Orthorexie

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 11. April 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Die Orthorexie gehört zu den Essstörungen, ist als solche jedoch weder bekannt noch häufig diagnostiziert. Betroffene haben das ausgeprägte Verlangen, sich stets so gesund wie möglich zu ernähren.

Inhaltsverzeichnis

Was ist Orthorexie?

Betroffene der Orthorexie sind zwanghaft auf eine gute Qualität ihrer Nahrungsmittel fixiert. Ungesundes wird nach Möglichkeit komplett gemieden.
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Der Begriff Orthorexie leitet sich von den griechischen Wörtern „orthos“ und „orexis“ für „richtig“ und „Appetit“ ab. Im Gegensatz zu anderen Essstörungen steht bei der Orthorexie nicht die Menge der Nahrung im Vordergrund, sondern vielmehr deren Qualität. Betroffene greifen ausschließlich zu den Lebensmitteln, die sie für gesund halten. Auch die ausgeprägte Beschäftigung mit Lebensmitteln sowie das Studieren von Nährwerten gehören zum Krankheitsbild. All diese Verhaltensmuster der Orthorexie haben einen zwanghaften Charakter.

Ursachen

Ähnlich wie bei der Magersucht (Anorexia nervosa) gilt als wesentliche Ursache für die Orthorexie ein ausgeprägtes Kontrollbedürfnis. Betroffen sind meist junge Frauen aus höheren Bildungsschichten, die nicht selten perfektionistisch veranlagt sind. Viele an Orthorexie Erkrankte kompensieren durch die starke Kontrolle über ihre Ernährung einen in einem anderen Bereich des Lebens empfundenen Kontrollverlust. Dies steigert ihr Selbstwertgefühl und nimmt ihnen viele Alltagsängste.

Häufig ist eine strenge Diät mit dem Ziel der Gewichtsreduktion der Einstieg in die Orthorexie, da die Betroffenen während dieser Gefallen daran finden, den Körper beherrschen und formen zu können.

Symptome, Beschwerden & Anzeichen

Betroffene der Orthorexie sind zwanghaft auf eine gute Qualität ihrer Nahrungsmittel fixiert. Ungesundes wird nach Möglichkeit komplett gemieden. Die Gedanken Betroffener kreisen in der Folge mehrere Stunden pro Tag nicht nur um verschiedene Lebensmittel und die Planung ihrer Mahlzeiten, sondern auch darum, wie sie den Verzehr von vermeintlich ungesunden Nahrungsmitteln umgehen können.

Für die Auswahl ihrer Lebensmittel studieren Betroffene meist Nährwerttabellen oder prüfen den Vitamin- und Mineraliengehalt derselben über Tabellen aus Büchern oder dem Internet. Sie sind immer auf der Suche nach neuen, ernährungsphysiologisch noch wertvolleren Lebensmitteln und setzen alles daran, diese Lebensmittel zu bekommen. Dies kann absurde Formen annehmen wie die Bestellung über ausgewählte Quellen, beispielsweise in speziellen Online-Shops.

Dabei spielen nicht nur der Kaloriengehalt sowie die Verteilung der Makronährstoffe eine Rolle. Auch bei den Mikronährstoffen der Lebensmittel ist für die Betroffenen noch nicht Schluss. Insbesondere wenn Lebensmittel in den Medien präsent sind, da sie beispielsweise als krebserregend oder überdurchschnittlich stark mit Schadstoffen wie Pestiziden belastet eingestuft wurden, werden sie von Orthorexie-Patienten konsequent gemieden.

Während der Nahrungsaufnahme denken Betroffene stets genau über die Nährwerte der gewählten Lebensmittel nach und häufig auch darüber, wie sie ihre Mahlzeiten noch gesünder gestalten können. So können sie das Essen nicht mehr entspannt genießen.

