Mandibuläre Retrognathie

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 7. März 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Bei der Mandibulären Retrognathie handelt es sich um eine Rückverlagerung des Unterkiefers in Bezug auf die Schädelbasis. Der Begriff der Mandibulären Retrognathie bezieht sich lediglich auf die Beschreibung der Position des Unterkiefers, jedoch nicht auf dessen Größe. Auch charakterisiert die Mandibuläre Retrognathie nicht die Lage von Oberkiefer und Unterkiefer zueinander.

Inhaltsverzeichnis

Was ist eine Mandibuläre Retrognathie?

In einem Großteil der Fälle ist die Erkrankung erblich bedingt. Dabei besteht die Krankheit von Geburt an und prägt sich im Verlauf der kindlichen und pubertären Wachstumsphasen immer stärker aus.
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Die Mandibuläre Retrognathie stellt eine genetisch bedingte Dysgnathie dar. Darunter werden Fehlentwicklungen des Kiefers oder der Zähne verstanden. Bei der Mandibulären Retrognathie liegt ein verkürzter Unterkiefer vor, der vom Oberkiefer überragt wird. Die Erkrankung zeigt sich in einem fliehenden Kinn und einer vorspringenden Oberlippe, wodurch eine negative Lippenstufe entsteht.

Im Rahmen der Mandibulären Retrognathie tritt in der Profilansicht ein sogenanntes Vogelgesicht in Erscheinung. Dies ist eine Folge der relativen Rücklage des zu kleinen Unterkiefers. Wird der Mund geschlossen, ragen die vorderen Zähne des Oberkiefers deutlich vor jene des Unterkiefers, der oftmals in den Gaumen beißt.

Ursachen

Die Entstehung einer Mandibulären Retrognathie kann durch diverse Ursachen bedingt sein. In einem Großteil der Fälle ist die Erkrankung erblich bedingt. Dabei besteht die Krankheit von Geburt an und prägt sich im Verlauf der kindlichen und pubertären Wachstumsphasen immer stärker aus. Darüber hinaus existieren weitere Ursachen, die für die Bildung einer Mandibulären Retrognathie verantwortlich sein können und die nicht erblich bedingt sind.

So können zum Beispiel Störungen in Bezug auf das Wachstum des Kiefers, verursacht etwa durch eine Knochenmarksentzündung (medizinische Bezeichnung Osteomyelitis) Mandibuläre Retrognathien begünstigen. Auch Frakturen an den Gelenkfortsätzen sowie Ankylosen können die Entstehung der Erkrankung fördern. Darüber hinaus stellen Entzündungen in den Wachstumsfugen des Kiefers mögliche Ursachen für die Mandibuläre Retrognathie dar.

Symptome, Beschwerden & Anzeichen

Die Symptome einer Mandibulären Retrognathie treten in der Regel deutlich in Erscheinung und prägen das Aussehen der betroffenen Personen. Die Patienten verfügen über ein fliehendes Kinn sowie eine vorspringende Oberlippe. Üblicherweise tritt die Mandibuläre Retrognathie beidseitig auf. In nicht erblich bedingten Fällen kann sie auch einseitig vorkommen. Geprägt ist die Mandibuläre Retrognathie durch eine erhebliche Unterentwicklung (medizinische Bezeichnung Hypoplasie) des Unterkiefers, wodurch eine Rücklage des Kinns entsteht.

Daraus ergibt sich ein sogenannter Distalbiss beziehungsweise Überbiss. In einzelnen Fällen kann die Mandibuläre Retrognathie in Kombination mit einer Maxillären Prognathie auftreten. Dabei handelt es sich um eine Fehlstellung der Zähne des Oberkiefers. Tritt die Mandibuläre Retrognathie bei Gelenkfrakturen und Ankylosen auf, ergeben sich für die betroffenen Personen mitunter Einschränkungen beim Öffnen des Mundes.

