Fibrodysplasia ossificans progressiva
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 11. November 2021Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
Sie sind hier: Startseite Krankheiten Fibrodysplasia ossificans progressiva
Die Fibrodysplasia ossificans progressiva (FOP) ist eine sehr seltene erblich bedingte Erkrankung, die sich durch eine fortschreitende Verknöcherung des Skeletts auszeichnet. Bereits durch kleinste Verletzungen wird ein zusätzliches Knochenwachstum ausgelöst. Eine ursächliche Behandlung dieser Erkrankung gibt es noch nicht.
Inhaltsverzeichnis |
Was ist eine Fibrodysplasia ossificans progressiva?
Der Begriff Fibrodysplasia ossificans progressiva deutet bereits auf ein fortschreitendes Knochenwachstum hin. Dieses erfolgt in Schüben, wobei sich auch schon bei kleinsten Traumen neue Knochen aus Muskel- oder Bindegewebe bilden können. Die zunehmende Verknöcherung kann nicht aufgehalten werden.
Lediglich eine Verlangsamung des Knochenwachstums ist teilweise durch medikamentöse Behandlung möglich. Chirurgische Eingriffe oder Infusionen in den Muskel sollten vermieden werden, weil sie einen neuen Schub der Verknöcherung einleiten können. Erstmalig wurde die Erkrankung im Jahre 1692 von dem französischen Arzt Guy Patin erwähnt. Im Jahre 1869 beschrieb der Arzt Ernst Münchmeyer das Syndrom, welches daraufhin auch als Münchmeyer-Syndrom bezeichnet wurde.
Weitere Bezeichnungen für die Fibrodysplasia ossificans progressiva (FOP) sind neben Münchmeyer-Syndrom unter anderem auch Fibrodysplasia ossificans multiplex progressiva oder Myositis ossificans progressiva. Die FOP ist genetisch bedingt. Ihre Häufigkeit liegt bei 1 zu 2 Millionen.
Die extreme Seltenheit der Erkrankung resultiert daraus, dass es sich um eine autosomal-dominante Mutation handelt. Ein von FOP betroffener Mensch hat in der Regel keine Nachkommen. Daher handelt es sich fast immer um Neumutationen. Derzeit sind weltweit rund 600 Personen mit Fibrodysplasia ossificans progressiva bekannt.
Ursachen
Die Ursache für die Fibrodysplasia ossificans progressiva ist ein Gendefekt eines Gens auf dem langen Arm von Chromosom 2. Dieses Gen codiert den sogenannten ACVR1-Rezeptor. Der ACVR1-Rezeptor ist für die normale Skelettentwicklung und das Wachstum von Binde- und Stützgewebe verantwortlich. Er befindet sich vor allem auf den Zellen der quer gestreiften Skelettmuskeln und des Binde- und Knorpelgewebes.
Durch die entsprechende Mutation kann es zur dauerhaften Aktivierung des Rezeptors kommen. Dabei sendet er bei Wachstumsprozessen im Rahmen des normalen Wachstums und bei Verletzungen ständig das Signal für die Bildung von Knochenzellen aus Muskel- oder Bindegewebszellen aus. Normalerweise ist dieses Signal nur während der Skelettbildung bei der Embryogenese eingeschaltet.
Der Gendefekt verhindert jedoch die Abschaltung des Signals nach der Entwicklung des Fötus. Wenn es nicht abgeschaltet werden kann, findet eine anhaltende Verknöcherung oder eine Verknöcherung in Schüben statt. Die Mutation auf diesem Gen wird autosomal-dominant weitervererbt.
So würde bei den Nachkommen einer betroffenen Person eine Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent bestehen, an dieser Krankheit zu leiden. Da jedoch an FOP erkrankte Menschen fast nie Nachkommen haben, handelt es sich bei den beobachteten Fällen in der Regel um Neumutationen.
Symptome, Beschwerden & Anzeichen
Die Fibrodysplasia ossificans progressiva zeigt sich bereits nach der Geburt durch eine Verdrehung und Verkürzung der großen Zehen. In 50 Prozent der Fälle sind auch die Daumen verkürzt. Die Halswirbelkörper weisen zu über 90 Prozent Fehlbildungen auf. Dabei kommt es schon in den ersten Lebensjahren zu einer eingeschränkten Beweglichkeit der Halswirbelsäule.
