Hermaphroditismus
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 27. Februar 2024Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
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Hermaphroditismus, auch Zwittertum oder Zwittrigkeit genannt, bezeichnet Individuen die genetisch, anatomisch oder hormonell nicht eindeutig einem Geschlecht zugeordnet werden können. Heute wird für dieses medizinische Phänomen allerdings eher der Begriff Intersexualität genutzt. Die Intersexualität gehört zu den Sexualdifferenzierungsstörungen. Das Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) (ICD-10-GM-2018) klassifiziert diese Form in Kapitel 17 (Angeborene Fehlbildungen, Deformitäten und Chromosomenanomalien) auch angeborene Fehlbildungen der Genitalorgane, insbesondere ein unbestimmtes Geschlecht und Pseudohermaphroditismus. Betroffene lehnen in der Regel den pathologisierenden medizinischen Terminus der Störung ab.
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Was ist Hermaphroditismus?
Hermaphroditen sind Menschen mit wenig eindeutigen Geschlechtsmerkmalen. In den meisten Fällen sind die Geschlechtsteile der Hermaphroditen abnorm geformt. Beim psychischen Hermaphroditismus liegt zwar körperlich kein doppeltes Geschlecht vor, die Betroffenen können sich aber nicht mit nur einem Geschlecht identifizieren. Man spricht auch von einem dritten Geschlecht.
Beim Pseudohermaphroditismus stimmen das chromosomale Geschlecht und die inneren Genitalien nicht mit dem äußeren Geschlecht beziehungsweise den äußeren Genitalien und den sekundären Geschlechtsorganen überein. Pseudohermaphroditismus ist eng mit dem Begriff der Androgynität verknüpft. Es gibt einen männlichen und einen weiblichen Pseudohermaphroditismus. Bei der männlichen Form ist das innere Geschlecht männlich, das äußere Geschlecht aber weiblich. Beim weiblichen Pseudohermaphroditismus ist es genau umgekehrt.
Ursachen
Ein uneindeutiges Körpergeschlecht kann verschiedene Ursachen haben. So kann eine chromosomale Variation, also veränderte Chromosomen, Intersexualität zur Folge haben. Bekannte Chromosomenstörungen, die mit Hermaphroditismus einhergehen, sind das Klinefelter-Syndrom mit einem männlichen und das Turner-Syndrom mit einem weiblichen Erscheinungsbild. Denkbar ist auch eine gonadale Variation. Hierbei liegt eine Entwicklungsstörung der Keimdrüsen (Gonaden) vor.
Keimdrüsen sind Geschlechtsdrüsen, in denen Sexualhormone und Keimzellen gebildet werden. Beim Mann sind das die Hoden, bei der Frau die Eierstöcke. Fehlen die Keimdrüsen oder sind komplett funktionsunfähig spricht man vom Agonadismus. Aber auch eine partielle Ausbildung kann zu Intersexualität führen. Die nur unzureichend ausgebildeten Streifengonaden sind nicht in der Lage sind ausreichend Sexualhormone zu bilden.
Sind einer Keimdrüse die Funktionen von Hoden und Eierstock vereint und werden sowohl Eizellen als auch Spermien produziert, bezeichnet man dies als Ovotestis. Weitere Ursache des Hermaphroditismus sind Hormonstörungen. Diese können chromosomal oder gonodal bedingt sein. Auch Enzymdefekte oder Nierenstörungen können zu einem unausgeglichenen Hormonhaushalt führen.
Symptome, Beschwerden & Anzeichen
So vielfältig die Ursachen der Intersexualität sind, so vielfältig sind auch ihre Ausprägungen. Neben 22 Chromosomenpaaren besitzen Männer normalerweise noch ein X- und ein Y-Chromosom. Frauen besitzen hingegen zwei X-Chromosome. Kommt es bei der Spermienproduktion zu einem Fehler und befruchtet ein Spermium ohne X- und Y-Chromosom eine Eizelle, entwickeln sich sogenannte X0-Individuen. Diesen Menschen fehlt also ein Geschlechtschromosom.
Da ein X-Chromosom vorhanden ist, entwickeln sich die X0-Individuen zu Frauen. Allerdings sind diese Frauen steril und können keine Kinder zeugen. Diese Erkrankung heißt Turner-Syndrom. Häufiger tritt das Klinefelter-Syndrom auf. Hier haben sich bei der Samenreifung die Geschlechtschromosomen nicht getrennt und der Vater hat dem Kind zwei Geschlechtschromosomen vererbt. Zusammen mit dem vererbten Geschlechtschromosom der Mutter hat das Kind nun zwei X-Chromosome und ein Y-Chromosom.
