Anenzephalie

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 4. März 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Der Begriff Anenzephalie bezeichnet eine bereits früh in der Schwangerschaft auftretende, schwere Fehlbildung des Embryos. Aufgrund einer nicht geschlossenen Schädeldecke sowie fehlender Teile des Gehirns beträgt die Lebenserwartung der an Anenzephalie leidenden Neugeborenen nur wenige Stunden oder Tage.

Inhaltsverzeichnis

Was ist eine Anenzephalie?

Eine sichere Diagnose bei Verdacht auf Anenzephalie erfolgt mittels einer speziellen 3D-Ultraschall-Untersuchung.

Die Anenzephalie oder auch Anenkephalie (die Bezeichnung stammt vom griechischen Begriff “enkephalos“ ab, dieser bezeichnet das Gehirn, die Anenzephalie bedeutet also “ohne Gehirn“) wurde 1926 von Eduard Gamper erstmals wissenschaftlich publik gemacht.

Die Anenzephalie entsteht bereits vor dem 26. Schwangerschaftstag und gilt innerhalb der Neuralrohrdefekte als die schwerste Form der Fehlbildung. (Das Neuralrohr bezeichnet die erste Entwicklungsstufe des zentralen Nervensystems bei Wirbeltieren und somit auch beim Menschen.) Der Oberbegriff Neuralrohrdefekt (NRD) fasst jene Fehlbildungen der Embryonalentwicklung zusammen, die einen vollständigen Verschluss des Neuralrohrs verhindern.

Zu den Auswirkungen dieser schweren Fehlbildung im Falle einer Anenzephalie zählen neben der unverschlossenen Schädeldecke, die in unterschiedlichem Umfang fehlenden Teile des Schädeldaches, der Kopfhaut, der Hirnhäute sowie des Gehirns, wobei das Stammhirn nur in etwa 25 Prozent der Fälle entwickelt ist. Ebenso ist die Hypophyse genannte Hormondrüse (Hirnanhangdrüse) mit Sitz in der Schädelbasis bei einer Anenzephalie unterentwickelt.

Ursachen

Die Ursachen der Anenzephalie sind in den meisten Fällen ein Mangel an Folsäure (synthetische Form des B-Vitamins) während der Schwangerschaft. Doch auch exogene Faktoren wie Alkohol-, Medikamenten- oder Drogenmissbrauch der werdenden Mütter, sowie die zur Krebsbekämpfung eingesetzte Chemotherapie bei Schwangeren gelten, wie auch der Kontakt mit Quecksilber, die Wirkung von ionisierender Strahlung (Röntgenstrahlen, CT) oder diverse Infektionskrankheiten, als Ursachen einer Anenzephalie.

Doch auch eine selten vorkommende, spontane Fehlentwicklung des Ungeborenen kann zu einer Anenzephalie führen. Sämtliche dieser Risikofaktoren kommen bei werdenden Müttern nur dann zum Tragen, wenn sie spätestens zu Beginn der fünften Schwangerschaftswoche bereits vorhanden sind.

Aus heutiger medizinischer Sicht spielen genetische Faktoren keinerlei Rolle bei der Entstehung einer Anenzephalie, womit auch das Risiko von schwangeren Frauen, die bereits ein Kind mit einer Anenzephalus-Fehlbildung zur Welt brachten, nicht über dem des (weiblichen) Bevölkerungsdurchschnitts liegt.


Symptome, Beschwerden & Anzeichen

In den meisten Fällen ist die Anenzephalie mit sehr schwerwiegenden Beschwerden verbunden. Die Beschwerden wirken sich allerdings nur auf das Kind aus, sodass die Gesundheit der Mutter bei der Anenzephalie nicht gefährdet wird. Das Kind leidet dabei an sehr flachen Augenhöhlen und an stark hervortretenden Augen.

Auch das Gehirn ist sehr stark unterentwickelt, sodass es zu psychischen, motorischen und neurologischen Schäden und Einschränkungen kommt. Auch die Überlebensfähigkeit des Kindes wird durch die Krankheit deutlich eingeschränkt, sodass die meisten Kinder vor der Geburt oder kurz nach der Geburt versterben. Sie sind leidet nicht überlebensfähig.

In einigen Fällen kann die werdende Mutter auch an frühzeitigen Wehen leiden, die mit starken Schmerzen verbunden sind. Durch eine Totgeburt oder durch das frühe Versterben des Kindes leiden viele Frauen und ihre Partner auch an psychischen Beschwerden oder an starken Depressionen. Sie sind damit auch eine psychologische Behandlung angewiesen.

Weiterhin kann die Anenzephalie auch zu einem Fruchtblasensprung führen, welcher die Totgeburt ebenso begünstigt. Da das Kind keine Nahrung aufnehmen kann, wird es durch eine künstliche Sonde ernährt. Weiterhin kann eine Schwangerschaft abgebrochen werden, wenn die Anenzephalie erkannt wird. Auch hierbei treten häufig psychische Beschwerden auf.

