Neuritis vestibularis

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 27. Februar 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Als Neuritis vestibularis bezeichnen Mediziner eine Funktionsstörung des Gleichgewichtsorgans. Dabei leiden die Betroffenen unter Drehschwindel.

Inhaltsverzeichnis

Was ist Neuritis vestibularis?

Als typisches Symptom der Neuritis vestibularis gilt ein heftiger Drehschwindel. Dieser geht in der Regel mit Übelkeit und Erbrechen einher.
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In der Medizin ist die Neuritis vestibularis auch als Neuropathia vestibularis bekannt. Gemeint ist damit eine akute oder chronische Störung der Funktion des Gleichgewichtsorgans, das sich im Innenohr befindet. Weitere Bezeichnungen für die Erkrankung lauten Vestibulopathie, Vestibularis-Neuropathie sowie Neuronitis vestibularis.

Dabei bedeutet Neuronitis übersetzt „Nervenentzündung“. Mitunter wird das Leiden auch „Hörsturz des Gleichgewichtsorgans“ genannt. Die Inzidenz der Neuritis vestibularis liegt bei 3,5 von 100.000 pro Jahr. Der Anteil an den Diagnosen in Spezialkliniken für Schwindel beträgt rund sieben Prozent.

Dabei zählt die Neuropathia vestibularis zu den drei häufigsten Schwindelformen. In den meisten Fällen tritt die Schwindelerkrankung zwischen dem 30. und 60. Lebensjahr auf. Außerdem zeigt sich die Vestibulopathie oftmals im Frühling oder im Frühsommer.

Ursachen

Welche Ursachen für die Neuritis vestibularis in Betracht kommen, ist noch immer unklar. Es wird vermutet, dass Viren für das Entstehen der Erkrankung verantwortlich sind. So zeigen sich vor Ausbruch der Neuropathia vestibularis nicht selten virale Infekte. Aber auch Durchblutungsstörungen können die Auslöser der Schwindelerkrankung sein.

Diese rufen Funktionsstörungen oder sogar einen Funktionsausfall des Gleichgewichtsorgans auf der Körperseite, die von der Erkrankung betroffen ist, hervor. Während das Gehirn der betroffenen Person auf der gesunden Seite nach wie vor normale Signale erhält, zeigt sich auf der erkrankten Seite überhaupt kein oder nur ein gestörtes Signal. Durch dieses Ungleichgewicht leidet der Patient im Anfangsstadium unter starken Schwindelattacken. Als weitere seltene Ursachen werden Herpes-Infektionen, die Lyme-Borreliose sowie Autoimmunkrankheiten vermutet.

Symptome, Beschwerden & Anzeichen

Als typisches Symptom der Neuritis vestibularis gilt ein heftiger Drehschwindel. Dieser geht in der Regel mit Übelkeit und Erbrechen einher. Auch das allgemeine Befinden des Patienten leidet unter der Erkrankung. Nicht selten ist der Schwindel so heftig ausgeprägt, dass die Betroffenen ohne Hilfe nicht imstande sind, zu laufen.

In manchen Fällen tritt eine Besserung der Beschwerden ein, wenn der Patient sich ruhig auf den Rücken legt und dabei die Augen schließt. Werden jedoch selbst leichte Bewegungen ausgeführt, verschlechtert sich der Zustand wieder. Die Symptome der Neuritis vestibularis halten meist einige Tage lang an. Im weiteren Verlauf werden sie jedoch allmählich besser.

Eine weitere Begleiterscheinung der Neuropathia vestibularis stellt der Nystagmus dar, bei dem es zu ruckartigen Augenbewegungen kommt. Dabei bewegen sich die Augen in Richtung der Nerven des Gleichgewichtsorgans, die nicht von der Erkrankung betroffen sind. Als typisch gilt zudem eine Fallneigung im Stehen oder Sitzen zur erkrankten Seite hin. In der Regel nicht beeinträchtigt wird bei einer Neuritis vestibularis das Gehör des Patienten.

Diagnose & Krankheitsverlauf

Bei Verdacht auf eine Neuritis vestibularis sollte ein Arzt zu Rate gezogen werden. Dieser befasst sich zunächst mit der Anamnese (Krankengeschichte) des Patienten und lässt sich von ihm die Symptome beschreiben. Von Interesse sind außerdem mögliche Vorerkrankungen.

