XLAG-Syndrom
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 12. November 2021Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
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Das XLAG-Syndrom zählt zu den Reduktionsfehlbildungen des Gehirns und entspricht einer extrem seltenen Erberkrankung. Von den ursächlichen Mutationen sind ausschließlich männliche Individuen betroffen. Eine kausale Behandlung des Symptomkomplexes steht bislang nicht zur Verfügung.
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Was ist das XLAG-Syndrom?
Unter Reduktionsdeformitäten des Gehirns fasst die Medizin Erkrankungen zusammen, deren Ursache in einer gestörten Embryonalentwicklung des zentralen Nervensystems liegt. Die angeborenen Fehlbildungen des Gehirns können unterschiedlicher Ausprägung entsprechen. Eine eher starke Ausprägung besteht in der fehlenden Anlage von einzelnen Hirnabschnitten.
Auch Verkleinerungen von einzelnen Hirnarealen gelten allerdings als Reduktionsfehlbildungen des Gehirns. Eine Reduktionsfehlbildung des Gyrierung liegt der Lissenzephalie zugrunde. Fehlt der Gyrierung vollständig, so ist die Rede von einer Agyrie. Bei Verkleinerungen der Hirnwindungen sprechen Mediziner von Mikrogyrie. Sämtliche Vergrößerungen gelten in medizinischen Fachkreisen als Makrogyrie.
Die Pachygyrie ist eine Mischform, der ein reduzierter Gyrierung mit verdickten Hirnwindungen zugrunde liegt. Die Lissenzephalie im Sinne einer Reduktionsfehlbildung des Gehirns ist das klinische Hauptmerkmal von Syndromen wie dem XLAG-Syndrom. Der Ausdruck XLAG entspricht einem Akronym für X-chromosomale Lissenzephalie mit Anomalien der Genitalien.
Patienten mit der angeborenen Erberkrankung leiden demzufolge neben einer Lissenzephalie an einer Corpus-callosum-Agenesie und deformierten Geschlechtsorganen. Die Erstbeschreibung des XLAG-Syndroms erfolgte im Jahr 1999 durch den US-Kinderarzt W. B. Dobyns und seine Mitarbeiter.
Ursachen
Geringere Expression erreicht es in der subventrikulären Zone und der Cortex-Platte sowie dem Bereich des Hippocampus, der Basalganglien und des ventralen Thalamus. Fehlt das Gen, so ist die tangentiale Wanderung inklusive der Differenzierung aller GABA-ergen Interneuronen innerhalb der Ganglion-Eminenz und des Neocortex von Störungen betroffen. In einer Folge ergeben sich die klinischen Merkmale des XLAG-Syndroms.
Die ARX-Mutationen entsprechen im Wesentlichen Kettenabbruch-Mutationen im Sinne von größeren Deletionen, Frameshift-Mutationen, Nonsense-Mutation oder Splicesite-Mutation. Demgegenüber sind Missense-Mutationen im Zusammenhang mit XLAG eher selten und führen in den wenigsten Fällen zu schweren Formen des XLAG-Syndroms.
Als XLAG-verwandte Syndrome mit ähnlichen Mutationen gelten Krankheitsbilder wie das Proud- und das Partington-Syndrom. Zur Häufigkeit des XLAG-Syndroms existieren bislang keine genauen Zahlen. Innerhalb von Studien wurden bisher rund 30 betroffene Familien dokumentiert.
Symptome, Beschwerden & Anzeichen
Patienten mit XLAG-Syndrom zeigen abhängig von der Symptomausprägung unterschiedliche Symptome. Gemein sind ihnen abnorme Genitalien und eine neurologisch meist schwere Störung. In fast allen Fällen liegt eine Lissenzephalie mit einem postero-anterioren Gradienten vor, die von leichter Hirnrindenverbreiterung begleitet wird.
Eine Agenesie im Sinne eines nicht angelegten Corpus callosum rundet das neurologische Bild ab. Die meisten Betroffenen zeigen schon im Neugeborenen-Alter schwere Formen der Epilepsie. Die Funktion des Hypothalamus ist von Störungen betroffen. Viele der Patienten leiden aus diesem Grund an gestörter Temperaturregulation mit Schwitz- oder Frostschüben.
Intermediäres Genitalien mit Kryptorchismus oder Mikropenis belgleiten die neurologischen Symptome. Das klinische Bild von Patienten mit XLAG-Syndrom unterscheidet sich demzufolge erheblich von klassischen Lissenzephalie-Patienten. Nicht nur ruft das XLAG-Syndrom verglichen mit der klassischen Lissenzephalie Zusatzsymptome hervor.
