Morbus haemolyticus neonatorum
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 16. März 2024Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
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Beim Morbus haemolyticus neonatorum handelt es sich um eine schwerwiegende pathologische Störung des ungeborenen Kindes und des Neugeborenen. Ursache ist eine Rhesusunverträglichkeit.
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Was ist Morbus haemolyticus neonatorum?
Der Morbus haemolyticus neonatorum wird auch als fetale Erythroblastose oder als Fetopathia serologica bezeichnet. Die Erkrankung tritt meist schon vor der Geburt auf und wird deshalb auch Morbus haemolyticus fetalis genannt. Aufgrund einer Blutgruppenunverträglichkeit entwickelt das Kind schon im Mutterleib eine Anämie. Der gesamte Organismus erhält nicht ausreichend Sauerstoff.
Das Herz ist nicht komplett funktionsfähig und es kommt zu Ergüssen in der Bauchhöhle und im Brustraum. Wenn die Erkrankung frühzeitig erkannt wird, kann das Kind durch eine Bluttransfusion im Mutterleib behandelt werden. Der Rhesus-Inkompabilität als Ursache wird in Deutschland durch die Antikörpergabe gegen das Rhesus-Blutgruppenmerkmal an alle Mütter mit negativem Rhesus-Faktor vorgebeugt.
Ursachen
Da der Körper dieses Antigen nicht aus dem eigenen Blut kennt, erachtet er es als fremd und bekämpft es. Bei einer Entbindung tritt in der Regel Blut von dem Neugeborenen auf die Mutter über. Ist das Kind nun also Rhesus-positiv und die Mutter Rhesus-negativ, so bildet sie Antikörper gegen das Rhesus-D-Antigen aus. In der Regel ist dies die erste Antigensensibilisierung. Somit ist das erste Kind normalerweise nicht vom Morbus haemolyticus neonatorum betroffen.
In seltenen Fällen kommt es bereits während der ersten Schwangerschaft zu einem Übertritt von fetalen Erythrozyten in das mütterliche Blut. Auch dann bilden sich Antikörper. Da die Menge der eingeschwemmten Erythrozyten und damit auch die Menge der gebildeten Antikörper eher gering ist, reichen sie nicht aus, um beim Erstgeborenen einen Morbus haemolyticus neonatorum auszulösen.
Bei einer zweiten Schwangerschaft mit einem Rhesus-positiven Kind gelangen die Antikörper der Mutter gegen das Rhesusfaktor-D-Antigen über die Plazenta zum Ungeborenen. Da die Antikörper hämolytisch aktiv sind, also die roten Blutkörperchen zerstören, entwickelt das Kind eine Hämolyse. Aufgrund der Hämolyse entsteht eine Anämie.
Eine weitere Ursache des Morbus haemolyticus neonatorum ist eine AB0-Inkompatibilität. Sie beruht auf demselben Prinzip wie die Rhesusinkompatibilität.
Symptome, Beschwerden & Anzeichen
Die Erkrankung zeigt bereits im Mutterleib erste Symptome. Die Feten lagern vermehrt Wasser ins Gewebe ein, sodass Ergüsse in der Bauchhöhle und in der Pleurahöhle entstehen. Die Wasseransammlungen in der Bauchhöhle werden auch als Aszites bezeichnet. Das Fruchtwasser ist deutlich vermehrt. Sobald ein Fruchtwasserindex (AFI) von mehr als 20 Zentimetern vorliegt, handelt es sich um eine Polyhydramnie.
Im Mutterleib wird auch schon die Pumpschwäche des Herzens deutlich. Wenn alle Symptome des Morbus haemolyticus neonatorum voll ausgeprägt sind, liegt das Vollbild (Hydrops fetalis) vor. Nach der Geburt kann eine Anämie diagnostiziert werden. Die Ödeme sind gut sichtbar. Der Bauch der Kinder ist aufgrund der Ödeme aufgetrieben. Auch eine starke Neugeborenengelbsucht (Icterus neonatorum) kann beobachtet werden.
