Boreout-Syndrom
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 8. März 2024Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
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Krank durch Langweile? Wie Kritiker meinen, sei Boreout nur ein neuer Name für ein altes (und ganz normales) Phänomen, nämlich die Langeweile am Arbeitsplatz, die Überqualifikation, die Unterforderung. Psychologen jedoch sind der Ansicht, es handele sich dabei um ein gravierendes Problem mit Krankheitscharakter.
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Was ist das Boreout-Syndrom?
Das Boreout-Syndrom steht für Stress durch Unterforderung. Damit kann Boreout als das Gegenstück zum Burnout bezeichnet werden. Denn auch beim Burnout besteht eine Diskrepanz zwischen der Leistungsfähigkeit, den Talenten und Fähigkeiten des Arbeitnehmers und den Anforderungen der Arbeit. Der Unterschied ist jedoch, dass der Arbeitnehmer beim Boreout unterfordert ist.
Meistens jedenfalls tritt der Boreout bei der Arbeit auf und könnte fälschlich mit Faulheit verwechselt werden. Doch die Betroffenen arbeiten prinzipiell gerne und suchen nach Anerkennung und Herausforderungen. Wenn diese nicht erfüllt werden können und die Arbeit als uninteressant empfunden wird, setzt maßlose Langeweile ein und es wird versucht, die Arbeit zu vermeiden. Mitunter versuchen die Betroffenen, sich die Unzufriedenheit am Arbeitsplatz und die fehlende Motivation nicht anmerken zu lassen, denn sie fürchten um ihren Job.
Ursachen
Als Ursachen kommen meistens eine hohe Intelligenz beziehungsweise eine gute und hochqualifizierte Ausbildung oder auch spezifische Talente in Frage, die bei der Arbeit nicht gefragt sind. Es kann zu Anfang Interesse an der Arbeit und guter Wille vorhanden sein, später kommt es durch die Wiederholung zu einer Abneigung. Diese kann sich derart steigern, dass die Person auch bei äußerem Zwang, großer Anstrengung und Willenskraft die Arbeit nicht mehr fortzuführen in der Lage ist.
Symptome, Beschwerden & Anzeichen
Beim Boreout-Syndrom fühlt sich der Betroffene meist abgeschlagen, sehr müde und antriebslos. Selbst einfache Aufgaben, die früher im Nebenbei erledigt wurden, können wie große, nicht zu bewältigende Hürden erscheinen. Es fällt den Betroffenen meist schwer, eine Aufgabe überhaupt zu beginnen. Häufig zeigen sich bei einer Tätigkeit auch sehr schnell Konzentrationsprobleme.
Ist die zu bewältigende Aufgabe körperlicher Natur, so zeigen sich manchmal auch rein körperliche und scheinbar muskulär bedingte Konditions- und Kraftprobleme. Viele Betroffene leiden auch an einer depressiven Grundstimmung, die sich bis hin zur starken Depression verschlimmern kann. Das Selbstwertgefühl ist in Mitleidenschaft gezogen, Patienten neigen dazu, sich selbst und ihre eigenen Fähigkeiten gering zu schätzen.
Es fehlen die Herausforderungen im Leben, meist im direkten Berufsleben, und so schwindet neben dem natürlichen Ehrgeiz auch der eigene Antrieb und die Lust an der Arbeit. Dies führt häufig dazu, dass Arbeiten nur noch mit wenig Engagement ausgeführt werden, und dass die Konzentration dabei nachlässt.
Da auf diese Weise vermehrt Fehler in der Ausführung auftreten, gewinnt der Betroffene häufig den Eindruck, dass er selbst einfachste Aufgaben nicht mehr gut bewältigen kann. So schließt sich ein Teufelskreis, und sowohl Frustration als auch Unlust werden immer mehr verstärkt. Der Betroffene wird apathisch und ist häufig nicht mehr in der Lage, seine Situation zu verbessern.
Verlauf
Typisch sind auch Klagen über die viel Arbeit, die eigentlich nicht vorhanden ist, weil nur wenig zu tun ist. Der Mitarbeiter erscheint früh zur Arbeit und verlässt als Letzter die Firma. Die Auswirkungen für die vom Boreout Betroffenen sind fatal. Es machen sich Frustration und Ermüdung breit, es kommt zu Antriebslosigkeit und im Extremfall zu Depressionen. Der Beschäftigte traut sich kaum noch etwas zu und findet keinen Ausweg auf der unbefriedigenden Situation.
Komplikationen
Ohne Behandlung ist eine Verschlechterung des Boreout-Syndroms wahrscheinlich, wenn die Unterforderung nicht beseitigt wird. Die ständige Langeweile und die fehlende Auslastung können beispielsweise zu Depressionen (Major Depression oder Dysthymie), Schlafstörungen und Zwangsstörungen führen.
Darüber hinaus sind Minderwertigkeitsgefühle möglich: Der Betroffene fühlt sich nicht gebraucht und abgestellt. Eventuell gibt er sich selbst die Schuld an seiner Situation oder nimmt an, mit ihm selbst sei etwas nicht in Ordnung. Beim Boreout am Arbeitsplatz kann dieser Eindruck vor allem dann entstehen, wenn Kollegen beschäftigt wirken.
