Lissenzephalie

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 7. März 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Als schwere Entwicklungsstörung des Gehirns ist die Lissenzephalie heute nicht heilbar. Therapieschritte liegen vor allem in der Symptomlinderung.

Inhaltsverzeichnis

Was ist eine Lissenzephalie?

Bestätigt werden kann der Verdacht auf eine Diagnose unter anderem durch bildgebende Verfahren wie die MRT (Magnetresonanztomografie) oder die CT (Computertomografie).
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Die Lissenzephalie ist eine Fehlbildung des Gehirns. Die Bezeichnung der Lissenzephalie leitet sich ab aus den griechischen Worten für 'glatt' (lissos) und 'Gehirn' (enzephalon).

Im Rahmen einer Lissenzephalie sind die Hirnwindungen bei einem Betroffenen nicht vollständig ausgebildet oder fehlen gänzlich. Eine vollständig fehlende Ausbildung von Gehirnwindungen bei der Lissenzephalie wird in der Medizin auch als sogenannte Agyrie bezeichnet; sie kennzeichnet sich unter anderem durch eine komplett glatte Gehirnoberfläche. Sind im Rahmen einer Lissenzephalie nur wenige Gehirnwindungen vorhanden, so wird dies als Pachygyrie bezeichnet. Eine Lissenzephalie führt bei Betroffenen in den meisten Fällen zu schweren Behinderungen.

Die Lissenzephalie ist eine Entwicklungsstörung des Gehirns, die mit einer relativ geringen Wahrscheinlichkeit auftritt; Experten nennen Wahrscheinlichkeiten, die zwischen 1:20.000 und 1:100.000 liegen. Jungen und Mädchen sind dabei ungefähr gleich häufig betroffen.

Ursachen

Die Ursache einer Lissenzephalie ist eine sogenannte Wanderungsstörung (auch als Migrationsstörung bezeichnet), die bei einem Fötus die Nervenzellen des Gehirns betrifft. Das bedeutet, dass bei einer Lissenzephalie während der Gehirnentwicklung Nervenzellen nicht in der Lage sind, das Großhirn zu erreichen. Dies führt dazu, dass sich im Großhirn (also der obersten Hirnschicht) Verbindungen nur sehr eingeschränkt bilden können.

Die Ausbildung einer Lissenzephalie bei einem Fötus ist in der Regel erblich bedingt: Das Erbgut von Kindern mit Lissenzephalie weist meistens Veränderungen oder Defekte an mehreren Genen auf (auch als Mutation bezeichnet). Solche Mutationen können sich entweder spontan entwickeln oder sie können von den Eltern vererbt werden.

Eine solche Vererbung von Gendefekten, als Ursache einer Lissenzephalie, verläuft autosomal-rezessiv. Das bedeutet unter anderem, dass eine entsprechende Veränderung des Erbguts bei beiden Elternteilen vorhanden sein muss, um an den Fötus weitergegeben zu werden; ist lediglich das Gen eines Elternteils beeinträchtigt, so übernimmt das gesunde Gen des anderen Elternteils dessen Funktion.

Liegen einer Lissenzephalie keine erblichen Faktoren zugrunde, so kann die Entwicklungsstörung des Gehirns beispielsweise durch verschiedene Virusinfektionen des ungeborenen Kindes hervorgerufen werden. Verantwortlich für eine Lissenzephalie können außerdem Vergiftungen oder Durchblutungsstörungen sein, die bei einem Ungeborenen zu einer mangelnden Sauerstoffversorgung des Gehirns während der ersten drei Schwangerschaftsmonate führen können.

Symptome, Beschwerden & Anzeichen

Eine Lissenzephalie kann eine Vielzahl von Symptomen und Beschwerden hervorrufen. Im Allgemeinen entwickeln sich die betroffenen Kinder nach dem Säuglingsalter nicht mehr weiter und können weder laufen noch sprechen oder sich selbst versorgen. Begleitend dazu treten weitere Krankheitszeichen auf, zum Beispiel Hör- und Sehstörungen, epileptische Anfälle und Krämpfe.

