Somatic Experiencing

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 11. März 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Somatic Experiencing ist eine Form der Traumatherapie mit dem Ziel, körperliche Reaktionen auf ein bedrohliches Ereignis abzubauen. Der Ursprung der Methode liegt in Verhaltensbeobachtungen bei Wildtieren, deren Reiz-Reaktions-Zyklus mit dem menschlichen vergleichbar ist. Somatic Experiencing ist ein risikoarmes Verfahren, kann aber unter Umständen eine Retraumatisierung auslösen.

Inhaltsverzeichnis

Was ist die Somatic Experiencing?

Somatic Experiencing ist ein körperbezogenes Modell zur Behandlung und Integration traumatischer Ereignisse, das vom Psychologen und Biophysiker Dr. Peter Levine in den USA entwickelt wurde.

Dem Modell zufolge haben Traumata wie Unfälle, Gewalt, Bedrohung, Naturkatastrophen, Krieg oder der Verlust eines nahen Menschen gravierende physische und psychische Auswirkungen. Somatic Experiencing geht von einem Reiz-Reaktions-Zyklus beim Menschen aus, wie er auch im Tierreich auftritt. In Freiheit lebende Tiere befinden sich oft in akut lebensbedrohenden Situationen, entwickeln dadurch aber kein nachhaltiges Trauma. Dies liegt in ihrer Fähigkeit, den im Überlebenskampf auftretenden Stress durch Angriff, Flucht oder Totstellen abzubauen.

Da das menschliche Gehirn Traumata nicht vollständig oder nur stark verzögert verarbeiten kann, wirken diese in Gehirn und Nervensystem weiter. Dort verursachen sie Symptome wie Depressionen, Ängste, Panikattacken, Schmerzen, Erschöpfung, Konzentrationsstörungen oder Immunschwächen. Der Organismus kämpft noch mit der Bedrohung, wenn diese schon lange vergangen ist. Die meisten Therapiemethoden berücksichtigen diese Vorgänge in der Behandlung eines Traumas nicht. Aus Sicht des Somatic Experiencing ist dies allerdings erforderlich, da Betroffene ansonsten weiterhin aus der Perspektive des Traumas reagieren und Entscheidungen treffen.

Funktion, Wirkung & Ziele

Während eines traumatischen Ereignisses wird der menschliche Organismus hauptsächlich vom Stammhirn gesteuert. Dieser Teil des Gehirns ist für überlebenswichtige Funktionen wie Blutdruck, Reflexe und Atmung verantwortlich.

Die menschliche Reaktionsweise ist in einer Traumasituation also nicht durch Intellekt oder Willkür beeinflussbar, sondern folgt einem festgelegten Schema. Wird dieses nicht vollständig durchlaufen, entsteht eine Traumafolgestörung. Das Schema besteht aus drei unterschiedlichen Reaktionen: Kampf, Flucht und Totstellen. Diese Mechanismen laufen unkontrolliert ab. Kommt es beispielsweise im Berufsalltag zu einer Konfliktsituation, ist der Kampf als Bereitschaft zu verbaler oder vielleicht auch tätlicher Aggression erkennbar. Der Fluchtinstinkt tritt auf, wenn der Betroffene den Ort des Geschehens so schnell wie möglich verlassen möchte, und Totstellen äußert sich in einem Zustand körperlicher und geistiger Gelähmtheit, einer Unfähigkeit auf die Situation zu reagieren.

Dies ist ein Beispiel für ein Trauma von sehr geringem Ausmaß. Dieselben Reaktionen laufen aber auch in einem Krieg oder bei einem schweren Verkehrsunfall ab. Laut Peter Levine, dem Entwickler des Somatic Experiencing, ist das Trauma im Nervensystem gebunden. Er beschreibt es als Antwort des Körpers auf eine lebensbedrohliche Situation, welche dem Nervensystem die Flexibilität nimmt. Somatic Experiencing setzt auf ein Nachholen des Schemas aus Kampf, Flucht und Totstellen in der Therapie, um die Genesung von Gehirn und Nervensystem zu ermöglichen. Während der Therapie können diese Elemente einzeln oder gemeinsam erneut auftreten. Die Behandlung läuft stark ressourcenorientiert ab.