Eine wichtige Rolle spielt auch der Nystagmus der Augen. Zu dessen Überprüfung setzt sich der Patient eine spezielle Frenzel-Brille auf. Nächster Schritt ist das Vornehmen einer Vestibularisprüfung zur Untersuchung des Gleichgewichts. Dabei wird der Gehörgang einer warmen Spülung ausgesetzt. Bei diesem Verfahren werden auch die Augen kontrolliert. Menschen, die unter einer Neuritis vestibularis leiden, zeigen dabei keinerlei Veränderungen der Nystagmus-Richtung.

Sinnvoll können zudem spezielle Untersuchungen der Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde oder bildgebende Diagnoseverfahren sein. Dazu gehören die Sonographie (Ultraschalluntersuchung), die Computertomographie (CT) oder die Magnetresonanztomographie (MRT). Der Hals-Nasen-Ohrenarzt stellt die Diagnose durch eine Kalorikprüfung des Innenohrs sicher.

Dabei kommt es am Gleichgewichtsorgan zu einer thermischen Untererregbarkeit, die durch warmes beziehungsweise kaltes Wasser oder Luft erfolgt. Da Schwindelanfälle außerdem zahlreiche andere Ursachen haben können, ist deren Abgrenzung bei Verdacht auf eine Neuritis vestibularis besonders wichtig. Bei den möglichen Erkrankungen kann es sich um Morbus Meniere oder den gutartigen Lagerungsschwindel handeln.

Die Neuritis vestibularis nimmt in der Regel einen positiven Verlauf. So ist bei den meisten Patienten der Gleichgewichtssinn nach einem Zeitraum von circa zwölf Wochen wiederhergestellt oder zumindest verbessert. Etwa 15 Prozent aller Betroffenen leiden jedoch zusätzlich unter einem gutartigen Lagerungsschwindel.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

Gangunsicherheiten und ein vermehrtes Auftreten von Unfällen oder Stürzen sind Anzeichen einer bestehenden Unregelmäßigkeit. Sie sind einem Arzt vorzustellen, damit schwere Schäden vermieden werden können. Bei Schwindel, Übelkeit und Erbrechen wird ein Arzt benötigt. Charakteristisch ist ein sogenannter Drehschwindel, der eine Unmöglichkeit des geradeaus Gehens auslöst. Kommt es zu einer Schiefhaltung des Körpers bei der Fortbewegung, Bewegungsunsicherheiten oder einem insgesamt sehr instabilen Auftreten, ist ein Arzt aufzusuchen. Werden von umstehenden Personen ungewöhnliche Augenbewegungen des Betroffenen wahrgenommen, ist dies mit einem Arzt zu besprechen.

Charakteristisch für die Neuritis vestibularis ist eine vorübergehende Spontanheilung. Diese tritt ein, sobald sich der Betroffene in Rückenlage eine Ruhephase gönnt und dabei die Augen schließt. Gleichzeitig nehmen die Beschwerden an Intensität zu, sobald leichte Bewegungen ausgeführt werden. Wird Hilfe bei der Fortbewegung benötigt, können die alltäglichen Verpflichtungen nicht mehr allein bewerkstelligt werden oder kommt es zu einem verminderten Hörvermögen, ist ein Arzt aufzusuchen.

Häufig entsteht ein Druckgefühl im Ohr, es kommt zu Ohrgeräuschen oder bestimmte Frequenzen können nicht mehr wie gewohnt gehört werden. Eine Fallneigung des Betroffenen im Sitzen oder Stehen gilt als ungewöhnlich. Sie sollte ärztlich abgeklärt werden, damit die Ursache der Beschwerden diagnostiziert werden kann und eine Behandlung eingeleitet wird.

Behandlung & Therapie

Mitunter kann es bei einer Neuritis vestibularis erforderlich sein, die betroffenen Personen stationär in einem Krankenhaus zu behandeln. So müssen die Patienten für eine gewisse Zeit Bettruhe einhalten. Zur Behandlung von Symptomen wie Schwindelgefühlen, Erbrechen und Übelkeit werden ihnen entsprechende Medikamente verabreicht.

