Vesikorenaler Reflux
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 5. März 2024Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
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Als Vesikorenaler Reflux wird ein Rückfluss des Harns aus der Blase in die Harnleiter oder sogar zurück bis in die Nierenbecken bezeichnet. Der Rückfluss kann entstehen, wenn die Ventilfunktion an der Eintrittsstelle der Harnleiter in die Blase gestört ist. Durch den Rückfluss des Urins können Bakterien in die Nierenbecken gelangen und Nierenbeckenentzündungen verursachen. Ein chronischer Reflux des Urins kann zu Funktionsstörungen der Nieren führen.
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Was ist Vesikorenaler Reflux?
Die beiden Harnleiter, die aus den beiden Nierenbecken in der Ureteröffnung in die Blase münden, lassen den Harn normalerweise nur in der Richtung Blase passieren.
Die Ureteröffnung nimmt sozusagen eine Ventilfunktion wahr, um den Rückfluss des Harns in Richtung Nieren zu verhindern. Wenn die Ventilfunktion gestört ist, kann es zu einem Rückfluss (Reflux) des Harns in die oberen Harnleiter oder sogar bis in die Nierenbecken kommen. Die Störung kann an einem oder an beiden oberen Harnleitern auftreten.
Die Fehlfunktion an der Eintrittsstelle der Harnleiter in die Blase ist meist angeboren, kann aber auch später erworben werden. Der Reflux wird je nach Schwere einer von fünf Klassen von Klasse I bis Klasse V zugeteilt. Der Reflux kann zu Harnwegsinfektionen bis hin zu Nierenbeckenentzündungen führen und letztlich – wenn die Krankheit nicht behandelt wird – schwere Nierenschäden oder sogar einen Funktionsverlust der Nieren verursachen.
Ursachen
Eine andere Form der genetisch bedingten Entwicklungsstörung liegt vor, wenn ein Harnleiter doppelt angelegt ist (Ureter duplex), was ebenfalls einen Reflux des Harns verursachen kann. Ein sekundärer oder erworbener vesikorenaler Reflux liegt vor, wenn sich der Reflux erst nachträglich aufgrund äußerer Umstände einstellt.
Die Ursachen dafür können eine Harnwegsinfektion oder eine direkte Schädigung sein, die z. B. bei einer Harnleiterspiegelung mit Aufdehnung der Harnleiter entstehen kann. Eine Nervenerkrankung (Spina bifida) und eine angeborene Verengung der Harnröhre können ebenfalls als Verursacher des Reflux in Betracht kommen.
Symptome, Beschwerden & Anzeichen
Der vesikorenale Reflux ist erst in der Spätphase mit Beschwerden verbunden. Betroffene klagen dann über Schmerzen, wenn sie urinieren. Der Reflux kann in unterschiedlicher Intensität vorliegen. Betroffen sind alle Altersgruppen. Kinder erleben oft eine Heilung ohne ärztlichen Eingriff.
Patienten berichten regelmäßig, dass ihr Urin einen üblen Geruch annimmt. Auch der Drang danach, die Blase zu entleeren, hat sich deutlich erhöht. Ein Brennen während des Wasserlassens und Krämpfe treten auf. Vielfach ist der vesikorenale Reflux mit einer Anfälligkeit für Infektionen verbunden. Schmerzen an der gesamten Flanke kommen auf. Auch Bauschmerzen und Durchfall sind mögliche Begleiterscheinungen.
Der vesikorenale Reflux macht die Infektion der Niere wahrscheinlich. In der Folge stellt sich eine Nierenbeckenentzündung ein. Betroffene klagen dann über eine erhöhte Temperatur. Auch Schüttelfrost ist möglich. Starke Schmerzen an der Niere entstehen bei Toilettengängen. Wird eine medizinische Behandlung unterlassen, ist ein Versagen der Niere möglich.
Langfristige Folgen haben Auswirkungen auf das Wasserlassen. Inkontinenz beziehungsweise unkontrollierbares Urinieren begleiten den Alltag und stellen eine psychische Belastung dar. Nachts ist das von Kindern bekannte Bettnässen anzutreffen. Manchmal entwickelt sich sogar Bluthochdruck. Bei Minderjährigen können sogar Wachstumsstörungen auftreten.
Diagnose & Verlauf
Da es sich in den meisten Fällen eines Reflux um angeborene Fehlentwicklungen innerhalb des Urinaltraktes handelt und diese von außen nicht sichtbar sind, können bei Säuglingen und Kleinkindern Untergewicht und Blässe, Fieber sowie Wiedereinnässen, Erbrechen oder Durchfall und Bauchschmerzen als Symptome für das Vorliegen eines primären vesikorenalen Reflux gedeutet werden, vor allem, wenn in der Familie Fälle bekannt sind.
