Intime Tabuthemen - Offen für mehr Lebensqualität

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer. nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 11. Juni 2025
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Körperliche Beschwerden, die wir aus Scham verdrängen, verschwinden selten von selbst. Im Gegenteil: Wer Potenzstörungen, Inkontinenz, Scheidentrockenheit oder Hämorrhoiden totschweigt, übersieht mögliche Frühwarnzeichen ernsthafter Erkrankungen, belastet Partnerschaften und riskiert psychischen Druck. Studien zeigen, dass bereits das offene Benennen des Problems die Wahrscheinlichkeit erhöht, innerhalb von sechs Monaten eine wirksame Therapie zu beginnen und die Lebensqualität messbar zu steigern.

Inhaltsverzeichnis

Potenzstörungen: Wenn die Erektion ausbleibt

Potenzstörungen, auch Erektionsstörungen genannt, bezeichnen die anhaltende oder wiederkehrende Schwierigkeit, eine für den Geschlechtsverkehr ausreichende Erektion zu erreichen oder aufrechtzuerhalten.

Erektile Dysfunktion (ED) bezeichnet das wiederholte Ausbleiben oder Abbrechen einer ausreichenden Erektion trotz sexueller Stimulation. In einer deutschen Befragung gaben 6,6 Prozent der Männer eine stark ausgeprägte ED an, insgesamt litten 13,3 Prozent an erheblichen Sexualfunktionsstörungen. Das Risiko steigt mit Diabetes, Hypertonie und Rauchen deutlich an. Darüber hinaus sind aber auch chronischer Stress und Depressionen mögliche Auslöser.

Diagnose und Therapie

  • Basisdiagnostik: Hormonstatus, Blutzucker, Doppler-Ultraschall der Penisdurchblutung.
  • Weitere Optionen: Penisinjektionstherapie, Vakuumpumpe, Penisprothese; bei psychischer Komponente zusätzlich Sexual- oder Paartherapie.

Gesprächs-Tipp

Vor einem Arztbesuch ist es hilfreich, konkrete Situationen zu notieren, in denen die Erektion versagte, und eine Liste sämtlicher Medikamente mitzubringen. Gerade einige Blutdruckmedikamente und Psychopharmaka können ED auslösen.

Harninkontinenz: Wenn Kontrolle verlorengeht

Rund zehn Millionen Menschen in Deutschland (Männer wie Frauen) sind von unwillkürlichem Urinverlust betroffen.

Dabei wird zwischen verschiedenen Formen unterschieden:

Form Typische Ursache Therapie-Bausteine
Belastungsinkontinenz Beckenbodenschwäche, OP-Folgen Beckenbodentraining, Pessare, Schlingenoperation
Dranginkontinenz Überaktive Blase, Harnwegsinfekt Blasentraining, Antimuskarinika, Botulinum-Toxin
Überlaufinkontinenz Prostatavergrößerung, Neurogene Blase Katheter, Prostatachirurgie, Alpha-Blocker

Selbsthilfe-Tipp

Gruppenkurse für Beckenbodengymnastik werden von vielen Krankenkassen bezuschusst; das gemeinsame Training senkt die Hemmschwelle, über Erfolge und Rückschläge zu reden.

Vaginale Trockenheit: Brennen ist kein Schicksal

Scheidentrockenheit bezeichnet eine unzureichende Befeuchtung der Vaginalschleimhaut, die häufig zu Beschwerden wie Juckreiz, Brennen oder Schmerzen beim Geschlechtsverkehr führen kann.

In einer Langzeitstudie gaben 19 Prozent der Frauen zwischen 42 und 53 Jahren Scheidentrockenheit an; im Alter von 57 bis 69 Jahren stieg der Anteil auf 34 Prozent. Die Beschwerden resultieren meist aus Östrogenmangel in den Wechseljahren, können aber auch Stillzeit, Antihormone oder Stress begleiten.

