Corpus-callosum-Agenesie
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 27. Februar 2024Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
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Die Corpus-callosum-Agenesie ist eine Erberkrankung und Hemmungsfehlbildung mit anteiliger oder ganzer Fehlanlage des Hirnbalkens. Die Betroffenen zeigen häufig Verhaltensauffälligkeiten und können an Symptomen wie Seh- und Hörminderung leiden. Die Agenesie wird symptomatisch behandelt, da keine kausale Therapie existiert.
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Was ist Corpus-callosum-Agenesie?
Das Corpus callosum ist ein Balken zwischen der linken und rechten Gehirnhälfte, der auch als Hirnbalken bekannt ist. Der Hirnbalken eines Menschen besteht aus mehr als 200 Millionen Nervenfasern und spielt eine tragende Rolle für den Informationsaustausch und die Koordination der linken und rechten Hirnhemisphäre, die verschiedene Aufgaben in der Informationsverarbeitung übernehmen.
Die Corpus-callosum-Agenesie ist eine Erberkrankung aus der Gruppe der Agenesien. Als solche wird das vollständige Fehlen eines bestimmten Organs wegen einer genetisch fehlenden Anlage bezeichnet. Bei der Corpus-callosum-Agenesie fehlt den Patienten der Hirnbalken zwischen den beiden Hirnhemisphären. Die Missbildung gehört zu den Hemmungsfehlbildungen, die zeitlich gesehen vor etwaigen Aplasien liegen.
Die fehlende Anlage des Hirnbalkens kann schwerwiegende Störungen der Sinnessysteme und körperliche Fehlentwicklungen sowie Spastiken zur Folge haben. Die Zusammenarbeit der beiden Gehirnhälften ist durch das Fehlen des Corpus callosum erschwert. Die Agenesie des Hirnbalkens kann symptomatisch im Rahmen verschiedener Fehlbildungssyndroms auftreten. Die Inzidenz liegt zwischen 3:1.000 und 7:1.000.
Ursachen
Agenesien gehen meist auf eine genetisch bedingte Nichtanlage zurück. Zwar wurde im Zusammenhang mit der Corpus-callosum-Agenesie sporadisches Auftreten beobachtet, aber das gelegentlich gemeinsame Auftreten an Geschwisterpaaren verweist zumindest auf eine Beteiligung von genetischen Faktoren. Den Beobachtungen zufolge liegt der erblichen Corpus-callosum-Agenesie entweder ein X-chromosomaler oder ein autosomal-rezessiver Erbgang zugrunde.
In diesen Erbgängen geht die Medizin mittlerweile von einer Merkmalsträgerschaft bis zu zehn Prozent aus. Vier aus 50 Kindern mit der Agenesie weisen chromosomale Besonderheiten auf. Meist handelt es sich dabei um Anomalien auf den Chromosomen 8, 13 oder 18. Diese Anomalien wurden vor allem bei Patienten mit Syndromen wie dem Pätau-Syndrom, dem Edwards-Syndrom oder der Triploidie beobachtet.
Einen Balkenmangel besitzen nicht nur Menschen mit den beschriebenen Anomalien. Reduzierte oder nicht angelegte Balken wurden ebenso an Menschen mit chromosomalen Aberrationen auf Chromosom drei festgestellt. Alle genannten Chromosomen sind mit an der Entwicklung des Corpus callosum beteiligt. Allerdings konnte bislang kein einzelnes Gen als Auslöser der Agenesie identifiziert werden.
Symptome, Beschwerden & Anzeichen
Einigen Patienten der CCA fehlt von Geburt an der Hirnbalken vollständig. Bei anderen ist die Trennung der beiden Hirnhälften lediglich unterentwickelt oder fehlt unvollständig. Neben Hörminderungen können im Rahmen der Missbildung Symptome wie Sehminderung auftreten, die bis zur Blindheit reichen können. Einige Patienten leiden zusätzlich an einem Hydrocephalus.
Bei einem Wasserkopf kann der Hirndruck unter Umständen gefährlich erhöht sein. Zuweilen wird an Patienten mit Corpus-callosum-Agenesie auch Micrenzephalie beobachtet, die einer Fehlentwicklung der weiteren Hirnmasse gleichkommt und mit geistiger Retardierung einhergeht. Neben Epilepsie, Spastiken oder vermindertem Muskeltonus kann bei einer CCA auch symptomatischer Minderwuchs vorliegen.
Die Agenesie kann im Rahmen verschiedener Fehlbildungssyndrome auftreten und ist dann mit den spezifischen Symptomen des jeweiligen Syndroms vergesellschaftet. Das Aircade-Syndrom und die oro-facio-digitalen Syndrome sind mit die häufigsten Fehlbildungssyndrome, die mit der Agenesie des Hirnbalkens assoziiert sind.
