Charles-Bonnet-Syndrom

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 12. März 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Das Charles-Bonnet-Syndrom ist ein neurologisches Syndrom, das optische Halluzinationen hervorruft. Eine Schädigung der vorderen oder hinteren Sehbahn ruft die Halluzinationen hervor, die der Patient jedoch nicht als echt empfindet. Wenn sich die Sehkraft durch Brillen oder OPs verbessern lässt, können die Symptome vollständig zurückgehen.

Inhaltsverzeichnis

Was ist das Charles-Bonnet-Syndrom?

Das Leitsymptom des CB-Syndroms sind visuelle Halluzinationen, die ohne psychische Vorerkrankungen bei vollkommen klarem Bewusstsein auftreten und nicht von Halluzinationen aus anderen Wahrnehmungssystemen begleitet werden.
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Beim Charles-Bonnet-Syndrom handelt es sich um einen neurologisch psychiatrischen Symptomkomplex. Die Symptome gleichen dem ersten Anschein nach denen von psychisch kranken Personen. Im eigentlichen Sinn sind die Betroffenen aber nicht psychisch krank, sondern neurologisch geschädigt. Das Leitsymptom für das Syndrom sind visuelle Halluzinationen. Die Halluzinationen beschränken sich sogar ausschließlich auf das visuelle System. Zu akustischen oder taktilen Erscheinungen kommt es nicht.

Auch einen Wahn entwickeln Patienten des Charles-Bonnet-Syndroms in der Regel nicht. Die komplexen und teilweise bewegten Halluzinationen nehmen sie für mehrere Minuten mit ungetrübtem Bewusstsein wahr, bevor sie wieder abklingen. Der Naturwissenschaftler Charles Bonnet hat das Syndrom erstmals beschrieben. Vorwiegend betrifft das Phänomen ältere Menschen. Auch an Kindern wurden aber schon entsprechende Fälle beobachtet.

Ursachen

Mittlerweile vermutet die Medizin Schädigungen der Sehbahnen und den langsamen Verlust der Sehkraft hinter dem CB-Syndrom. Sowohl Schädigungen im vorderen Anteil, als auch solche im hinteren Anteil der Sehbahnen können die Halluzinationen hervorrufen. Aus diesem Grund kann das Syndrom zum Beispiel im Rahmen von Erkrankungen wie der Makuladegeneration, der diabetischen Retinopathie oder dem grauen Star auftreten, von dem gerade ältere Menschen häufig betroffen sind.

Auch Hirninfarkte oder Hirntumore kommen als primäre Ursachen in Frage. Vor allem im blinden Bereich des Gesichtsfelds spielen sich die Halluzinationen ab. Daher vermutet die Medizin eine Verbindung zum Assoziationskortex, der an das visuelle System gebunden ist. Wenn nicht nur die Sehbahnen beschädigt sind, sondern auch der Kortex der visuellen Halluzinationen, so können keine Halluzinationen auftreten. Bei den meisten Defekten der Sehbahnen bleibt der Kortex aber genauso erhalten, wie die visuelle Vorstellungskraft.


Symptome, Beschwerden & Anzeichen

Das Leitsymptom des CB-Syndroms sind visuelle Halluzinationen, die ohne psychische Vorerkrankungen bei vollkommen klarem Bewusstsein auftreten und nicht von Halluzinationen aus anderen Wahrnehmungssystemen begleitet werden. Es handelt sich bei diesen Halluzinationen um stereotyp optische Halluzinationen, die der Patient aus Distanz erlebt. Die Echtheit der Bilder zweifelt er an.

Zu wahnhaftem Erleben mit tatsächlicher Verwicklung in die halluzinatorische Welt kommt es daher nicht. Die Bilder lassen sich daher eigentlich nicht als Halluzinationen, sondern eher als Illusionen und Pseudohalluzinationen bezeichnen.

Falls eine Verwicklung vorliegt, ist eine psychische Erkrankung die wahrscheinlichere Ursache und das Krankheitsbild lässt sich nicht mehr als CB-Syndrom zusammenfassen. Typischerweise entsprechen die Illusionen beim CB-Syndrom Lichterscheinungen, geometrische Figuren mit klaren Umrissen, Verzerrungen von eben gesehenen Objekten oder Phantasiegestalten und Doppelgängerhalluzination.

Diagnose & Verlauf

Das Charles-Bonnet-Syndrom muss differentialdiagnostisch vor allem von Erkrankungen wie der Lewy-Körperchen-Demenz, von halluzinatorischen Migräne-Attacken, den Nebenwirkungen bestimmter Medikamente und den Auswirkungen halluzinogener Drogen abgegrenzt werden. Bei der Diagnosestellung kann neben der Anamnese eine Inspektion der Sehbahnen entscheidende Hinweise liefern.

