Intersexualität
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 5. März 2024Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
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Es gibt Menschen, die sich keinem Geschlecht eindeutig zuordnen lassen. Sie tragen Merkmale beider Geschlechter in sich und fallen in den Begriff der Intersexualität. In der griechischen Mythologie wurden sie als Hermaphroditen bezeichnet.
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Was ist Intersexualität?
Der Begriff Intersexualität steht für eine Konstellation, bei der sich bei Menschen körperliche Anlagen für beide Geschlechter finden und sie deshalb nicht eindeutig einem Geschlecht zugeordnet werden können. Der Volksmund spricht von Zwittern. Es gibt unterschiedliche Erscheinungsformen: Frauen oder Mädchen können äußerlich wie eine Frau aussehen, im Inneren können aber Gebärmutter, Eierstöcke und Eileiter fehlen.
Männer können äußerlich wie Männer erscheinen, aber ihnen kann eine männliche Hormonproduktion fehlen und sie erscheinen äußerlich weiblicher. Es kann auch möglich sein, dass Vagina oder Penis unzureichend ausgebildet sind. Oft wird der Begriff Intersexualität mit Transsexualität verwechselt, aber Transsexuelle gehören im Gegensatz zu Intersexuellen einem bestimmten Geschlecht an, fühlen sich in diesem nur nicht richtig wohl.
Ursachen
Eine weitere mögliche Ursache kann eine Störung in der Entwicklung der Keimdrüsen (Gonaden) sein, in denen Keimzellen und Geschlechtshormone gebildet werden, bei der Frau in den Eierstöcken, beim Mann in den Hoden. Auch Funktionseinschränkungen können eine Intersexualität begünstigen, weil dann nicht ausreichend Sexualhormone gebildet werden.
Wenn eine Keimzelle männliche und weibliche Anlagen enthält, werden Spermien und Eizellen produziert (Ovotestis). Auch Hormonstörungen, die Keimzellen oder Chromosomen betreffen, kommen als Ursache in Frage. Darüber hinaus können Störungen der Nierenfunktion oder Enzymschädigungen können für eine Intersexualität verantwortlich sein.
Symptome, Beschwerden & Anzeichen
So, wie es unterschiedliche Ursachen für eine Intersexualität gibt, variieren auch die Anzeichen. Im Allgemeinen besitzen Männer 22 Chromosomenpaare und ein X- und ein Y-Chromosom, Frauen zwei X-Chromosomen. Wenn es zu einer fehlerhaften Spermienproduktion kommt und ein Spermium mit Ausprägungen beider Geschlechter eine Eizelle befruchtet, können sich daraus X0-Menschen entwickeln, denen ein Geschlechtschromosom fehlt.
Wenn ein X-Chromosom vorhanden ist, entsteht daraus eine Frau, die aber keine Kinder bekommen kann. Die Medizin spricht dann vom Turner-Syndrom. Wenn sich bei der Reifung der Spermien die Geschlechtschromosomen nicht trennen, vererbt der Vater dem Kind zwei Geschlechtschromosomen. Zusammen mit dem von der Mutter vererbten X-Chromosom hat das Kind dann zwei X- und ein Y-Chromosom.
Diese Ausprägung wird als Klinefelter-Syndrom bezeichnet. Bei einer Dominanz des Y-Chromosoms sind diese Menschen zwar männlich, haben aber eine eingeschränkte Testosteronproduktion, kleinere Hoden und sind nicht zeugungsfähig. Bei einem normalen Chromosomensatz und einer Androgenresistenz kann eine Zeugungsunfähigkeit auftreten und Bartwuchs und Körperbehaarung vermindert sein.
Bei vollständiger Androgenresistenz können sich männliche Geschlechtsorgane nicht richtig ausbilden. In diesen Fällen bleiben die Hoden im Körper, äußerlich ist eine Scheide vorhanden, im Körperinneren aber keine Gebärmutter, Eierstöcke und Eileiter. Rein äußerlich sehen Betroffene trotzdem aus wie Frauen.