Diagnose & Krankheitsverlauf
Bereits in der Frühschwangerschaft wird im Rahmen der Schwangerschaftsvorsorge eine Blutgruppenbestimmung durchgeführt. Zudem wird ein Antikörpersuchtest nach irregulären Blutgruppenantikörpern gemacht. Wenn das Ergebnis des Antikörpersuchtests negativ ist, wird der Test in der 25. bis 27. Schwangerschaftswoche erneut durchgeführt. Anhand der regelmäßigen Ultraschallvorsorgeuntersuchungen kann ein entstehender Hydrops fetalis frühzeitig erkannt werden.
Bei Verdacht auf einen Morbus haemolyticus neonatorum kann über die Nabelschnur Blut entnommen werden. So kann eine Anämie diagnostiziert werden. Nach der Geburt wird im Labor der Coombs-Test durchgeführt. Mit diesem Test können inkomplette Antikörper, die sogenannten IgG, gegen Erythrozyten nachgewiesen werden. Um das Ausmaß der Schädigung der Blutkörperchen erfassen zu können, werden im Labor Hämolyseparameter wie Retikulozyten oder LDH bestimmt.
Retikulozyten sind Vorstufen von Erythrozyten. Da der Körper bei einer Anämie zur Kompensation vermehrt Erythrozyten bildet, finden sich im Blut des Neugeborenen vermehrt Retikulozyten. LDH, die L-Lactathydrogenase, ist ein Enzym, das in allen Zellen vorkommt. Als Laborparameter weist sie auf Zellschädigungen, in diesem Fall auf die Schädigung von Erythrozyten, hin.
Komplikationen
Dabei kann es im schlimmsten Fall auch direkt zum Tode des Patienten kommen, wenn es zu einem Herzversagen kommt. Ebenso kann nach der Geburt die sogenannte Neugeborenengelbsucht einsetzen. In den meisten Fällen kann der Morbus haemolyticus neonatorum schon vor der Geburt diagnostiziert werden, sodass nach der Geburt direkt eine Behandlung eingeleitet werden kann. Dabei kommt es in der Regel nicht zu weiteren Komplikationen.
Mit Hilfe von Medikamenten und durch eine Therapie können die Beschwerden eingeschränkt werden. In den meisten Fällen kommt es dabei zu einem positiven Krankheitsverlauf und die Beschwerden des Patienten werden durch die Behandlung vollständig eingeschränkt. Auch die Lebenserwartung des Patienten wird durch den Morbus haemolyticus neonatorum nicht verringert. In einigen Fällen sind die Betroffenen allerdings auf Bluttransfusionen angewiesen.
Wann sollte man zum Arzt gehen?
Schwangere Frauen sollten grundsätzlich an den angebotenen Vorsorge- und Kontrolluntersuchungen während der Schwangerschaft teilnehmen. Auf diesem Weg wird der aktuelle Gesundheitszustand des Fötus kontrolliert und dokumentiert. Kommt es dennoch außerhalb der Kontrolltermine zu Veränderungen und Auffälligkeiten, ist ein zusätzlicher Arztbesuch anzuraten. Hat die werdende Mutter das diffuse Gefühl, dass etwas mit ihrer Gesundheit oder der Entwicklung des heranwachsenden Kindes nicht stimmen könnte, wird ein Arzt benötigt. Veränderungen des Hautbildes, eine innere Unruhe, Herzrasen, Schlafstörungen oder Gefühle der Unsicherheit sind mit dem betreuenden Arzt zu besprechen. Schwellungen, eine starke ungewöhnliche Gewichtszunahme oder ein allgemeines Unwohlsein sollten von einem Arzt abgeklärt werden.