Auch beträgt die Cortex-Stärke für XLAG-Patienten lediglich zwischen sechs und sieben Millimetern, während die Mutationen im PAFAH1B1- und DCX-Gen bei der klassischen Lissenzephalie zu Cortex-Stärken von 15 bis 20 Millimetern führen. Die Schwere der neurologischen Klinik unterscheidet sich bei Patienten mit XLAG-Syndrom von Fall zu Fall und hängt mit der genauen Ausprägung der ursächlichen Mutationen zusammen.
Diagnose & Krankheitsverlauf
Die Diagnose des XLAG-Syndroms basiert auf neurologischen Bildgebungen, einer urologischen Begutachtung und molekulargenetischen Untersuchungen. Fehlbildung des Gehirns lassen die Betroffenen teils auf dem Entwicklungsstand eines Babys stehenbleiben. Abhängig von der Ausprägung der Epilepsie und weiterer Symptome aus dem neurologischen Bereich kann die Lebenserwartung der Betroffenen mehr oder weniger starken Einschränkungen unterliegen.
Komplikationen
Aufgrund des XLAG-Syndroms leiden die Patienten an einer Reihe verschiedener Fehlbildungen, die sich sehr negativ auf den Alltag und die Lebensqualität des Betroffenen auswirken. Die Betroffenen leiden dabei an sehr großen Genitalien und ebenso an einer neurologischen Störung.
Auch eine Epilepsie kann krankheitsbedingt auftreten, wobei es im schlimmsten Fall zum Tod durch einen epileptischen Anfall kommen kann. Viele Betroffene leiden an einem gestörten Temperaturempfinden, sodass es eventuell zu Verletzungen oder zu einer falschen Einschätzung von Gefahren kommen kann. Vor allem bei Kindern kann das XLAG-Syndrom zu schweren Depressionen oder zu psychischen Beschwerden führen, da diese aufgrund der Fehlbildungen häufig gehänselt oder gemobbt werden.
Auch Störungen der Sprachentwicklung treten bei diesem Syndrom nicht selten auf und werden dabei von Schluckbeschwerden begleitet, welche auch die Aufnahme von Nahrung und Flüssigkeiten deutlich einschränken können. Da sich die Behandlung immer nur nach den Symptomen des XLAG-Syndroms richtet und nicht kausal erfolgen kann, treten dabei in der Regel keine Komplikationen auf. Eine vollständige Heilung kann allerdings nicht erreicht werden. Ob sich das Syndrom negativ auf die Lebenserwartung des Betroffenen auswirkt, kann nicht allgemein vorhergesagt werden.
Wann sollte man zum Arzt gehen?
Gibt es innerhalb der Familie bei einem Mitglied eine bekannte Diagnose des XLAG-Syndroms, sollte bei der Planung von Nachwuchs grundsätzlich die Rücksprache mit einem Arzt gesucht werden. Da es sich bei dieser Erkrankung um eine erblich bedingte gesundheitliche Störung handelt, kann bereits im Vorfeld mit einem Arzt das mögliche Erkrankungsrisiko des Nachwuchses besprochen werden. In den meisten Fällen findet die Geburt in einem stationären Umfeld statt. Anwesende Ärzte oder Geburtshelfer übernehmen in einem routinierten Ablauf die Erstuntersuchungen des Neugeborenen.
Spätestens zu diesem Zeitpunkt werden erste optische Auffälligkeiten wahrgenommen und dokumentiert. Weitere Untersuchungen werden eingeleitet, bis eine Diagnosestellung stattfindet. Eltern und Angehörige müssen daher in einer Vielzahl der Fälle nicht selbst aktiv werden. Sollte wider Erwarten innerhalb der ersten Lebenstage keine gesundheitliche Beeinträchtigung festgestellt werden, ist ein Arzt zu konsultieren, sobald im Wachstumsprozess des Kindes Unregelmäßigkeiten auftreten.
Störungen der Bewegungsabläufe, Unregelmäßigkeiten bei der Nahrungsaufnahme sowie der Verdauung sind mit einem Arzt zu besprechen. Kommt es zu optischen Makeln, sollte ebenfalls die Rücksprache mit einem Mediziner gesucht werden. Da es bei dieser Erkrankung zu Störungen der Gehirntätigkeit kommt, treten allgemeine Funktionsstörungen des Organismus auf. Damit sich keine Komplikationen entwickeln, ist bereits bei den ersten Signalen und Hinweisen ein Arztbesuch notwendig.
Behandlung & Therapie
Eine ursächliche Therapie hält die Medizin für Patienten mit XLAG-Syndrom nicht bereit. Die Behandlung der Betroffenen erfolgt deshalb ausschließlich symptomatisch. Eine Heilung steht nach dem derzeitigen Stand nicht in Aussicht, könnte in der Zukunft allerdings durch Gentherapie erzielt werden. Im Behandlungsfokus steht für Patienten mit XLAG-Syndrom derzeit der Erhalt aller lebenswichtigen Körperfunktionen.