Diagnose & Verlauf

Zur Feststellung einer Anenzephalie wird im Rahmen der “Pränatal-Diagnostik“ (Vorgeburtliche Diagnose) das Blut der werdenden Mutter untersucht. Bei erhöhter Konzentration des “Alpha-1-Fetoprotein“ lässt sich daraus die Wahrscheinlichkeit einer Erkrankung errechnen. Eine sichere Diagnose bei Verdacht auf Anenzephalie erfolgt mittels einer speziellen 3-D-Ultraschall-Untersuchung.

Bedingt durch den fehlenden Schluckreflex des an Anenzephalie erkrankten Embryos sammelt sich im Mutterleib mitunter zu viel Fruchtwasser an, sodass es zu vorzeitigen Wehen und somit zu einem ungewollten Fruchtblasensprung kommen kann. Um dies zu verhindern, muss das Fruchtwasser mithilfe einer sogenannten Punktion abgelassen werden.

Die Geburt selbst verläuft in der Regel vaginal und auch der zeitliche Verlauf entspricht den normalen Geburtsvorgängen, obschon die Wehen unter Umständen künstlich eingeleitet werden, da die unterentwickelte Hypophyse des Embryos kein Signal zur Auslösung natürlicher Wehen geben kann. Ein künstlich eingeleiteter Fruchtblasensprung erhöht die Wahrscheinlichkeit einer Totgeburt des an Anenzephalie leidenden Embryos drastisch.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

Wird bei der Ultraschalluntersuchung während der Schwangerschaft eine Anenzephalie festgestellt, müssen unmittelbar nach der Geburt intensivmedizinische Maßnahmen ergriffen werden. Aufgrund der Schwere des Defekts entscheiden sich rund 75 Prozent der Eltern für einen vorzeitigen Schwangerschaftsabbruch. Im Falle einer Abtreibung wird der behandelnde Arzt die notwendigen Maßnahmen einleiten und die Eltern an eine entsprechende Spezialklinik verweisen.

Ob therapeutische Maßnahmen wie eine Traumatherapie oder die Teilnahme an einer Selbsthilfegruppen nötig sind, muss von Fall zu Fall entschieden werden. Eltern, die sich für eine Geburt entscheiden, müssen sich entsprechend auf den zu erwartenden Tod des Kindes vorbereiten. Ergänzend dazu wird der zuständige Arzt die intensivmedizinische Betreuung (Ernährung mittels Sonden) vorbereiten und die Eltern über den Ablauf informieren.

Der eigentliche Geburtsablauf entspricht den normalen Vorgängen. In Rücksprache mit dem Krankenhaus können allerdings auch hier individuelle Vorbereitungsmaßnahmen getroffen werden. Generell sollten Eltern, die ein Kind mit Anenzephalie erwarten, alle Einzelheiten mit einem vertrauenswürdigen Arzt besprechen.

Behandlung & Therapie

Eine Behandlung der Anenzephalie ist prinzipiell nicht möglich, sodass der Fötus nach der Geburt nur wenige Stunden überlebt, da ihm aufgrund des fehlenden Schluckreflexes die lebenswichtige Aufnahme von Flüssigkeit verwehrt bleibt und somit die Dehydrierung als direkte Todesursache eintritt.

Allerdings kann das neugeborene, an Anenzephalie erkrankte Leben durch eine intensivmedizinische Betreuung (Ernährung mittels Sonden) im Schnitt um etwa zwei bis vier Tage verlängert werden.

Die daraus entstehende und aus ethischer Sicht nur schwer zu beantwortende Frage eines vorzeitigen Schwangerschaftsabbruchs wird von rund 25 Prozent der Betroffenen abgelehnt, da für die werdenden Mütter selbst keine Gefährdung besteht und sie ihrem an Anenzephalie erkrankten Kind zumindest ein kurzes Leben schenken möchten.

Aussicht & Prognose

Leider führt die Anenzephalie in den meisten Fällen zum Tode des Patienten direkt einige Stunden nach der Geburt. Die Betroffenen leiden dabei an einem unvollständigen Gehirn und auch an einem unvollständig entwickelten Schädel. Dadurch wird die Lebenserwartung des Neugeborenen deutlich verringert. Auch die Augen sind unterentwickelt und treten in der Regel aus der Augenhöhle hervor.

In den meisten Fällen leiden vor allem auch die Eltern und die Angehörigen an starken Depressionen und anderen psychischen Beschwerden aufgrund der Anenzephalie und benötigen dabei eine Behandlung. Ebenso führt die Anenzephalie nicht selten zu vorzeitigen Wehen und damit in der Regel auch zu starken Schmerzen während der Geburt. Möglicherweise muss die Geburt aufgrund der Anenzephalie auch künstlich eingeleitet werden. Dabei kann auch direkt eine Totgeburt des Patienten auftreten.

