Hereditäre Neuropathie mit Neigung zu Drucklähmungen

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 18. März 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Die hereditären Neuropathien mit Neigung zu Drucklähmungen sind erblich bedingte neurologische Erkrankungen, die zum Kreis der Neuropathien gehören. Geringste Druckbelastungen der Nerven führen zu Lähmungserscheinungen, die sich aber im unbelasteten Zustand ganz oder teilweise wieder zurückbilden. Die Erkrankung ist nicht lebensbedrohlich.

Inhaltsverzeichnis

Was ist eine hereditäre Neuropathie mit Neigung zu Drucklähmungen?

Ursache für die Entmarkung der Myelinscheiden ist ein fehlerhaft aufgebautes Myeloprotein PMP22. Dieses Protein wird durch ein Gen auf Chromosom 17 codiert. Das gleiche Gen ist auch bei entsprechenden Defekten für die Entwicklung der hereditären motorisch-sensiblen Neuropathie verantwortlich.
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Die hereditäre Neuropathie mit Neigung zu Drucklähmungen ist durch eine verstärkte Empfindlichkeit der Nerven gegen Druck gekennzeichnet. Schon geringe Belastungen, die durch körperliche Aktivitäten ausgelöst werden, können zu Lähmungserscheinungen führen.

Bei diesen Erkrankungen handelt sich um einen Sammelbegriff für neurologische Störungen, deren Hauptmerkmal die Einschränkung der Nervenleitfähigkeit bei Druckbelastung ist. Die hereditäre Neuropathie mit Neigung zu Drucklähmungen wird mit HNPP abgekürzt. HNPP leitet sich wiederum aus der englischen Bezeichnung „Hereditary Neuropathy with liability to Pressure Palsies“ ab.

Des Weiteren wird die Erkrankung auch als tomakulöse Neuropathie bezeichnet, was durch das wurstartige Anschwellen der Myelinscheiden gekennzeichnet ist. Bei HNPP handelt es sich um erblich bedingte Erkrankungen. Ihre Prävalenz wird mit 1/50.000 bis 1/20.000 angegeben. Besonders häufig kommt HNPP in Finnland vor. Dort liegt die Prävalenz sogar bei 1/6250.

Da die hereditären Neuropathien mit Neigung zu Drucklähmungen eine genetische Grundlage haben, sind sie nicht heilbar. Allerdings können sie gut behandelt werden. Die Lebenserwartung von Betroffenen ist nicht eingeschränkt. Kennzeichnend für die Erkrankung ist die Demyelinisation der Markscheiden, die dadurch anschwellen. Die Markscheiden umgeben die Nervenzellen oder ihre Axone und sorgen für deren elektrische Isolierung.

Bei HNPP sind die Markscheiden aber zerstört. Daher können sie ihre Schutzfunktion nicht mehr ausreichend ausführen. Die Folge ist eine Reduzierung der Nervenleitgeschwindigkeit. Durch die verringerte Leitfähigkeit werden der Ausfall wichtiger Reflexe und das Auftreten von Taubheitsgefühlen, Missempfindungen und Schwäche verursacht. Hauptsächlich bei Druck auf die Nerven macht sich ihre fehlende elektrische Isolierung bemerkbar.

Ursachen

Ursache für die Entmarkung der Myelinscheiden ist ein fehlerhaft aufgebautes Myeloprotein PMP22. Dieses Protein wird durch ein Gen auf Chromosom 17 codiert. Das gleiche Gen ist auch bei entsprechenden Defekten für die Entwicklung der hereditären motorisch-sensiblen Neuropathie verantwortlich.

Viele unterschiedliche Mutationen des PM22-Gens können jedoch auch zur hereditären Neuropathie mit Neigung zu Drucklähmungen führen. Meist handelt es sich dabei um Deletionen (Verkürzungen). Aber auch Punktmutationen können zu einer Fehlbildung von PMP22 führen. Ungefähr 80 Prozent von HNPP sind auf Deletionen des PMP22-Gens zurückzuführen. Die restlichen 20 Prozent werden durch Punktmutationen des gleichen Gens und Mutationen anderer Gene verursacht.