Oftmals sind die Schneidezähne verlängert, weil ihnen in der Wachstumsphase ein natürlicher Widerstand, etwa in Form der oberen Frontzähne, fehlte. Beim Schlussbiss berühren die unteren Schneidezähne die Gaumenschleimhaut. Im Rahmen einer Mandibulären Retrognathie treten in vielen Fällen andere Syndrome auf, wie etwa das Schlafapnoe-Syndrom.

Diagnose & Krankheitsverlauf

Zur Diagnose der Mandibulären Retrognathie kommen diverse Methoden der Untersuchung in Betracht, die je nach Ausprägung der Erkrankung im individuellen Fall zur Anwendung kommen. Prinzipiell sind die klinischen Symptome in Form des fliehendes Kinns und des Überbisses derartig charakteristisch, dass sich der Verdacht auf das Vorliegen einer Mandibulären Retrognathie sehr schnell ergibt.

Durch adäquate fachärztliche Untersuchungen müssen diese Vermutungen überprüft werden, um eine sichere Diagnose stellen und entsprechende therapeutische Maßnahmen anordnen zu können. So stellen Röntgenuntersuchungen in vielen Fällen das Mittel der Wahl zur Diagnose einer Mandibulären Retrognathie dar. Diese können zum Beispiel von einem Kieferorthopäden durchgeführt werden.

Im Röntgenbild ist die Fehlstellung von Oberkiefer und Unterkiefer deutlich zu erkennen. Hier kann auch die individuelle Ausprägung der Mandibulären Retrognathie ermittelt werden. Eine fachärztliche Diagnose ist in jedem Fall erforderlich, um die Mandibuläre Retrognathie von eventuellen weiteren Erkrankungen des Kiefers abgrenzen zu können.

Komplikationen

In der Regel kommt es bei dieser Krankheit zu einem deutlich veränderten Aussehen des Patienten. Aus diesem Grund kann es zu einem verringerten Selbstwertgefühl oder auch zu Minderwertigkeitskomplexen kommen. Auch Kinder können dabei an Mobbing oder auch an Hänseleien im jungen Alter leiden und damit an Depressionen oder an anderen psychischen Verstimmungen erkranken.

Die meisten Betroffenen leiden weiterhin auch an einem Überbiss. Nicht selten kommt es durch die Krankheit zu Beschwerden beim Öffnen und beim Schließen des Mundes, sodass es auch zu Einschränkungen bei der Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr kommt. Dies kann es eventuell eine Mangelernährung oder Dehydration begünstigen. Durch die verringerte Ästhetik leiden die Betroffenen auch an sozialen Schwierigkeiten und eventuell an einer Ausgrenzung.

Die Beschwerden dieser Krankheit können in den meisten Fällen durch operative Eingriffe behandelt werden. Komplikationen treten dabei nicht auf. In einigen Fällen sind allerdings mehrere Eingriffe notwendig. Auch die Lebenserwartung des Patienten wird durch dieses Syndrom nicht verringert oder eingeschränkt. Weiterhin ist für die Operation eventuell die Transplantation von Knochen notwendig. Besondere Komplikationen oder Beschwerden treten allerdings nicht auf.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

Fehlentwicklungen des menschlichen Kiefers sind grundsätzlich von einem Arzt begutachten und untersuchen zu lassen. Stehen der Ober- und der Unterkiefer nicht direkt übereinander, liegt eine Beeinträchtigung vor, die ärztlich abgeklärt werden muss. Kommt es zu Beschwerden beim Kauen oder zu Schmerzen, wird ein Arzt benötigt. Können aufgenommene Lebensmittel nicht ausreichend durch den möglichen Kauvorgang zermahlen werden, besteht Anlass zur Besorgnis. Bei einem geringen Körpergewicht oder einer Gewichtsabnahme ist ein Arztbesuch anzuraten.

Nimmt der Betroffene aufgrund der Beeinträchtigungen nur flüssige oder meist breiige Nahrung auf, empfiehlt sich die Konsultation eines Arztes. Es ist eine Korrektur der Kiefer notwendig, die zahnmedizinisch durchgeführt wird. Ist eine optische Veränderung des Gesichtsbildes aufgrund der Kieferstellungen erkennbar, sollte ein Arztbesuch erfolgen. Nehmen innerhalb des Wachstumsprozesses die Unregelmäßigkeiten der Kieferstellungen zu, ist schnellstmöglich ein Arzt aufzusuchen.

