Maligne Hyperthermie
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 13. März 2024Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
Sie sind hier: Startseite Krankheiten Maligne Hyperthermie
Bei der malignen Hyperthermie handelt es sich um eine seltene, aber lebensbedrohliche Narkosekomplikation. Sie wird bei vorhandener genetischer Prädisposition durch verschiedene Triggersubstanzen ausgelöst, zu denen auch einige Narkosemittel zählen.
Inhaltsverzeichnis |
Was ist eine maligne Hyperthermie?
Ursache für die maligne Hyperthermie ist eine genetische Veränderung von Rezeptoren im Skelettmuskel. Normalerweise kontrahiert sich ein Skelettmuskel durch Freisetzung von Calciumionen aus dem sarkoplasmatischen Retikulum, einem Calciumspeicher der Skelettmuskelzellen. Wenn eine Muskelkontraktion ausgelöst werden soll, wird über die motorische Endplatte ein elektrisches Signal auf die Muskelzelle übertragen.
Durch dieses kommt es in den T-Tubuli, also in speziellen Zellmembranausstülpungen, zur Aktivation eines spannungsabhängigen Ionenkanals. Dieser Ionenkanal liegt benachbart zu einem Calciumkanal des sarkoplasmatischen Retikulums. Dieser wird wiederum als Ryanodin-Rezeptor bezeichnet. Er wird in der Folge geöffnet. Nun strömt Calcium in das Zytosol ein, was eine Kontraktion der Myosin- und Aktinfilamente des Muskels ermöglicht. Daraus resultiert eine Kontraktion des gesamten Muskels.
Liegt eine maligne Hyperthermie vor, so sind die genannten Rezeptoren aufgrund einer genetischen Prädisposition so verändert, dass es auch bei der Verabreichung bestimmter Triggersubstanzen, zu denen auch Narkotika zählen, zu einer Calciumfreisetzung im Muskel kommt. Diese ist jedoch viel stärker als im Normalfall. Deshalb werden die Muskelfasern übermäßig aktiviert.
Ursachen
Die freien Calciumionen steigern den Zellstoffwechsel stark, was wiederum einen gesteigerten Sauerstoffumsatz sowie eine erhöhte Kohlenstoffdioxid- und Wärmeproduktion bedingt. Anfangs finden die genannten Prozesse ausschließlich in der Skelettmuskulatur statt, im weiteren Verlauf kommt es dann aufgrund der kontinuierlich schlechter werdenden Regenerationsfähigkeit zu Nekrosen und zu Muskelzerfall.
Weiterhin reichern sich schädliches Kohlenstoffdioxid und Laktat an, welche eine Übersäuerung des Körpers bedingen. Im Zusammenhang damit steigt die Körpertemperatur, was wiederum weitere Organe schädigt. Die Herzmuskulatur ist primär nicht von den krankhaften Veränderungen bei der malignen Hyperthermie betroffen, durch die genannten Vorgänge wird aber im Verlauf auch das Herz geschädigt, sodass es zu einem Tod durch Kreislaufversagen kommen kann.
Symptome, Beschwerden & Anzeichen
Das Krankheitsbild der malignen Hyperthermie zeichnet sich durch eine schwere Stoffwechselentgleisung insbesondere in der Skelettmuskulatur aus. Die weitere Symptomatik ist sehr unterschiedlich. Je nach Zeitpunkt präsentiert sich das Krankheitsbild anders und es treten nicht immer alle Anzeichen auf. Frühe Anzeichnen für eine maligne Hyperthermie sind eine erhöhte Kohlenstoffdioxidkonzentration in der Ausatemluft sowie eine Erhöhung der Herzfrequenz.
Hinzukommen können Muskelstarre, ein Krampf des Musculus masseter, ein genereller Sauerstoffmangel und eine Übersäuerung des Körpers. Erst im späteren Verlauf setzt der namensgebende erhebliche Anstieg der Körpertemperatur ein. Schließlich können noch Herzrhythmusstörungen, ein Blutdruckabfall, ein Muskelzerfall und eine gesteigerte Kaliumfreisetzung hinzukommen. Bereits den Frühzeichen muss unbedingt Beachtung geschenkt werden, da die maligne Hyperthermie zum Tod führt, wenn keine Gegenmaßnahmen ergriffen werden.
Diagnose & Krankheitsverlauf
Weil die Entwicklung einer malignen Hyperthermie akut lebensbedrohlich ist, muss die Diagnose möglichst frühzeitig gestellt werden und dann unverzüglich eine effektive Therapie eingeleitet werden. Vorrang hat in jedem Fall das Stoppen der Zufuhr von triggernden Substanzen. Inhalationsanästhetika werden abgesetzt und die Narkose wird mit intravenösen Medikamenten weitergeführt. Diese weisen im Normalfall keine die maligne Hyperthermie triggernde Wirkung auf.