Aufgrund des dominanten Y-Chromosoms sind die Kinder zwar männlich, leiden aber aufgrund des zweiten X-Chromosoms unter niedrigen Testosteronwerten. Dies führt zu kleinen Hoden und Zeugungsunfähigkeit. Bei vielen Klinefelter-Patienten sind die Symptome aber eher schwach ausgeprägt und bleiben oft unbemerkt.
Ist der Chromosomensatz normal und leiden die Betroffenen unter einer sogenannten unzureichenden Androgenresistenz, also einer verminderten Wirkung von männlichen Geschlechtshormonen sind verminderte Bart- und Körperbehaarung sowie Unfruchtbarkeit die Folge.
Bei einer kompletten Androgenresistenz bilden sich keine sichtbaren männlichen Geschlechtsorgane aus. Die Hoden verbleiben im Körperinneren, äußerlich ist eine Scheide sichtbar, jedoch fehlen Eileiter und Gebärmutter. Die Betroffenen werden als Mädchen wahrgenommen. Die Diagnose erfolgt meist als Zufallsbefund.
Diagnose
Besteht der Verdacht auf eine Störung der Geschlechtsdifferenzierung, erfolgen verschiedene Untersuchungen des Blutes. Zum einen wird der Hormonstatus bestimmt und zum anderen erfolgt eine Untersuchung des Chromosomensatzes. Zudem wird der Bauch- und Beckenraum mittels Ultraschall untersucht. Hier wird auf das Vorhandensein oder das Fehlen von Gebärmutter und Eierstöcken geachtet.
Mit einem sogenannten Genitogramm kann mithilfe einer Röntgenaufnahme festgestellt werden, ob eine Scheide vorhanden ist. In einigen Fällen ist eine Biopsie der Keimdrüsen erforderlich, um festzustellen, welche Gewebe in den Geschlechtsdrüsen vorhanden sind. Diese Untersuchung wird in Narkose im Krankenhaus durchgeführt. Anhand der Diagnostik lässt sich auch eine Prognose über die Fertilität, also die Fruchtbarkeit, der betroffenen Personen stellen.
Komplikationen
Durch den Hermaphroditismus kommt es in manchen Fällen zu verschiedenen psychischen und physischen Beschwerden. In den meisten Fällen leiden Männer an einer allgemeinen Zeugungsunfähigkeit. Diese kann derzeit nicht behandelt werden, sodass die Betroffenen an dieser Beschwerde ihr gesamtes Leben lang leiden. Weiterhin kommt es zu weiblichen Eigenschaften bei Männern, sodass zum Beispiel der Bartwuchs verringert ist oder auch die Hoden eine kleine Größe haben.
Nicht selten werden dabei die Patienten für ein Mädchen oder für eine Frau gehalten. Dieses Verhalten kann sich extrem negativ auf die Lebensqualität auswirken und wird nicht selten zu psychischen Beschwerden und zu Depressionen führen. Der Alltag wird dann für den Betroffenen durch den Hermaphroditismus extrem erschwert. Die Behandlung der Hermaphroditismus führt nicht zu weiteren Komplikationen.
In den meisten Fällen ist es möglich, etwaige Beschwerden des Hermaphroditismus mit Hilfe von Hormonen auszugleichen. Ebenso können die Eltern ein Geschlecht für ihr Kind auswählen, wenn dieses nicht eindeutig bei der Geburt ersichtlich ist. Oftmals kommt es bei Kindern leider zu Mobbing und Hänseleien und zu sozialen Ausgrenzungen. Diese Beschwerden können ebenso durch einen Psychologen untersucht und behandelt werden. Der Hermaphroditismus führt nicht zu einer Verringerung der Lebenserwartung.
Wann sollte man zum Arzt gehen?
In der Regel muss zur Diagnose beim Hermaphroditismus kein Arzt aufgesucht werden, da die Erkrankung schon direkt nach der Geburt oder auch vor der Geburt festgestellt werden kann. Die Betroffenes sind allerdings vor allem am Anfang ihres Lebens auf eine Therapie und Behandlung angewiesen, um die Beschwerden zu lindern. Ein Arzt sollte dabei im Allgemeinen dann aufgesucht werden, wenn es trotz Therapie zu Beschwerden kommt. Vor allem bei einer Zeugungsunfähigkeit ist ein Besuch bei einem Arzt notwendig.
