Bindungsfähigkeit

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 14. März 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Gute und stabile Beziehungen beeinflussen unser Wohlergehen wesentlich, denn gute Kommunikation und das Gefühl vertrauen zu können, stärken Körper und Geist jedes Einzelnen. Bindungsstarke Menschen sind glücklicher als solche, die Defizite in der Bindungsfähigkeit aufweisen. Das belegen viele Studien. Die Grundlagen für die menschliche Bindungsfähigkeit werden bereits sehr früh in der Kindheit gelegt.

Inhaltsverzeichnis

Was ist die Bindungsfähigkeit?

Gute und stabile Beziehungen beeinflussen unser Wohlergehen wesentlich, denn gute Kommunikation und das Gefühl vertrauen zu können, stärken Körper und Geist jedes Einzelnen.

Unter Bindungsfähigkeit versteht die Psychologie das menschliche Vermögen, mit anderen Menschen in lang andauernde und emotional ausgeglichene Beziehungen zu treten.

Von Beginn seines Lebens an will der Mensch über sich selbst hinausgehen und Verbindungen schaffen. Doch um sich dauerhaft binden zu können, bedarf es einer stabilen Persönlichkeit und einer gesunden Resonanzfähigkeit im emotionalen Bereich.

Die neurobiologische Grundausstattung um die eigene Bindungsfähigkeit zu entfalten, ist bei jedem Menschen vorhanden. Ob die von der Natur bereitgestellten genetischen Werkzeuge auch genutzt werden können, liegt an den Erfahrungen, die der Mensch in den ersten Jahren seines Lebens macht.

Was in der frühen Phase des Lebens gelernt wird, kann zu einem späteren Zeitpunkt angewendet werden: Wenn Kinder gute Erfahrungen mit anderen Individuen in ihrer Umwelt machen, dann werden sie höchstwahrscheinlich auch als Erwachsener beziehungsfähig sein.

Die moderne Neurobiologie geht davon aus, dass unsere Gene ihre Funktion nur im Zusammenspiel mit der Außenwelt wahrnehmen können. Im Gegensatz zum Erwachsenen, der seine Beziehungen selbst gestalten kann, sind Neugeborene und Kinder auf das Geschenk guter Beziehungen angewiesen.

Als soziales Wesen hat der Mensch ein Bedürfnis nach Kontakt; Einsamkeit ist sehr belastend für ihn.

Funktion & Aufgabe

Ist das Bedürfnis nach Beziehungen nicht ausreichend gestillt, fühlt sich der Mensch einsam. Und das Gefühl der Einsamkeit ist mit einem Schmerz verbunden, der Menschen dazu veranlasst, aktiv zu werden, die Isolation abzuwenden.

Die Bereitschaft, an den eigenen Beziehungen zu arbeiten, ist bei einem bindungsfähigen Menschen gegeben. Denn das soziale Verhalten bringt viele Vorteile mit sich: Menschen erleben in Beziehungen Rückhalt, Geborgenheit und ein Zugehörigkeitsgefühl. Sie erhalten Bestätigung und Wertschätzung durch andere.

Außerdem bringt Vertrauen in einen anderen Menschen Freiheit mit sich. Wer über echte Bindungen verfügt, hat weniger Sorgen und lebt unbekümmerter, denn er weiß, dass in einer Notsituation Menschen da sind, auf die er sich verlassen kann. Ein starkes Netzwerk gibt Gelassenheit und Mut - und sichert in der Krise das Überleben. Das bedeutet auch, dass die Bereitschaft größer ist, sich auf Herausforderungen einzulassen.

In vielen Studien fand der amerikanische Einsamkeitsforscher John Cacioppo heraus, dass Personen, die ohne sozialen Rückhalt leben eine kürzere Lebenserwartung haben als solche mit stabilen Beziehungen. Einsamkeit ist genauso schädlich für die Gesundheit wie Übergewicht, Rauchen und Bewegungsmangel.

Doch Bindung bedeutet auch Arbeit – die eigene Fähigkeit zu Bindunger immer weiter auszubauen, ist ein Lebensthema. Um die Signale des Gegenübers angemessen interpretieren zu können, ist die Schulung der empathischen Fähigkeiten ein wichtiger Schlüssel zu verbesserter Kommunikation.

Hilfreiche Fragen, um die eigene Bindungsfähigkeit zu überprüfen, sind: Fällt es mir leicht, mich anderen Menschen zu öffnen? Oder distanziere ich mich schnell, weil Angst vor Nähe vorhanden ist? Ist es mir möglich, über Gefühle zu sprechen oder wird gewohnheitsmäßig alles mit der eigenen Person gelöst?


Krankheiten & Beschwerden

Die Art und Weise, wie Menschen ihre Bindungen gestalten, gibt Aufschluss darüber, was sie in der frühen Kindheit erlebt und von ihren engsten Bezugspersonen gelernt haben. Ist das Umfeld „gesund“, kann das Kind ein normales Empfinden für Distanz und Nähe entwickeln. In Fällen, in denen in der Kindheit die positiven Erfahrungen größtenteils ausbleiben, wird die Bindungsfähigkeit des Erwachsenen sich nur schwer entfalten können. Die

Gründe für Bindungsunfähigkeit sind vielfältig: Zeigen sich die Eltern zum Beispiel distanziert gegenüber ihrem Nachwuchs, wird der Mensch Probleme haben, emotionale und auch körperliche Nähe zu zeigen und zu leben, denn er kennt es nicht anders.

Beziehungsmuster wie "starkes Harmoniestreben mit Tendenz zur Streitvermeidung" oder "eine sehr starke Abgrenzung zur Vergangenheit und den elterlichen Mustern" werden in der Psychologie - genauso wie das Wiederholen der Beziehungsmodelle aus der Kindheit - ebenfalls auf schwierige Situationen in den Anfangsjahren des Lebens zurückgeführt.

Da Bindungsfähigkeit immer auch heißt, den anderen Menschen (zB dem Partner) seinen Freiraum zu lassen, ist es für eine Beziehung ebenfalls zerstörerisch, wenn der eine Part kontrollieren will oder - durch Verlustangst getrieben - sehr eifersüchtig ist. Denkbar und für eine Bindung kompliziert ist auch der Fall, dass sich der eine Partner nie von seinen Eltern gelöst hat und immer noch abhängig von deren Meinung ist.

Doch natürlich ist niemand gezwungen, in den beschriebenen Mustern zu verharren. Therapie und Coachings können dabei helfen, die eigene Bindungsfähigkeit zu entdecken, neu zu definieren und die alten Muster hinter sich zu lassen.

Ein hoher Therapiebedarf mit weniger Aussicht auf Erfolg (in Hinblick auf die Bindungsfähigkeit) liegt bei psychopathologischen Störungen wie Schizophrenie, Paranoia und der Borderline-Persönlichkeitsstörung vor. Auch neurologische Entwicklungsstörungen wie das Asperger-Syndrom und Autismus zeichnen sich durch eine gestörte Bindungsfähigkeit aus.

Quellen

  • Arolt, V., Reimer, C., Dilling, H.: Basiswissen Psychiatrie und Psychotherapie. Springer, Heidelberg 2007
  • Köhler, T.: Medizin für Psychologen und Psychotherapeuten. Schattauer, Stuttgart 2014
  • Möller, H.-J., Laux, G., Deister, A.: Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie. Thieme, Stuttgart 2015

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