Cyberchondrie
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 13. März 2024Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
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Als Cyberchondrie bezeichnet man eine psychische Störung, bei der die Betroffenen durch intensive Recherche von Krankeheitssymptomen im Internet die schwerwiegende Angst entwickeln, ernsthaft erkrankt zu sein. Es handelt sich hierbei um eine Wortneuschöpfung aus den Wortbestandteilen "cyber" und "Hypochondrie".
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Was ist Cyberchondrie?
Von Cyberchondrie wird gesprochen, wenn die Betroffenen durch Informationen zu gesundheitlichen Themen im Internet hypochondrische Tendenzen entwickeln oder sich diese verstärken. Dabei wird zumeist in Gesundheitsportalen oder medizinischen Lexika Recherche zu realen oder eingebildeten Krankheitssymptomen betrieben.
Durch fehlerhafte, missverstandende oder dramatisierte Darstellungen entsteht ein verzerrtes Bild von der Gefährlichkeit etwaiger Symptome; es kann sich auch eine übertriebene Angst vor Infektionskrankheiten entwicklen. Angestoßen und bestärkt durch dieses Wissen können psychische Probleme bis hin zum Vollbild einer Hypochondrischen Störung entstehen.
Der Patient leidet dann unter massiven Ängsten bezüglich schwerer körperlicher Erkrankungen und kann auch durch ergebnislose medizinische Diagnostik nicht vom Gegenteil überzeugt werden. Normalen körperlichen Funktionen wird übertrieben Aufmerksamkeit zu Teil, auch harmlose Symptome werden akribisch beobachtet und als Zeichen schwerer körperlicher Erkrankungen fehlgedeutet.
Es besteht Uneinigkeit darüber, ob hypochondrische Störungen den Zwangserkrankungen oder den somatoformen Störungen zuzuordnen sind.
Ursachen
Die Entwicklung von Störungen des hypochondrischen Spektrums kann zum einen auf frühe prägende Erfahrungen zurück geführt werden, die das Vertrauen in die eigene Gesundheit und die Verlässlichkeit des eigenen Körpers stören (bspw. schwere Erkrankungen im nahen familiären Umfeld, besonders in der Kindheit).
Ein überbehütendes familiäres Umfeld kann dem Kind das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten nehmen und die Grundüberzeugung reifen lassen, die ganze Welt sei gefährlich und unberechenbar. Darüber hinaus wird eine genetische Veranlagung vermutet.
Durch die allgegenwärtige Verfügbarkeit von medizinischem Wissen im Internet ist es besonders leicht geworden, auch harmlose Symptome zu recherchieren und mit verschiedensten Erkrankungen in Verbindung zu bringen. Die Undurchschaubarkeit und Masse der verfügbaren Informationen macht eine sinnvolle Gewichtung für den medizinischen Laien schwierig und begünstigt damit die Entstehung einer Cyberchondrie.
Symptome, Beschwerden & Anzeichen
Eine Cyberchondrie kann sich sehr negativ auf die Lebensqualität und auf den Alltag des Betroffenen auswirken. In einigen Fällen werden auch die gesuchten Krankheitssymptome durch die Erkrankung hervorgerufen, sodass es zu ernsthaften gesundheitlichen Schäden kommen kann. Die Betroffenen leiden dabei im Allgemeinen an einer starken Angst, an einer Krankheit zu leiden und suchen daher intensiv das Internet nach Symptomen ab.
Dabei sind die Recherchen oft zwanghaft und mit einer starken Angst verbunden, sodass die Betroffenen bei der Cyberchondrie an Angstzuständen oder an Panikattacken leiden. Da die Beschreibungen im Internet häufig auch bestimmte Krankheiten direkt hindeuten, glauben die Betroffenen schnell, an der jeweiligen Krankheit zu leiden. Dadurch kann es auch zu einer Behandlung und möglicherweise sogar zur Einnahme von Medikamenten kommen, obwohl diese gar nicht notwendig ist.
Ebenso suchen die Patienten bei einer Cyberchondrie sehr häufig einen Arzt auf, obwohl sie eigentlich gar nicht krank sind. Die Krankheit wirkt sich auch negativ auf das soziale Umfeld aus, da sich der Betroffene von seinen Freunden und der Familie abwendet und sich der Krankheit widmet. Ebenso leiden viele Patienten an [Depressive Verstimmung|psychischen Verstimmungen]] oder an Depressionen. In einigen Fällen wird dabei sogar die Lebenserwartung des Patienten durch die Cyberchondrie verringert.
Diagnose
Die Cyberchondrie ist kein festes Krankheitsbild im psychiatrischen Sinne, was die Diagnostik erschwert. Eine klassische Hypochondrische Störung wird diagostiziert, wenn die Angst, an einer körperlichen Krankheit zu leiden, das Denken einer Person beherrscht und der Betroffene die Funktionen des eigenen Körpers übergenau beobachtet und als Krankheitssymptome missdeutet. Im Falle der Cyberchondrie kommt zeitaufwändige Internetrecherche hinzu, die die hypochondrischen Symptome verstärkt.