Um die Durchblutung zu verbessern, finden mehrere Infusionen statt. Diese sind auch hilfreich, um Flüssigkeit, die durch Erbrechen verloren geht, zu ersetzen. Als bewährtes Medikament gilt das Glucocorticoid Methylprednisolon. Die Behandlung mit dem Stoff dauert etwa eine Woche. Im Verlauf der Therapie wird die Dosis nach und nach reduziert, um den Gleichgewichtsnerv wiederherzustellen.

Bessert sich die Störung nach kurzer Zeit nicht wieder, finden Trainingsmaßnahmen statt, in deren Rahmen der Patient den Umgang mit seinen Beschwerden erlernt. Im Mittelpunkt steht dabei das intensive Gleichgewichtstraining. Es dient dazu, den Heilungsprozess zu beschleunigen. Zu diesem Zweck setzt der Arzt unter kontrollierten Bedingungen das Gleichgewichtssystem Situationen aus, bei denen es zu Schwindelgefühlen kommt. Durch den Reiz lässt sich die Erholung fördern.

Komplikationen

In der Regel ist die Prognose bei Neuritis vestibularis günstig. Schwerwiegende Komplikationen kommen nur vereinzelt vor. Meist ist der Schwindel nach ungefähr einem Vierteljahr wieder vorbei. In seltenen Fällen kann es jedoch zu Rezidiven kommen, die dann aber das andere Ohr betreffen. Des Weiteren tritt bei circa 15 Prozent aller Patienten ein benigner (gutartiger) Lagerungsschwindel im gleichen Ohr auf.

Auch dieser kann gut behandelt werden und stellt nur eine vorübergehende Erscheinung dar. Komplizierter wird es jedoch für Betroffene, die den krankheitsbedingten Drehschwindel als traumatisches Ereignis erleben. In diesen Fällen kann sich zusätzlich noch ein phobischer Schwankschwindel entwickeln. Da dieser nicht auf organische Ursachen, sondern ausschließlich auf psychische Ursachen zurückgeführt werden kann, muss sich hier die Therapie auf die Beseitigung der Angststörung konzentrieren.

Eine eventuell schwerwiegende Komplikation des Drehschwindels kann von einem gefährlichen Sturz ausgelöst werden, der oft mit schweren Verletzungen und Knochenbrüchen verbunden ist. Dieses Risiko betrifft besonders ältere Menschen, deren Knochenstabilität bereits zusätzlich durch Osteoporose herabgesetzt ist. Sehr selten kommt es bei Neuritis vestibularis zu einem chronischen beidseitigen Labyrinthausfall.

Hier ist die Steh- und Gehmotorik bei Dunkelheit oder geschlossenen Augen gestört. Langfristig führt diese Doppelbelastung beider Ohren häufig zur vollständigen Orientierungslosigkeit im Raum. Die Ausübung von Gefahrberufen oder Risikosportarten ist dann nicht mehr möglich.


Aussicht & Prognose

Verlauf und Prognose einer Neuritis vestibularis sind günstig. Zumeist tritt innerhalb von zwei bis drei Wochen eine spontane Heilung ein. Bei der Mehrheit der Betroffenen normalisiert sich der Gleichgewichtssinn nach spätestens 12 Wochen vollständig oder zumindest teilweise. Ein Teil der Betroffenen zeigt allerdings auch nach mehreren Monaten noch Schwindelbeschwerden.

In nur seltenen Fällen geht der Schwindel in andere Formen von Schwindel oder Gleichgewichtsstörungen über. So zeigt sich bei bis zu 15 Prozent der Betroffenen zusätzlich ein sogenannter benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel (gutartiger Lagerungsschwindel) im betroffenen Ohr. Dieser zeichnet sich durch kurze Drehschwindelattacken bei Bewegungen bzw. Lagerungsveränderungen des Kopfes (Hinab- oder Hochschauen, Drehen des Kopfes) oder beim Hinlegen aus. Der anhaltende Drehschwindel kann die betroffenen Person zudem so traumatisieren, dass sich durch eine ängstliche Erwartungshaltung vor einer möglichen Schwindelattacke ein phobischer Schwankschwindel entwickelt.