Neben Chromosomenanomalien kann eine Corpus-callosum-Agenesie beispielsweise im Rahmen von Stoffwechselkrankheiten, viraler Embryopathie oder Anomalien der Schädelgrube auftreten. An Verhaltensauffälligkeiten oder Aufmerksamkeitsschwierigkeiten leiden CCA-Patienten fast immer.
Diagnose & Verlauf
Die Corpus-callosum-Agenesie ist eine angeborene Fehlbildung, die sich spätestens im frühen Kindesalter manifestiert. Neben einer Diagnose nach Manifestation ist eine vorgeburtliche Diagnose ab der 20. Schwangerschaftswoche möglich. Diagnostisch bildgebende Verfahren wie die Transfontanelle-Sonographie, die Magnetresonanztomografie und Craniale Computertomographie kommen als diagnostische Instrumente infrage. Die Prognose unterscheidet sich von Fall zu Fall stark.
Prognostisch ist vor allem relevant, ob die Fehlbildung isoliert vorliegt oder Symptom eines Syndroms ist, das weitere Symptome hervorruft. Die Entwicklungsprognose für Patienten der Balkenagenesie kann bei isolierten Agenesien für eine annähernd symptomlose Zukunft sprechen. In anderen Fällen können körperlich und kognitiv schwerste Behinderungen eintreten, so vor allem bei Balkenagenesien im Rahmen von Syndromen.
Komplikationen
Bei der Corpus-callosum-Agenesie können unterschiedliche Beschwerden und Komplikationen auftreten. In den meisten Fällen kommt es allerdings zu Störungen des Verhaltens und zu Einschränkungen des Hörvermögens und des Sehvermögens. In der Regel treten die Einschränkungen nicht plötzlich auf, sondern führen im Laufe der Erkrankung zu einer ständigen Verringerung dieser Wahrnehmungen.
Dabei kann auch eine vollständige Blindheit oder der komplette Hörverlust auftreten. Durch den erhöhten Gehirndruck kommt es in vielen Fällen zu Kopfschmerzen und zu Fehlentwicklungen im Gehirn. Aufgrund dieser Fehlentwicklungen treten Verhaltensstörungen und andere psychische Beschwerden auf. Oft tritt die Corpus-callosum-Agenesie auch mit Minderwuchs auf.
Die Patienten leiden dabei an Stoffwechselkrankheiten und weisen eine verringerte Lebensqualität auf. Auch die Konzentration ist verringert, sodass es in der Regel zu einer verringerten Intelligenz kommt. Die ursächliche Behandlung ist nicht möglich, da es nicht möglich ist, den Hirnbalken nachzubilden.
Aus diesem Grund werden vor allem Verhaltenstherapien und Lerntherapien eingesetzt, damit die Intelligenz des Patienten durch die Corpus-callosum-Agenesie nicht verringert wird. Auch eine Sprachtherapie muss in vielen Fällen durchgeführt werden. Sollten epileptische Anfälle auftreten, so muss der Gehirndruck reduziert werden. In seltenen Fällen führt die Corpus-callosum-Agenesie zu keinerlei Beschwerden und Komplikationen.
Wann sollte man zum Arzt gehen?
Eltern von erkrankten Kind sollten grundsätzlich enge Rücksprache mit einem Arzt halten. Der Mediziner kann die Ausprägung der Corpus-callosum-Agenesie feststellen und bei ungewöhnlichen Symptomen direkt eine Behandlung einleiten oder einen Spezialisten hinzuziehen. Sollte das Kind Verhaltensstörungen oder Anzeichen anderer psychischer Probleme zeigen, muss in jedem Fall ein Therapeut konsultiert werden. Wenn Anzeichen einer Stoffwechselkrankheit bemerkt werden, sollte ein Facharzt für innere Medizin hinzugezogen werden. Bei Ataxien und anderen Bewegungseinschränkungen kommen physio- und ergotherapeutische Maßnahmen infrage.
Andere Symptome sollten ebenfalls zügig vom jeweiligen Spezialisten abgeklärt und gegebenenfalls behandelt werden. Aufgrund der Vielzahl der Beschwerden und Symptome, die bei der Corpus-callosum-Agenesie auftreten können, sollten die Eltern frühestmöglich ein Ärzteteam zusammenstellen. Erster Ansprechpartner ist jedoch der Kinderarzt, der den Verlauf der Erkrankung engmaschig überwachen kann. Bei ernsten Komplikationen wird am besten der ärztliche Notdienst kontaktiert. Die Eltern sollten außerdem psychologische Unterstützung einholen, sobald die Erkrankung des Kindes eine zunehmende körperliche aber auch seelische Belastung darstellt.