Dazu zählen auch die Gene MPZ und Connexin 32. Die Grundlage der Drucklähmungen stellt die verringerte Fähigkeit der demyelinisierten Myelinscheiden zur Isolierung der Nervenzellen dar. Beim Zusammendrücken der Nerven kommt es zu elektrischen Kurzschlüssen, welche die Nervenleitfähigkeit einschränken.


Symptome, Beschwerden & Anzeichen

Die Erkrankung tritt meist im zweiten oder dritten Lebensjahrzehnt erstmalig in Erscheinung. In seltenen Fällen kann sie jedoch auch schon im Kindesalter auftreten. Es gibt aber auch beschwerdefreie Patienten, bei denen trotz genetischer Veranlagung niemals HNPP diagnostiziert wird. Die häufigsten Symptome sind plötzlicher Sensibilitätsverlust und Muskelschwäche entlang des Verlaufs einzelner Nerven.

Dabei treten keine Schmerzen auf. Dieser Sensibilitätsverlust des jeweiligen Nervs ist auf eine lokale Druckbelastung zurückzuführen. Der Druck wird durch wiederholte Bewegung oder Dehnung an der betroffenen Stelle hervorgerufen. Häufig treten die Beschwerden am Wadenbein, Ellenbogen, Handgelenk oder Fuß auf. Im Gegensatz zu Polyneuropathien handelt es sich hier um Mononeuropathien, weil nur einzelne Nerven betroffen sind.

Es werden solche Symptome wie Taubheit und Schwäche der Hände, Sensibilitätsverluste in Fingern und Händen, Schwäche in den Armen oder Fallfüße beobachtet. Wenn die Druckbelastung aufhört, bilden sich die Symptome in 50 Prozent der Fälle innerhalb von Tagen bis zu Monaten wieder zurück. In den anderen Fällen bessern sich die Beschwerden, wobei noch Restsymptome bestehen bleiben. Bei einer wiederholten Druckbelastung treten die Symptome allerdings erneut wieder auf.

Diagnose

Die Verdachtsdiagnose HNPP ergibt sich durch das wiederholte Auftreten von Mononeuropathien und einer familiären Häufung dieser Erkrankungen. Des Weiteren werden elektrophysiologische Untersuchungen und Biopsien von Nervengewebe zur Bestimmung von fokalen Verdickungen der Myelinscheiden durchgeführt. Durch eine Genuntersuchung kann die Diagnose eindeutig gestellt werden.

Komplikationen

Diese Krankheit kann den Alltag und die Lebensqualität des Betroffenen erheblich einschränken. Dabei kommt es schon bei sehr einfachen und leichten Druckanwendungen auf bestimmte Regionen im Körper zu Lähmungserscheinungen. Obwohl diese zurückgehen, ist der Betroffene in seinem Alltag nicht selten auf die Hilfe anderer Menschen angewiesen. Die Lebenserwartung wird durch diese Krankheit nicht verringert.

Nicht selten leiden die Patienten allerdings auch an psychischen Verstimmungen und an Depressionen, sodass es in einigen Fällen auch zu Selbstmordgedanken kommen kann. Es kommt zu Störungen der Sensibilität und zu einer Muskelschwäche. Im Allgemeinen sinkt die Belastbarkeit des Patienten enorm ab. Schmerzen treten dabei allerdings nicht auf. Durch die Lähmungen kommt es zu Bewegungseinschränkungen, sodass der Patient eventuell auf einen Rollstuhl angewiesen ist.

Die Lähmungen bilden sich zwar zurück, allerdings kann dies bis zu einem Monat lang dauern. Eine kausale Behandlung dieser Krankheit ist nicht möglich. Auch die Symptome können nur eingeschränkt behandelt werden, wobei vor allem verschiedene Therapien zum Einsatz kommen. Dabei treten keine Komplikationen auf. Auch die Angehörigen des Patienten können an psychischen Beschwerden leiden und benötigen daher nicht selten eine psychologische Betreuung.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

Obwohl diese Krankheit nicht lebensbedrohlich ist, sollte dabei trotzdem schon bei den ersten Anzeichen und Symptomen ein Arzt aufgesucht werden. Dadurch können weitere Komplikationen und Beschwerden verhindert werden, da es in der Regel nicht zu einer Selbstheilung kommt.