Infolge von Schluckbeschwerden können beim Füttern Nahrungsreste in die Atemwege gelangen, was in Lungenentzündungen resultieren kann. Zudem treten Symptome wie Heiserkeit, Halsschmerzen und Sodbrennen auf. In Einzelfällen weisen Lissenzephalie-Patienten einen Wasserkopf auf. Neugeborene Kinder haben zudem oft eine auffällig kurze, nach oben gerichtete Nase sowie ein niedriges Geburtsgewicht. Ist die Lissenzephalie Teil eines Syndroms, stellen sich meist weitere Krankheitszeichen ein.

Bei der isolierten Lissenzephalie können beispielsweise eine schlaffe Muskulatur und Muskelkrämpfe festgestellt werden. Beim Walker-Warburg-Syndrom treten Fehlbildungen wie Lippen-Kiefer-Gaumenspalte und Hydrocephalus sowie schwere geistige Beeinträchtigungen auf. Kurz nach der Geburt leiden die betroffenen Kinder an Atembeschwerden.

Die Symptome einer Lissenzephalie treten unmittelbar nach der Geburt auf und werden im Verlauf der ersten Lebensjahre stärker. Spätestens ab dem zweiten Lebensjahr bemerken die Eltern meist Entwicklungsstörungen, bevor sich schließlich ernste Beschwerden und Komplikationen einstellen. Die Krankheitszeichen bestehen ein Leben lang und können bislang nicht ursächlich therapiert werden.

Diagnose & Verlauf

Eine Verdachtsdiagnose Lissenzephalie kann bereits aufgrund des äußeren Erscheinungsbildes eines Neugeborenen möglich sein und aufgrund typischer Symptome, wie beispielsweise Störungen des Hörens und Sehens oder epileptische Anfälle. Gelegentlich weisen Neugeborene mit Lissenzephalie auch einen sogenannten Wasserkopf auf.

Bestätigt werden kann eine Diagnose dann unter anderem durch bildgebende Verfahren wie die MRT (Magnetresonanztomografie) oder die CT (Computertomografie). Bei einer Lissenzephalie geschädigtes Erbgut kann durch eine Blutuntersuchung nachgewiesen werden.

Eine vorgeburtliche Diagnose der Lissenzephalie ist durch Verfahren wie die vorgeburtliche MRT, die Ultraschalluntersuchung und die Fruchtwasseruntersuchung möglich.

Der Verlauf einer Lissenzephalie ist abhängig von der jeweiligen Form vorliegender Fehlbildungen des Gehirns. Häufig verbleiben Kinder mit Lissenzephalie im geistigen Entwicklungsstadium eines Säuglings und haben eine reduzierte Lebenserwartung. Von einer Lissenzephalie Betroffene benötigen meist eine lebenslange Betreuung und müssen beispielsweise gefüttert werden.

Komplikationen

Durch die Lissenzephalie leiden die Betroffenen an verschiedenen Fehlbildungen und Störungen des Gehirns. Diese Störungen wirken sich sehr negativ auf den gesamten Zustand des Patienten aus und können zu schwerwiegenden Beschwerden und Komplikationen führen. Vor allem bei Kindern führt die Lissenzephalie zu schweren Störungen der Entwicklung und damit auch zu Einschränkungen und Folgeschäden im Erwachsenenalter.

Die Betroffenen leiden an Hörbeschwerden und an Sehbeschwerden. Dadurch kann es auch beim Lernen zu starken Einschränkungen kommen. Nicht selten führt die Lissenzephalie auch zu einer Epilepsie. Die Fehlbildungen im Gehirn können auch zu Lähmungen und zu verschiedenen Störungen der Sensibilität führen. Dadurch wird die Lebensqualität des Patienten erheblich eingeschränkt und verringert.