Falls die neurologischen Beeinträchtigungen den Betroffenen die selbstständige Nahrungsaufnahme verbieten, legt der behandelnde Arzt eine nasale Magensonde. Auch eine PEG-Ernährung liegt im Bereich des Möglichen. Sprachentwicklungsproblemen begegnet die Therapie durch logopädische Betreuung und Frühförderungsansätze.
Motorische Probleme erfordern physio- und ergotherapeutische Betreuung, die sich in vielen Fällen über das gesamte Leben der Betroffenen fortsetzt. Die Epilepsie der Patienten erfährt bei der Behandlung gesonderte Aufmerksamkeit. Die Therapie mit Medikamenten ist in den meisten Fällen nicht möglich, da der Epilepsieform Fehlbildungen des Gehirns zugrunde liegen. In Einzelfällen lassen sich über hirnchirurgische Eingriffe leichte Besserungen erzielen, die die Lebenserwartung der Patienten verlängern.
Vorbeugung
Dem XLAG-Syndrom lässt sich bislang nicht vorbeugen. Genetische Beratung kann betroffenen Familien bei der weiteren Familienplanung helfen. Eine pränatale Möglichkeit der Diagnostik steht für das seltene Syndrom bislang nicht zur Verfügung.
Nachsorge
Dem Betroffenen stehen beim XLAG-Syndrom in den meisten Fällen nur sehr wenige und auch nur sehr eingeschränkte Maßnahmen und Möglichkeiten einer Nachsorge zur Verfügung. Aus diesem Grund sollte der Betroffene dabei schon sehr frühzeitig einen Arzt aufsuchen, um dabei das Auftreten von weiteren Komplikationen oder Beschwerden zu verhindern, da es dabei in der Regel auch nicht zu einer selbstständigen Heilung kommen kann.
Da das XLAG-Syndrom auch an die Nachfahren vererbt werden kann, sollte der Betroffene bei einem Kinderwunsch auf jeden Fall eine genetische Untersuchung und Beratung durchführen lassen, um dies zu verhindern. Die meisten Betroffenen sind beim XLAG-Syndrom auf die Maßnahmen der Physiotherapie und der Krankengymnastik angewiesen, um die Beschwerden zu lindern. Viele der Übungen können dabei auch im eigenen Zuhause durchgeführt werden, wodurch die Heilung beschleunigt wird.
Ebenso ist dabei auch die Hilfe und die Unterstützung der eigenen Familie sehr wichtig, wobei vor allem eine psychologische Unterstützung von großer Bedeutung ist. In einigen Fällen kann bei dieser Krankheit auch der Kontakt zu anderen Betroffenen sehr sinnvoll sein. Es kommt dabei zu einem Austausch an Informationen, welcher den Alltag deutlich erleichtern kann. Eventuell verringert die Krankheit auch die Lebenserwartung des Betroffenen, wobei eine allgemeine Voraussage allerdings nicht möglich ist.
Das können Sie selbst tun
Die Erkrankung ist mit derartigen Fehlbildung des Gehirns verbunden, dass aus dem Bereich der Selbsthilfe keinerlei Möglichkeiten bestehen, um eine Linderung oder Genesung herbeizuführen.
Im Alltag müssen insbesondere die Angehörigen einen guten Umgang mit dem Betroffenen und der Erkrankung erlernen. Der Erkrankte selbst ist aufgrund der gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht in der Lage, Möglichkeiten zu ergreifen, die zu einer Verbesserung der Situation beitragen. Das Krankheitsbild kennzeichnet einen Patienten, der lebenslang den geistigen Entwicklungsstand eines Kleinkindes hat. Vor allem die Eltern müssen sich mit dem gesamten Krankheitsbild und dessen Auswirkungen intensiv auseinandersetzen. Sie benötigen Strategien zur Bewältigung der Situation. Eine mentale Stärkung ist für den Betroffenen sowie dessen Angehörigen von enormer Wichtigkeit.
Die Konzentration sollte auf die positive Gestaltung der Lebensführung ausgerichtet sein. Die Lebensqualität und das Wohlbefinden ist für alle Beteiligten zu optimieren. Die Freizeitgestaltung und die gemeinsame Zeit sollte geprägt sein von Respekt, Ruhe und angenehmen Aktivitäten. Ein offener Umgang mit der Erkrankung hilft dabei, um Situationen von Scham oder mentaler Überforderung zu reduzieren.
Eine Aufklärung des Krankheitsbildes und die Ursache von optischen Auffälligkeiten können Menschen der näheren Umgebung dazu bringen, unangenehme Kommentare zu unterlassen. Daher sollte Situationen von Konflikten oder Unstimmigkeiten rechtzeitig vorgebeugt werden.
Quellen
- Berlit, P.: Basiswissen Neurologie. Springer, Berlin 2007
- Grehl, H., Reinhardt, F.: Checkliste Neurologie. Thieme, Stuttgart 2012
- Herold, G.: Innere Medizin. Selbstverlag, Köln 2016