Diagnose & Verlauf
Meistens ist die Diagnose einer Intersexualität ein Zufallsbefund. Legen Anzeichen einen Verdacht auf eine Intersexualität nahe, wird zu Beginn das Blut untersucht mit einer Bestimmung des Hormonstatus und einer Untersuchung des Chromosomensatzes. Darüber hinaus wird mit Hilfe einer Ultraschalluntersuchung der Bauch- und Beckenraum untersucht, um herauszufinden, ob eine Gebärmutter, Eierstöcke und Eileiter im Becken vorhanden sind.
In einer speziellen Röntgenuntersuchung, einem Genitogramm, wird untersucht, ob eine Scheide ausgebildet ist. Manchmal muss zusätzlich eine Biopsie der Keimdrüsen erfolgen, um erkennen zu können, welches Gewebe in den Keimdrüsen enthalten ist. Diese Biopsie wird in einem Krankenhaus unter Narkose durchgeführt.
Eine umfangreiche Diagnostik bei einer Intersexualität ermöglicht eine Prognose im Hinblick auf eine mögliche Unfruchtbarkeit und erleichtert auch die Entscheidung, mit welchem Geschlecht Betroffene leben wollen, ob eine Behandlung erforderlich ist.
Komplikationen
Entsprechend ergibt sich für den intersexuellen Menschen mehrerlei: durch den Eingriff in frühen Kinderjahren wird ihm ein äußerliches Geschlecht aufgezwungen. Dies kann in späteren Jahren und im Zuge der psychosexuellen Entwicklung des Betroffenen zu einer Identitätskrise führen. Stimmen das zugewiesene und das empfundene Geschlecht nicht überein, liegt bei einem binären Geschlechtsverständnis zusätzlich noch eine Form von Transsexualität vor, die weitreichende psychologische (und gegebenenfalls chirurgische) Folgen haben kann.
Die medizinische Nomenklatur schließt eine Transsexualität unter der Bedingung, dass diese mit einem biologisch eindeutigem Geschlecht einherginge, allerdings bei Intersexualität aus, was den Umgang Betroffener mit sich selbst und Ärzten noch einmal verkompliziert. Auch weitere Begriffsbarrieren erschweren Intersexuellen den Alltag. Verbreitet ist durch bürokratische und kulturelle Faktoren das zwingende Zuweisen eines Geschlechts.
Da dies unter Umständen aber nicht mit der Selbstwahrnehmung des Betroffenen übereinstimmt, ergeben sich begriffliche Schwierigkeiten, die psychisch belastend sein können. Während Intersexualität mit Ausnahme häufiger Unfruchtbarkeit nicht zu körperlichen Komplikationen im Sinne von Beschwerden führt, sind die Komplikationen meist sozialer Natur.
Mangelnde Toleranz, Akzeptanz und Aufklärung vieler gesellschaftlicher Kreise wirken sich durchgehend negativ auf die Psyche und Selbstwahrnehmung vieler intersexueller Menschen aus, die von ihrem Umfeld oftmals in eine Geschlechtsrolle gedrängt werden. Autodestruktive Verhaltensweisen sowie Depressionen sind bei Intersexuellen weit verbreiteter als bei geschlechtlich eindeutig zugewiesenen Menschen.
Wann sollte man zum Arzt gehen?
Da es viele verschiedene Formen der Intersexualität gibt, ist es nicht möglich, auf diese Frage eine einheitliche Antwort zu geben. Generell ist dringend anzuraten, einen Arzt aufzusuchen, der passende Zeitpunkt ist jedoch individuell unterschiedlich. In vielen Fällen wird die Intersexualität ohnehin durch den nicht eindeutigen Genitalstatus entweder direkt nach der Geburt oder vom Kinderarzt festgestellt. Andererseits gibt es auch Betroffene, die erst ab dem Jugendalter etwa durch die ausbleibende Regelblutung auffallen. Grundsätzlich gilt, dass Eltern den Kinderarzt oder einen Facharzt konsultieren sollten, wenn erste Unsicherheiten oder der Verdacht einer möglicherweise vorliegenden Intersexualität auftauchen.