Es ist leider nicht möglich, die Beschwerden der Lissenzephalie zu behandeln. Aus diesem Grund wird nur eine symptomatische Behandlung durchgeführt. Allerdings können nicht alle Beschwerden eingeschränkt werden, sodass es nicht zu einem positiven Krankheitsverlauf kommt. In der Regel sind die Patienten nicht selten auf die Hilfe anderer Menschen im Alltag angewiesen und benötigen verschiedene Therapien. Auch die Eltern und die Angehörigen können dabei an psychischen Beschwerden und Depressionen leiden.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

Wenn das Kind Probleme beim Schlucken von Nahrung hat oder generell Anzeichen einer Fütterstörung zeigt, sollte der Kinderarzt konsultiert werden. Atembeschwerden und Symptome einer Lungenentzündung sind im Krankenhaus abzuklären, da unter Umständen Lebensgefahr besteht. Auch epileptische Anfälle und Hör- oder Sehstörungen sollten rasch untersucht und behandelt werden. Falls tatsächlich eine Lissenzephalie zugrunde liegt, kann eine frühzeitige Behandlung die Lebensqualität des Kindes erheblich verbessern. Zudem ist die Unterstützung durch Mediziner und Pflegekräfte eine große Entlastung für die Eltern.

Deshalb sollte bei ungewöhnlichen Krankheitssymptomen oder einem konkreten Verdacht der Haus- oder Kinderarzt eingeschaltet werden. Der Mediziner kann die Erkrankung zweifelsfrei diagnostizieren oder ausschließen und eine geeignete Therapie einleiten. Betroffene Kinder benötigen eine lebenslange Förderung durch Ärzte und Physiotherapeuten. Die seelischen Auswirkungen der Erkrankung auf die Erkrankten und deren Angehörige sollten im Rahmen einer geeigneten Therapie aufgearbeitet werden. Der richtige Arzt für die Behandlung einer Lissenzephalie ist der Neurologe. Je nach Symptombild werden unter anderem Augenärzte und Orthopäden in die Therapie involviert.

Behandlung & Therapie

Eine kurative Therapie (also eine Heilung) der Lissenzephalie ist nach dem gegenwärtigen medizinischen Stand noch nicht möglich. Behandlungsschritte einer Lissenzephalie bestehen daher vorwiegend darin, auftretende Symptome zu lindern. Entsprechende Maßnahmen können beispielsweise in einer gezielten Krankengymnastik (Physiotherapie) und/oder einer individuellen Beschäftigungstherapie bestehen.


Aussicht & Prognose

Die Prognose der Lissenzephalie wird als ungünstig beschrieben. Die Fehlbildung des menschlichen Gehirns kann trotz aller Bemühungen und medizinischer Fortschritte bis zum heutigen Tage nicht geheilt werden. Es fehlen bei dem Patienten Hirnwindungen oder sie sind im frühen Entwicklungsprozess im Mutterleib nicht vollständig ausgebildet worden. Dieser Umstand kann von Forschern nach der Geburt nicht verändert oder korrigiert werden. Aus diesem Grund bleiben die gesundheitlichen Beeinträchtigungen lebenslang erhalten.

Die Ärzte konzentrieren sich während der medizinischen Behandlung darauf, die vorhandenen Symptome zu lindern und die Lebensqualität des Betroffenen zu verbessern. Da die Erkrankung zu einer starken Belastung der Angehörigen führt, muss dieser Umstand berücksichtigt werden. Je stabiler das soziale und verständnisvolle Umfeld ist, desto besser ist die Entwicklung des Patienten. Frühforderungsprogramme können dabei helfen, eine Verbesserung der Gesamtsituation zu erreichen. Gezielte Trainings der Gedächtnistätigkeit aber auch physiotherapeutische Behandlungsmethoden werden angewendet.

In den meisten Fällen sind die Patienten lebenslang auf eine tägliche medizinische Versorgung sowie medikamentöse Behandlung angewiesen. Die Mobilität ist aufgrund der gesundheitlichen Störungen stark eingeschränkt. Verbesserungen werden erreicht, wenn auch außerhalb der angebotenen Therapien im Bereich der Selbsthilfe Übungseinheiten durchgeführt werden. Aufgrund der Schwere der Erkrankung sind Folgeerscheinungen und weitere gesundheitliche Störungen im Verlauf des Lebens möglich.

Vorbeugung

Die Möglichkeiten, einer Lissenzephalie bei einem Neugeborenen vorzubeugen, sind eingeschränkt. Sinnvoll kann es zur Vorbeugung einer Lissenzephalie allerdings sein, vor allem bei Risikoschwangerschaften eine konsequente pränatale Diagnostik (vorgeburtliche Untersuchungen) durchführen zu lassen.