Diagnose & Krankheitsverlauf

Die Orthorexie wird häufig nicht erkannt, da viele Ärzte den besonders ausgeprägten Hang zu einer gesunden Ernährung als vorübergehende Marotte abstempeln. Einige Ärzte sehen die Orthorexie zudem nicht als eigenständige Essstörung an, sondern vielmehr als eine gewöhnliche Zwangsstörung. Auch da die Klassifikation der Orthorexie noch keinen feststehenden Kriterien folgt, ist ihre Diagnose also schwierig.

Die Folgen der Orthorexie treten sowohl auf physischer als auch auf psychischer Ebene auf. Durch die starke Einschränkung der „erlaubten“ Lebensmittel kommt es nicht selten zu einer erheblichen Mangelernährung sowie Untergewicht. Damit einher können diverse Beschwerden wie Antriebslosigkeit, Schlafstörungen, Konzentrationsstörungen oder eine verringerte Leistungs- und Belastungsfähigkeit gehen.

Auch die Psyche kann stark unter der Orthorexie leiden. Neben der fehlenden Freude am Essen allgemein grenzen sich Betroffene häufig von ihrer Umwelt ab. Die Gedanken können mehrere Stunden am Tag rund um die Nahrungsaufnahme kreisen. Ein zwangloses gemeinsames Essen kann bei stark ausgeprägten Formen der Orthorexie nicht mehr stattfinden, außer die Betroffenen haben die angebotenen Essensmöglichkeiten vorher ausgiebig geprüft oder gar ihr eigenes Essen mitgebracht.

Häufig versuchen an Orthorexie erkrankte Menschen zudem, ihre Mitmenschen zu ihrer vermeintlich gesünderen Ernährung zu bekehren. Die Einsicht dafür, dass ihr Essverhalten bereits krankhaft ist, fehlt dabei. Solche Verhaltensmuster können zur selbstinduzierten Isolation der Patienten führen.

Komplikationen

Die Orthorexie wirkt sich negativ auf die Psyche und auch auf den Körper aus. In der Regel leiden die Patienten aufgrund der Orthorexie an einer Essstörung. Diese Essstörung wirkt sich sehr negativ auf die Lebensqualität des Patienten aus und kann auch zu erheblichen sozialen Beschwerden führen. In den meisten Fällen kommt es dabei zu einer Mangelernährung und weiterhin auch zu Mangelerscheinungen. Diese können zu anderen Symptomen führen.

Ebenso führt die Orthorexie nicht selten zu einem starken Gewichtsverlust. In schwerwiegenden Fällen können die Betroffenen auch das Bewusstsein verlieren. Durch die psychischen Beschwerden kommt es mitunter zu Störungen der Persönlichkeit oder zu einer Zwangsstörung. Auch Depressionen oder weitere psychische Verstimmungen können durch diese Krankheit auftreten. In schwerwiegenden Fällen sind die Betroffenen dabei auf eine Behandlung in einer geschlossenen Klinik angewiesen.

Auch Störungen der Konzentration oder Angstzustände können aufgrund einer Orthorexie auftreten. Die Behandlung erfolgt in der Regel bei einem Psychologen. In ambulanten Fällen ist allerdings eine stationäre Behandlung notwendig. Komplikationen treten dabei nicht ein. Allerdings führt nicht jede Behandlung zum Erfolg. In vielen Fällen schlägt die Behandlung auch erst nach einem sehr langen Zeitraum an.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

Das normale Interesse für gesundes Essen hat keinen Krankheitswert. Auch nicht ein starkes, einseitig wirkendes Interesse, das beruflich verwertet werden soll. Schwierig wird es, wenn die Betroffenen zwanghaft auf den Gesundheitswert von Essen achten. Viele Orthorexiker auferlegen sich strikte Regeln über das, was gegessen wird und was nicht.

Der unterscheidende Faktor zwischen einer Orthorexie und leicht gestörtem Verhalten ist die Pathologisierung der Interessen. Im Fall pathologischer Züge und einer Besessenheit gehört der Betroffene wegen seiner Essstörung zum Arzt. Alternativ könnte er sich an eine auf Essstörungen spezialisierte Anlaufstelle wenden, wo Essgestörte psychologische Betreuung erhalten.