Die Vortäuschung von Tätigkeiten ist jedoch eine weitere mögliche Folge des Boreout-Syndroms. Aus Angst den Arbeitsplatz zu verlieren oder als faul zu gelten, suchen sich Betroffene zum Teil Scheinaufgaben oder ziehen tatsächliche Arbeitsaufgaben künstlich in die Länge. Diese Täuschung hält die Unterforderung jedoch zusätzlich aufrecht.
Das Boreout-Syndrom wird häufig erst erkannt, wenn andere psychische Probleme auftreten. Einerseits ist das Syndrom selbst relativ unbekannt, andererseits ist auch den Betroffenen selbst oft die Belastung erst bewusst, wenn schwerere Komplikationen eintreten. Zum Teil stellt deshalb auch die Therapiemotivation ein Problem dar.
Obwohl beim Boreout-Syndrom Unterforderung und Langeweile im Vordergrund stehen, handelt es sich auch dabei um eine Form von Stress. Tiefe Entspannung fehlt beim Boreout-Syndrom in vielen Fällen völlig. Aus diesem Grund kann sich aus dem Boreout ein Burnout-Syndrom entwickeln.
Wann sollte man zum Arzt gehen?
Vorübergehende Langeweile und kurze Perioden der Unterforderung sind vollkommen normal und müssen nicht auf das Boreout-Syndrom hindeuten. Viele Berufstätige erleben hektischere und ruhigere Zeiten; interessante und eintönige Aufgaben wechseln einander ab. In den monotonen Phasen können sich leichte depressive Symptome manifestieren. Ein Arztbesuch ist jedoch in der Regel nicht erforderlich.
Wenn die psychischen Symptome allerdings anhalten und das Gefühl der Gleichgültigkeit und Abgestumpftheit nicht nachlässt, ist eine ärztliche Abklärung sinnvoll. Solche und andere depressive Symptome, die ohne äußeren Anlass auftreten und hartnäckig bestehen bleiben, sollten bereits nach zwei Wochen genauer untersucht werden.
Der Hausarzt ist ein geeigneter Ansprechpartner für eine erste Diagnostik. Eine Blutuntersuchung kann klären, ob zum Beispiel eine Mangelerscheinung vorliegt, die die Symptome erklären könnte. Wenn sich keine körperliche Ursache feststellen lässt, ist ein Besuch beim Psychiater oder Psychotherapeuten ratsam.
Oft nehmen Betroffene erst professionelle Hilfe in Anspruch, wenn sie bereits seit langer Zeit unter dem Boreout-Syndrom leiden. In einer solchen Situation können sich Betroffene auch direkt an einen Psychotherapeuten oder Psychiater wenden, da körperliche Ursachen in der Regel bereits ausgeschlossen wurden. Drängende Suizidgedanken und andere akute Situationen, in denen Boreout-Patienten nicht mehr weiterwissen, sind darüber hinaus ein legitimer Grund, sich an eine Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie zu wenden, um unmittelbare und intensive Unterstützung zu unterhalten.
Behandlung & Therapie
An erster Stelle steht, dass der Betroffene das Problem erkennt. Wer vom Boreout betroffen ist, sollte sich zunächst ehrlich die Frage beantworten, wie viel Zeit er wirklich mit Arbeit verbringt und wie viel nur zum Schein. Er sollte sich fragen, welche Arbeit besonders uninteressant und langweilig ist und welche Arbeit ihn eigentlich interessiert. Als nächster Schritt steht die Eigeninitiative auf dem Programm.
Der Betroffene könnte sich eine neue Arbeit suchen oder seinen Chef um interessantere Aufgaben bitten. Das sollte möglichst so formuliert werden, dass dem Vorgesetzten vermittelt wird, dass man mehr kann als die bisherige Arbeit. Wichtig wäre es auch, einen Ausgleich in der Freizeit zu finden. Doch das ist den Betroffenen selten möglich, weil so viel Energie in die ungeliebte Arbeit fließt.
Wer seine Arbeit jedoch nicht mitgestalten kann und keinen Ausgleich schaffen kann, der wird die Arbeit nur noch mit großem Widerwillen und unter Umständen gar nicht mehr ausführen. Dabei kann ein guter Verdienst nicht unbedingt kompensatorisch wirken, obwohl ohne diesen die Arbeit selbstverständlich noch schlimmer wäre, da dann auch die monetäre Anerkennung fehlen würde.
Ein Hindernis bei der Heilung des Boreouts ist es, dass der Boreout dazu führen kann, dass der Arbeitnehmer durch sein Desinteresse die für ihn zu einfachen Aufgaben nicht zufriedenstellend erfüllt und ihm auch bei den simpelsten Tätigkeiten gravierende Fehler unterlaufen. Daraus kann der Vorgesetzte den Schluss ziehen, sein Angestellter sei nicht in der Lage, komplexere Aufgaben zu lösen. Doch genau das Gegenteil wäre der Fall: Bei komplexeren Aufgaben und höherer Selbstbestimmung treten Fehler seltener auf.