Als Risikoschwangerschaften gelten in der Medizin unter anderem Schwangerschaften von Frauen, die älter sind als 35 Jahre und bei denen familiär gesundheitliche Auffälligkeiten bekannt sind. Wird im Rahmen der pränatalen Diagnostik eine Lissenzephalie festgestellt, kann etwa über einen Schwangerschaftsabbruch beraten werden.

Nachsorge

Betroffenen stehen bei Hirnerkrankungen in den meisten Fällen nur sehr wenige oder gar keine Maßnahmen einer Nachsorge zur Verfügung. Die Hirnerkrankungen können dabei nicht immer behandelt werden, sodass es durch eine solche Krankheit eventuell auch zu einer verringerten Lebenserwartung des Betroffenen kommt. Dabei wirkt sich eine frühzeitige Diagnose in der Regel immer sehr positiv auf den weiteren Verlauf dieser Krankheit aus und kann weitere Komplikationen oder eine weitere Verschlechterung der Beschwerden einschränken.

Da die Hirnerkrankungen auch zu psychischen Verstimmungen, zu Depressionen oder zu einer veränderten Persönlichkeit führen können, sind die meisten Patienten auch auf die Unterstützung und die Hilfe der eigenen Familie und der Freunde im Alltag angewiesen. Dies gilt vor allem dann, wenn einige Körperfunktionen durch die Hirnerkrankungen eingeschränkt sind. Der weitere Verlauf der Nachsorge hängt dabei stark von der genauen Ausprägung der Erkrankung ab, sodass keine allgemeine Voraussage erfolgen kann.

Das können Sie selbst tun

Die Möglichkeiten zur Selbsthilfe sind bei der Lissenzephalie stark eingeschränkt. Die Erkrankung lässt trotz aller Bemühungen keine Heilung zu. Der Schwerpunkt liegt in der Verbesserung der Umgebung sowie einer gesunden Lebensform.

Der Patient sowie dessen Angehörige sollten sich trotz der Einschränkungen durch die Erkrankung eine lebensbejahende Einstellung bewahren. Hilfreich sind gemeinsame Aktivitäten und ein stabiles soziales Umfeld. Zusätzlich ist eine gesunde Ernährung mit vielen Vitaminen und Ballaststoffen förderlich für das innere Abwehrsystem. Mit einer ausgewogenen Nahrungsaufnahme steigt das allgemeine Wohlbefinden und die Wahrscheinlichkeit des Eintretens weiterer Krankheiten wird vermindert. Der Konsum von Genussmitteln wie Alkohol oder Nikotin sollte vermieden werden. Ausreichende Bewegung sowie Aufenthalte an der frischen Luft fördern ebenfalls die Lebensqualität. Um einen ausreichenden und erholsamen Schlaf zu gewährleisten, ist eine Optimierung der Schlafbedingungen notwendig. Die Regenerierungsprozesse des menschlichen Körpers sind auf ausreichende Erholungsphasen ohne Unterbrechungen angewiesen. Daher sollten die Schlafunterlagen, die Temperatur, die Dauer des Nachtschlafs und die Umgebungsgeräusche auf die Bedürfnisse des Patienten abgestimmt werden.

Es gibt bundesweit zahlreiche Selbsthilfegruppen, in denen sich Erkrankte sowie Angehörige austauschen können. Hilfestellungen, Tipps für den Alltag sowie eine emotionale Unterstützung werden dort gegeben. Zusätzlich besteht die Möglichkeit für einen digitalen Austausch über Foren des Internets.

Quellen

  • Rath, W., Gembruch, U., Schmidt, S. (Hrsg.): Geburtshilfe und Perinatologie: Pränataldiagnostik - Erkrankungen - Entbindung. Thieme, Stuttgart 2010
  • Wassermann, K., Rohde, A.: Pränataldiagnostik und psychosoziale Beratung. Schattauer, Stuttgart 2009
  • Witkowski R., Prokop O., Ullrich E.: Lexikon der Syndrome und Fehlbildungen. Springer, Berlin 2003

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