Komplikationen
Weiterhin tritt auch eine Muskelstarre auf und die Patienten leiden an einem Sauerstoffmangel. Durch die Unterversorgung der Organe mit Sauerstoff kann es zu schweren Beschädigungen an den inneren Organen kommen, die in der Regel irreversibel sind und nicht mehr behandelt werden können. Im schlimmsten Falle stirbt der Patient, wenn die Beschwerde nicht sofort behandelt wird. Es kommt zu Beschwerden am Herzen und schließlich auch zum Herztode.
Die Behandlung dieser Beschwerde erfolgt mit Hilfe von Medikamenten. Dadurch werden die Beschwerden gelindert und der Kreislauf wird stabilisiert. Komplikationen treten in den meisten Fällen erst dann auf, wenn die Behandlung nicht frühzeitig eintritt. Bei einer erfolgreichen Behandlung kommt es nicht zu einer Verringerung der Lebenserwartung.
Wann sollte man zum Arzt gehen?
Die maligne Hyperthermie ist eine Komplikation bei einer Narkose. Es handelt sich daher nicht um eine Erkrankung, deren Symptome im Alltag auftreten und damit Hinweise für einen Behandlungsbedarf geben. Da sich der Patient während einer Narkose bereits unter einer ärztlichen Aufsicht befindet, besteht kein Handlungsbedarf für den Betroffenen.
Zudem wurde der Patient in dieser Phase in einen Zustand der Bewusstlosigkeit versetzt. Ihm ist es daher nicht möglich, auf vorhandene Beschwerden oder Unregelmäßigkeiten des vegetativen Nervensystems hinzuweisen. Die auftretenden Veränderungen innerhalb des Organismus werden von dem anwesenden Krankenhauspersonal bemerkt und unverzüglich an den behandelnden Arzt weitergeleitet.
Die Konsultation eines Arztes ist notwendig, sobald innerhalb der Familie bei einem Blutsverwandten die Diagnose einer malignen Hyperthermie gestellt wurde. Zur Abklärung, ob die Erkrankung vererbt wurde, sollten spezielle Untersuchungen und Tests bei den Nachkommen durchgeführt werden. Vor einem operativen Eingriff ist bei den Betroffenen mit einer bestehenden genetischen Disposition die Rücksprache mit dem behandelnden Arzt notwendig. Er ist ausführlich über die Vorfälle innerhalb der Familie zu informieren und bestehende Testergebnisse sollten vorgelegt werden.
Behandlung & Therapie
Eine spezifische medikamentöse Therapie ist durch den Wirkstoff Dantrolen möglich. Dabei handelt es sich um eine Substanz, die intravenös verabreicht wird und die die Calciumfreisetzung aus dem sarkoplasmatischen Retikulum hemmt. So wird die maligne Hyperthermie ursächlich therapiert. Parallel dazu findet aber auch noch eine symptomatische Therapie statt.
Diese umfasst eine Kreislaufstabilisation, einen Ausgleich der Übersäuerung des Körpers, eine Zufuhr von Elektrolyten und falls vorhanden auch die Behandlung von Herzrhythmusstörungen. Bei der Hyperthermie, also der Erhöhung der Körpertemperatur, handelt es sich um ein Spätsymptom. Aus diesem Grund ist eine aktive Kühlung des Körpers erst im weiteren Fortgang notwendig. Zu jeder Zeit sollte eine Kreislaufüberwachung durch eine invasive Blutdruckregistrierung über einen arterieller Katheter stattfinden. Ist der Patient stabilisiert, so muss er unbedingt noch einige Zeit auf der Intensivstation überwacht werden.
Aussicht & Prognose
Unbehandelt führt die maligne Hyperthermie zu einem vorzeitigen Ableben des Betroffenen. Es treten diverse Beschwerden gleichzeitig auf, so dass neben schweren Störungen der organischen Tätigkeit auch ein akuter Sauerstoffmangel zu erwarten ist. Aus diesem Grund muss der Betroffene frühestmöglich eine medizinische Versorgung erhalten. Kommt es zu Verzögerungen oder keiner intensivmedizinischen Betreuung, sind die Überlebenschancen äußerst gering.
Die Prognose verbessert sich, wenn unverzüglich eine Stabilisierung des Kreislaufs eingeleitet wird. Der Blutdruck muss überwacht werden und der Betroffene benötigt eine Zufuhr von Elektrolyten. Liegen weitere Erkrankungen des Herzrhythmussystems vor, verschlechtert sich die Prognose. Die Krankheiten können zu erheblichen Komplikationen führen und ebenfalls den Tod des Patienten bewirken. Kann der lebensbedrohliche Zustand abgewendet werden, muss der Betroffene noch einige Zeit stationär versorgt werden. Sein Gesundheitszustand ist über mehrere Wochen täglich zu kontrollieren, damit Unregelmäßigkeiten oder Veränderungen dokumentiert werden können.
In einigen Fällen sind Folgebehandlungen notwendig, damit der Organismus ausreichend versorgt wird. Dennoch können Betroffene, die diesen gesundheitlichen Notfall überlebt haben, meist nach einigen Monaten beschwerdefrei aus der Behandlung entlassen werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn keine weiteren Erkrankungen vorhanden sind. Andernfalls verschlechtert sich die Prognose der Patient muss langfristig medizinisch von einem Arzt überwacht werden.