Bei Jugendlichen und Erwachsenen können Harndrang mit Brennen beim Wasserlassen, unangenehm übelriechender Harn, Nierenschmerzen und mit Schmerzen verbundenes Wasserlassen auf einen Reflux hindeuten. Die Symptome sollten näher abgeklärt werden. Als wichtigste Diagnoseverfahren bieten sich hierfür Ultraschall, Harnstrahlmessung und ein Miktionszystourethrogramm an, mit dem die Schließfähigkeit der Harnleiter am Blaseneintritt gemessen werden kann.
Je nach Schweregrad des Reflux kommt es unbehandelt zu erweiterten Harnleitern und zu chronischen Nierenbeckenentzündungen bis hin zu einer Insuffizienz der Nieren. In weniger schweren Fällen sind auch spontane Ausheilungen bei Kindern bis zum 10. Lebensjahr zu beobachten.
Komplikationen
In vielen Fällen kommt es bei dieser Erkrankung nicht zu besonderen Symptomen oder zu Komplikationen, sodass die Krankheit erst relativ spät entdeckt wird. Die Betroffenen leiden dabei in erster Linie an einem Bettnässen. Dieses kann sich auch sehr negativ auf die Psyche des Betroffenen auswirken und damit auch zu Mobbing oder zu Hänseleien beim Patienten führen.
Viele Betroffene leiden weiterhin auch an Depressionen und an einem deutlich verringerten Selbstwertgefühl oder an Minderwertigkeitskomplexen. Die Lebensqualität wird durch die Erkrankung deutlich eingeschränkt und verringert. Weiterhin tritt auch eine Niereninsuffizienz auf, wenn die Erkrankung nicht behandelt wird. Dabei können die Betroffenen im schlimmsten Fall versterben.
Sie sind dann auf die Transplantation einer Niere oder auf eine Dialyse angewiesen, um nicht zu versterben. Vor allem bei Kindern kann die Krankheit auch zu Wachstumsstörungen führen, sodass es auch im Erwachsenenalter zu Komplikationen kommen kann. Beim Wasserlassen kommt es häufig zu Schmerzen und der Harn riecht sehr unangenehm.
Die Behandlung der Krankheit wird in der Regel durch einen operativen Eingriff durchgeführt. Komplikationen treten dabei nicht auf. In der Regel können damit alle Beschwerden eingeschränkt und gelindert werden. Ob sich die Erkrankung negativ auf die Lebenserwartung des Patienten auswirkt, hängt stark vom Zeitpunkt der Diagnose ab.
Wann sollte man zum Arzt gehen?
Unregelmäßigkeiten beim Wasserlassen, Krämpfe im Unterleib oder ein brennendes Gefühl im Bereich der Blase, der Niere sowie der Harnleiter sind Anzeichen einer vorhandenen Erkrankung. Ein Arztbesuch ist notwendig, wenn die Beschwerden über mehrere Tage anhalten oder zunehmen. Durchfall, ein allgemeines Unwohlsein sowie eine innere Gereiztheit sind weitere Symptome einer Störung. Kommt es zu Appetitlosigkeit, Auffälligkeiten des Verhaltens oder einer inneren Schwäche, benötigt der Betroffene einen Arzt. Ein allgemeines Krankheitsgefühl, Mattigkeit, Inkontinenz oder eine erhöhte Körpertemperatur sollten medizinisch untersucht und behandelt werden.
Schweißausbrüche, Schüttelfrost oder Auffälligkeiten des Herz-Kreislauf-Systems müssen begutachtet werden. Ein Arztbesuch ist notwendig bei einer Geruchsauffälligkeit des Urins, einem blassen Erscheinungsbild, Bauchschmerzen oder einer gekrümmten Körperhaltung. Ein Rückzugsverhalten, nächtliches Einnässen, Erbrechen und Übelkeit müssen ebenfalls einem Arzt vorgestellt werden.
Zeigen sich bei Kindern Störungen des Wachstums, sind die Beobachtungen mit einem Arzt zu besprechen. Kommt es zu psychischen Auffälligkeiten, einem aggressiven Auftreten sowie zu einer Apathie benötigt der Betroffene Hilfe. Eine anhaltend herabgesetzte Lebensqualität kann zu schwerwiegenden Komplikationen führen. Bei einem besonders ungünstigen Krankheitsverlauf kann das vorzeitige Ableben des Betroffenen eintreten. Daher sollte die Zusammenarbeit mit einem Arzt bereits bei den ersten Unregelmäßigkeiten und Auffälligkeiten gesucht werden.
Behandlung & Therapie
Bei Reflux mit mäßigem Schweregrad wird eine Behandlung mit niedrig dosierten Antibiotika empfohlen, um Entzündungen im Harntrakt vorzubeugen. Bei Vorliegen eines höheren Schweregrades von Reflux und bei Gefahr von Nierenfunktionsstörungen ist ein operativer Eingriff angezeigt.
Der Harnleiter wird von der Blase abgetrennt und in einer verlängerten Strecke wieder in die Blase eingepflanzt. Für diesen offenen operativen Eingriff, der antirefluxiven Harnleiterneuimplantation, stehen mehrere verschiedene OP-Methoden zur Verfügung. Die Erfolgsaussichten für den Eingriff sind hoch und werden mit über 90% angegeben.
