Astereognosie

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 10. November 2021
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

Sie sind hier: Startseite Krankheiten Astereognosie

Eine Astereognosie ist die Unfähigkeit zur Formerkennung durch Betasten mit geschlossenen Augen. Als Ursache liegt eine Schädigung des zentralen Nervensystems vor, wo Tasteindrücke verarbeitet und zur Erkennung gebracht werden. Die Astereognosie ist ursächlich in den meisten Fällen nicht behandelbar und lässt sich aus diesem Grund durch gezieltes Tasttraining meist bestenfalls ablindern.

Inhaltsverzeichnis

Was ist Astereognosie?

Die Fähigkeit zur Formerkennung durch bloßes Betasten ist im primär somatosensiblen Cortex des Gehirns angesiedelt. Dabei handelt es sich um einen definierten Anteil der Großhirnrinde zur zentralen Verarbeitung haptischer Wahrnehmung.
© marina_ua - stock.adobe.com

Der Mensch ist dazu in der Lage, Dinge durch bloßes Betasten zu erkennen. Sogar mit geschlossenen Augen verrät ihm die Form und die Konsistenz des Betasteten genügend über die Objekteigenschaft. Der Tastsinn ist damit neben der Berührungserkennung auch für die aktive Tastexploration von Dingen mit geschlossenen Augen verantwortlich. Neben den Strukturen des Tastsinns spielen für die Objekterkennung die assoziativen Zentren und Gedächtnisabschnitte des Gehirns eine Rolle.

Das Betastete wird mit früheren Tasterfahrungen verglichen und so idealerweise erkannt. Die Fähigkeit zur Objekterkennung mittels aktiver Exploration wird als Stereognosie bezeichnet. Wenn diesbezüglich eine Unfähigkeit vorliegt, ist von Astereognosie die Rede. Patienten mit diesem Krankheitssymptom können Dinge durch bloßes Betasten nicht mehr erkennen.

Synonym zu der Krankheitsbezeichnung werden die Begriffe Tastlähmung, taktile Agnosie und Stereoagnosie verwendet. Die Astereognosie zählt zu den Agnosien. Als solche sind neuropsychologische Störungen nach zerebral uni- oder bilateral kortikalen oder subkortikale Läsionen bekannt, die die zentrale Sinnesverarbeitung beeinträchtigen.

Ursachen

Die Fähigkeit zur Formerkennung durch bloßes Betasten ist im primär somatosensiblen Cortex des Gehirns angesiedelt. Dabei handelt es sich um einen definierten Anteil der Großhirnrinde zur zentralen Verarbeitung haptischer Wahrnehmung. Die eingehenden Informationen entstammen den Rezeptoren der Haut oder den Rezeptoren im Inneren des Körpers. Im somatosensorischen Cortex werden neben Berührungen, Druckempfindungen, Vibrationen und Temperaturen teilweise auch Schmerzempfindungen verarbeitet.

Der somatosensorische Cortex ist das Ende des Neolemniscus und ist in primär-sensible Areale im Sinne der Brodmann-Areale 1, 2 und 3 unterteilt. Daneben enthält er die sekundär-sensiblen Assoziationsareale im Sinne der Areale 40 und 43. Der Großteil des primär-sensiblen Cortex sitzt auf dem Gyrus postcentralis hinter der Zentralfurche. Der sekundäre Anteil schließt nach hinten unten an. In den meisten Fällen ist eine Astereognosie durch Schädigungen des Gehirns in den genannten Arealen bedingt.

Besonders oft tritt das Symptom nach Schädigungen der sekundär assoziativen Areale auf. Solche Schädigungen können traumatische Ursache haben, aber ebenso gut durch neurologische Erkrankungen wie Multiple Sklerose bedingt sein. Auch Tumorerkrankungen oder Schlaganfälle und degenerative Veränderungen kommen als Ursache der Läsionen infrage. Schädigungen des parietalen Assoziationscortex in der nicht-sprachdominanten Großhirnhemisphäre nach einem Schlaganfall sind die mitunter häufigste Ursache.


Symptome, Beschwerden & Anzeichen

Bei Patienten der Astereognosie nehmen die Rezeptoren des Tastsinns durchaus primäre Sinneseindrücke wahr. Die Empfindung als erster Schritt der Wahrnehmung ist also nicht gestört. Eine Störung liegt ausschließlich in der zentralen Verarbeitung der Sinneseindrücke vor. Der Sehsinn der Patienten funktioniert in den meisten Fällen einwandfrei. Daher können sie Gegenstände und Formen trotz der Astereognosie noch benennen, solange sie die Augen offen halten.