Nur auf diese Weise können eventuelle diagnostische, therapeutische oder chirurgische Maßnahmen frühzeitig getroffen werden. So ist es der Wunsch vieler Betroffener, das äußere Geschlecht operativ anpassen zu lassen. Zwar ist eine Intersexualität selbst nicht als krankhaft anzusehen und bedarf nicht immer einer aufwendigen medizinischen Behandlung, jedoch kann ihr manchmal eine schwerwiegende Grunderkrankung zugrunde liegen. In seltenen Fällen wie etwa bei einer Nebennierenrindenunterfunktion ist eine rasche medikamentöse Behandlung notwendig. Aus diesem Grund empfiehlt es sich, einen Arzt zu konsultieren, sobald mögliche Anzeichen einer Intersexualität wahrgenommen werden.
Behandlung & Therapie
In den 60er und 70er Jahren wurde bei Kindern, bei denen schon bei der Geburt eine Intersexualität festgestellt wurde, kurz nach der Geburt eine operative Geschlechtskorrektur durchgeführt und im Anschluss daran eine Hormonbehandlung. Diese Behandlungen hatten aber oft gravierende Folgen bis hin zu einer Unfruchtbarkeit.
Ärzte waren noch nicht hinreichend aufgeklärt und viele Operationen erwiesen sich im Nachhinein als nicht notwendig. Heute sieht die Medizin Operationen zur Geschlechtskorrektur eher kritisch. Wenn das Geschlecht nicht eindeutig ist, dürfen Eltern heute über die künftige Geschlechtsorientierung entscheiden. Seit 2009 kann auch eine Geburtsurkunde ohne eindeutige Geschlechtsbestimmung ausgestellt werden.
Diese ermöglicht betroffenen Kindern später, selbst über ihre Geschlechtsorientierung zu entscheiden. Heutzutage werden die Therapien individuell abgestimmt. Im Mittelpunkt steht dabei nicht die Geschlechtsangleichung, sondern eine Stabilisierung der psychischen Befindlichkeit im Hinblick auf die vorhandenen körperlichen Voraussetzungen.
Viele intersexuelle Menschen machen sich dafür stark, Intersexualität nicht als Krankheit zu betrachten, sondern als zusätzliche Erscheinungsform einer normalen geschlechtlichen Entwicklung. Sie erleben eine Therapie auch nicht unbedingt als hilfreich, sondern eher als diskriminierend.
Aussicht & Prognose
Bei der Aussicht und Prognose bei intersexuellen Personen geht es nicht um den Verlauf der Intersexualität an sich. Diese ist gegeben und kann lediglich durch operative und hormonelle Verfahren auf Wunsch auf ein Geschlecht hin angepasst werden. Dennoch ist erwähnenswert, dass es beispielsweise Kinder mit XY-Chromosensatz gibt, die erstmals wie ein Mädchen aussehen (auch bezüglich der Geschlechtsorgane). Während der Pubertät bildet sich dennoch ein Glied aus der Klitoris und die Hoden steigen ab. Die Zeugungsfähigkeit ist anschließend möglich.
Relevanter ist aber beispielsweise die Prognose bezüglich der Fruchtbarkeit. Bei vielen intersexuellen Personen ist das Untersuchen der Keimdrüsen erforderlich, um eine Aussage bezüglich der Fruchtbarkeit zu treffen. Häufig wird anhand der erfolgten Feststellung auch - im Falle des Wunsches, das Geschlecht anpassen zu lassen - das Geschlecht entsprechend ausgewählt und angepasst. Dies hängt mit der Familienplanung zusammen.
Weitere Prognosen richten sich zudem nach den indirekten und direkten Folgen der Intersexualität. So sind psychische Belastungen aufgrund des nicht als passend oder richtig empfundenen Geschlechts möglich. Diskriminierung und ärztliche Nichtbeachtung kommen vor. Immerhin wurde davon Abstand genommen, gesetzlich bedingt die Geschlechtsangleichung nach der Geburt durchzuführen. Dies bedeutet effektiv mehr Selbstbestimmung bei intersexuellen Personen und kann eventuell vorhandenen Leidensdruck verringern.