Die Diskussionen um die Orthorexia nervosa werden kontrovers geführt, weil die Übergänge zwischen einem starken Interesse und krankhaften Zügen oft fließend sind. Auch Veganer oder Paleo-Fans zeigen eine gewisse Konsequenz im Essverhalten. Manche entwickeln dabei starke missionierende Kampfbereitschaft. Einen Krankheitswert muss das aber nicht haben.

Der Krankheitswert ist jedoch gegeben, wenn der Betroffene unter seinem eigenen Verhalten leidet und es dennoch nicht abstellen kann. In diesem Fall ist anzunehmen, dass das übermäßige Interesse für gesundes Essen andere seelische Probleme überlagert. Ob es sich bei der Orthorexie tatsächlich um eine Essstörung handelt oder eine zwanghafte bzw. suchtartige Strategie, sich von anderen Problemen abzulenken, muss einzeln von einem Mediziner eingeschätzt werden.

Behandlung & Therapie

Ziel der Therapie bei der Orthorexie ist es, den Betroffenen wieder ein normales und entspanntes Verhältnis zum Essen zu vermitteln. Die Betroffenen lernen bei einer Psychotherapie wieder vermeintlich ungesunde Lebensmittel in ihren Alltag zu integrieren, die sie im Zuge der Essstörung gemieden haben. Die Lebensmittel sollen nicht weiter ausschließlich nach ihren Nährwerten oder nach sonstigen Gesundheitsaspekten ausgewählt werden. Begleitend dazu soll die teils stundenlange Fixierung der Gedanken rund um Lebensmittel und die Nahrungsaufnahme gelockert werden.

Sollte es im Zuge der Orthorexie zu einer Mangelernährung und damit einhergehendem Untergewicht gekommen sein, ist ein weiteres Ziel eine Gewichtszunahme in den Bereich des Normalgewichts. In manchen Fällen ist es zudem notwendig, den Betroffenen wieder das unbeschwerte Essen in Gesellschaft nahezubringen.


Aussicht & Prognose

Die als "orthorexia nervosa" bezeichnete Erkrankung wird bisher auf offizieller Seite nicht als Essstörung anerkannt. In den USA halten die Fachleute die von gesundem Essen besessenen Menschen aber für gestört und psychisch krank. Sie haben das gesunde Verhältnis zur Nahrung zugunsten von einem zwanghaft ungesunden Verhältnis zu deren vermuteten Gesundheitsnutzen aufgegeben.

Ob es sich bei der Orthorexie um eine Zwangsstörung oder eine Essstörung handelt, ist nicht ganz geklärt. Schließlich essen die Betroffenen ausschließlich gesunde Nahrungsmittel. Lediglich die zwanghafte stundenlange Beschäftigung damit ist nicht gesund. Vielfach werden die Nahrungsmittel nach strikten Kriterien ausgewählt, die für andere nicht nachvollziehbar sind.

Problematisch ist jedoch, dass die mangelnde Einordnung der Orthorexie in Ess- oder Zwangsstörungen auch die Behandlungsmöglichkeiten einschränkt. Weder die Therapieansätze für Essgestörte, noch die für Zwangsgestörte sind voll umfänglich anwendbar. Die Orthorexie kann zudem bei den Betroffenen mit anderen Essstörungen kombiniert vorliegen. Ein Orthorektiker kann zusätzlich an Bulimie oder Magersucht leiden. In diesem Fall sind die Behandlungsoptionen etwas größer.

Die Heilungsaussichten hängen jedoch vom Mitwirken der Betroffenen ab. Bei Magersüchtigen oder Bulimikern ist die Krankheitseinsicht oft sehr gering. Daher kann nur einem Teil der Betroffenen geholfen werden. Solange die Betroffenen die Ursachen und den Krankheitswert der Orthorexie verstehen, ist die Heilungsprognose ungewiss.

