Skoptisches Syndrom
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 13. April 2024Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
Sie sind hier: Startseite Krankheiten Skoptisches Syndrom
Patienten mit skoptischem Syndrom verletzen sich im Bereich der Genitalien selbst. Sie empfinden die Selbstverletzung als befreiend oder sogar erregend. Das skoptische Syndrom wird daher von vielen Wissenschaftlern als Form des Masochismus beschrieben.
Inhaltsverzeichnis |
Was ist ein skoptisches Syndrom?
Unterschiedliche Störungen der Psyche werden als Verhaltensstörungen zusammengefasst. Unter den Sammelbegriff werden neben sexuellen Störungen zum Beispiel Störungen der Geschlechtsidentität gefasst. Zu den sexuellen Störungen oder noch genauer den Störungen der Sexualpräferenz zählt der Masochismus, bei dem Betroffene Lust oder Befriedigung aus Schmerzerleben oder Demütigung der eigenen Person ziehen.
Von sexuellen Störungen und Geschlechtsidentitätsstörungen abzugrenzen sind wahnhafte Störungen wie die Dysmorphophobie, bei der Patienten ihren eigenen Körper gestört wahrnehmen. Das skoptische Syndrom ist laut DSM IV eine Geschlechtsidentitätsstörung. Seit der jüngeren Vergangenheit wird das Syndrom von einigen Wissenschaftlern allerdings auch den Störungen in der Sexualpräferenz zugeordnet und als eine Form des Masochismus betrachtet.
Wieder andere halten das skoptische Syndrom für eine Form der Dysmorphophobie. Die Einordnung der Erkrankung ist vor allem deshalb so schwierig, weil es sich um eine eher seltene und bislang wenig erforschte Krankheit handelt. Die Patienten leiden an einem Bedürfnis nach Selbstverstümmelung im Genitalbereich. Seinen Namen hat das Syndrom von der russischen Sekte Skopzen erhalten, zu deren Ritualen Genitalverstümmelungen zählten.
Ursachen
Lerntheoretiker sehen die Ursache dagegen eher in klassischer und operanter Konditionierung, wie sie zum Beispiel in Form von Masturbationsphantasien stattfindet. Ist das skoptische Syndrom dagegen eine Form der Dysmorphophobie, so spielen vermutlich biologische und soziokulturelle Faktoren für die Entstehung eine Rolle. Die Ursachen wären in diesem Fall ähnlich der Ursachen von Zwangsstörungen zu verstehen.
Falls es sich um eine Geschlechtsidentitätsstörung handelt, liegt die Ursache vermutlich in den gesellschaftlichen Verhaltenserwartungen an die beiden Geschlechter Mann und Frau. Primärursache für das skoptische Syndrom wäre in diesem Zusammenhang das Bedürfnis nach einer freieren Persönlichkeitsentfaltung.
Vornehmlich geht es dabei unabhängig zu werden von Erwartungen, die oft bereits von Seiten der Eltern in hohem Maß bestehen. Als einordnungsunabhängige Erklärung gehen Psychiater beim skoptischen Syndrom von Ursachen wie sexuell induzierten Schuldgefühlen aus.
Symptome, Beschwerden & Anzeichen
Das skoptische Syndrom äußert sich in verschiedenen Krankheitsbildern. Die meisten Patienten werden von einem Bedürfnis nach genitaler Selbstverstümmelung geplagt, so zum Beispiel von dem Bedürfnis nach einer Kastration, einer Penektomie oder einer Klitoridektomie. Die Betroffenen leiden zunächst nur an den Wünschen nach einer dahingehenden Verstümmelung, werden im Verlauf der Erkrankung aber meist aktiv und führen die Selbstverstümmelung tatsächlich durch.
Nach dem Verstümmelungsakt sprechen viele Patienten von einer Befreiung. Andere beschreiben Gefühle der sexuellen Erregung. Unter Umständen handelt es sich in diesem Zusammenhang eigentlich um zwei unterschiedliche Krankheitsbilder. Diese unterscheide sich nicht nur im Anspruch, sondern auch in der Ursache voneinander. Patienten mit Lusterleben bei der Selbstverstümmelung leiden so eher an einer Form des Masochismus.
Patienten mit Befreiungsgefühlen lassen sich dagegen besser als geschlechtsidentitätsgestört beschreiben. Teilweise unternehmen die Patienten keine vollwertigen Kastrationen, Penektomien oder Kliterodektomien, sondern verletzen sich im Bereich der Genitalien lediglich selbst. Andere Patienten betreiben die Selbstverletzung im Rahmen einer mehr oder weniger professionell geplanten Operation.
Diagnose & Krankheitsverlauf
Die Diagnose aud das skoptische Syndrom wird vom Psychiater oder Psychotherapeuten gestellt. Im Allgemeinen wird im Zusammenhang mit dem Syndrom eine relativ hohe Dunkelziffer an Erkrankungen angenommen. Vermutlich wenden sich viele Betroffene gerade mit etwas derart intimem wie genitaler Selbstverletzung nicht gerne an den Arzt oder Psychiater. Da das skoptische Syndrom bislang nicht tiefergehend erforscht ist, besteht eine relativ schlechte Prognose.
