Möbius-Syndrom

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 27. Februar 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

Sie sind hier: Startseite Krankheiten Möbius-Syndrom

Das Möbius-Syndrom ist ein angeborenes Fehlbildungssyndrom, das von einer Unfähigkeit zur seitlichen Augenbewegung und einer Gesichtslähmung geprägt ist. Die Ursache sind Fehlentwicklungen in der embryonalen Phase, deren Auslöser nicht abschließend geklärt sind. Eine Muskeltransplantation kann den Patienten zu Mimik verhelfen.

Inhaltsverzeichnis

Was ist das Möbius-Syndrom?

Neugeborene mit Möbius-Syndrom tragen ein maskenartig wirkendes Gesicht, da ihre mimische Muskulatur gelähmt ist. Das Gesicht wirkt daher ausdruckslos und ruft Ernährungsschwierigkeiten hervor.
© Saroj – stock.adobe.com

Die Gruppe der angeborenen Fehlbildungssyndrome mit vorwiegender Beteiligung des Gesichts umfasst verschiedene Erkrankungen, deren Ursache entweder im genetischen Material oder in der embryonalen Entwicklung zu suchen ist. Eine Krankheit aus dieser Krankheitsgruppe ist das Möbius-Syndrom, das 1888 erstmals beschrieben wurde. Als Erstbeschreiber gilt der deutsche Neurologe Paul Julius Möbius, der dem Syndrom seinen Namen vererbt hat.

Die Leitsymptome für das seltene Krankheitsbild sind eine Gesichtslähmung und die fehlende Fähigkeit zur seitlichen Augenbewegung. Aufgrund dieser Symptome ist bei der Erkrankung zuweilen auch von einer okulofazialen Parese die Rede. Die genaue Prävalenz der angeborenen Erkrankung ist bislang nicht bekannt. Bislang wurden lediglich 300 Fälle dokumentiert.

Dieser Zusammenhang verweist auf extreme Seltenheit. Viele Patienten werden aufgrund der Seltenheit erst spät diagnostiziert, obwohl sich das Syndrom bereits am Neugeborenen klar manifestiert. Vermutlich besteht eine relativ hohe Dunkelziffer an Patienten, die lebenslänglich keine Diagnose erhalten.

Ursachen

Das Möbius-Syndrom tritt in den meisten Fällen sporadisch auf. In einigen Fällen wurde allerdings auch eine familiäre Häufung beobachtet, der offenbar ein autosomal-dominanter Erbgang zugrunde liegt. Die Ursache für den Komplex aus Symptomen ist scheinbar eine Unterentwicklung des sechsten und siebten Hirnnervs. Der sechste Hirnnerv ist auch als Nervus abducens bekannt. Dieser Nerv ist an der seitlichen Bewegung der Augen beteiligt.

Der siebte Hirnnerv ist der Nervus Facialis und steuert die Mimik. Damit entspricht das Möbius-Syndrom einer embryonalen Unterentwicklung, deren Ursachen bislang nicht abschließend geprägt sind. Im Falle von autosomal-dominanter Vererbung spielen vermutlich genetische Faktoren eine Rolle. Spekulationen zufolge könnten aber auch pränatale Ischämien des Gehirns die Unterentwicklung verursachen. Solche Ischämien spielen vor allem für die sporadischen Fälle eine Rolle und können zum Beispiel durch Schwangerschaftstraumata oder bei Drogenmissbrauch während der Schwangerschaft ausgelöst werden.

Symptome, Beschwerden & Anzeichen

Neugeborene mit Möbius-Syndrom tragen ein maskenartig wirkendes Gesicht, da ihre mimische Muskulatur gelähmt ist. Das Gesicht wirkt daher ausdruckslos und ruft Ernährungsschwierigkeiten hervor. Die Patienten können beispielsweise kaum an der mütterlichen Brust trinken. Bewegte Objekte können die Betroffenen nicht mit den Augen verfolgen, da sie zu seitlichen Augenbewegungen nicht in der Lage sind.

Wegen ihrer Mimik werden Patienten des Möbius-Syndroms oft für unfreundlich oder zurückgeblieben gehalten. Nichtsdestotrotz besitzen sie in den meisten Fällen eine normale Intelligenz. In einigen Fällen ist das Möbius-Syndrom zusätzlich mit Fehlbildungen vergesellschaftet. Als solche können sich zum Beispiel fehlende Finger und Zehen oder Klumpfüße manifestieren. Auch Fehlbildungen des Torsos kommen häufig vor.