In der Regel werden die ursächlichen Sehbahnschädigungen aber bereits weit vor den ersten Halluzinationen diagnostiziert. Daher reicht dem Arzt die Anamnese normalerweise aus, um eine Diagnose auf das CB-Syndrom zu stellen. Bis zu fast 60 Prozent aller Personen mit verminderter Sehschärfe sollen am Charles-Bonnet-Syndrom leiden. Die Prognose hängt im Einzelfall von den Möglichkeiten der Sehkraftverbesserung ab. Obwohl das Syndrom an und für sich eine harmlose Krankheit ist, kann es die Lebensqualität der Patienten beeinträchtigen.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

Beim Charles-Bonnet-Syndrom sollte dann ein Arzt aufgesucht werden, wenn der Betroffene an Halluzinationen leidet. In der Regel kann der Patient allerdings selbst feststellen, dass die Halluzinationen nicht echt sind und diese von der Realität unterscheiden. Der Arzt sollte vor allem dann aufgesucht werden, wenn diese Beschwerden nach einem Unfall oder nach einem Schlag auf den Kopf auftreten. Auch eine starke Migräne und andere Schmerzen am Kopf können auf das Charles-Bonnet-Syndrom hindeuten und sollten untersucht werden.

In vielen Fällen sieht der Patient in seinen Halluzinationen einen Doppelgänger oder unterschiedliche Lichterscheinungen, deren Echtheit er allerdings anzweifelt. Auch eine verringerte Sehkraft deutet auf das Charles-Bonnet-Syndrom hin und muss auf jeden Fall untersucht werden. Die Diagnose und Behandlung kann durch einen Psychologen durchgeführt werden. Beschwerden an den Augen können in der Regel durch einen operativen Einriff oder durch das Tragen einer Brille verbessert werden. Ob es zu einem positiven Krankheitsverlauf kommt, kann nicht universell vorausgesagt werden.

Behandlung & Therapie

Medikamentös stehen Substanzen wie die Antipsychotika Melperon und Risperidon, Antikonvulsiva wie Carbamazepin und Clonazepam oder Serotonin-Antagonisten wie Ondansetron zur Linderung der Symptome zur Verfügung. Diese symptomatische Behandlung wird allerdings nur selten durchgeführt. In Zusammenhang mit medikamentösen Therapien werden zunächst die Nutzen und Risiken für den Patienten abgewogen. Da das CB-Syndrom an und für sich nicht bedrohlich ist, kann der Arzt beispielsweise auch von vornherein von medikamentösen Schritten abraten.

Da für das CB-Syndrom eine ursächliche Therapie zur Verfügung steht, entspricht diese Therapie meist der primären Behandlung. Der behandelnde Arzt strebt dabei eine Verbesserung der Sehkraft an. Dazu kommen statt Medikamenten in der Regel Brillen oder Operationen zum Einsatz. Eine Linsenoperation kann bei einigen Krankheitsbildern die visuellen Halluzinationen komplett zurückgehen lassen. Falls die Symptome des Syndroms in ihrem Auftreten auf die Dunkelheit beschränkt sind, reicht oft eine angemessene Beleuchtung aus, um die Halluzinationen abzuschwächen.

In manchen Fällen lässt die ursächliche Therapie die Halluzinationen nicht vollends verschwinden. Eine Verminderung der Intensität wird in aller Regel aber erreicht. Auch eine supportive Therapie kann begleitend zur ursächlichen Behandlung angemessen sein. Der Leidensdruck der Patienten wird so gelindert und die Lebensqualität steigt. Da sozial isolierte Menschen umso häufiger am CB-Syndrom leiden, kann die supportive Therapie mit sozialer Anbindung sogar eine Verbesserung der Symptome bezwecken. Zumindest haben die Betroffenen in Einrichtungen wie Selbsthilfegruppen die Möglichkeit, sich über ihr Leiden auszutauschen.

Aussicht & Prognose

Eine allgemeine Prognose kann beim Charles-Bonnet-Syndrom in der Regel nicht gegeben werden. Der weitere Verlauf hängt dabei von der genauen Ursache des Syndroms und von seiner Ausprägung ab.

Falls sich die Sehkraft des Betroffenen verbessern lässt, so können die Symptome des Charles-Bonnet-Syndroms in den meisten Fällen vollständig besiegt werden. Die Sehkraft wird dabei vor allem durch Eingriffe mit einem Laser oder durch das Tragen von Brillen verbessert. In diesen Fällen kommt es zu einem positiven Krankheitsverlauf ohne Komplikationen.