Komplikationen
Menschen, die das skoptische Syndrom ausleben und sich im Bereich der Genitalien selbst verletzen, können dadurch unterschiedlichste Beschwerden erleiden. Kommt es beispielsweise zu starken Blutungen, so kann dies zu Blutarmut und unter Umständen sogar zum Verbluten führen. Außerdem kann sich die Verletzung entzünden und eine Sepsis auslösen.
In Einzelfällen wird die Selbstverstümmelung bis zum Verlust des Geschlechtsteils betrieben – Impotenz, Inkontinenz, schwere Infekte und weitere Komplikationen können die Folge sein. Darüber hinaus kann die psychische Erkrankung, die dem skoptischen Syndrom zugrunde liegt, im Verlauf weitere Störungen hervorrufen, die den Betroffenen in seinem alltäglichen Leben einschränken. Die Behandlung des skoptischen Syndroms verläuft in der Regel ohne Komplikationen.
Falls akute Selbstverletzungsgefahr besteht, muss der Betroffene jedoch in eine geschlossene Einrichtung eingewiesen werden, wodurch sich der psychische Zustand mitunter noch verschlechtert. Verordnete Antipsychotika können Blutbild-Veränderungen, Blutdruckstörungen und Muskelverkrampfungen nach sich ziehen. Außerdem können unerwünschte Nebenwirkungen wie Gewichtszunahme, Sitz- und Bewegungsunruhe und Müdigkeit auftreten.
In Wechselwirkung mit anderen Medikamenten oder bestehenden Erkrankungen können weitere Komplikationen hinzukommen, zum Beispiel Herz-Kreislauf-Beschwerden, Herz-, Nieren- und Leberschäden sowie neurologische Ausfälle.
Wann sollte man zum Arzt gehen?
Das Skoptische Syndrom ist eine schwere psychische Erkrankung. Wenn der Verdacht besteht, dass das seltene Syndrom vorliegen könnte, muss in jedem Fall ein Sexualtherapeut oder ein Facharzt für Sexualstörungen konsultiert werden. Personen, die einen Bekannten haben, der Anzeichen des Syndroms zeigt, sollten ärztlichen Rat einholen und den Betroffenen in Rücksprache mit dem Fachmann auf den Verdacht ansprechen. Da es sich um eine seltene Erkrankung handelt, kann nur ein Therapeut für Sexualstörungen das Leiden eindeutig diagnostizieren. Sollte es bereits zu selbstverletzendem Verhalten gekommen sein, muss zügig ein Arzt konsultiert werden.
Verletzungen im Intimbereich können schwere Infektionen und andere gesundheitliche Probleme hervorrufen. Aus diesem Grund ist nach einer Selbstverstümmelung ärztlicher Rat gefragt. Bei schweren Verletzungen wird am besten umgehend ein Krankenhaus aufgesucht. Dort können die Wunden versorgt werden. Das psychische Leiden bedarf einer langen Therapie durch einen Sexualtherapeuten. Wenn die Betroffenen ein zunehmendes Verlangen verspüren, sich selbst zu verstümmeln, sollten sie den Therapeuten darüber informieren. Womöglich ist eine medikamentöse Begleitbehandlung notwendig.
Behandlung & Therapie
Die Behandlung vom Menschen mit skoptischem Syndom unterscheidet sich von Fall zu Fall. Wichtig ist die Ursachenforschung und die richtige Einordnung der Erkrankung im Einzelfall. Die Behandlung von Masochismus findet versuchsweise in Form von Psychotherapie statt. Allerdings gestaltet sich die Behandlung von Masochisten meist langwierig und schwierig.
Kognitive Verhaltenstherapie scheint sich wiederum bei Patienten mit Dysmorphophobie zu lohnen. Bei diesen Patienten haben sich auch Serotonin-Wiederaufnahmehemmer in Kombination mit Antipsychotika als wirkungsvoll erwiesen. Je früher mit einer Psychotherapie begonnen wird, desto größer sind bei autoaggressivem Verhalten meist die Chancen auf Heilung.
Neben tiefenpsychologischen Behandlungsversuchen kommen psychoanalytische und verhaltenstherapeutische Schritte zur Behandlung der Patienten in Frage. Eine Therapie zur Behandlung von Patienten mit Borderline ist die dialektisch-behaviorale Therapie von Marsha M. Linehan. Bei dieser Art der Therapie werden den Patienten Bewältigungsstrategien bei akutem Leidensdruck an die Hand gegeben.