Oft schielen die Betroffenen zusätzlich. In Einzelfällen sind ihre Augen außerdem extrem trocken und bereiten ihnen daher Schwierigkeiten beim Blinzeln. Aufgrund der Trockenheit können sich später Folgeerkrankungen der Augen einstellen. Abgerundet wird das Syndrom durch Symptome wie Sprachschwierigkeiten, Schluckschwierigkeiten und Sabbern, die oft auf eine Deformität der Zunge zurückgehen.

Diagnose & Krankheitsverlauf

Die Diagnose auf das Möbius-Syndrom ist nur schwer zu stellen. Wenn der Arzt mit der Symptomatik des Syndroms vertraut ist, wird ihn ein erster Verdacht gegebenenfalls nach der Blickdiagnose ereilen. Da das Fehlbildungssyndrom allerdings mit vielen weiteren Syndromen aus dieser Gruppe zu verwechseln ist, kommen Fehldiagnosen häufig vor.

Weil dem Syndrom offenbar keine klar erkenntliche, genetische Ursache zugrunde liegt, kann auch eine molekulargenetische Analyse die Verdachtsdiagnose nicht bestätigen. Damit stehen dem Arzt für eine zweifellos sichere Diagnostik kaum Mittel zur Verfügung.

Komplikationen

In den meisten Fällen leiden die Betroffenen durch das Möbius-Syndrom an einer Lähmung der Muskulatur im Gesicht. Das Gesicht selbst wirkt dabei sehr starr und die Patienten können ihre Gefühle und Ausdrücke nicht mit Hilfe von Mimik ausdrücken. Eventuell wirkt das Gesicht der Betroffenen für Außenstehende bizarr oder natürlich.

Ebenso leiden die Patienten durch das Möbius-Syndrom an Beschwerden bei der Aufnahme von Nahrung und Flüssigkeit und benötigen dabei nicht selten Hilfe. Weiterhin ist es auch nicht mehr möglich, die Augen seitlich zu bewegen, sodass es zu erheblichen Einschränkungen im Alltag des Betroffenen kommt. Nicht selten wird der Gesichtsausdruck der Patienten als unfreundlich empfunden, sodass es zu sozialen Schwierigkeiten und damit möglicherweise zu Depressionen oder zu anderen psychischen Beschwerden kommen kann.

Auch Sprachbeschwerden oder Schluckbeschwerden können durch das Möbius-Syndrom auftreten und die Lebensqualität des Patienten weiteren verringern. Nicht selten sind auch die Augen trocken und es kommt zum Schielen. Eine kausale Behandlung dieser Krankheit ist leider nicht möglich. Die Betroffenen sind aufgrund des Möbius-Syndroms auf eine Transplantation der Muskeln angewiesen. Weiterhin kann es durch die sozialen Beschwerden vor allem bei Kindern zu Hänseleien oder zu Mobbing kommen.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

Werden bei Neugeborenen optische Auffälligkeiten oder Makel wahrgenommen, leiten die Geburtshelfer erste Untersuchungen ein, um die Ursache abzuklären. Das Fehlen von Fingern oder Zehen wird während des Geburtsvorgangs bemerkt und unverzüglich ärztlich untersucht. Eine Deformierung der Zunge ist charakteristisch für das Möbius-Syndrom und wird ebenfalls bei der ersten Untersuchung des Neugeborenen bemerkt. Bei einer Fehlstellung der Augen, Verhaltensauffälligkeiten oder Lähmungserscheinungen benötigt das Neugeborene medizinische Hilfe. Eine Störung der Mimik gilt als Anzeichen einer Erkrankung, die abzuklären ist. Stellen sich Probleme bei der Nahrungszufuhr oder allgemeine Funktionsstörungen ein, wird ein Arzt benötigt.

Kommt es im weiteren Entwicklungs- und Wachstumsverlauf zu Verzögerungen oder starken Einschränkungen, ist ein Arztbesuch notwendig. Sprachstörungen, Probleme beim Schluckakt oder die Unmöglichkeit, den Speichel im Mund zu halten, sind Anzeichen einer Unregelmäßigkeit, bei der Behandlungsbedarf besteht. Lernverzögerungen sowie ein Mangel an sozialer Interaktion, sind mit einem Arzt zu besprechen.