Ein Arzt ist dann aufzusuchen, wenn es zu Störungen der Sensibilität oder zu Beschwerden an den Muskeln und zu einer allgemeinen Muskelschwäche kommt. Diese Beschwerden können an unterschiedlichen Körperregionen auftreten. Ebenso kann die Störung der Sensibilität durch Druck auftreten und ohne Druck nicht vorhanden sein.

Weiterhin deuten auch schwache oder taube Hände und Füße auf die Erkrankung und sollten immer von einem Arzt untersucht werden, falls die Symptome innerhalb kurzer Zeit nicht wieder von alleine verschwinden. In der Regel kann bei der Neuropathie mit Neigung zu Drucklähmungen in erster Linie ein Allgemeinarzt oder bei Kindern ein Kinderarzt aufgesucht werden.

Die weitere Behandlung erfolgt dann durch verschiedene Fachärzte, wobei die genaue Behandlung auch von der Ursache der Neuropathie mit Neigung zu Drucklähmungen abhängt. Die Lebenserwartung des Patienten wird durch die Erkrankung allerdings nicht verringert.

Behandlung & Therapie

Eine kausale Therapie von hereditären Neuropathien mit Neigung zu Drucklähmungen gibt es nicht, weil die Erkrankung genetisch bedingt ist. Bei Einschränkung der Gehfähigkeit durch zunehmende Paresen sollten orthopädische Hilfsmittel in Anspruch genommen werden. Dazu zählen orthopädische Schuhe, Schuhheber-Orthesen, Knie-Orthesen, Gehstöcke, Rollatoren und gegebenenfalls auch ein Rollstuhl.

Bei größeren Deformationen an den Füßen werden auch chirurgische Korrekturen durchgeführt. Auch Physiotherapie und Ergotherapie kommen regelmäßig zur Anwendung. Bei einigen Patienten sind jedoch gar keine Behandlungen notwendig, weil sich die Beschwerden nach einiger Zeit von allein zurückbilden. Voraussetzung dafür ist jedoch das Vermeiden von mechanischen Belastungen.

Aussicht & Prognose

Die hereditäre Neuropathie mit Neigung zu Drucklähmungen kann nicht geheilt werden. Es handelt sich um eine genetisch bedingte Erkrankung. Allerdings ist die Prognose der Erkrankung in der Regel gut. In der Hälfte der Fälle kommt es zur vollständigen Rückbildung der Symptome. Bei diesen Patienten ist eine Therapie nicht erforderlich.

Bei den anderen 50 Prozent der Patienten erfolgt eine unvollständige Rückbildung der Beschwerden. Im Normalfall sind die Restsymptome mild und führen nicht zu einer Behinderung. Allerdings ist bei einigen Betroffenen später auch die Gehfähigkeit eingeschränkt. Dann können orthopädische Hilfsmittel notwendig werden. Die Einschränkungen sind aber sehr variabel, sodass auch der Einsatz dieser Hilfsmittel variiert.

So kommen unter anderem Fußheberorthesen, Knieorthesen, orthopädische Schuhe, Gehstock, Rollator und manchmal sogar der Rollstuhl zur Anwendung. Wenn die Hände betroffen sind, können auch Hilfsmittel fürs Schreiben und Essen erforderlich werden. Bei starken Fußdeformationen wird zuweilen auch eine operative Korrektur angestrebt.

Physiotherapie und Ergotherapie kommen bei bestimmten Einschränkungen wie unter anderem bei Lähmungen in den Händen ebenfalls infrage. Der Patient hat es jedoch selber in der Hand, Auslösesituationen für Druckläsionen zu vermeiden. Es gibt Betroffene, die das ganze Leben lang völlig symptomfrei bleiben. Der Einsatz von neuropathieinduzierenden Medikamenten wie hoch dosiertes Penizillin oder Vitamin B6 sowie Lithium, Gold, Vitamin A und viele andere muss unbedingt individuell überdacht werden.