Können trotz aller stattgefundenen Untersuchungen und Kontrollen während der Schwangerschaft keine Auffälligkeiten festgestellt werden, wird das neugeborene Kind unmittelbar nach der Niederkunft selbständig vom Geburtshelferteam begutachtet. In den ersten routiniert ablaufenden nachgeburtlichen Tests stellen Hebammen oder anwesende Ärzte vorhandene Unregelmäßigkeiten des Gesundheitszustandes des Säuglings fest. Ein Eingreifen der Eltern ist nicht notwendig. Störungen des Herzrhythmus, Verfärbungen der Haut oder Schwellungen am Körper werden durch den Sichtkontakt mit dem Neugeborenen und in ersten Untersuchungen zur Feststellung der Körperfunktionen wahrgenommen. Sofern Handlungsbedarf besteht, erfolgen weitere Tests und zuständige Ärzte werden informiert. Dies geschieht bei einer stationären oder durch eine Hebamme begleiteten Geburt automatisch.
Behandlung & Therapie
Wenn sich der Morbus haemolyticus neonatorum schon während der Schwangerschaft entwickelt, können Bluttransfusionen über die Nabelschnur durchgeführt werden. Bei einer frühzeitigen Therapie kann so ein Hydrops fetalis vermieden werden. Bei der Hälfte aller Neugeborenen mit Rhesus-Inkompabilität liegt nur ein Neugeborenenikterus vor. Dieser ist in der Regel nicht behandlungsbedürftig. Eventuell wird eine Phototherapie durchgeführt.
Dabei wird das Kind mit Licht aus dem blauen Bereich beleuchtet. Das unkonjugierte Bilirubin, das die Gelbfärbung der Haut verursacht, wird dadurch in wasserlösliche Bilirubinderivate umgesetzt. Diese können ohne Probleme ausgeschieden werden. Bei der anderen Hälfte der Neugeborenen liegt ein schwerer Ikterus vor, der mit Blutaustauschtransfusionen behandelt werden muss.
In Einzelfällen kann die Gabe von Immunglobulinen die hämolytischen Symptome abmildern. Das Vollbild des Morbus haemolyticus neonatorum, der Hydrops fetalis, ist ein Notfall, der auf der Intensivstation behandelt werden muss. Die Kinder werden intubiert und künstlich beatmet.
Aussicht & Prognose
Je eher die Gefahr der Krankheit Morbus haemolyticus neonatorum erkannt werden kann, desto besser ist die Aussicht auf Heilungschancen. Bei den meisten der betroffenen Kinder klingt die Erkrankung ohne eine Therapie oder bereits durch den Einsatz einer speziellen Lichttherapie ab. Jedoch kann die Erkrankung in einigen besonders schweren Fällen dennoch ein lebensbedrohliches Ausmaß entwickeln, dies gilt besonders dann wenn keine passende Behandlung erfolgt. Dann besteht die Gefahr, dass betroffene Kinder an den Komplikationen von der Krankheit versterben können.
Unbehandelt führt die immer fortschreitende Hämolyse, nach der Entbindung zu einer gefährlichen Hyperbilirubinämie und kann dadurch zur Schädigung des Körpers durch das indirekte Bilirubin führen. Besonders eine Muskelschwäche bei den Neugeborenen deutet bereits auf eine beginnende Enzephalopathie hin. Mit der zunehmenden Schädigung des Hirns, entwickeln die Patienten Krampfanfälle sowie eine generalisierte Spastik. Oftmals kommen respiratorische Insuffizienz sowie Lungenblutungen hinzu.
Rund 25 Prozent der erkrankten Feten entwickeln durch das Anti-D schon in der 18. bis 35. Schwangerschaftswoche Anzeichen einer ausgeprägten Anämie, mit einer gefährlichen Hämoglobinkonzentration unter 8 g/dl. Ohne Behandlung führt dies zu Azidose, Hypoxie, Milzvergrößerung und einer Leberschädigung. Dies wiederum führt zu massiver Ödemneigung bei den betroffenen Feten. Auch weitere Komplikationen wie das Lungenödem und Lungenblutungen können zu einem frühen Tode führen.