Im weiteren Verlauf der Entwicklung findet eine Verknöcherung von oben nach unten statt. Nach der Erstarrung der Halswirbelsäule schreitet der Verknöcherungsprozess auf die Extremitäten und den Rumpf fort. Die Erkrankung verläuft in Schüben, die mit Entzündungsprozessen verbunden sind. Jeder Schub beginnt mit einer Schwellung und Erhitzung der entsprechenden Körperstelle.
Diese Schwellungen sind sehr schmerzhaft. Erst nachdem sich an der betreffenden Stelle neue Knochen aus Muskelgewebe gebildet haben, endet der Schub und die Schmerzen hören auf. Auch bei jeder kleinsten Verletzung von Muskelgewebe findet eine Verknöcherung statt. So sind Stürze, Operationen oder Injektionen in das Muskelgewebe häufig Auslöser eines Krankheitsschubes.
Die Erkrankung kann jedoch sowohl in Schüben als auch kontinuierlich fortschreiten. Ein kontinuierliches Knochenwachstum kann vor und während der Pubertät erfolgen, weil in dieser Zeit ein verstärktes Körperwachstum stattfindet. Häufig sind die Betroffenen nach der Pubertät auf den Rollstuhl angewiesen, da fast alle Gelenke eingesteift sind. Aufgrund der eingeschränkten Beweglichkeit des Brustkorbs kann es zu Atemwegsproblemen kommen. Es besteht die Gefahr einer lebensbedrohlichen Lungenentzündung.
Diagnose
Bereits durch die typische Verkürzung und Verdrehung der großen Zehen des Neugeborenen kann eine Verdachtsdiagnose auf Fibrodysplasia ossificans progressiva gestellt werden. Ein positiver Gentest bestätigt die Diagnose dann.
Komplikationen
Bei der Fibrodysplasia ossificans progressiva kommt es zu erheblichen Komplikationen, bei welchen der Körper des Betroffenen verknöchert. Dieser Vorgang tritt schon bei sehr leichten und geringen Verletzungen auf, bei welchen das Knochenwachstum direkt angeregt wird. Meistens leiden die Betroffenen schon seit der Geburt an der Krankheit, welche sich durch stark verkürzte Daumen präsentiert. Auch die Halswirbel sind dabei von Fehlbildungen betroffen.
Diese erstarren schließlich in den ersten Lebensjahren, womit die Verknöcherung des Körpers weiterhin in den unteren Bereich voranschreitet. Meistens treten beim Vorgang der Verknöcherung starke Schmerzen und Schwellungen auf. Diese verschwinden, sobald diese abgeschlossen ist. Dabei werden die Schübe vor allem durch geringe Verletzungen am Muskelgewebe ausgelöst, sodass der Patient in seinen Bewegungen und in seinem Alltag extrem eingeschränkt ist.
Oft kommt es dabei zu Beschwerden bei der Atmung und zu Entzündungen in der Lunge. Leider ist es nicht möglich, die Fibrodysplasia ossificans progressiva ursächlich zu behandeln. Die Behandlung zielt dabei vor allem auf die Verzögerung des Krankheitsverlaufes ab. Auch eine chirurgische Entfernung ist dabei nicht möglich. Die Lebenserwartung wird von der Krankheit erheblich verkürzt und die Lebensqualität sinkt stark.
Wann sollte man zum Arzt gehen?
Können nach der Geburt des Kindes deutlich erkennbare Anomalien der Halswirbelsäule oder Zehen festgestellt werden, sind diese mit einem Arzt zu besprechen. Versteifungen der Gelenke oder Knochen sind unverzüglich untersuchen und behandeln zu lassen. Bei weiteren Auffälligkeiten des Skelettsystems während des Wachstums- und Entwicklungsprozesses von Kindern sollte ein Arzt aufgesucht werden.