Das Möbius-Syndrom stellt eine starke Belastung für alle Familienmitglieder dar. Aus diesem Grund sollten sie sich ausreichend über den Krankheitsverlauf und die Möglichkeiten des Patienten informieren. Bei einem frühen Behandlungsbeginn können für den Patienten unter optimalen Bedingungen die besten Erfolge und Fortschritte verzeichnet werden.

Behandlung & Therapie

Für Patienten mit Möbius-Syndrom stehen keinerlei kausale Therapien zur Verfügung. Das Syndrom wird rein symptomatisch behandelt. Diese symptomatische Therapie fokussiert sich während der Neugeborenenzeit vor allem auf die Sicherung der Ernährung. Zu diesem Zweck stehen spezielle Flaschen zur Verfügung. Wenn über diese Hilfsmittel die Ernährung nicht gesichert werden kann, greift der Arzt zu Nahrungsschläuchen.

In den meisten Fällen zählt auch die frühe Teilnahme an einer physikalischen Therapie und einer Logopädie zur Behandlung der Patienten. Diese Maßnahmen verbessern neben der Grobmotorik und der Koordination die Sprachfähigkeit und die Nahrungsaufnahmefähigkeit der Betroffenen. Zur Korrektur des Strabismus stehen operative Lösungen zur Verfügung.

Chirurgische Eingriffe können auch die Anomalien der Gliedmaßen und gegebenenfalls des Kiefers korrigieren. Unter Umständen kann zusätzlich eine Muskeltransplantation durchgeführt werden, damit die Patienten im Gesicht mehr Beweglichkeit erhalten. Ein Leben ohne mimische Bewegungsfähigkeit ist mit sozialer Ablehnung und Ausgrenzung verbunden. Diese Ablehnung kann psychische Folgeerkrankungen begünstigen.

Um solche Folgeerkrankungen zu vermeiden, ist eine möglichst frühe Muskeltransplantation anzustreben. Zusätzlich kann den Patienten eine psychotherapeutische Begleitung empfohlen werden. Dieser supportive Therapieschritt hilft den Betroffenen idealerweise beim Umgang mit sozialer Ablehnung und verbessert so ihre Lebensqualität.

Als eher seltene Begleitsymptome des Syndroms können auch Schwerhörigkeiten oder Taubheit symptomatisch behandelt werden. So können die Patienten zum Beispiel Implantate oder andere Hörhilfen erhalten.


Aussicht & Prognose

Das Möbius-Syndrom geht mit Lähmungen im Bereich des Gesichts einher. Die Lebenserwartung wird normalerweise nicht reduziert, allerdings ist das Wohlbefinden aufgrund der fehlenden Mimik stark reduziert. Betroffene Personen können ein normales Leben führen. Eine ärztliche Behandlung vorausgesetzt, treten meist keine weiteren körperlichen Beschwerden auf.

Allerdings geht das Möbius-Syndrom in Einzelfällen mit Fehlbildungen an Fingern und Händen oder Schwerhörigkeit und Ohrmissbildungen einher. Die genaue Prognose hängt davon ab, wie stark das Syndrom ausgeprägt ist. Zudem spielen mögliche Begleiterkrankungen wie das Poland-Syndrom oder das Kallmann-Syndrom eine Rolle.

Das Möbius-Syndrom erschwert eine Sozialisierung und kann bei den Betroffenen zu einem mangelnden Selbstwertgefühl und anderen Problemen führen. Manche Patienten entwickeln in der Folge seelische Erkrankungen wie Depressionen oder Angststörungen. Dadurch wird die Lebensqualität massiv eingeschränkt. Die genaue Prognose kann ein Facharzt für angeborene Erkrankungen stellen.

Miteinbezogen werden müssen neben der Ausprägung der Erkrankung und etwaigen Begleitstörungen wie Läsionen oder Störungen der Augenmuskeln auch das Umfeld des Patienten. Je besser der Patient von Freunden und Familie unterstützt wird, desto besser ist die Aussicht auf ein beschwerdefreies Leben.