Durch das Fördern unterstützender Ressourcen wird das Trauma stabilisiert und die im Nervensystem gebundene, pathologische Energie reduziert. Während der Therapie ist auf eine genaue Dosierung der Belastung zu achten. Über- oder Unterforderung lösen ein zu starkes oder zu schwaches Ergebnis aus, was im schlimmsten Fall zu einer Retraumatisierung führen kann. Die Therapie besteht vorwiegend aus Gesprächen. Die Sprache dient dabei als Medium, um Wahrnehmungsprozesse von Gehirn und Nervensystem wahrzunehmen und auszudrücken. Die Bearbeitung des Traumas wirkt sich positiv auf das vegetative Nervensystem aus, das für Vitalfunktionen wie Herzschlag, Atmung oder die Steuerung der Drüsen verantwortlich ist.

Der Ausgleich des Nervensystems reguliert gleichzeitig den Muskeltonus, die Durchblutung und die Drüsenfunktion. Das Ziel der Behandlung ist die völlige Auflösung der Traumaenergien im Nervensystem. Der Betroffene soll bestimmte Reize nicht mehr als Auslöser für pathologische Verhaltensmuster wahrnehmen, sondern sich in seinen Reaktionen und in seinem Bewusstsein auf die Gegenwart fokussieren können. Bei erfolgreicher Therapie tritt ein positives, befreites Gefühl auf, welches sich auf den gesamten Organismus auswirkt.


Risiken, Nebenwirkungen & Gefahren

Der große Vorteil des Somatic Experiencing liegt in der verkürzten Behandlungsdauer. Während eine Psychotherapie mitunter Jahre in Anspruch nimmt, ist Somatic Experiencing oft schon nach wenigen Sitzungen abgeschlossen. Die reine Traumatherapie kann mit der Psychotherapie nicht verglichen werden, da sie ihr Hauptaugenmerk auf den Körper anstelle die Psyche legt.

Meist wirkt Somatic Experiencing für die Betroffenen auch weniger belastend, da die emotionale Ebene großteils umgangen wird. Da Somatic Experiencing mit dem Stammhirn arbeitet, in dem das Traumagedächtnis seinen Sitz hat, ist keine vollständige Erinnerung an das Trauma nötig, um die körperlichen Folgen auflösen zu können. Es handelt sich dabei sehr oft um unbewusste Vorgänge, die auf energetischer Ebene ablaufen. Die Methode bietet jedoch keinen vollständigen Ersatz für eine psychotherapeutische Behandlung.

Somatic Experiencing beinhaltet das Risiko einer Retraumatisierung, wenn Therapeut oder Betroffener den Behandlungsprozess zu intensiv gestalten. Während der Therapie sind eine verminderte berufliche Leistungsfähigkeit oder Schwierigkeiten in sozialen Beziehungen nicht auszuschließen. Eine einmal begonnene Behandlung muss unbedingt beendet werden, da bei einem Abbruch deutlich schwerwiegendere Folgen als die ursprünglichen auftreten. Somatic Experiencing ist wissenschaftlich noch kaum erforscht. Die medizinischen Fachbereiche der Psychologie, Physiologie und Neurologie beginnen erst, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen.

Quellen

  • Arolt, V., Reimer, C., Dilling, H.: Basiswissen Psychiatrie und Psychotherapie. Springer, Heidelberg 2007
  • Morschitzky, H.: Angststörungen – Diagnostik, Konzepte, Therapie, Selbsthilfe. Springer, Wien 2009
  • Möller. H.-J., Laux, G., Deister, A., Braun-Scharm, H., Schulte-Körne, G.: Duale Reihe Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie. Thieme, Stuttgart 2013

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