Die Anenzephalie kann schon relativ früh diagnostiziert werden, sodass auch ein Abbruch der Schwangerschaft möglich ist. Auch dabei kommt es allerdings nicht selten zu psychischen Beschwerden, welche schließlich behandelt werden müssen. Eine direkte und kausale Behandlung der Anenzephalie ist nicht möglich. Die Betroffenen sterben schon nach einigen Stunden nach der Geburt.


Vorbeugung

Das Risiko einer Anenzephalie liegt (seit Einführung der Folsäuregabe) in Mitteleuropa bei rund 1:1000, wobei unter der farbigen Bevölkerung viermal weniger Fälle auftreten. Der Verzicht auf Alkohol, Drogen und Medikamente sowie die Vermeidung der bereits genannten Risikofaktoren wie Infektionskrankheiten oder Röntgenstrahlen während der (frühen) Schwangerschaft senken die Wahrscheinlichkeit eines an Anenzephalie erkrankten Embryos auf ein Minimum.

Nachsorge

Bei der Anenzephalie ist eine umfassende Nachsorge notwendig. Da die betroffenen Kinder nach wenigen Stunden versterben, besteht für die Eltern ein großer seelischer Leidensdruck. Deshalb zählt zur Nachsorge in erster Linie eine intensive therapeutische Aufarbeitung des Traumas.

Die Angehörigen des Kindes sollten sich an einen geeigneten Traumatherapeuten wenden und gegebenenfalls auch eine Selbsthilfegruppe aussuchen. Dort können sie sich mit anderen Betroffenen austauschen. Die körperliche Nachsorge beschränkt sich auf eine einmalige Untersuchung nach der Geburt. Der Frauenarzt wird den Geburtskanal untersuchen, um Verletzungen und andere Komplikationen auszuschließen.

Unter Umständen wird er außerdem eine Ultraschalluntersuchung vornehmen und Blut abnehmen. Zudem wird er ein Gespräch mit der betroffenen Frau führen, um die seelische Verfassung noch einmal abzuklären. Nach der Geburt eines erkrankten Kindes müssen die normalen Routineuntersuchungen beim Gynäkologen wieder aufgenommen werden.

Die Mutter sollte zudem einen Facharzt für genetische Erkrankungen aufsuchen, um abzuklären, ob der Anenzephalie des Kindes eine genetische Ursache zugrunde liegt. Anhand der Diagnose kann das weitere Vorgehen geplant werden, insbesondere wenn eine erneute Schwangerschaft geplant ist. Die Erkrankung selbst bedarf keiner umfassenden Nachsorge, wobei unter Umständen eine Obduktion des Kindes durchgeführt werden kann.

Das können Sie selbst tun

Säuglinge, die an der Anenzephalie leiden, überleben nach der Geburt in der Regel nur wenige Stunden bis Tage. Eltern von betroffenen Kindern werden meist schon in der frühen Schwangerschaft über das Leiden des Kindes informiert und wissen dadurch bereits weit vor dem Geburtstermin, dass der Nachwuchs versterben wird. Die Eltern müssen entscheiden, ob das Kind ausgetragen oder die Schwangerschaft abgebrochen werden soll. Je nachdem, welche Entscheidung getroffen wurde, kann der Arzt die weiteren Schritte einleiten.

Eltern, die sich gegen das Kind entscheiden, sollten psychologischen Rat einholen und sich mit Hilfe von Fachlektüre und Gesprächen mit Fachärzten auf den bevorstehenden Schwangerschaftsabbruch vorbereiten. Eltern, die das Kind behalten wollen, verbringen die Zeit zwischen Geburt und Tod des Kindes oft im Krankenhaus – auch hier müssen entsprechende Vorkehrungen getroffen werden.

Der Arzt wird den Eltern zudem eine therapeutische Beratung empfehlen. Im Gespräch mit einem Fachmann kann die Trauerbewältigung der Eltern unterstützt werden. Der Gang zu einer Selbsthilfegruppe hilft ebenfalls dabei, den Verlust des Kindes zu überwinden und langfristig wieder ein positives Leben zu führen.

Quellen

  • Korinthenberg, R., Panteliadis, C.P., Hagel, C. (Hrsg.): Neuropädiatrie – Evidenzbasierte Therapie. Urban & Fischer, München 2014
  • Michaelis, R., Niemann, G.W.: Entwicklungsneurologie und Neuropädiatrie. Thieme, Stuttgart 2010
  • Weyerstahl, T., Stauber, M.: Gynäkologie und Geburtshilfe, duale Reihe. Thieme, Stuttgart 2013

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