Gyrus postcentralis
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 9. März 2024Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
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Der Gyrus postcentralis ist ein Bereich des Großhirns. Er liegt im Parietallappen und spielt bei der somatosensorischen Verarbeitung eine Rolle. Schäden im Gyrus postcentralis führen zu Astereognosie, die sich in Form von Störungen der Berührungsempfindlichkeit, Schmerz- und Temperaturwahrnehmung sowie des Vibrationsempfindens und der Propriozeption widerspiegelt.
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Was ist der Gyrus postcentralis?
Beim Gyrus postcentralis handelt es sich um einen Teil des Großhirns, der zum Parietallappen gehört. Der Parietallappen liegt mittig im Gehirn hinter dem Frontallappen; die Medizin bezeichnet den Parietallappen wegen seiner Lage auch als Scheitellappen.
Wie die anderen Gyri des Gehirns ist der Gyrus postcentralis eine Hirnwindung, die sich als längliche Wölbung abzeichnet. Das Gegenstück zu den Gyri bilden die Sulci. Bei einem Sulcus handelt es sich um eine Furche in der Hirnstruktur. Sulci und Gyri bilden nicht nur optisch abgrenzbare Einheiten: Sie üben darüber hinaus spezifische Funktionen aus, da die Nerven- und Gliazellen innerhalb einer solchen Einheit viele Verbindungen untereinander aufweisen. Die zahlreichen Synapsen ermöglichen die synergetische und effektive Zusammenarbeit der Zellen innerhalb eines Gyrus. Der Gyrus postcentralis liegt hinter dem Sulcus centralis – der Zentralfurche des Großhirns.
Anatomie & Aufbau
Im Gyrus postcentralis liegt der größte Teil des somatosensorischen Cortex, der die Brodmann-Areale 1, 2, 3a und 3b umfasst. Diese Bereiche grenzt die Medizin aufgrund ihrer unterschiedlichen Struktur voneinander ab. Der Psychiater Korbinian Brodmann führte diese Einteilung 1909 ein. Die Areale 1, 2 und 3 stellen die primär-sensiblen Areale des haptischen Informationsverarbeitungszentrums dar. Die sekundär-sensiblen Areale, welche die primär-sensiblen ergänzen, liegen in den Brodmann-Arealen 40 und 43. Die Medizin bezeichnet die sekundär-sensiblen Bereiche wegen ihrer Funktion auch als Assoziationsareale.
Funktion & Aufgaben
Der Gyrus postcentralis lässt sich in weitere Einheiten unterteilen, die sich anhand ihrer Funktion unterscheiden. Einzelne Cluster von Nervenzellen repräsentieren jeweils eine Körperregion und bilden sie im Gehirn ab. Innerhalb dieser Repräsentation verarbeitet das Gehirn primär die haptischen Informationen aus dem entsprechenden Körperbereich.
Eine solche Abbildung oder Repräsentation von Körperregionen im Gehirn bezeichnet die Medizin als Somatotopie. Die Somatotopie weist jedoch nicht die gleichen Proportionen auf, wie die Körperbereiche in Lebensgröße. Ein Körperteil reagiert somatosensorisch umso empfindlicher, desto mehr Neurone es im Gehirn abbilden. Die Repräsentation nimmt im Gyrus postcentralis dementsprechend eine größere oder geringere Fläche ein.
Die mittigen Nervenzellen des Gyrus postcentralis bis zur Mantelkante sind für die unteren Extremitäten zuständig. Daran grenzen die Verarbeitungsbereiche für den Rumpf und die oberen Extremitäten an. Die Repräsentation der Hände nimmt dabei besonders viel Platz ein, da sie beim Menschen sehr empfindlich auf Tastreize reagieren. Seitlich (lateral) schließt sich die Abbildung von Zunge und Kopf an. Die Medizin fasst diesen Bereich auch als parietales Operculum zusammen. Beim Operculum handelt es sich um das motorische Sprachzentrum. Der somatosensorische Cortex ist ständig im Hintergrund aktiv.
Wenn eine Person nach einem Wasserglas greift, muss der Körper exakt berechnen, wie stark der Druck der Hand gegen das Glas sein darf, wie stark die Muskeln sich zusammenziehen müssen und wie sich der Griff verstärken muss, wenn die Person das Glas anhebt, bewegt oder an den Mund hebt. Eine der Voraussetzungen für diesen einfachen Ablauf ist deshalb die haptische Wahrnehmung. Die Neurologie unterscheidet dabei den Kraft- und Widerstandssinn, die Stellungswahrnehmung und den Bewegungssinn.
Krankheiten
Die Folge ist eine Astereognosie oder taktile Agnosie. MedizinerInnen bezeichnen damit die Unfähigkeit, Formen zu ertasten und somatosensorische Reize richtig zu erkennen. Sie führen zu einer Vielzahl unterschiedlicher Beschwerden, welche die Wahrnehmungsstörung verursacht. Die einzelnen Symptome können jedoch im Einzelfall voneinander abweichen und unterschiedlich stark ausgeprägt sein.
Betroffene sind empfindlicher gegenüber Berührungen und leiden unter einer Störung der Schmerzwahrnehmung (Nozizeption). Eine beeinträchtigte Schmerzwahrnehmung kann sich auf allen Ebenen manifestieren: Sowohl die Wahrnehmung von Schmerz an der Körperoberfläche als auch Tiefenschmerz in den Muskeln und Knochen ist möglicherweise betroffen. Auch hinsichtlich der viszeralen Schmerzwahrnehmung können Störungen auftreten. Bei den viszeralen Schmerzen handelt es sich um Wahrnehmungen aus den Organen. Des Weiteren können Menschen mit einer Schädigung des Gyrus postcentralis eventuell die Temperatur nicht mehr spüren, da der somatosensorische Cortex die Informationen der Wärme- und Kälterezeptoren nicht mehr richtig verarbeitet.
Wenn Ärzte die Tiefensensibilität (Propriozeption) untersuchen, können sie außerdem eine Verschlechterung in diesem Funktionsbereich feststellen – sowohl im Kraft- und Widerstandssinn als auch im Stellungs- oder Bewegungssinn. Betroffene leiden möglicherweise auch unter einer Störung des Vibrationsempfindens bzw. der Pallästhesie.
Die Beeinträchtigung des Gyrus postcentralis kann verschiedene Ursachen haben. Typisch sind direkte Schäden durch Verletzungen, zum Beispiel nach einem Unfall, und Raumforderungen durch Tumore. Darüber hinaus steht der Gyrus postcentralis möglicherweise mit Parasomnie im Zusammenhang. Diese Schlafstörung zeigt sich in auffälligem Schlafverhalten und geht vermutlich auf eine erhöhte Aktivität im Gyrus postcentralis im Tiefschlaf zurück.
Quellen
- Frotscher, M., et al.: Taschenatlas Anatomie, Band 3: Nervensystem und Sinnesorgane. Thieme, Stuttgart 2018
- Piper, W.: Innere Medizin. Springer, Berlin 2013
- Zilles, K. et al.: Anatomie. Springer Medizin Verlag Heidelberg 2010