und Diskriminierungen, mit denen bisexuelle Menschen konfrontiert sind, und die Notwendigkeit, ihre Rechte und ihre Sichtbarkeit zu stärken.
Die Erkenntnisse dieses Artikels machen deutlich, dass Bisexualität eine legitime und authentische sexuelle Orientierung ist, die Anerkennung und Respekt verdient. Um in Zukunft eine inklusivere und gerechtere Gesellschaft zu fördern, ist es entscheidend, das Bewusstsein für die spezifischen Erfahrungen und Herausforderungen bisexueller Menschen zu schärfen. Bildung und offene Diskussionen sind wesentliche Werkzeuge, um Vorurteile abzubauen und ein tieferes Verständnis für alle Facetten der menschlichen Sexualität zu entwickeln.
Abschließend fordert dieser Artikel dazu auf, aktiv an der Gestaltung einer Welt mitzuarbeiten, in der bisexuelle Menschen frei von Diskriminierung leben können und ihre Identitäten vollständig anerkannt und wertgeschätzt werden. Jeder Schritt, den wir auf diesem Weg gehen, bringt uns einer gerechteren und vielfältigeren Gesellschaft näher, in der jeder Mensch die Freiheit hat, seine oder ihre sexuelle Orientierung ohne Angst oder Vorbehalt auszuleben.
Quellen
- "Bisexual Spaces: A Geography of Sexuality and Gender" von Clare Hemmings
- "Getting Bi: Voices of Bisexuals Around the World" von Robyn Ochs und Sarah Rowley
- "The Bisexual Option" von Fritz Klein