Kommt es zu Unregelmäßigkeiten, die sich im Vergleich zu körperlichen Veränderungen Gleichaltriger zeigen, ist es ratsam, einen Arzt zu konsultieren. Können Eltern oder Erziehungsberechtigte an der Knochenstruktur des Kindes Verknöcherungen oder Verdrehungen feststellen, sollten diese ärztlich schnellstmöglich abgeklärt werden.
Verkürzungen der Finger oder des Daumens gelten als ungewöhnlich und sind einem Arzt vorzustellen. Bei nicht nachvollziehbaren Schwellungen oder Wölbungen der Haut sollte ein Arzt aufgesucht werden. Nehmen die Veränderungen der Knochenstruktur zu oder breiten sie sich an andere Stellen des Körpers aus, ist ein Arztbesuch notwendig.
Klagt das Kind über Schmerzen, zeigt es Verhaltensauffälligkeiten oder verliert es die Lebensfreude, sind dies Anzeichen für ernsthafte Beschwerden. Bei einem über mehrere Tage anhaltenden aggressiven Auftreten, der mehrfachen Verweigerung der Nahrungsaufnahme oder einer ungewöhnlichen Teilnahmslosigkeit, sollte ein Arzt konsultiert werden. Kommt es zu Einschränkungen der Bewegungsmöglichkeiten oder Problemen bei der Atmung ist ein Arztbesuch notwendig.
Behandlung & Therapie
Die Fibrodysplasia ossificans progressiva kann heute noch nicht ursächlich therapiert werden. Es sind nur symptomatische Behandlungen möglich. Dabei wird der Krankheitsverlauf zwar nicht aufgehalten aber durch medikamentöse Behandlung wenigstens verzögert. Bei der medikamentösen Therapie steht zunächst die Schmerzbehandlung bei einem Schub im Vordergrund.
Dabei werden entzündungshemmende Medikamente wie Kortikosteroide und nicht-steroidale Antirheumatika eingesetzt. An einer ursächlichen Therapiemöglichkeit mit Antikörpern und Signalübertragungshemmern gegen den ACVR1-Rezeptor wird derzeit noch geforscht. Einsatzfähig ist diese Therapie jedoch noch nicht. Die zusätzlichen Knochen dürfen allerdings nicht chirurgisch entfernt werden, weil dadurch ein neuer Krankheitsschub mit einer weitaus stärkeren Verknöcherung folgen würde.
Aussicht & Prognose
Die Prognose der Fibrodysplasia ossificans progressiva ist negativ. Die progressiv fortschreitende Verknöcherung von Binde- und Stützgewebe bringt es mit sich, dass sich der Zustand laufend verschlechtert. Zudem gibt es bisher nur wenige vielversprechende Behandlungsansätze. Die Erkrankung kann nach bisherigem medizinischem Kenntnisstand nicht geheilt werden.
Da die Fibrodysplasia ossificans progressiva schubweise auftritt, bemüht sich die Forschung, zumindest begleitende Entzündungssymptome zu lindern. Medikamentenforschung soll sicherstellen, dass dem Fortschreiten der Erkrankung zukünftig mehr entgegengesetzt werden kann. Dabei spielt auch die Genforschung eine tragende Rolle.
Leider ist die Erkrankung so selten, dass weltweit nur etwa 700 Fälle bekannt sind. Daher steht nicht zu erwarten, dass es zukünftig ausreichende Forschungsgelder geben wird. Für die Betroffenen bleiben die Aussichten auf eine Linderung der Erkrankungsfolgen daher schlecht. Verhindert werden müssen vor allem Verletzungen jeder Art, da diese zu neuen Knochenbildungen führen.
Besonders bei den betroffenen Kindern bedeutet das ein enormes Schutzbedürfnis und ein sehr eingeschränktes Leben. Die zunehmende Verknöcherung, die von oben nach unten fortschreitet, schränkt irgendwann auch die Lungenfunktion ein. Mit Mitte zwanzig sitzen viele Betroffene bereits im Rollstuhl. Erwachsene haben eine durchschnittliche Lebenswertwartung von 40 Jahren. Je mehr der Brustkorb verknöchert, desto schwerer fällt das Atmen. Am Ende kann den Betroffenen nicht mehr geholfen werden.