Dadurch, dass Patienten meist mit körperlichen Beschwerden zum Arzt gehen, wird die Hypochondrie oft erst sehr spät erkannt. Durchschnittlich vergehen sieben Jahre, bis eine entsprechende Diagnose gestellt wird; zu diesem Zeitpunkt ist das Verhalten oft schon stark chronifiziert und eine Behandlung umso schwieriger.
Wann sollte man zum Arzt gehen?
In Zeiten moderner Multimedia holen sich die Menschen auch ihre gewünschten gesundheitlichen Informationen aus dem Internet. Das führt mitunter auch zu einer gewissen Beunruhigung, die jedoch nichts Ungewöhnliches ist und nicht unbedingt zwingender Grund für einen Besuch beim Arzt ist. Dennoch gibt es einige Fälle, in denen ein Besuch des Hausarztes als vertrauter Ansprechpartner für die Betroffenen Sinn macht.
Das gilt zum Beispiel für Patienten, die sich wegen eines neu aufgetretenen Symptoms ängstigen und eine medizinische Abklärung für ihre Beschwerden benötigen, um Beruhigung zu finden. Insbesondere ist das wichtig, wenn die Ursache für die Informationssuche im Cyberbereich starke Schmerzen oder der Verdacht auf eine zeitnah behandlungsbedürftige Erkrankung waren. Hier wird der Hausarzt nach genauer Untersuchung die vermutete Diagnose entweder stellen oder ausschließen.
Sollte der Hausarzt aufgrund häufiger Arztbesuche des Patienten aus Angst vor über das Internet selbstdiagnostizierten Krankheiten statt einer physischen Ursache die Diagnose Cyberchondrie stellen, kann er durch ein einfühlsames Gespräch oder die Überweisung zum Psychologen helfen. Aus diesem Grund ist der Arztbesuch auch für all diejenigen ratsam, die bemerken, dass ihre Recherche nach medizinischen Sachverhalten im Internet immer mehr Angst macht. Spätestens dann, wenn die Gedanken fast ausschließlich um vermeintliche Diagnosen kreisen und das Leben der Betroffenen einschränken, ist professionelle Hilfe wichtig.
Behandlung & Therapie
Da die Cyberchondrie eine relativ neuartige Erscheinung ist, existieren hierfür keine spezialisierten Behandlungsprogramme. Analog zur Hypochondrie dürfte jedoch die psychotherapeutische Behandlung im Rahmen einer kognitiven Verhaltenstherapie das Mittel der Wahl darstellen.
Dabei wird zum einen versucht, die Fehlüberzeugung, an einer schweren Erkrankung zu leiden, auf vernuftsmäßiger Ebene beizulegen. Zum anderen trainiert der Patient, sein die Hypochondrie verstärkendes Verhalten abzubauen.
Im Zusammenhang mit der Cyberchondrie wäre hier von besonderer Bedeutung, dass der Patient davon Abstand nimmt, etwaige Symptome im Internet zu recherchieren, und alternative Verhaltensweisen aufbaut, um seine Sorgen und Konflikte effektiv beilegen zu können. In schweren Fällen kann auch eine unterstützende medikamentöse Therapie mit Antidepressiva hilfreich sein.
Aussicht & Prognose
Die Prognose der Cyberchondrie hängt insbesondere davon ab, ob der Betroffene den ungesunden Zusammenhang zwischen dem Nachschlagen der Krankheitssymptome im Internet und der sich steigernden Angst vor ernsthaften Erkrankungen erkennt. Wenn er lernt, sich auf die Aussagen seiner Ärzte zu verlassen und nicht im Internet nachzuforschen, bestehen gute Aussichten, die Cyberchondrie nach und nach ablegen zu können.
Anders sieht es unter Umständen aus, wenn ein von Cyberchondrie betroffener Mensch die negativen Folgen seines Verhaltens nicht erkennt und seine aus dem Internet gewonnenen Erkenntnisse über die Diagnosen seiner Ärzte stellt oder vielleicht sogar auf Arztbesuche verzichtet. Dies kann die Prognose rund um sein Wohlbefinden gleich in zweierlei Hinsicht verschlechtern.
Zum einen ist das Benutzen der Suchmaschinen oft der Grund, warum die Angst vor unheilbaren Krankheiten beim Betroffenen deutlich ansteigen kann. Das Ratsuchen im Internt kann suchthafte Züge annehmen, sodass der an Cyberchondrie erkrankte Mensch einen großen Teil seiner privaten und nicht selten auch beruflichen Zeit mit der Recherche im Internet verbringt.
