Kallusdistraktion
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 13. November 2021Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
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Bei der Kallusdistraktion wird ein Knochen durchtrennt und mittels eines implantierten Systems in seiner Länge vergrößert. Diese Therapie kann zum Beispiel bei klinisch relevanten Seitendifferenzen von Gliedmaßen sinnvoll sein, die zu einer Fehlstellung führen. Das Risiko einer Infektion besteht seit den vollimplantierten Systemen kaum mehr.
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Was ist die Kallusdistraktion?
Die Kallusdistraktion wird auch als Kallotasis bezeichnet. Verbreitet ist darüber hinaus der Ausdruck der Distraktionsosteogenese. Das Verfahren ist ein Behandlungsverfahren der Orthopädie und Kieferchirurgie, das einen Skelettknochen künstlich verlängert.
Der betroffene Knochen wird vom Orthopäden durchtrennt. Die beiden Hälften des Knochens werden über eine konventionell externe Fixation oder einen Verlängerungsmarknagel wieder fixiert. Über einen Zeitraum von mehreren Wochen wird der durchtrennte Knochen langsam entlang der vorher bestimmten Wachstumsachse auseinandergedehnt. Seinen Namen hat das Verfahren aufgrund des Kallus erhalten. Dabei handelt es sich um frische Knochensubstanz, die sich während dem Verfahren an der Wachstumsachse bildet. Der so verlängerte Knochen wächst in seiner neuen Stellung zusammen, sobald die Distraktion zu einem dauerhaften Stillstand kommt.
Funktion, Wirkung & Ziele
Erstmals verlängerten Hopkins und Penrose 1889 auf intraoperative Weise einen Knochen. Das Verfahren umfasste damals die Einführung von Knochenblöcken. Rund 20 Jahre später nahm Alessandro Codivilla eine rein operative Technik zur Knochenverlängerung an den unteren Extremitäten vor. Die damaligen Operationstechniken waren mit einer deutlichen Komplikationsrate assoziiert. Komplikationen traten erwartungsgemäß in der Phase der Heilung auf. Die häufigsten Komplikationen stellen Infektion dar. Diese Infektionen betrafen vor allem die Eintrittsstelle des Fixateurs. Die operationsbedingten Schmerzen waren damals hoch. Dasselbe galt für Irritation der Nerven und umliegenden Weichteile.
In vielen Fällen konnte der Knochen am Ende nicht ausreichend verlängert werden. Der russische Orthopäde Gawriil Abramowitsch Ilisarow realisierte die Knochenverlängerung erstmals mit einem großen Durchbruch. Sein angewandtes Verfahren basierte auf der Knochenbiologie. Er erkannte die Fähigkeit der Weichgewebe um den Knochen herum, die sich bei etwaiger Zugbelastung regenerieren. Um sein Verfahren anzuwenden, benutzte er einen Fixateur externe, der auch als Ilizarov-Ringfixateur bekannt ist. Sowohl die Inzidenz, als auch die Schwere von Komplikationen ging durch ach Ilizarovs Technik zurück.
Die heutigen Systeme zur Kallusdistraktion bauen noch immer auf der Erneuerungsfähigkeit des umliegenden Gewebes unter Zugbelastung auf. Mittlerweile stehen zur Kallusdistraktion vollimplantierbare Systeme zur Verfügung, die das Risiko auf Infektionen annähernd vollständig eliminieren. In der Phase der Distraktion besteht zwischen dem System, der Haut und der Außenwelt keinerlei Verbindung. Damit kann nur noch die Operation selbst mit Infektionsrisiken einhergehen, die sich vor allem auf die Implantation des Marknagels konzentrieren.
Die eingesetzten Systeme sind mit einem Motor ausgestattet, der nach der Operation eine tägliche Distraktion des durchtrennten Knochen um runde einen 1 Millimeter zulässt. Neben der Energieversorgung erfolgt auch die Steuerung der Systeme extern. Der Patient kann sich somit selbst um die Distraktion kümmern und ist deutlich geringeren Belastungen ausgesetzt, als noch vor 100 Jahren. Während der Distraktion findet bereits Physiotherapie statt. Diese physiotherapeutische Begleitung lässt schnellere Behandlungserfolge erwarten.
Risiken, Nebenwirkungen & Gefahren
Allerdings können solche Infektionen im Einzelfall durchaus auftreten, so vor allem bei der Im- und Explantation des Marknagels. Die Durchführung der Operation sollte in einem orthopädisch ausgerichteten Zentrum erfolgen, in dem die Ärzte genau mit dem Verfahren und etwaigen Risiken der Operation vertraut sind. Auf diese Weise lässt sich das Risiko für Komplikationen minimieren. Infektionen können eine Nekrose des Gewebes zur Folge haben, die im Extremfall in eine Sepsis mündet. Um einer Sepsis vorzubeugen, muss das nekrotische Gewebe in der Regel entfernt werden.
Bei der Kallusdistraktion kann das unter Umständen einer Amputation des betroffenen Gliedmaßes entsprechen. Wenn bei der Operation weder Blutungen, noch Infektionen auftreten, ist das Risiko für spätere Komplikationen verschwindend gering. Sowohl postoperativ, als auch bei der schrittweisen Distraktion können Schmerzen eintreten. Gegen diese Schmerzen erhält der Patient in der Regel schmerzstillende Medikamente. Auch Blutergüsse sind postoperativ denkbar. Diese Manifestationen der Operation bilden sich allerdings spätestens nach einer Woche zurück.
In Einzelfällen kann der Motor des eingesetzten Systems fehlerhaft sein. Zwar sind solche Vorfälle aus der Verganenheit nicht bekannt, allerdings kann sämtliche Technik Produktionsfehlern unterliegen und damit ihre Funktionsfähigkeit einbüßen. Wenn das der Fall ist, lässt sich die Distraktion trotz der Operation nicht vornehmen. Entweder wird das System in einer zweiten Operation durch ein funktionsfähiges System ersetzt oder der Knochen wächst wie gewohnt wieder zusammen. In der Phase der Heilung muss vor allem die Position der Knochenbruchstücke stimmen.
Wenn die Position der Knochenteile verrutscht, kann der Knochen zwar trotzdem verwachsen, der Patient leidet danach allerdings an einer Fehlstellung. Mit den physiotherapeutischen Maßnahmen sollte so früh wie möglich begonnen werden, um eine Atrophie der Muskeln auszuschließen.
Quellen
- Breusch, S., Clarius, M., Mau, H., Sabo, D. (Hrsg.): Klinikleitfaden Orthopädie, Unfallchirurgie. Urban & Fischer, München 2013
- Krämer, J., Grifka, J.: Orthopädie, Unfallchirurgie. Springer, Berlin 2013
- Niethard, F., Pfeil, J., Biberthaler, P.: Orthopädie und Unfallchirurgie. Thieme, Stuttgart 2014