Aussicht & Prognose
Da das Boreout-Syndrom keine eigene Krankheit darstellt, gibt es keine zuverlässige Prognose für den Krankheitsverlauf. Um die Aussicht auf Genesung zu beurteilen, kann jedoch die jeweilige psychische Krankheit betrachtet werden, die daraus resultiert.
Häufig führt das Boreout-Syndrom zu einer klinischen Depression. Die Prognose ist am günstigsten, wenn der Betroffene zum ersten Mal unter einer depressiven Episode leidet. In diesem Fall kehrt die Depression mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 % zurück, wenn keine spezielle Rückfallprophylaxe unternommen wird. Nach der zweiten, dritten und vierten Episode ist die langfristige Prognose im Allgemeinen ungünstiger. Die Dauer der depressiven Episoden kann auch bei derselben Person stark variieren. 15–20 % der depressiven Episoden halten länger als ein Jahr an.
Depressive, die keine weitere psychische Krankheit haben, genesen häufig schneller und vollständiger als Betroffene, die mehrere Begleiterkrankungen aufweisen. Das Boreout-Syndrom gilt in diesem Sinne nicht als Begleiterkrankung, da es lediglich erklärt, welche Gründe der Depression zugrunde liegen.
Eine spezifische und frühzeitige Behandlung kann die Prognose positiv beeinflussen. Mit entsprechender Vorsorge ist die Rückfallwahrscheinlichkeit nach einer depressiven Episode geringer. Beim Boreout-Syndrom spielen wie beim Burnout-Syndrom äußerliche Faktoren eine wichtige Rolle. Eine höhere Widerstandsfähigkeit gegen diese Einflüsse kann die individuelle Prognose deshalb ebenso beeinflussen wie die Veränderung der persönlichen Umwelt.
Vorbeugung
Boreout vorzubeugen hängt nur sehr begrenzt vom Individuum ab und welche Interessen und Talente es tatsächlich hat. Für einen Mathematiker beispielsweise, der erst zur Hochform aufläuft, wenn er komplizierte Aufgaben lösen kann, gibt der Arbeitsmarkt nicht allzuviel her.
Es kann sein, dass er mit einem Job in der Versicherungs- oder Finanzbranche nicht ausgelastet wäre - ganz zu schweigen von einfacheren Tätigkeiten. Ratsam wäre daher, sich nicht eine einfachere Tätigkeit im „eigenen“ Bereich, sondern eine ganz andere zu suchen, die eine weitere Facette der eigenen Persönlichkeit widerspiegelt. Nicht immer ist es übrigens ratsam, aus seinem Hobby einen Beruf zu machen, der dann dem Broterwerb dienen muss.
Das können Sie selbst tun
Wenn Unterforderung, Eintönigkeit und Langeweile das Leben der Betroffenen bestimmen und der Sinn in einer Tätigkeit fehlt, gibt es Selbsthilfemöglichkeiten, um sich aus dem Dilemma zu befreien. Zuerst sollte der Betroffene über seine Lebenssituation reflektieren und sein eigenes Verhalten überprüfen.
Wenn der Betroffene bereit ist für zusätzliche Aufgaben im Arbeitsalltag, sollte er dies offen bei seinen Arbeitskollegen und Vorgesetzten ansprechen. Im Zuge eines klärenden Gesprächs kann der Betroffene erfahren, ob es neue Aufgaben für ihn gibt, um die Arbeit interessanter zu gestalten. Mit einer Weiterbildung kann der Betroffene seine Gier nach neuem Wissen stillen und damit womöglich auch fit für eine neue Arbeitsstelle sein.
Wichtig ist es, dass die Menschen eine Balance zwischen den individuellen Fähigkeiten und den zu lösenden Aufgaben und Herausforderungen finden. Wenn der Betroffene nach einem klärenden Gespräch keine Möglichkeiten für neue Tätigkeiten bekommt, ist ein Arbeitsplatz-Wechsel ratsam. Um ein Boreout-Syndrom mit seinen belastenden Symptomen abmildern zu können, werden gerne Entspannungsübungen, autogenes Training oder Qigong angewendet.
Auch künstlerische Betätigungen, wie zum Beispiel aktives Musizieren oder Malen, in der Freizeit des Betroffenen können eine positive Auswirkung auf Körper, Geist und Seele haben. Wer sich gerne aktiv beschäftigt und seinen Körper spüren möchte, kann auch sportliche Aktivitäten in sein Leben einbauen.
Quellen
- Arolt, V., Reimer, C., Dilling, H.: Basiswissen Psychiatrie und Psychotherapie. Springer, Heidelberg 2007
- Lieb, K., Frauenknecht, S., Brunnhuber, S.: Intensivkurs Psychiatrie und Psychotherapie. Urban & Fischer, München 2015
- Möller, H.-J., Laux, G., Deister, A.: Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie. Thieme, Stuttgart 2015