Behandlung in Stufen

  • pH-neutrale Intimpflege und wasserbasierte Gleitgele.
  • Hyaluron- oder milchsäurehaltige Feuchtigkeitszäpfchen.
  • Lokale Östrogencremes oder -Ringe (bei gynäkologischer Kontrolle).
  • Systemische Hormontherapie bzw. Laser-Behandlung nur nach gründlicher Nutzen-Risiko-Abwägung.

Gesprächs-Tipp

Konkrete Beispiele wie „Brennen zehn Minuten nach dem Verkehr“ oder „Jucken bei Baumwollunterwäsche“ erleichtern der Ärztin eine zielgerichtete Untersuchung.

Hämorrhoiden – Wenn Sitzen zur Qual wird

Schätzungen zufolge entwickeln bis zu 70 Prozent der Erwachsenen im Lauf ihres Lebens vergrößerte Hämorrhoiden. Dennoch suchen nur rund vier Prozent der Betroffenen ärztliche Hilfe – meist aus Scham.

Typische Symptome

  • Juckreiz und Nässen am After
  • Hellrote Blutspuren auf dem Toilettenpapier
  • Druck- oder Fremdkörpergefühl beim Sitzen
  • Prolaps („Knoten“) beim Stuhlgang

Therapie von mild bis invasiv

Stufe Maßnahme Kurzinfo
I. Ballaststoffreiche Kost, ausreichende Flüssigkeitsaufnahme, Salben (Hamamelis, Lidocain) Normalisiert Stuhl, lindert Reizung
II. Gummiband-Ligatur oder Verödung Schmerzarm in der Praxis, Knoten schrumpfen
III. Operative Resektion (Milligan-Morgan, HAL-RAR) Kurzer Klinikaufenthalt, geringe Rezidivrate

Gesprächs-Tipp

Vor dem Termin bei der Hausärztin oder dem Proktologen empfiehlt sich eine stichpunktartige Übersicht der wichtigsten Beobachtungen: Häufigkeit von Blutungen, Intensität des Juckreizes, Dauer des Fremdkörpergefühls sowie bisherige Selbstbehandlungsversuche. Eine kurze Notiz zur Ernährung (Ballaststoffanteil, Trinkmenge) erleichtert die Ursachenforschung. Durch das offene Ansprechen möglicher Schamgefühle entsteht ein vertrauensvolles Klima für die körperliche Untersuchung.

Offene Kommunikation leicht gemacht – Drei-Schritte-Plan

Schematische Darstellung der verschiedenen Erkrankungsgrade bei Hämorrhoiden. Klicken, um zu vergrößern.

Ob plötzlicher Kontrollverlust, schmerzhaftes Brennen oder eine Erektion, die nicht hält, was sie verspricht – intime Beschwerden sind häufig und werden dennoch selten offen angesprochen. Nachfolgend finden Betroffene einige Tipps, wie heikle Gespräche mit Fachpersonal oder Partnern vorbereitet, geführt und nachhaltig begleitet werden können.

1. Vorbereiten

  • Beschwerden, Dauer und Auslöser stichwortartig notieren
  • Geeignete Vertrauensperson auswählen: Hausärztin, Urologe, Gynäkologin, Proktologe
  • Informationsquellen prüfen (seriöse Gesundheitsportale, Fachliteratur)

2. Ansprechen

  • Einstiegsformulierung üben: „Das Thema ist unangenehm, aber …“
  • Konkrete Ich-Botschaften statt vager Umschreibungen verwenden
  • Bei Partner:innen die gemeinsame Lösungssuche betonen, nicht Schuldzuweisungen

3. Dranbleiben

  • Therapieplan schriftlich aushändigen lassen
  • Kontroll- oder Folgetermine möglichst früh vereinbaren
  • Apps oder Tagebücher einsetzen, um Fortschritte zu dokumentieren

Mit Freunden oder dem Partner sprechen

Je nach Gesprächspartner gelten unterschiedliche „Spielregeln“. Zwei typische Szenarien lassen sich unterscheiden:

1. Austausch im Freundeskreis

Vorbereitung: Kurz überlegen, warum bestimmte gemeinsame Aktivitäten – etwa eine lange Radtour oder der Saunabesuch – aktuell Schwierigkeiten bereiten, und gegebenenfalls Alternativen vorschlagen.