Es gibt auch die Möglichkeit, während einer Blasenspiegelung ein Medikament unter dem Harnleiter in die Blasenwand zu spritzen. Das Medikament soll den Harnleiter verengen und den Rückfluss des Urins stoppen. Dieser minimalinvasive Eingriff vermeidet die Risiken einer offenen Operation, hat aber den Nachteil der geringeren Erfolgsquote.
Vorbeugung
Eine direkte Vorsorge zur Vermeidung eines primären Reflux ist nicht möglich. Sollten aber Fälle von Reflux in der Familie bekannt sein, werden Untersuchungen angeraten, um einen eventuellen Reflux auszuschließen.
Bei bereits diagnostiziertem Reflux wird empfohlen, die Blasenentleerung in mindestens 2 Etappen durchzuführen und nach der ersten Entleerung mehrere Minuten zu warten, weil dann zurückgedrückter Harn aus den Harnleitern wieder in die Blase fließen kann und mit ausgeschieden wird, wenn die 2. Entleerung mit möglichst wenig Druck erfolgt.
Nachsorge
Eine Nachbehandlung ist erforderlich, wenn der vesikorenale Reflux durch einen chirurgischen Eingriff behandelt wird, was bereits im Kindesalter erfolgt. In den meisten Fällen nimmt die Operation einen erfolgreichen Verlauf. Im Rahmen der Nachsorge erhält das operierte Kind auch dann noch Antibiotika zu Vorbeugung, wenn es das Krankenhaus wieder verlassen hat.
So muss die Gabe der antibiotischen Mittel noch eine gewisse Zeit fortgeführt werden. Für ungefähr zwei bis vier Wochen ist es notwendig, dass sich das Kind körperlich schont. Findet dagegen eine endoskopische Ostiumunterspritzung statt, bedarf es keiner physischen Schonung.
Einen wichtigen Teil der Nachsorge stellen die Kontrolluntersuchungen dar. Dabei werden drei Wochen nach dem Eingriff eine Ultraschalluntersuchung (Sonografie) sowie eine Untersuchung des Urins vorgenommen. Weitere Kontrollen finden nach drei Monaten sowie nach einem Jahr statt.
Bei offenen Eingriffen liegt die Erfolgsquote besonders hoch. Daher ist in diesen Fällen ein zusätzlicher Routine-Refluxtest in Form eines Miktionszysturethrogramms (MCUG) nicht erforderlich. Bei einer endoskopischen Ostiumunterspritzung erfolgt lediglich in Ausnahmefällen drei Monate nach der Operation ein MCUG, was letztlich vom Umfang des Refluxes sowie dem Heilungsverlauf abhängt.
Als besonders wichtige Nachsorgemaßnahme gilt die Kontrolle per Sonografie, die mit der speziellen 4D-Ultraschalltechnik durchgeführt wird und zur Erkennung von Rezidiven dient. Sie findet drei bis sechs Monate nach dem chirurgischen Eingriff statt.
Das können Sie selbst tun
Ein Vesikorenaler Reflux heilt in den meisten Fällen von alleine wieder aus. Die wichtigste Selbsthilfe-Maßnahme besteht in einer Infektprophylaxe, indem ein gesunder Lebensstil gepflegt wird.
Sollte der Vesikorenale Reflux bestehen bleiben, ist eine therapeutische Behandlung notwendig. Nach dem Eingriff gelten Schonung und Ruhe. Patienten sollten zudem viel Wasser trinken, um die Ausschwemmung etwaiger Viren zu fördern. Der behandelnde Arzt kann die genauen Maßnahmen nennen. In jedem Fall muss bei einem Vesikorenalen Reflux eine engmaschige ärztliche Überwachung stattfinden. Es gilt, das Leiden frühzeitig abklären zu lassen. Sollten Beschwerden wie Schmerzen oder Probleme beim Wasser lassen auftreten, muss der Arzt informiert werden.
Neben ärztlich verordneten Schmerzmitteln bieten sich verschiedene natürliche Schmerzmittel an, etwa Präparate mit Johanniskraut oder Baldrian. Außerdem helfen kühlende und wärmende Auflagen bei der Genesung, indem sie die Schmerzen lindern und die Durchblutung im betroffenen Bereich fördern. Da der Harntrakt sehr empfindlich ist, sollte die Anwendung von reizenden Haus- oder Naturheilmitteln zunächst mit dem behandelnden Arzt besprochen werden. Durch diese Maßnahmen sollte der Vesikorenale Reflux nach der Operation zuverlässig abheilen.
Quellen
- Finke, F., Piechota, H., Schaefer, R.M., Sökeland, J., Stephan-Odenthal, M., Linden, P.: Die urologische Praxis. Uni-Med, Bremen 2007
- Gasser, T.: Basiswissen Urologie. Springer, Berlin 2011
- Hautmann, R.: Urologie. Springer, Berlin Heidelberg 2014