Vorbeugung
Zur Vorbeugung der Entwicklung einer malignen Hyperthermie werden heute verschiedene Maßnahmen ergriffen. Bei jeder geplanten Narkose wird in einem Vorgespräch ein eventuelles Auftreten der malignen Hyperthermie in der Familie des Patienten erfragt. Falls sich ein Verdacht auf eine entsprechende Veranlagung ergibt, werden zumindest vor geplanten Eingriffen weitere Tests durchgeführt.
Zwei wichtige Testverfahren stehen dabei im Vordergrund: der In-vitro-Kontraktur-Test und die molekulargenetische Diagnostik. Beim In-vitro-Kontraktur-Test wird eine Muskelbiopsie genommen, welche dann anschließend den Triggersubstanzen Koffein und Halothan ausgesetzt wird. Weisen Patienten eine entsprechende Veranlagung auf, so kontrahiert sich die entnommene Probe infolgedessen. Dieser Test stellt den Goldstandard in der Diagnostik der malignen Hyperthermie dar.
Bei der molekulargenetischen Diagnostik wird dem Patienten eine Blutprobe entnommen und diese auf charakteristische genetische Veränderungen untersucht. Diese Methode ist weniger aufwändig als der In-vitro-Kontraktur-Test. Jedoch ist sie auch nicht so genau. Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass Wachsamkeit des behandelnden Personals sowie eine vorherige Testung bei Veranlagung die besten Möglichkeiten darstellen, um eine maligne Hyperthermie zu vermeiden.
Nachsorge
Bei der malignen Hyperthermie kommt es bei Betroffenen zu einer lebensbedrohlichen Situation, die unverzüglich durch einen Arzt behandelt werden muss. Die Unterversorgung mit Sauerstoff kann zu schweren Schädigungen der inneren Organe führen. Die Schädigungen sind in der Regel nicht zu beheben. Wenn die Komplikation nicht sofort behandelt wird, stirbt der Betroffene in der Regel schnell an den Folgen.
Die Nachsorge konzentriert sich darauf, den Patienten behutsam wieder an das gewohnt Leben heranzuführen. Neben ärztlichen Kontrolluntersuchungen, die regelmäßig wahrgenommen werden sollten, ist es mitunter hilfreich, aufbauende Gespräche mit lieben Menschen aus dem nahen Umfeld wahrzunehmen. So kann die mentale Belastung ein wenig gemindert werden und ein selbstbewusster Umgang mit dem Erlebnis gefördert werden. Sofern der behandelnde Arzt das ok gibt, kann der Patient wieder selbstständig durch den Alltag gehen.
Das können Sie selbst tun
Bei einem akuten Ausbruch der malignen Hyperthermie (MH) infolge einer Narkose muss der Patient zur Verhinderung eines letalen Ausgangs intensivmedizinisch behandelt werden. In diesem Zustand gibt es keine Möglichkeit für eine Selbstmedikation oder Selbsthilfe.
Der Patient hat allerdings die Möglichkeit, präventiv bei der Verhinderung einer akuten Krise mitzuwirken. Da es sich um eine genetisch bedingte Prädisposition handelt, ist der Patient im Vorfeld einer Operation verpflichtet, den Narkosearzt zu informieren, wenn in der Familie bereits ein Fall von MH aufgetreten ist. Der Arzt sollte auch Kenntnis von eventuellen Muskelerkrankungen haben. So kann es unter anderem im Rahmen von verschiedenen Myopathien wie der Central-Core-Myopathie, der Multiminicore-Myopathie, der periodischen hypokaliämischen Lähmung oder anderen Muskelerkrankungen zu MH kommen. Der Patient sollte außerdem dem Arzt in einem Anamnesegespräch vor einer notwendigen Narkose über ungewöhnliche Symptome wie Muskellähmungen, Muskelschwächen oder häufige Muskelsteifigkeit berichten. Dazu zählen auch eventuell erlittene Hitzschläge bei sportlicher Betätigung.
Empfehlenswert ist bei bereits getesteten Personen auch die Vorlage von Untersuchungsergebnissen eines MH-Labors und nach Möglichkeit eines MH-Ausweises. Als sicherste Untersuchungsmethode gilt der In-vitro-Kontraktur-Test (IVKT). Vor einem Test ist es für den Patienten dringend erforderlich, schriftlich oder telefonisch mit dem Testzentrum Kontakt aufzunehmen, um zu klären, welche Unterlagen und Untersuchungsergebnisse eingereicht werden müssen. Da die Muskelprobe nur im lebendigen und frischen Zustand untersucht werden kann, muss der Patient nach Einreichung aller notwendigen Unterlagen zudem einen Termin vor Ort vereinbaren.
Quellen
- Bleese, N., Mommsen, U., Schumpelick, V.: Kurzlehrbuch Chirurgie. Thieme, Stuttgart 2010
- Herold, G.: Innere Medizin. Selbstverlag, Köln 2016
- Largiadèer, F., et al.: Checkliste Chirurgie. Thieme, Stuttgart 2012