Da die Symptome des Syndroms häufig auch nur in der Dunkelheit auftreten, können sie durch eine passende Beleuchtung gelindert werden, sodass es im Alltag des Betroffenen nicht zu besonderen Einschränkungen kommt. Da der Betroffene die Halluzinationen nicht als echt empfindet, können sie häufig einem gewöhnlichen Leben nachgehen, auch wenn die Erkrankung nicht vollständig gelindert werden kann.

Die Behandlung des Charles-Bonnet-Syndroms mit Hilfe von Medikamenten führt dabei nur sehr selten zu einem Erfolg, sodass auf diese meistens verzichtet wird. Das Syndrom wirkt sich nicht negativ auf die Lebenserwartung des Betroffenen aus. Der weitere Verlauf hängt hierbei allerdings stark von der zugrundeliegenden Erkrankung ab.


Vorbeugung

Dem Charles-Bonnet-Syndrom lässt sich in vielen Fällen durch die Versorgung mit angemessenen Sehhilfen vorbeugen.

Nachsorge

Die Nachsorge für das Charles-Bonnet-Syndrom beginnt zumeist im Anschluss an die Therapie mit Psychopharmaka oder nach der Linsenoperation. Dabei kommt häufig eine Brille zum Einsatz, welche die Sehkraft verbessern soll. Abhängig davon, wann das Syndrom hauptsächlich auftritt, kann es hilfreich sein, die Beleuchtung anzupassen. Doch es gibt auch Fälle, in denen die Halluzinationen weiter auftauchen.

Mit hellem Licht lassen sie sich immerhin reduzieren. Als Unterstützung und zur Nachsorge ist diese Lösung zur Steigerung der Lebensqualität recht einfach. Häufig handelt es sich bei den betroffenen Patienten um relativ isoliert lebende Personen. Deshalb ist eine Nachsorgetherapie mit verstärkter sozialer Anbindung hilfreich. Die Symptome treten nicht mehr so oft und so heftig auf.

Zu dieser Nachsorge gehört zum Beispiel die Teilnahme bei einer Selbsthilfegruppe. Hier fühlen sich die Patienten weniger allein und können sich über mögliche Methoden zur Linderung der Sehbeschwerden austauschen. In einer solchen Selbsthilfegruppe oder beim Arzt erfahren sie, dass es sich um einen körperlichen Defekt handelt und nicht um eine spezielle Form der Geisteskrankheit. Die Medikamente, die der Arzt verschreibt, führen zwar meistens nicht zu einem vollen Erfolg, doch mit der richtigen Herangehensweise haben die Patienten keine Probleme, im Alltag klarzukommen.

Das können Sie selbst tun

Um mit der Krankheit im Alltag besser zurechtzukommen ist es für den Patienten und vor allem sein soziales Umfeld wichtig zu verinnerlichen, dass es sich beim Charles-Bonnet-Syndrom nicht um eine Geisteskrankheit handelt. Die Betroffenen sind nicht psychisch krank, sondern leiden an einem rein körperlichen Defekt.

In Selbsthilfegruppen, die im Internet und in größeren Städten auch vor Ort aktiv sind, lernen die Betroffene mit ihren Halluzinationen und den oft diskriminierenden oder gar demütigenden Reaktionen des sozialen Umfeldes besser zurechtzukommen. Diese Gruppen stellen auch Informationsmaterial zur Verfügung, mit dem das soziale Nahfeld, insbesondere der Arbeitgeber und die Arbeitskollegen, über die Krankheit aufgeklärt werden können. Auf diese Weise können aus Unwissenheit resultierende Vorurteile abgebaut werden.

Darüber hinaus sollten sich die Betroffenen um eine professionelle medizinische Betreuung kümmern. Das Charles-Bonnet-Syndrom ist eine eher seltene Erkrankung. Es ist deshalb wichtig, dass der Betroffene sich eine Spezialisten sucht, der mit der Behandlung des Syndroms bereits Erfahrung hat. Informationen über entsprechend qualifizierte Ärzte stellen die Ärztekammern und die Krankenkassen zur Verfügung.

Die Ursachen der Krankheit sind noch nicht abschließend geklärt, es werden aber dennoch bereits Behandlungserfolge erzielt. Ein Betroffener sollte sich deshalb umfassend über alle medizinischen Möglichkeiten sein Leiden zu lindern aufklären lassen.

Quellen

  • Berlit, P.: Basiswissen Neurologie. Springer, Berlin 2007
  • Grehl, H., Reinhardt, F.: Checkliste Neurologie. Thieme, Stuttgart 2012
  • Möller. H.-J., Laux, G., Deister, A., Braun-Scharm, H., Schulte-Körne, G.: Duale Reihe Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie. Thieme, Stuttgart 2013

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