Bei Kopfschmerzen oder einer Beeinträchtigung der Muskeln im Hals sowie Nacken, benötigt der Betroffene medizinische Hilfe und Unterstützung. Schlaf-, Konzentrations- oder Aufmerksamkeitsstörungen sind weitere Hinweise, denen nachgegangen werden sollte. Kann der Mund nicht ausreichend geöffnet werden, liegt eine verminderte Lautgebung vor oder ist eine umfassende Zahnreinigung nicht möglich, besteht Handlungsbedarf. Ein Arztbesuch ist notwendig, da es ohne eine Behandlung im weiteren Verlauf zu schwerwiegenden Komplikationen kommen kann.

Behandlung & Therapie

Zur Behandlung der Mandibulären Retrognathie stehen diverse Methoden zur Verfügung, die an den individuellen Fall angepasst werden. In der Phase des Wachstums sollte sich der betroffene Patient einer kieferorthopädischen Behandlung unterziehen. Wird diese Therapie erfolgreich abgeschlossen, ist in den meisten Fällen eine Aufbauplastik des Kinns beziehungsweise des Unterkiefers erforderlich.

Die therapeutischen Maßnahmen ähneln hier denen der Maxillären Retrognathie. Zur Behandlung der Mandibulären Retrognathie bei Erwachsenen kommen diverse weitere Operationen in Frage. Möglich sind Operationen in den sogenannten aufsteigenden Ästen. Hier wird der Kiefer gespalten und der Unterkiefer nach vorn versetzt, wobei ein Bissschlüssel als Hilfe dient. Die einzelnen Fragmente werden mittels Zugschraubenosteosynthese stabil fixiert.

Wenn die Fehlstellung keiner rechtzeitigen Therapie unterzogen wird, können sich Schäden an Zähnen und Zahnhalteapparat ergeben. Dies kann den vorzeitigen Verlust von Zähnen zur Folge haben. Eine Vorverlagerung des Unterkiefers kann nur durch Verlängerung der aufsteigenden Äste am Unterkieferknochen erreicht werden. Für diesen Zweck ist kieferchirurgisch entweder eine Knochentransplantation erforderlich, oder gespaltene Knochenfragmente werden allmählich auseinandergezogen (medizinische Bezeichnung Kallusdistraktion).


Aussicht & Prognose

Die mandibuläre Retrognathie hat eine günstige Prognose, wenn der Betroffene frühzeitig eine medizinische Versorgung in Anspruch nimmt. Andernfalls drohen im Verlauf des Lebens irreversiblen Schäden und Folgeerkrankungen. Es kann zu einer stetigen Zunahme von gesundheitlichen Unregelmäßigkeiten kommen. Darüber hinaus muss der Betroffene andernfalls einen vorzeitigen Verlust von Zähnen und Schäden an den Kieferknochen hinnehmen. Neben Schmerzen kommt es zu Beeinträchtigungen des Sprachvermögens sowie Essstörungen. Es drohen Mangelerscheinungen und dadurch können sich lebensgefährliche Entwicklungen zeigen.

Bei einer frühen Zusammenarbeit mit einem Arzt werden kieferchirurgische Maßnahmen eingeleitet. Neben dem vorübergehenden Tragen von Zahnspangen können operative Eingriffe vorgenommen werden. In Abhängigkeit vom Umfang der vorhandenen Fehlstellungen sind im Verlauf des Lebens mehrere Operationen notwendig. Innerhalb des Wachstumsprozess des Menschen kommt es zu körperlichen Veränderungen. Dieser Vorgang kann dazu führen, dass weitere Eingriffe unumgänglich sind. Jede Operation ist mit Risiken verbunden.