So etwa das Angebot von Alternativwegen zum körperschädigenden Verhalten, etwa zum Beispiel mit dem Festhalten von Eiswürfeln oder dem Kauen von Chilischoten. Falls akute Selbstverletzungsgefahr besteht, werden Patienten mit skoptischem Syndrom in der Regel in einer geschlossenen Einrichtung behandelt.
Wenn bereits Verletzungen vorliegen, steht die Versorgung und Behandlung der verletzten Stellen vorerst im Vordergrund. Die eigentliche Therapie des skoptischen Syndroms wird in diesem Fall hinten angestellt.
Vorbeugung
Da die Ursachen des skoptischen Syndroms bislang weitestgehend unklar sind, existieren bisher keine vielversprechenden Schritte zur Prophylaxe.
Nachsorge
Die Nachsorgemaßnahmen beim Skoptischen Syndrom können sehr vielfältig sein. In der Regel sind die Krankheitsfälle nicht miteinander vergleichbar. Den Umfang der Nachsorge bestimmen die Form der Erkrankung und der Schweregrad des individuellen Bedürfnisses beim Betroffenen nach Selbstverstümmelung. Ist die Selbstverstümmelung noch nicht durchgeführt, steht im Fokus der Nachsorgebehandlungen diese zu verhindern.
Im Fall von Masochismus wird grundsätzlich die therapeutisch begonnene Psychotherapie in der Nachsorge fortgeführt. Der Betroffene ist weiterhin engmaschig tiefenpsychologisch zu beraten und zu betreuen. Bei Betroffenen mit Dysmorphophobie wird eine gegebenenfalls begonnene Therapie mit Antipsychotika (kombiniert mit Serotonin) fortgesetzt. Zudem muss die ärztlich verordnete Medikation regelmäßig überprüft und dem jeweils aktuellen Krankheitsbild angepasst werden.
Ziel der Nachsorgeuntersuchungen ist es, die Nebenwirkungen (zum Beispiel Müdigkeit, Gewichtszunahme, Bewegungs- und Sitzunruhe) der verordneten Antipsychotika für den Betroffenen bestmöglichst zu regulieren. Dazu ist der Betroffene für Blutabnahmen zur Untersuchung des großen Blutbildes regelmäßig ambulant oder klinisch vorzustellen. Sofern therapeutisch die akute Selbstverletzungsgefahr nicht ausgeschlossen werden kann, obliegt die Nachsorge der geschlossenen Einrichtung.
Die Nachsorgemaßnahmen beschränken sich dann auf den erneuten Therapieversuch. Bei bereits durchgeführter Selbstverstümmelung fokussiert sich die Nachsorge auf die postoperative Versorgung des Betroffenen. Das Ausheilen der selbst zugefügten Wunden wird beobachtet und mitunter durch eine Antibiotikatherapie unterstützt. An den Ausheilprozess schließt sich die Therapie des Skoptischen Syndroms unmittelbar an.
Das können Sie selbst tun
Da die Selbstverletzung der Genitalien zu einer Form des Lusterlebens gehört, ist es häufig nicht möglich, über ein Selbstverbot eine Linderung der Beschwerden zu erreichen. Hilfreich ist hingegen eine Reflektierung über den emotionalen Zustand des Betroffenen sowie eine Hinterfragung der Motivation.
Häufig leidet der Betroffene unter einem starken emotionalem Druck, Ängsten oder anderen psychischen Beeinträchtigungen. Diese sind in Zusammenarbeit mit einem Therapeuten oder eigenverantwortlich in Erfahrung zu bringen, damit eine Verbesserung der Situation eintreten kann. Im Alltag ist insbesondere mit dem Partner ein offener Umgang mit der masochistischen Neigung anzuraten. Die Kommunikation über die vorhandenen Wünsche aber auch ein Austausch über Zustände einer seelischen Belastung ist für die Aufrechterhaltung der eigenen Gesundheit essenziell. Als hilfreich kann ein Austausch mit anderen Betroffenen empfunden werden oder der Kontakt zu einem Sexualtherapeuten. Wichtig ist es, Grenzen zu setzen und diese einzuhalten. Andernfalls kann es bei den selbstverletzenden Handlungen zu irreversiblen Schäden oder einem lebensbedrohlichen Zustand kommen. Den gilt es unter allen Umständen zu vermeiden.
Häufig gibt es belastende Beziehungen zu anderen Familienmitgliedern, die Auslöser der Handlungen sind. Unverarbeitete Situationen und Erlebnisse können ebenfalls Ursache des skoptischen Syndroms sein. Um eine Linderung zu erfahren, ist es wichtig, dass eine Klärung der ursächlichen Auslöser stattfindet.
Quellen
- Lieb, K., Frauenknecht, S., Brunnhuber, S.: Intensivkurs Psychiatrie und Psychotherapie. Urban & Fischer, München 2015
- Möller, H.-J., Laux, G., Deister, A.: Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie. Thieme, Stuttgart 2015
- Payk, T., Brüne, M.: Checkliste Psychiatrie und Psychotherapie. Thieme, Stuttgart 2013