Vorbeugung
Es gibt keine wirksame Vorbeugung für eine Intersexualität, weil Chromosomendefekte und damit verbundene Defekte in den Keimdrüsen für diese Entwicklung verantwortlich sind. In Familien, in denen Gendefekte aufgetreten sind, kann eine genetische Beratung vor der Familienplanung sinnvoll sein.
Nachsorge
Genau wie bei Intersexualität eine mögliche, selbstbestimmte Behandlung optional ist, ist es auch die Nachsorge. Die Tatsache, dass ein Mensch intersexuell ist, bedeutet keine Notwendigkeit zur Behandlung oder Nachsorge.
Diese ergibt sich allerdings dann, wenn die intersexuelle Person sich für eine Geschlechtsanpassung entscheidet. Da hier operative und hormonelle Verfahren in Betracht kommen, gibt es auch unterschiedliche Arten der Nachsorge: Wird operiert, ist eine nachfolgende Kontrolle der Vernarbung und der Heilung notwendig. Gerade bei den empfindlichen Geschlechtsorganen ist eine durch einen Arzt unterstützte Wundheilung anzuraten.
Bei Hormontherapien sind regelmäßige Kontrolluntersuchungen notwendig, da bestimmte Hormonspiegel angestrebt werden. Zudem muss die Wirkung der Therapie auf den Körper beobachtet und verstanden werden, um eventuelle Komplikationen vorauszusehen und zu verhindern.
Andere Formen der Nachsorge bei Intersexualität ergeben sich etwa aufgrund von psychischen Leiden, die bei Intersexuellen infolge ihres geschlechtlichen Zustandes und aufgrund ihrer Umwelt vorkommen können. Kommt es zu psychischen Leiden und autoaggressivem Verhalten, ist eine Behandlung angeraten. Die Nachsorge kann in weiteren Therapiegesprächen und auch im Eröffnen von Optionen für das Leben des Betroffenen bestehen. Freunde und Angehörigen können in solchen Fällen sehr unterstützend wirken.
Das können Sie selbst tun
Es gibt diverse Selbsthilfegruppen und Organisationen, die Intersexuellen (und meist auch anderen nicht eindeutig geschlechtlich bestimmten Personen) offen stehen. Hier kann ein Bezugspunkt und ein Austausch über ganz alltägliche Herausforderungen in diesem Zusammenhang aufgebaut werden.
So sind die Maßnahmen, die intersexuelle Menschen im Alltag ergreifen, höchst unterschiedlich. Einige tun nichts, weil sie zufrieden leben können, andere bedürfen eines starken Rückhalts aus dem persönlichen Umfeld und versuchen viele Dinge, um in eine Geschlechterrolle zu passen. Wenn es um die Steigerung der Lebensqualität im öffentlichen Raum geht, spielen vor allem jene Vorstöße eine Rolle, die es zum Ziel haben, die Geschlechtsbezeichnung und den Namen in amtlichen Dokumenten frei wählen zu können - und dies ohne die Notwendigkeit einer geschlechtsangleichenden Operation. Außerdem spielen hier die öffentliche Aufklärung und das Vermitteln von Intersexualität in der Bildung eine Rolle.
Es hat sich zudem gezeigt, dass eine frühkindliche Operation bei Intersexuellen später vermehrt zu einer verringerten Lebensqualität führt. Insofern ist der erste Schritt zum Garantieren eines guten Lebensgefühls dieser, dass Eltern ihr Kind diese identitätsbestimmenden Schritte im richtigen Alter selbst bestimmen lassen.
Quellen
- Gasser, T.: Basiswissen Urologie. Springer, Berlin 2011
- Haag, P., Harnhart, N., Müller, M. (Hrsg.): Gynäkologie und Urologie. Für Studium und Praxis 2014/15. Medizinische Verlags- und Informationsdienste, Breisach 2014
- Lieb, K., Frauenknecht, S., Brunnhuber, S.: Intensivkurs Psychiatrie und Psychotherapie. Urban & Fischer, München 2015