Wenn sie die Augen aber schließen und Formen durch den bloßen Tasteindruck zuordnen sollen, sind sie dazu nicht in der Lage. Dieses Symptom einer zentralen Läsion tritt selten isoliert auf. In den meisten Fällen ist das Symptom der Astereognosie mit charakteristischen Symptomen der jeweiligen Schädigung vergesellschaftet. Einige der Patienten leiden dementsprechend zusätzlich an Störungen des Vibrationsempfindens.

Andere leiden an zusätzlichen Störungen der Propriozeption oder der generellen Berührungsempfindlichkeit. Ebenso oft manifestieren sich zusätzlich Störungen der Thermozeption oder der Schmerzempfindung. Welche Symptome im Einzelfall genau eintreten, hängt von der Lokalisation der jeweiligen Schädigung ab.

Diagnose

Die Diagnose einer Astereognosie erfolgt vorwiegend anamnetisch oder durch einen Tasterkennungstest. Eine Bildgebung des Gehirns lässt eine nähere Einordnung der Objekterkennungsunfähigkeit zu und ermöglicht die Lokalisation auf einen bestimmten Gehirnbereich.

Zur Diagnosestellung ist eine differentialdiagnostische Abgrenzung von Sensibilitätsstörungen und kognitiven Beeinträchtigungen anderer Art erforderlich. Oft findet die Diagnostik der ursächlichen Gehirnläsion vor der symptomatischen Diagnose einer Astereognosie statt.

Komplikationen

Die Astereognosie führt zu keinen physischen Komplikationen. Allerdings kann sie das Leben des Betroffenen stark einschränken und kann in der Regel nicht behandelt werden. Die meisten Betroffenen können alle anderen Sinneseindrücke ohne Probleme und Schwierigkeiten erkennen, allerdings können keine Formen erkannt werden. Durch die Astereognosie können psychologische Probleme und ein verringertes Selbstwertgefühl entstehen.

Vor allem Kinder können dabei benachteiligt werden, wenn diese im jungen Alter aufgrund der Astereognosie gemobbt werden. Bei den meisten Menschen treten auch Störungen bei den Empfindungen von Wärme und Kälte auf. Dabei können Verletzungen auftreten, da extreme und gefährliche Situationen nicht richtig eingeschätzt werden können. Auch der Alltag wird durch die Astereognosie erschwert, was vor allem bei blinden Menschen zu starken Orientierungsproblemen führen kann.

Eine Behandlung ist nicht möglich. Allerdings können die Fähigkeiten trainiert und geübt werden, sodass die Astereognosie stark eingeschränkt werden kann. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn die Astereognosie nach einem Schlaganfall entstanden ist. Dabei treten zwar keine Komplikationen auf, allerdings kann nicht vorausgesagt werden, ob die Astereognosie vollständig zurückgeht. Bei Entzündungen im Gehirn können operative Eingriffe vorgenommen werden, die ebenso zu einem positiven Krankheitsverlauf führen.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

Die Erkennung der Strukturen von Gegenständen oder Oberflächen ohne Beteiligung der Augen setzt voraus, dass die Primärreize verschiedener Tastsensoren in der Haut sowie zusätzlich andere haptische Reize wie Druck- und Vibrationsempfindungen und auch Schmerzreize von den Sensoren korrekt erfasst und als Impulse an Hirnareale des somatosensorischen Cortex senden. Dort werden die Reize in einem komplexen Verarbeitungsprozess zu einem Gesamteindruck zusammengefasst, der es uns erlaubt, Form und Beschaffenheit eines Gegenstandes auch ohne Blickkontakt zu erkennen.

Die Charakteristik der Astereognosie besteht darin, dass die sensorischen Reize zwar korrekt an das Gehirn gesendet werden, die zuständigen Zentren aber nicht in der Lage sind, die ankommenden Reize zu einem Gesamtbild zu verarbeiten. Meist wird die Astereognosie durch einen Unfall mit Gehirnläsionen, durch einen Schlaganfall oder durch Tumoren im ZNS durch Raumbeanspruchung erworben.