Vorbeugung

Bei familiärer Häufung von HNPP kann eine humangenetische Beratung in Anspruch genommen werden. Die Erkrankung wird meist autosomal-dominant weitervererbt. Personen, die bereits von HNPP betroffen sind, können dem Auftreten der typischen Symptome durch das Vermeiden von Druckbelastungen vorbeugen.

Das betrifft unter anderem langes Sitzen mit übergeschlagenen Beinen, wiederholende Bewegungen der Handgelenke oder das Aufsetzen der Ellenbogen. Auch schnelles Abnehmen ist kontraproduktiv. Des Weiteren sollten viele Medikamente, die eine verstärkende Wirkung auf Polyneuropathien besitzen, kritisch hinterfragt werden. Besonders die Anwendung von Vincristin ist zu vermeiden.

Nachsorge

Im Anschluss an die Therapie der hereditären Neuropathie mit Neigung zu Drucklähmungen ist es hilfreich, Schutzkissen für die betroffenen Gelenke zu verwenden. Die Patienten erhalten von ihrem Arzt entsprechende Informationen, wie sie die Nerven zukünftig gut schützen können. Zu hohe mechanische Belastungen sind nach Möglichkeit zu vermeiden.

Wenn die Knie betroffen sind, sollten die Betroffenen nicht ständig und über einen längeren Zeitraum die Beine überschlagen. Bei Schwierigkeiten mit den Ellbogen und Handgelenken hilft es, wiederholende Bewegungen oder häufiges Aufstützen zu vermeiden. Ein schneller Gewichtsverlust kann sich ebenfalls negativ auf das körperliche Befinden auswirken.

In Absprache mit dem Arzt erfahren Patienten, welche Medikamente sie eventuell nicht mehr einnehmen sollten. Vincristin ist beispielsweise tabu. Im Rahmen der Nachsorge sowie als unterstützende Behandlung spielt die Reduzierung von zu heftigen Bewegungen und übermäßigen Aktivitäten eine Hauptrolle. Zudem stehen Bandagen und gepolsterte Elemente zur Verfügung, welche den Druck auf die Gelenke verringern.

Damit lässt sich vermeiden, dass die Überstrapazierung erneut auftritt. Zu dem Schutz vor einer wiederholten Schädigung kommt die Schonung der Nerven hinzu. So hat die Myelinstruktur die Chance auf eine erfolgreiche Regeneration.

Das können Sie selbst tun

Eine hereditäre Neuropathie mit Neigung zu Drucklähmungen ist immer genetisch bedingt und kann daher nicht kausal behandelt werden. Die Patienten müssen langfristig lernen, mit den Beschwerden und Symptomen zu leben. Dies gelingt zum einen durch Gespräche mit Freunden und Angehörigen, aber auch durch den Besuch einer Selbsthilfegruppe. Der Arzt kann die Patienten dabei unterstützen, die Erkrankung langfristig zu akzeptieren.

Begleitend zur Therapie müssen auch Maßnahmen ergriffen werden, um die durch die Deformationen hervorgerufenen Beschwerden zu lindern. Physiotherapie und Ergotherapie gehören zu den wichtigsten Maßnahmen – beides kann von den Erkrankten durch moderaten Sport, Krankengymnastik und auch Yoga unterstützt werden.

Bei einigen Patienten bilden sich die Beschwerden ganz von alleine zurück. Eine weitergehende Behandlung ist in diesem Fall nicht notwendig. Allerdings sollten die Patienten ein Beschwerdetagebuch führen und enge Rücksprache mit dem zuständigen Mediziner halten.

Falls sich plötzlich wieder Symptome bemerkbar machen, muss dies umgehend abgeklärt werden. Akute Schmerzen können durch natürliche Schmerzmittel gelindert werden. Welche Präparate sich eignen, hängt von der Art der Neuropathie ab und muss immer von einem Arzt oder Heilpraktiker entschieden werden.

Quellen

  • Berlit, P.: Basiswissen Neurologie. Springer, Berlin 2007
  • Grehl, H., Reinhardt, F.: Checkliste Neurologie. Thieme, Stuttgart 2012
  • Mattle, H., Mumenthaler, M.: Neurologie. Thieme, Stuttgart 2013

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