Einstieg: Eine sachliche Erklärung nimmt die erste Hürde, zum Beispiel: „Es gibt im Moment ein gesundheitliches Thema, über das ungern gesprochen wird …“.

Schwerpunkt: Häufig reichen knappe Fakten aus. Im Vordergrund steht die Bitte um Verständnis und die Suche nach praktischen Lösungen – etwa eine andere Freizeitgestaltung oder Rücksichtnahme bei gemeinsamen Unternehmungen.

2. Gespräch in der Partnerschaft (etwa bei erektiler Dysfunktion)

Vorbereitung: Einen ruhigen, ungestörten Moment wählen und Informationen zu Ursachen sowie Behandlungsoptionen bereitlegen.

Einstieg: Ein entlastender Satz wie „Das hat nichts mit unserer Beziehung zu tun“ stellt klar, dass keine persönliche Ablehnung dahintersteht.

Schwerpunkt: Gemeinsamkeit betonen („Wir finden eine Lösung“), den Fokus auf Zärtlichkeit statt Leistung legen und konkrete nächste Schritte wie Arzttermin und Therapieversuch besprechen.

In beiden Fällen erleichtert es den Dialog, Schamgefühle offen zu benennen, konkrete Auswirkungen auf gemeinsame Situationen zu erklären und zugleich Lösungswege anzubieten. So wächst Verständnis, und das soziale Umfeld entwickelt sich zu einer wichtigen Stütze auf dem Weg zu mehr Lebensqualität.

Digitale und anonyme Hilfsangebote

Für Betroffene, die den ersten Schritt lieber online oder in geschützter Anonymität gehen, stehen inzwischen mehrere niedrigschwellige Angebote bereit.

Video-Sprechstunde: Viele Fachpraxen bieten Erstgespräche per Telemedizin – ideal, um Hemmschwellen zu überwinden.

Selbsthilfe-Chats: Der Inkontinenz Selbsthilfe e. V. moderiert zum Beispiel ein großes Forum. Der Austausch dort ist anonym und kostenfrei.

Symptom-Tracker-Apps: Zyklus- oder Blasentagebücher erstellen PDF-Berichte für den nächsten Termin.

Fazit: Probleme mit Vertrauenspersonen offen ansprechen für ein besseres Lebensgefühl

Intime Tabus verlieren ihren Schrecken, wenn wir sie beim Namen nennen. Ob Potenzstörung, Inkontinenz, Scheidentrockenheit oder Hämorrhoiden – die meisten Beschwerden lassen sich heute wirksam behandeln. Offenheit ist kein Zeichen von Schwäche, sondern der erste Schritt zu körperlichem Wohlbefinden, seelischer Entlastung und erfüllten Beziehungen.

Quellen

  • Koop, I.: Gastroenterologie compact. Thieme
  • Messmann, H.: Klinische Gastroenterologie. Thieme, Stuttgart 2012
  • Messmann, H.: Lehratlas der Koloskopie: Das Referenzwerk zur Untersuchungstechnik und Befundinterpretation. Thieme, Stuttgart 2014
  • Goerke, K., et al.: Klinikleitfaden Gynäkologie Geburtshilfe. Urban & Fischer, München 2013
  • Kaufmann, M., et al.: Die Gynäkologie. Springer, Berlin 2012
  • Kirschbaum, M., et al.: Checkliste Gynäkologie und Geburtshilfe. Thieme, Stuttgart 2005
  • Despeghel, M., Kreutzig, T.: Nur für Männer! So bleiben Sie gesund. Egmond vgs verlagsgesellschaft, Köln 2006
  • Jacobi, G., Biesalski, H.K., et al.: Anti-Aging für Männer. Thieme, Stuttgart 2004
  • Schatz, H.: Diabetologie kompakt. Thieme, Stuttgart 2006

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