Falls Symptome auftreten, die auf eine Astereognosie schließen lassen, sollte unbedingt ärztlicher Rat bei einem erfahrenen Spezialisten eingeholt werden, um das Ausmaß der Fehlfunktionen des Gehirns zu erkennen. Anhand der Diagnose kann ein Trainingsprogramm erarbeitet werden, das hilft, die Auswirkungen der neurologischen Defizite zu verringern.

Eine medikamentöse oder sonstige Therapie, die die Erkrankung heilen könnte, ist nicht existent. Interessanterweise folgt auch bei einem völlig intakten Tastsinn der Formeindruck strikt dem Seheindruck im Falle eines Konfliktes zwischen den beiden Eindrücken. Beispielsweise scheint eine gerade Stange einen Knick zu haben, wenn man sie durch ein Prisma betrachtet. Der Tastsinn meldet diesen Knick fälschlicherweise ebenfalls, ein Eindruck, der beim Schließen der Augen sofort verschwindet.

Behandlung & Therapie

Eine ursächliche Therapie steht für eine Astereognosie in den meisten Fällen nicht zur Verfügung. Zur ursächlichen Therapie müsste die jeweilige Ursache beseitigt werden. Bei sämtlichen Läsionen des zentralen Nervensystems ist eine vollumfängliche meist Beseitigung nicht möglich. Zentrales Nervengewebe ist nicht zur vollständigen Regeneration in der Lage. Wenn beispielsweise eine Gehirnentzündung das Symptom der Astereognosie hervorgerufen hat, so kann die Entzündung mittels Cortison-Gabe zwar zum Abklingen gebracht werden, aber im entzündeten Bereich bleiben Narben zurück.

Diese Narben beeinträchtigen die Fähigkeit auf lange Sicht weiterhin. Allerdings liegt dann in der Regel keine vollständige Agnosie mehr vor, sondern lediglich eine verminderte Verarbeitungsfähigkeit der betroffenen Areale. Auch nach Schlaganfällen und traumatischen Gehirnverletzungen bleiben Narben und somit Beeinträchtigungen zurück. Bei Tumoren verhält es sich etwas anders.

In diesem Fall kann die vollständige Entfernung des Tumors unter Umständen der kausalen Therapie dienen und die Fähigkeit der Stereognosie wieder vollumfänglich herstellen. Unter Umständen kann in allen anderen Fällen neben der Therapie der Primärerkrankung ein Training der Tastfähigkeit eine vorliegende Astereognosie zumindest verbessern. Idealerweise übernehmen nach gezieltem Training benachbarte Zellen des Gehirns die Zuständigkeiten der defekten Gehirnzellen.

Aussicht & Prognose

Die Prognose für eine Astereognosie gilt unter den aktuellen wissenschaftlichen Gegebenheiten als ungünstig. Die Erkrankung kann mit den derzeitigen medizinischen Möglichkeiten nicht behandelt werden. Eine Linderung der Symptome ist ebenfalls nicht möglich. Die Störung entsteht durch Schädigungen im kortikalen Bereich. Das Gewebe im Gehirn gilt bei Beschädigungen als nicht reparabel.

Trotz zahlreicher Bemühungen, ist es Wissenschaftlern und Forschern bis zum heutigen Tag nicht gelungen, defektes Gehirngewebe durch Arzneien oder operative Eingriffe zu heilen. Ein Austausch des Gehirn vergleichbar etwa wie bei einer Organtransplantation ist mit den bisherigen Möglichkeiten ebenfalls ausgeschlossen. Wenngleich die Bemühungen der Forscher fortdauern, kann einem Patienten mit einer Astereognosie derzeit keine positive Heilungsaussicht gegeben werden.

Mit einer Zunahme der vorhandenen Symptome ist darüber hinaus ebenfalls nicht zu rechnen. Die Hirnschädigung breitet sich nach den bisherigen Erkenntnissen und Behandlungsberichten nicht weiter aus. Die Möglichkeiten der Selbsthilfe oder alternativer Heilmethoden führen bei einer Astereognosie ebenfalls zu keinem Erfolg.

Der Organismus kann aus eigenen Kräften keine Selbstheilung für Beschädigungen des Hirngewebes vollbringen. Darüber hinaus sind auch die Voraussetzungen für ein alternatives Naturheilverfahren nicht vorhanden. Daher ist das Ziel einer Behandlung auf die Optimierung der Lebensqualität unter den gegebenen Voraussetzungen. Hilfreich ist dabei die Inanspruchnahme einer psychotherapeutischen Begleitung.