Die individuelle Prognose hängt dabei vor allem davon ab, dass die betroffene Person schnellstmöglich wieder körperlich aktiviert wird. Auch der Allgemeinzustand ist für die Prognose bedeutend. So leiden ältere Betroffene aufgrund ihres vergleichsweise schlechteren Allgemeinzustands häufig länger unter den bestehenden Beschwerden. Rezidive (Wiederauftreten des Schwindels) treten lediglich in sehr seltenen Fällen auf und betreffen dann in aller Regel das zuvor nicht erkrankte Ohr.

Vorbeugung

Vorbeugende Maßnahmen gegen die Neuritis vestibularis sind nicht bekannt. So liegen die Ursachen der Schwindelerkrankung noch immer im Dunkeln.

Nachsorge

Bei der Neuritis vestibularis stehen dem Patienten in den meisten Fällen nur sehr wenige und eingeschränkte Möglichkeiten der direkten Nachsorge zur Verfügung. Der Betroffene sollte daher idealerweise frühzeitig einen Arzt aufsuchen und dabei auch eine Behandlung einleiten, um das Auftreten von weiteren Komplikationen und Beschwerden zu verhindern. Es kann nicht zu einer selbstständigen Heilung kommen, sodass eine medizinische Behandlung stets notwendig ist.

Die meisten Patienten sind in der Regel auf die Einnahme von verschiedenen Medikamenten angewiesen. Dabei sollte der Betroffene alle Anweisungen des Arztes beachten und die Medikamente regelmäßig und auch in der richtigen Dosierung einnehmen. Dabei ist bei Fragen oder bei Unklarheiten immer zuerst ein Arzt zu konsultieren.

Weiterhin ist in vielen Fällen die Unterstützung des Betroffenen durch die eigene Familie notwendig. Betroffene sollten viel trinken, um die Beschwerden zu lindern. Die Medikamente selbst können dabei nach Rücksprache mit einem Arzt langsam abgesetzt werden. Häufig kann auch der Kontakt zu anderen Betroffenen der Neuritis vestibularis sehr sinnvoll sein, da es dabei zu einem Austausch an Informationen kommt, wobei diese den Alltag des Patienten deutlich erleichtern können.

Das können Sie selbst tun

Nach der eindeutigen Diagnose einer Neuritis vestibularis können sich Maßnahmen der Alltags- und Selbsthilfe auf eine Verbesserung des Umgangs mit der Erkrankung und auf eine Verkürzung des Heilungsprozesses auswirken. Unabhängig davon ob die Erkrankung auf Durchblutungsstörungen in den Vestibularorganen beruht oder andere Ursachenfaktoren zugrunde liegen, sind neben der medikamentösen Behandlung praktische Übungen sinnvoll. Sie dienen auch der unmittelbaren Begegnung und Erleichterung der Schwindelattacken und der Übelkeitsgefühle.

Um den Nystagmus, die abgehackte unwillkürliche Augenbewegung, zu überwinden. Beispielsweise hilft es, sich aufrecht auf einen Stuhl zu setzen und vor den Augen mit 30 cm bis 50 cm Abstand die Hand mit ausgetrecktem Finger nach rechts und nach links zu führen. Dabei sollten die Augen ohne Kopfdrehung der Hand bzw. dem Finger folgen. Durch die Übung wird die unwillkürliche Augenbewegung (Nystagmus) durch eine willentlich ausgeführte Augenbewegung überlagert und schwächt den Nystagmus ab.

Andere regelmäßig durchgeführte Übungen, die normalerweise der Stärkung der Vestibularorgane dienen, helfen auch zur Überwindung der Übelkeit infolge der Neuritis vestibularis. Konkret handelt es sich um Übungen wie „auf einem Bein Stehen“, „auf einer Linie gehen“ oder „seitwärts und rückwärts gehen“. Die Durchblutung wird durch körperliche Bewegung gefördert. Besonders wirksam sind Kombinationen von Bewegung und Training des Gleichgewichts wie beispielsweise beim Tanzen.

Quellen

  • Arnold, W.: Checkliste Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde. Thieme, Stuttgart 2011
  • Boenninghaus, H. G., Lenarz, T.: Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde. Springer, Heidelberg 2012
  • Reia, M.: Facharztwissen HNO-Heilkunde. Springer, Heidelberg 2009

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