Vorbeugung
Zur Vorbeugung bekommen Rhesus-negative Schwangere in der 28. Schwangerschaftswoche und nach der Geburt eines Rhesus-positiven Kindes Anti-D-Immunglobulin gespritzt. Die Antikörper binden sich an die Erythrozyten, die vom Kind übertragen werden. Die betroffenen Erythrozyten werden in der Milz der Mutter abgebaut, bevor das mütterliche Immunsystem eigene Antikörper bilden kann.
Nachsorge
Bei Morbus haemolyticus neonatorum sind die Maßnahmen der Nachsorge in der Regel deutlich eingeschränkt. Es handelt sich dabei um eine angeborene Krankheit, die nicht vollständig geheilt werden kann. Der Betroffene sollte aus diesem Grund schon frühzeitig einen Arzt aufsuchen, um das Auftreten von anderen Komplikationen und Beschwerden zu verhindern.
Es kann auch nicht zu einer selbstständigen Heilung kommen, wobei der Betroffene bei einem Kinderwunsch in erster Linie eine genetische Untersuchung und Beratung durchführen lassen sollte, um ein erneutes Auftreten von Morbus haemolyticus neonatorum zu verhindern. Die Betroffenen sind dabei in vielen Fällen auf eine Phototherapie angewiesen.
In vielen Fällen ist die Hilfe und Unterstützung der eigenen Familie bei dieser Krankheit ebenfalls sehr wichtig. Dabei wirkt sich auch eine psychologische Betreuung sehr positiv auf den weiteren Verlauf der Erkrankung aus und kann dabei Depressionen und andere psychische Beschwerden einschränken. Hierbei kann auch der Kontakt zu anderen Patienten von Morbus haemolyticus neonatorum sinnvoll sein, da es dabei zu einem Austausch an Informationen kommt, welcher den Alltag des Betroffenen erleichtern kann.
Das können Sie selbst tun
Die Therapie des Morbus haemolyticus neonatorum muss zwingend auf einer pädiatrischen Intensivstation durch erfahrenes Personal erfolgen. Schnell kommt es dabei bei Eltern der kleinen Patienten zu einem Gefühl der Hilflosigkeit. Das eigene Kind inmitten von Schläuchen und Maschinen zu sehen ruft ungewollte negative Emotionen hervor, die vor allem von Ängsten dominiert sind.
Viele Kliniken bieten in solchen Momenten professionellen seelischen Beistand an, der dabei helfen kann das belastende Erlebnis besser zu verarbeiten. Wichtig ist es hierbei, beide Partner und gegebenenfalls auch Geschwisterkinder mit einzubeziehen und Gefühle offen miteinander zu besprechen.
Der eigentliche Patient ist und bleibt dabei jedoch das erkrankte Kind. Mehr als alles andere benötigt es in dieser schwierigen Zeit die Nähe und Zuwendung seiner Eltern. Wann immer es daher möglich ist, sollten beide Partner an der Pflege des Neugeborenen mitwirken und diesen Wunsch auch dem professionellen Pflegeteam mitteilen. In der Regel wird dieser Bitte gerne Folge geleistet. Ein regelmäßiger Kontakt zu den Eltern trägt nachweislich zur Gesundheit des Kindes bei und bekämpft effektiv das eigene Empfinden von Machtlosigkeit.
Quellen
- Feige, A., Rempen, A., Würfel, W., Jawny, J., Rohde, A. (Hrsg.): Frauenheilkunde – Fortpflanzungsmedizin, Geburtsmedizin, Onkologie, Psychosomatik. Urban & Fischer, München 2005
- Rath, W., Gembruch, U., Schmidt, S. (Hrsg.): Geburtshilfe und Perinatologie: Pränataldiagnostik - Erkrankungen - Entbindung. Thieme, Stuttgart 2010
- Stauber, M., Weyerstrahl, T.: Gynäkologie und Geburtshilfe. Thieme, Stuttgart 2013