In einem besonders schweren Fall kann eine Blutvergiftung zu einem ebenfalls lebensbedrohlichen Zustand führen. Dennoch ist diese medizinische Versorgung für einige Menschen der einzige Weg, um langfristig eine Linderung der Beschwerden zu erreichen. Es handelt sich zudem um Routineeingriffe, die in den meisten Fällen störungsfrei verlaufen. In seltenen Fällen muss als letzter Ausweg für eine Verbesserung eine Knochentransplantation vorgenommen werden.

Vorbeugung

Da es sich bei der Mandibulären Retrognathie meist um eine erblich bedingte Erkrankung des Kiefers handelt, bestehen keine wirksamen Methoden zur Prävention der Krankheit. Die betroffenen Patienten können lediglich durch rechtzeitige kieferorthopädische Therapie der Fehlstellung des Unterkiefers entgegenwirken und damit gleichzeitig auch möglichen Folgeschäden der Mandibulären Retrognathie vorbeugen.

Nachsorge

Das Aussehen von Betroffenen verändert sich in der Regel durch die Erkrankung. Es kann aus diesem Grund bei den Betroffenen zu einem geringen Selbstwertgefühl und Minderwertigkeitskomplexen kommen. Kinder leiden dadurch häufig an Mobbing und Hänseleien. Dies kann zu starken Depressionen und anderen psychischen Erkrankungen führen. Fürsprechende Hilfe von Angehörigen ist daher unablässig, um den Genesungsprozess dauerhaft zu stabilisieren.

Wichtig ist es, das soziale Umfeld in den Prozess einzubeziehen, um Spannungen oder Missverständnisse abzuwenden. In vielen Fällen sind jedoch wiederholte operative Eingriffe nötig. Die Lebenserwartung von Betroffenen wird durch die Erkrankung nicht beeinflusst. Es kommt vor, dass für die Operationen eine Transplantation von Knochen bei Betroffenen notwendig ist. Eine dauerhafte medizinische Nachsorge ist daher dringend notwendig, um weitere Komplikationen zu vermeiden.

Das können Sie selbst tun

Die Patienten mit Mandibulärer Retrognathie leiden durch ihr anormales Aussehen oft schon als Kinder unter Minderwertigkeitskomplexen. Die Krankheit stellt für die Betroffenen meist einen enormen ästhetischen Makel dar, der die sozialen Beziehungen beeinträchtigt und den Alltag in Kinderbetreuungseinrichtungen und der Schule beeinflusst. Deshalb ist oft eine psychotherapeutische Behandlung angezeigt, um das Selbstwertgefühl der kindlichen Patienten zu stärken und den seelischen Umgang mit der Krankheit zu unterstützen.

Bezüglich des rückverlagerten oder verkleinerten Unterkiefers ist bei Kindern eine kieferorthopädische Behandlung vonnöten. Dabei übernehmen die Eltern die Verantwortung für die regelmäßige Wahrnehmung erforderlicher Arzttermine sowie das tägliche Tragen von Zahnspangen. Eine derartige Therapie verbessert den Zustand, beseitigt den äußerlichen Makel jedoch in der Regel nicht vollständig. Zu diesem Zweck sind weitere korrigierende Maßnahmen im Zuge einer Operation erforderlich, wobei meist mehrere chirurgische Eingriffe über einen längeren Zeitraum notwendig sind.

Insbesondere in der postoperativen Phase halten sich die Betroffenen strikt an die Anweisungen des zuständigen Arztes sowie des Klinikpersonals, um Nebenwirkungen und Komplikationen zu vermeiden. Eine Logopädie unterstützt die Sprachfähigkeit der Patienten und stärkt gleichzeitig das Selbstbewusstsein. Zur gezielten Kräftigung der Kiefermuskulatur besucht der Betroffene einen Physiotherapeuten, mit dem er geeignete Übungen einstudiert.

Quellen

  • Hausamen, J.-E., et al.: Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie. Springer, Heidelberg 2012
  • Ott, R., Vollmer, H.P., Krug, W.: Klinik- und Praxisführer Zahnmedizin. Thieme, Stuttgart 2003
  • Weber, T.: Memorix Zahnmedizin. Thieme, Stuttgart 2016

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