Zum anderen kann die oft hohe psychische Belastung der Betroffenen dazu führen, dass psychosomatische Reaktionen entstehen. Kommen dann Kopfschmerzen, Magenprobleme oder Schlafstörungen hinzu, fühlt sich der Patient in seiner Annahme einer schlimmen Krankheit bestätigt und der Teufelskreis zwischen Recherchieren und neuen Symptomen verstärkt sich.
Vorbeugung
Die Cyberchondrie stellt eine psychische Störung dar. Wie für alle diese Erkrankungen gilt auch hier: Eine gute Psychohygiene ist der beste Schutz. Lang anhaltende Belastungen und Konflikte, eine zehrende Lebensweise stellen immer Risikofaktoren dar, die sich in dieser oder anderen Erkrankungen einen Weg bahnen können.
Speziell hinsichtlich der Cyberchondrie gilt, dass es meist nicht ratsam ist, sich über diffuse Krankheitssymptome im Internet zu belesen. Meist finden sich hier auch für harmlose Symptome Verbindungen zu schwersten Erkrankungen, auch wenn ein tatsächlicher Zusammenhang extrem unwahrscheinlich ist. Wer unter anhaltenden Beschwerden leidet, sollte die Diagnostik einem erfahrenen Mediziner überlassen.
Nachsorge
Bei einer sind die Maßnahmen der Nachsorge in den meisten Fällen eingeschränkt oder stehen dem Betroffenen gar nicht zur Verfügung. Dabei ist der Patient in erster Linie auf eine schnelle und vor allem auf eine frühzeitige Erkennung der Krankheit angewiesen, damit es nicht zu weiteren psychischen Verstimmungen oder zu Depressionen kommt. Es kann dabei im schlimmsten Fall auch zum Auftreten verschiedener Krankheiten kommen, obwohl der Betroffene zuerst gar nicht erkrankt war.
Die Maßnahmen der Nachsorge beschränken sich bei der Cyberchondrie dabei auf die Vermeidung der auslösenden Faktoren. In vielen Fällen helfen dabei intensive und liebevolle Gespräche mit den eigenen Eltern oder mit Freunden und anderen vertrauten Personen. Allerdings ist in vielen Fällen auch eine professionelle Behandlung durch einen Psychologen notwendig, um die Beschwerden vollständig und vor allem dauerhaft zu lindern.
Häufig müssen dabei auch Freunde oder Angehörige den Betroffenen auf die Symptome der Cyberchondrie hinweisen, damit dieser eine Behandlung einleitet. In schwerwiegenden Fällen kann dabei sogar eine Behandlung in einer geschlossenen Klinik notwendig sein. In der Regel verringert die Cyberchondrie nicht die Lebenserwartung des Patienten. Ebenfalls kann sich der Kontakt zu anderen Patienten der Krankheit positiv auf den weiteren Verlauf auswirken.
Das können Sie selbst tun
Bei einer Cyberchondrie kann der Betroffene mit einer ausreichenden Disziplin innerhalb kurzer Zeit eine Verbesserung seiner Lebensqualität erhalten. Dafür stehen ihm mehrere Wege zur Verfügung. Lebt er in einer familiären oder partnerschaftlichen Umgebung kann er diese Menschen bitten, eine passwortgeschützte Internetsperre einzubauen. Diese Bitte kann er auch an Menschen des nahen sozialen Umfeldes äußern. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, eine Internet- oder PC Firma damit zu beauftragen.
Da es zum Krankheitsbild der Cyberchondrie gehört, sich dennoch Schlupflöcher zu suchen, kann der Betroffene eine therapeutische Hilfe in Anspruch nehmen. Zusätzlich kann er bei einer ausreichenden Selbstdisziplin die Symptome der Erkrankung recherchieren, sein eigenen Verhalten kritisch reflektieren und anschließend bei einem Arzt vorstellig werden. In einigen Fällen hilft es, wenn der private Internetzugang gekündigt wird und nicht internetfähiges Handy genutzt wird. Jeder Mensch reagiert individuell und sollte daher sich selbst hinterfragen, welcher Weg für ihn möglich und realistisch wäre.
Einige erleben eine Linderung, indem sie sich anderen Bereichen des Lebens stärker zuwenden. Verabredungen mit Freunden, sportliche Aktivitäten, der Wechsel eines Arbeitsplatzes oder ein Urlaub in einer Gegend ohne einen Internetzugang könnten hilfreich sein. Die Beschäftigung in ehrenamtlichen Einrichtungen kann ebenfalls das eigene Verhalten verändern und durch die Tätigkeit neue Interessen wecken.
Quellen
- Dilling, H., Mombour, W., Schmidt, M.H.(Hrsg.): Internationale Klassifikation psychischer Störungen – ICD 10, Kapitel V (F), klinisch-diagnostische Leitlinien. Huber, Bern 2011
- Laux, G.; Möller, H.: Memorix Psychiatrie und Psychotherapie. Thieme, Stuttgart 2011
- Möller, H.-J.: Therapie psychischer Erkrankungen. Thieme, Stuttgart 2006