Vorbeugung
Da die Fibrodysplasia ossificans progressiva in der Regel eine Neumutation darstellt, ist eine Vorbeugung nicht möglich. Erkrankte Personen sollten jedoch alle Möglichkeiten nutzen, um den Verknöcherungsprozess zu verzögern. Dazu gehört das absolute Vermeiden von Verletzungen.
Schon Prellungen sowie Überdehnen oder Überbeanspruchung der Muskulatur können einen Krankheitsschub auslösen. Injektionen in den Muskel sollten unterlassen werden. Operationen können nur in äußersten Notfällen durchgeführt werden. Bei frischen Verletzungen oder Schüben sollte eine Kortisonbehandlung erfolgen.
Nachsorge
Dem Betroffenen stehen bei einer Fibrodysplasia ossificans progressiva in der Regel keine besonderen Maßnahmen einer Nachsorge zur Verfügung. Da es sich bei dieser Krankheit um eine genetisch bedingte Erkrankung handelt, sind auch die Möglichkeiten einer Behandlung stark eingeschränkt, sodass nur eine rein symptomatische Behandlung erfolgen kann. Sollte beim Patienten ein Kinderwunsch bestehen, kann auch eine genetische Beratung durchgeführt werden, damit es nicht zum Vererben der Erkrankung an die Nachfahren kommt.
Im Vordergrund steht dabei die frühzeitige Erkennung der Fibrodysplasia ossificans progressiva. Die Behandlung selbst erfolgt mit Hilfe von Medikamenten. Der Betroffene sollte dabei auf eine richtige und regelmäßige Einnahme der Medikamente achten und auch den Anweisungen des Arztes folgen. Dabei sollte in Zweifelsfällen oder bei Unklarheiten immer ein Arzt kontaktiert werden.
Nicht selten sind jedoch auch operative Eingriffe notwendig, um die Beschwerden der Fibrodysplasia ossificans progressiva zu lindern. Nach einem solchen Eingriff sollte sich der Patient immer ausruhen und seinen Körper auch schonen. Dabei ist von Anstrengungen oder von anderen stressigen Aktivitäten und Tätigkeiten auf jeden Fall abzusehen. Ob die Fibrodysplasia ossificans progressiva die Lebenserwartung des Betroffenen verringert, kann nicht im Allgemeinen vorausgesagt werden.
Das können Sie selbst tun
Bei Fibrodysplasia ossificans progressiva stehen dem Betroffenen in der Regel keine Möglichkeiten der Selbsthilfe zur Verfügung. Die Krankheit kann dabei auch nur symptomatisch behandelt werden, sodass eine ursächliche Therapie nicht möglich ist.
Da die Symptome und Beschwerden dieser Erkrankung durch Verletzungen am Skelett noch weiter verstärkt werden, müssen diese Verletzungen unter allen Umständen verhindert werden. Aus diesem Grund sollten Betroffene bei Sport oder Tätigkeiten achtgeben.
In den meisten Fällen werden weitere Beschwerden mit Hilfe von Medikamenten und operativen Eingriffen behandelt. Sollte der Betroffene auf Schmerzmittel angewiesen sein, so gilt es diese nicht über einen längeren Zeitraum einzunehmen. Im Fall von selbstzusetzenden Injektionen ist darauf zu achten, diese nicht direkt in den Muskel zu injizieren. Auch bei einer Behandlung mit Kortison ist Vorsicht zu beachten, begleitende Arztbesuche und eine regelmäßige Einnahme sind verpflichtend.
Kinder sollten über die Folgen und Einschränkungen der Fibrodysplasia ossificans progressiva unterrichtet werden, um eventuell auftretenden psychischen Problemen vorzubeugen. Auch ein Treffen mit anderen Erkrankten kann sich dabei positiv auf die Entwicklung des Kindes auswirken.
Quellen
- Murken, J., Grimm, T., Holinski-Feder, E., Zerres, K. (Hrsg.): Taschenlehrbuch Humangenetik. Thieme, Stuttgart 2011
- Niethard, F., Pfeil, J., Biberthaler, P.: Orthopädie und Unfallchirurgie. Thieme, Stuttgart 2014
- Witkowski R., Prokop O., Ullrich E.: Lexikon der Syndrome und Fehlbildungen. Springer, Berlin 2003