Behandlung & Therapie
Eine kausale Therapie existiert für die Balkenagenesie bislang nicht. Der fehlende Hirnbalken lässt sich nicht rekonstruieren. Die Behandlung für Patienten der Corpus-callosum-Agenesie ist aus diesem Grund rein symptomatisch und richtet sich stark auf die Beschwerden im Einzelfall aus. Wenn beispielsweise Verhaltensauffälligkeiten vorliegen, ist eine Psychotherapie oder Verhaltenstherapie angezeigt.
Bei Ataxien oder anderen körperlichen Bewegungseinschränkungen kommen physio- und ergotherapeutische Maßnahmen als Gegensteuerung infrage. Auch mangelnde Muskeltoni lassen sich durch eine physiotherapeutische Stärkung der Muskeln erhöhen. Auch Sprach- und Lerneinschränkungen können Symptome der Erkrankung sein. Durch die fehlende Verbindung zwischen den beiden Gehirnhälften ist die Aufmerksamkeit der Patienten beispielsweise oft von Einschränkungen betroffen.
Solcherlei Auffälligkeiten lassen sich gegebenenfalls über Aufmerksamkeitstraining regulieren. Neben den genannten Therapiewegen kann gegen Sprachprobleme eine Sprachtherapie zum Einsatz kommen. Auch antikonvulsive Behandlung ist als symptomatische Therapie in einigen Fällen denkbar. Falls zusätzliche Symptome wie ein Wasserkopf oder Epilepsie vorliegen, ist diesen Symptomen bei der Behandlung unter Umständen der Vorzug zu lassen.
Eine Reduzierung des Hirndrucks ist bei einem Wasserkopf mit erhöhtem Hirndruck beispielsweise lebenswichtig. Ebenso wichtig kann im Falle der Epilepsie eine dahingehende Behandlung sein. In einigen Fällen der isolierten Corpus-callosum-Agenesie sind keine therapeutischen Maßnahmen erforderlich, da die Patienten ein Leben lang symptomlos und unauffällig bleiben.
Aussicht & Prognose
Die Prognose der Corpus-callosum-Agenesie ist oftmals ungünstig. Die Erbkrankheit gilt aufgrund rechtlicher sowie medizinischer Möglichkeiten als nicht heil- oder therapierbar. Dennoch ist das Auftreten der Erkrankung bei den Nachkommen von Erkrankten sporadisch. Nicht alle Kinder erkrankter Eltern erleiden einen Ausbruch der Corpus-callosum-Agenesie. Zudem sind die einzelnen Beschwerden bei den betroffenen Patienten individuell in ihrer Art sowie Ausprägung. Sie müssen daher nicht mit denen anderer Familienmitglieder übereinstimmen.
So schrieb uns eine betroffene Mutter:
"Bei unserem Kind wurde eine zu große Nackenfalte diagnostiziert. Die weiterführenden Untersuchungen ergaben einen isolierten partiellen Balkenmangel und man hat uns einen Schwangerschaftsabbruch empfohlen. Ich kann nur sagen, Gottseidank haben wir uns gegen den Abbruch entschieden. Unser Sohn ist nun 4 Jahre alt und kerngesund. Unserem Kind ist überhaupt nichts Negatives anzumerken. Im Gegenteil, er spricht viel deutlicher und überlegter, als die meisten anderen Kinder in seinem Alter und er hat ein super glückliches und zufriedenes Wesen. Nicht zu fassen, dass es ihn, zumindest nach Ansicht eines Arztes, gar nicht geben sollte. So wie wir das alles erlebt haben, kommen wir zu dem Eindruck, dass die Medizin selbst noch gar nicht genug darüber weiß. In einer normalen Ultraschalluntersuchung beim Frauenarzt, ist der Balkenmangel gar nicht festzustellen. Wieviele Menschen mit so etwas leben weiß keiner. Nur die wenigsten werden so gründlich untersucht. Meine Empfehlung: Nicht verrückt machen lassen." |
Je nach Ausprägung der Symptome erfolgt eine individuelle Therapie zur Linderung der einzelnen Beschwerden. Dennoch wird trotz großer Bemühungen und einer sofortigen Behandlung nach der Geburt des Kindes bei dem Corpus-callosum-Agenesie keine Beschwerdefreiheit erreicht. Bei einer leichten Fehlbildung kann mit hohem Aufwand und der regelmäßigen Teilnahme an verschiedenen angebotenen Therapiemaßnahmen die Lebensqualität sowie das Wohlbefinden des Patienten erheblich verbessert werden.