Der Arzt ist auch dann aufzusuchen, wenn der Hermaphroditismus nicht schon direkt nach der Geburt, sondern erst im weiteren Verlauf des Lebens festgestellt wird. Dabei können die Beschwerden ebenfalls durch operative Eingriffe oder mit Hilfe von Hormonen behandelt werden. Weiterhin leiden viele Patienten durch den Hermaphroditismus auch an psychischen Beschwerden und benötigen daher eine psychologische Behandlung. Hierbei wirkt sich eine frühzeitige Diagnose und Behandlung immer positiv auf den weiteren Verlauf aus und kann verschiedene Komplikationen verhindern.
Behandlung & Therapie
Wurde bei Kindern ab dem Jahr 1960 eine Störung der Geschlechtsdifferenzierung diagnostiziert, erfolgte oft schon kurz nach der Geburt eine geschlechtsangleichende Operation. Anschließend wurde meist eine Hormonbehandlung durchgeführt. Diese hatte drastische Folgen und führte oft später zur Unfruchtbarkeit.
Die ärztliche Aufklärung war vielfach mangelhaft und die Operationen nicht immer notwendig. Heute werden operative Eingriffe zur Anpassung des Geschlechts eher kritisch gesehen. Bei einer Nichteindeutigkeit des Geschlechts haben die Eltern das Wahlrecht, welchem Geschlecht ihr Kind angehören soll.
Seit 2009 ist es möglich, eine Geburtsurkunde ohne eingetragenes Geschlecht ausgestellt zu bekommen. Somit müssen sich Eltern bei bekannter Störung nicht direkt nach der Geburt auf ein Geschlecht festlegen und können ihr Kind später entscheiden lassen. Therapien heute werden deutlich individueller als noch in den 60er und 70er Jahren durchgeführt.
Im Fokus steht dabei nicht die anatomische Angleichung, sondern eher der psychische Umgang der Betroffenen mit ihren körperlichen Gegebenheiten. Viele intersexuelle Menschen kämpfen dafür, dass ihre Intersexualität nicht mehr als Krankheit, sondern als eine Variation der normalen Geschlechtsentwicklung wahrgenommen wird. Eine Therapie wird von ihnen nicht als Hilfe, sondern als Diskriminierung gewertet.
Aussicht & Prognose
Hermaphroditismus bleibt ohne Behandlung ein Leben lang bestehen. Beim Menschen gibt es den echten Hermaphroditismus nicht, sondern den sogenannten Pseudo-Hermaphroditismus. Da die seltenen Fälle immer sehr individuell sind, muss im Einzelfall entschieden werden, ob eine Behandlung überhaupt erforderlich und sinnvoll ist.
Meistens wird erst im Teenager- oder im jungen Erwachsenenalter erkannt, dass ein Fall von Pseudo-Hermaphroditismus vorliegt, sodass sich Geschlechtsmerkmale längst ausgebildet haben und die Person sich dem einen oder anderen Geschlecht auch zugehörig fühlt.
Eine Behandlung kann dann sinnvoll sein, wenn sich der Patient mit dem biologischen Geschlecht nicht identifiziert. Dann kann überlegt werden, ob eine teilweise oder vollständige Geschlechtsumwandlung den Leidensdruck verringern könnte. Fühlt sich der Patient dagegen dem Geschlecht zugehörig, dem er oder sie zugeordnet wurde, kann es sinnvoll sein, mit operativen und medikamentösen Maßnahmen die Merkmale des anderen biologischen Geschlechts zurückzubilden.
Sollten die äußeren oder inneren Geschlechtsorgane ungewöhnliche Formen aufweisen, kann das je nach Notwendigkeit operativ korrigiert werden. Oft verringern sich alleine dadurch schon die Hormonspiegel des jeweils anderen Geschlechts, sodass eine hormonelle Behandlung über kurze Zeit hinweg ausreicht. Diese kann dabei unterstützen, die Merkmale des tatsächlichen Geschlechts beim Pseudo-Hermaphroditismus stärker herauszubilden. Je später der (Pseudo-)Hermaphroditismus allerdings erkannt wird, desto schwieriger wird es, die Entwicklung noch zu beeinflussen.
Vorbeugung
Intersexualität lässt sich nicht vorbeugen, da es sich in vielen Fällen um erblich bedingte Störungen in der Geschlechtsentwicklung handelt.