Vorbeugung

Nicht nur, weil sie sich häufig schleichend einstellt und noch wenig Anerkennung als Krankheitsbild findet, ist die Vorbeugung der Orthorexie ist schwierig. Wichtig ist das Bewusstsein, dass eine ausgewogene Ernährung nicht ausschließlich aus gesunden Lebensmitteln besteht und auch der Genuss eine Rolle spielt. Ein gesundes Selbstbewusstsein nicht nur bezüglich des Essverhaltens sowie das kritische Hinterfragen von gesundheitsbezogenen Meldungen über verschiedene Lebensmittel können bei der Vorbeugung der Orthorexie helfen.

Nachsorge

Dem Betroffenen stehen bei einer Orthorexie in den meisten Fällen nur wenige und auch nur eingeschränkte Maßnahmen oder Möglichkeiten der Nachsorge zur Verfügung, sodass bei dieser Krankheit in aller erster Linie eine schnelle Diagnose mit einer anschließenden Behandlung stattfinden muss. Es kann dabei auch nicht zu einer selbstständigen Heilung kommen, sodass der Betroffene in der Regel immer auf einen Besuch bei einem Arzt bei dieser Krankheit angewiesen ist.

In der Regel ist bei der Orthorexie eine Psychotherapie notwendig. Vor allem die Eltern, die Angehörigen und die Freunde des Patienten müssen diesen während der Behandlung unterstützen und diesen auf die Symptome und Beschwerden der Erkrankung hinweisen. Dabei sollten auch die Auslöse der Krankheit möglichst vermieden werden, damit es auch nach einer vollständigen Heilung nicht zu einem Rückfall kommt.

Im Allgemeinen kann auch ein Arzt dem Patienten einen Ernährungsplan verschreiben, welcher auf jeden Fall einzuhalten ist. Es sind auch liebevolle und intensive Gespräche mit der eigenen Familie sehr wichtig, um Depressionen oder andere psychische Beschwerden zu verhindern. Häufig ist auch der Kontakt zu anderen Betroffenen der Orthorexie sehr sinnvoll, da es dabei zu einem Austausch an Informationen kommt, welcher den Alltag des Betroffenen erleichtern kann.

Das können Sie selbst tun

Besteht der Verdacht, dass eine Person an einer Orthorexia nervosa leidet, empfiehlt sich ein Arztbesuch. Da das Krankheitsbild nicht genau definiert ist, muss ein Fachmann beurteilen, ob der Betroffene tatsächlich an einer Essstörung leidet.

Liegt eine Essstörung vor, so muss das obsessive Verhalten reduziert werden. Dies gelingt durch eine Verhaltenstherapie und eine Umstellung der gewohnten Routinen. Der Patient kann beispielsweise Notizen verwenden, um sich bei einer übermäßigen Beschäftigung mit Lebensmitteln zu ertappen. Diese Rolle können auch Freunde und Angehörige übernehmen. Außerdem sollten Literatur, Dokumentationen und sonstiges Material, das zu einem obsessiven Verhalten verleitet, entsorgt werden.

Währenddessen gilt es, die Ursache für die Orthorexia nervosa zu finden. Oft liegen dem pathologischen Leiden Minderwertigkeitskomplexe zugrunde. Diese müssen im Rahmen einer Therapie aufgearbeitet werden. Der Patient sollte sich in jedem Fall an einen Psychologen wenden und mit diesem über sein Problem sprechen. Zunächst können Betroffene sich Rat in Foren oder in Selbsthilfegruppen einholen. Der wichtigste Schritt besteht darin, die übermäßige Beschäftigung mit der Qualität von Lebensmitteln zu erkennen. Anschließend kann der Entschluss gefasst werden, die Verhaltensstrukturen gezielt zu durchbrechen.

Quellen

  • Arolt, V., Reimer, C., Dilling, H.: Basiswissen Psychiatrie und Psychotherapie. Springer, Heidelberg 2007
  • Lieb, K., Frauenknecht, S., Brunnhuber, S.: Intensivkurs Psychiatrie und Psychotherapie. Urban & Fischer, München 2015
  • Möller, H.-J., Laux, G., Deister, A.: Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie. Thieme, Stuttgart 2015

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