Steigt im Verlauf des Lebens der Hirndruck des Patienten an, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit eines lebensgefährlichen Zustandes. Zudem kann es zu weiteren Hirnschäden kommen, die den Gesundheitszustand erheblich verschlechtern. Die meisten Patienten erleiden irreparable Beeinträchtigungen durch die Gewebeschäden. Darüber hinaus leiden viele Betroffene unter weiteren Erkrankungen, die zu einer Verschlechterung der Gesundheit beitragen. Aufgrund der Funktionsstörungen einzelner Sinnessysteme benötigt der Patient eine lebenslange Betreuung und ärztliche Versorgung.
Vorbeugung
Das verantwortliche Gen und die genauen Umstände für die Corpus-callosum-Agenesie sind bislang nicht identifiziert. Aus diesem Grund lässt sich der Fehlbildung bisher nicht vorbeugen.
Nachsorge
Dem Betroffenen stehen bei der Corpus-callosum-Agenesie in der Regel keine oder nur sehr wenige Maßnahmen einer Nachsorge zur Verfügung, da es sich bei dieser Krankheit um eine erblich bedingte Erkrankung handelt. Falls beim Patienten ein Kinderwunsch besteht, sollte eine genetische Untersuchung und Beratung durchgeführt werden, damit die Krankheit nicht erneut bei den Kindern auftritt.
Die Corpus-callosum-Agenesie kann nicht vollständig behandelt werden, sodass dem Betroffenen eine rein symptomatische Behandlung zusteht. In den meisten Fällen werden die Beschwerden dieser Krankheit durch Maßnahmen einer Physiotherapie eingeschränkt. Dabei können viele der Übungen aus einer solchen Therapie auch im eigenen Zuhause durchgeführt werden.
Die betroffenen Kinder sind in ihrem Leben auf die Unterstützung und die intensive Pflege durch die Eltern und Angehörige angewiesen. Dabei erweisen sich auch intensive und liebevolle Gespräche als sehr positiv und können dabei auch psychische Verstimmungen oder Depressionen verhindern.
Auch eine Sprachtherapie ist bei dieser Krankheit häufig notwendig, wobei auch hier die Eltern das Kind deutlich unterstützen müssen. Bei der Corpus-callosum-Agenesie sind regelmäßige Untersuchungen bei einem Arzt notwendig. Ob es durch die Krankheit zu einer verringerten Lebenserwartung des Patienten kommt, kann dabei nicht universell vorhergesagt werden.
Das können Sie selbst tun
Da es sich bei der Corpus-callosum-Agenesie um eine angeborene Schädigung im Gehirn handelt, ist es dem betroffenen Kind nicht möglich, Aktivitäten der Selbsthilfe zur Unterstützung seines Wohlbefindens durchzuführen. Stellt sich die Erkrankung im Erwachsenenalter ein, sind die Möglichkeiten ebenfalls stark begrenzt.
Durch die vorhandenen Symptome, wie Verhaltensauffälligkeiten sowie Störungen der Sinnessysteme, wird das Kind bereits in den ersten Monaten des Lebens medizinisch versorgt und häufig von Menschen des nahen Umfeldes betreut. Im Alltag sollte bei dieser Erkrankung daher die seelische und emotionale Unterstützung der Angehörigen nicht unberücksichtigt bleiben. Diese sind besonderen Herausforderungen ausgesetzt und können Maßnahmen der Selbsthilfe für sich in Anspruch nehmen.
Wichtig ist es, trotz der schicksalhaften Erkrankung des eigenen Kindes oder des Partners, den Lebensmut und den Optimismus nicht zu verlieren. Das eigene soziale Leben sollte weiterhin stattfinden und den neuen Voraussetzungen angepasst werden. Ein sozialer Rückzug führt bei den Angehörigen zu einer verminderten Stimmung. Da sie viel Zeit mit der Betreuung und Versorgung des Erkrankten aufbringen, benötigen sie Ruhe- und Erholungsphasen, um ihre eigenen Kraftreserven zu erhalten.
Ein umfassender Informationsaufbau über die Erkrankung ist wichtig, um über den Entwicklungsverlauf, die Behandlungsmöglichkeiten und Symptome aufgeklärt zu sein. Gleichzeitig sollten die eigenen psychischen Grenzen beachtet und mit sich selbst rücksichtsvoll umgegangen werden.
Quellen
- Masuhr K., Masuhr, F., Neumann, M.: Duale Reihe Neurologie. Thieme, Stuttgart 2013
- Murken, J., Grimm, T., Holinski-Feder, E., Zerres, K. (Hrsg.): Taschenlehrbuch Humangenetik. Thieme, Stuttgart 2011
- Reia, M.: Facharztwissen HNO-Heilkunde. Springer, Heidelberg 2009