Vorbeugung

Das Möbius-Syndrom wird durch eine Fehlentwicklung der Hirnnerven verursacht. Was genau diese Fehlentwicklung in der Embryonalphase auslöst, ist bislang allerdings nicht abschließend geklärt. Daher stehen bis auf allgemeine Schwangerschaftsempfehlungen wie die Abstinenz von schädlichen Substanzen keine Vorbeugemaßnahmen für den Symptomkomplex zur Verfügung.

Nachsorge

Betroffenen stehen beim Möbius-Syndrom meistens keine besonderen oder direkten Maßnahmen einer Nachsorge zur Verfügung. Dabei sollte in erster Linie schon früh ein Arzt kontaktiert werden, damit es nicht zu einer weiteren Verschlechterung der Beschwerden kommt und damit auch keine anderen Komplikationen mehr auftreten. Aufgrund des genetisch bedingten Charakter der Krankheit sollten Betroffene im Falle eines Kinderwunschs auf jeden Fall eine genetische Untersuchung und Beratung durchführen lassen, um das erneute Auftreten des Syndroms zu verhindern.

Eine frühzeitige Diagnose wirkt sich sehr positiv auf den weiteren Verlauf dieser Erkrankung aus. Die Betroffenen sind in ihrem Alltag auf eine umfassende Unterstützung angewiesen, wobei sich vor allem die Pflege und die Hilfe der eigenen Familie sehr positiv auf den weiteren Verlauf der Erkrankung auswirkt. Ebenso sind dabei liebevolle und intensive Gespräche notwendig, damit psychische Verstimmungen oder sogar Depressionen verhindert werden können.

Leiden Betroffene an Hörbeschwerden, sollten auf jeden Fall Hörhilfen eingesetzt werden, die diese lindern können. Auch in der Schule ist aufgrund des Möbius-Syndroms eine intensive Förderung der betroffenen Kinder notwendig. Die Krankheit verringert in der Regel nicht die Lebenserwartung des Betroffenen.

Das können Sie selbst tun

Das Möbius-Syndrom kann bislang nicht kausal behandelt werden. Die Selbsthilfe-Maßnahmen konzentrieren sich dementsprechend darauf, die symptomatische Therapie zu unterstützen.

Eltern von betroffenen Kindern müssen zunächst eine regelmäßige Nahrungsaufnahme sicherstellen. Dies gelingt durch den Einsatz spezieller Flaschen, aber auch durch Maßnahmen, die das Kind zum Essen anregen. Der Kinderarzt kann den Eltern Tipps und Hilfsmittel mitgeben, mit denen die Ernährung sichergestellt wird. Begleitend dazu muss das Kind meist auch logopädisch behandelt werden. Gezieltes Sprachtraining unterstützt die ärztlichen Maßnahmen und hilft in vielen Fällen auch der Nahrungsaufnahmefähigkeit der Betroffenen.

Sollte ein Strabismus vorliegen, ist eine operative Behandlung vonnöten. Anschließend benötigt das Kind Ruhe und Schonung. Je nach Ausprägung der Beschwerden ist eine unterstützende Therapie angezeigt. Welche Maßnahmen die Eltern ergreifen können, um die Sehstörungen zu lindern, hängt ebenfalls von der Ausprägung des Syndroms ab. Grundsätzlich sollte das Kind keinen starken Reizen wie direkter Sonneneinstrahlung oder etwaigen Schadstoffen ausgesetzt werden. Vor allem in den Tagen und Wochen nach einem Eingriff müssen die Augen geschützt werden. Andernfalls können sich Infektionen und andere Komplikationen einstellen.

Trotz aller Maßnahmen stellt das Möbius-Syndrom eine schwerwiegende Erkrankung dar, die oft mit psychischen Beschwerden verbunden ist. Sollte das Kind infolge der Erkrankung Minderwertigkeitskomplexe entwickeln oder andere Auffälligkeiten zeigen, ist eine therapeutische Beratung sinnvoll.

Quellen

  • Grehl, H., Reinhardt, F.: Checkliste Neurologie. Thieme, Stuttgart 2012
  • Herold, G.: Innere Medizin. Selbstverlag, Köln 2016
  • Lang, G. K.: Augenheilkunde. Thieme, Stuttgart 2014

Das könnte Sie auch interessieren