Vorbeugung

Einer Astereognosie lässt sich nur insofern vorbeugen, wie sich ursächlichen Schlaganfällen, Gehirnentzündungen und degenerativen Prozessen innerhalb des Gehirns vorbeugen lässt.

Nachsorge

In der Regel stehen dem Patienten bei einer Astereognosie keine Möglichkeiten der Nachsorge zur Verfügung. Diese sind allerdings auch nicht notwendig, da die Erkrankung auch nicht vollständig therapiert werden kann und auch nicht immer behandelt werden muss. Die Lebenserwartung des Patienten wird durch die Astereognosie nicht negativ beeinflusst.

Allerdings kann die Erkrankung das Leben des Betroffenen negativ beeinträchtigen und erschweren. Die Behandlung richtet sich dabei in der Regel nach den genauen Ursachen der Astereognosie. In einigen Fällen kann dabei die Einnahme von Medikamenten sinnvoll sein, um die Beschwerden zu lindern.

Der Patient ist dabei auf die regelmäßige Einnahme der Medikamente angewiesen, wobei auch Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten beachtet werden sollten. Falls die Astereognosie durch einen Tumor zustande kommt, so muss dieser entfernt werden. Eine frühzeitige Entfernung des Tumors wirkt sich dabei sehr positiv auf den weiteren Verlauf der Erkrankung aus und kann weitere Komplikationen verhindern.

Auch eine Untersuchung auf weitere Tumore ist sinnvoll. Nicht selten leiden die Betroffenen der Astereognosie auch an psychischen Beschwerden. Hierbei kann sich der Kontakt zu anderen Betroffenen der Erkrankung positiv auf den weiteren Verlauf auswirken, da es dabei zu einem Austausch an Informationen kommt.

Das können Sie selbst tun

Die Störung kann in aller Regel nicht behandelt werden. Die Betroffenen können aber lernen, mit ihrer Beeinträchtigung besser zurecht zu kommen und den Alltag zu meistern.

Sofern das Sehvermögen nicht beeinträchtigt ist und keine weiteren Symptome hinzutreten, haben erwachsene Patienten in der Regel kein Problem damit, die Herausforderungen des täglichen Lebens zu bewältigen. Meist bemerkt das soziale Umfeld die Störung nicht einmal.

Manche Betroffenen sind wegen ihres Leidens aber gehemmt. Sofern diese Hemmungen die Lebensqualität beeinträchtigen, sollten die Betroffenen therapeutische Hilfe in Anspruch nehmen. Sind nicht nur der Tastsinn, sondern auch andere Sinneswahrnehmungen wie das Schmerz- oder das Temperaturempfinden gestört, steigt das Risiko für Verletzungen und Unfälle im Alltag.

Insbesondere dann, wenn die Astereognosie und ihre Begleiterscheinungen erst im Erwachsenenalter erstmals auftreten, müssen die Betroffenen lernen, Unfälle aktiv zu verhüten. Gasherde sind dann sicherer als Elektroherde, da die Flamme gesehen werden kann, während Hitze nicht immer wahrgenommen wird.

Auch beim Baden oder Duschen besteht die Gefahr, dass die Betroffenen sich verbrühen. Deshalb sollten Duschvorrichtungen mit Wasserhähnen ausgestattet werden, die die Voreinstellung einer bestimmten Temperatur erlauben. Das Badewasser sollte vorsorglich immer gemessen werden.

Sofern nur der Tastsinn eingeschränkt ist, kann dieser, insbesondere wenn die Astereognosie durch einen Schlaganfall bedingt wurde, trainiert werden. Betroffene sollten sich von einem Physiotherapeuten, der Erfahrung mit der Krankheit hat, einen Übungsplan erstellen lassen. Der Tastsinn kann so zumindest teilweise zurückerlangt werden.

Quellen

  • Diener, H.-C., et al.: Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. Thieme, Stuttgart 2012
  • Grehl, H., Reinhardt, F.: Checkliste Neurologie. Thieme, Stuttgart 2012
  • Schiebler T., Schmidt W., Zilles, K.: Anatomie. Steinkopff-Verlag, Heidelberg 2007

Das könnte Sie auch interessieren