Nachsorge
Beim Hermaphroditismus stehen dem Betroffenen in der Regel keine direkten Möglichkeiten oder Maßnahmen einer Nachsorge zur Verfügung. Der Patient ist dabei zuerst auf eine umfassende Diagnose und Behandlung angewiesen. Dabei können die Beschwerden jedoch nicht immer vollständig gelindert werden.
Nur in wenigen Fällen sind dabei operative Eingriffe möglich, die der betroffenen Person ein eindeutiges Geschlecht zuweisen. In den meisten Fällen erfolgt dabei schon direkt nach der Geburt eine umfassende Operation, welche die Beschwerden lindert. Daher steht im Vordergrund auch die frühzeitige Erkennung der Krankheit durch die jeweiligen Symptome.
Nach dem Eingriff sind die Betroffenen auf die Einnahme von Medikamenten angewiesen, wobei vor allem Hormone eingenommen werden. Dadurch werden die Geschlechtsorgane vollständig ausgeprägt. Dabei müssen vor allem Eltern auf die richtige und die regelmäßige Einnahme der Arzneimittel achten, damit die Beschwerden vollständig gelindert werden.
In der Regel ist beim Hermaphroditismus auch eine psychologische Behandlung notwendig. Diese sollte schon sehr früh eingeleitet werden. Auch die Unterstützung durch die eigene Familie und durch die Angehörigen und Freunde ist dabei sehr wichtig. Die Angehörigen müssen dabei die Krankheit verstehen und richtig mit dem Patienten umgehen. Die Lebenserwartung des Betroffenen wird durch den Hermaphroditismus nicht verringert.
Das können Sie selbst tun
Das Verhältnis eines Intersexuellen zu seinen Geschlechtsmerkmalen, physischen und psychischen, hängt oftmals von seiner soziokulturellen Umgebung ab, und nicht selten auch von seiner medizinischen Vorgeschichte. Denn über viele Jahrzehnte wurden nicht rückgängig zu machende Angleichungen bereits kurz nach der Geburt oder im Kindesalter vorgenommen, welche später bei manchen Betroffenen zu gravierenden Problemen bei der Identitätsfindung führten; Gleiches gilt für Hormongaben.
Dabei ist die Pathologisierung des Hermaphroditismus ohne das Vorliegen eines gesundheitlichen Beschwerdebildes grundsätzlich infrage zu stellen. Intersexuelle, deren Körperfunktionen, ggf. abgesehen von ihrer Fortpflanzungsfähigkeit, durch ihre mehr oder weniger ausgeprägten Sexualmerkmale nicht oder kaum eingeschränkt werden, sind in Bezug auf ihre geschlechtliche Identität normale gesunde Menschen.
(Und es gibt zudem Intersexuelle, die sich trotz ihrer Sexualmerkmale „männlich“ oder „weiblich“ fühlen und nicht einem „dritten Geschlecht“ zugehörig, womit sie auch „männlich“ oder „weiblich“ sind.)
Da sie allerdings trotz der ihnen zuzusprechenden Normalität der Intersexualität insbesondere in nicht intersexuellen Kreisen als exotisch gelten könnten, halten viele ihre wahre geschlechtliche Identität - die Zugehörigkeit zum „dritten Geschlecht“ - am Arbeitsplatz etc. geheim.
Die Möglichkeit zum Austausch mit anderen bieten indes spezielle (regionale und interregionale) Selbsthilfegruppen. Bei der Auseinandersetzung mit der eigenen Geschlechtlichkeit kann zudem Lektüre über die Anerkennung von Hermaphroditen in anderen Zeiten und bei anderen Kulturen bereichernd sein; so gibt es beispielsweise in buddhistischen Ursprungsmythen drei Geschlechter.
Unter juristischen Aspekten ist die Emanzipation intersexueller Menschen weiterhin in Bewegung; am 8. November 2017 entschied das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, dass intersexuellen Menschen eine „positive Identität“ - also nicht nur die Entscheidung, weder „männlich“ noch „weiblich“ zu sein - einzuräumen ist.
Quellen
- Herold, G.: Innere Medizin. Selbstverlag, Köln 2016
- Kleine, B., Rossmanith, W.G.: Hormone und Hormonsystem. Springer Verlag, Berlin 2010
- Murken, J., Grimm, T., Holinski-Feder, E., Zerres, K. (Hrsg.): Taschenlehrbuch Humangenetik. Thieme, Stuttgart 2011