Renale tubuläre Azidose
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 14. März 2024Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
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Als renale tubuläre Azidose wird eine Störung der Nieren bezeichnet, die zu einer Übersäuerung des Blutes führt. Da mehrere Mechanismen vorhanden sind, deren Defekt zu einer metabolischen Azidose führen können, wird die Erkrankung in vier Klassen unterteilt. Es wird also zwischen der distalen (Typ I), der proximalen (Typ II), einer gemischten Form aus Typ I und Typ II (also Typ III) und der hyperkaliämischen (Typ IV) Azidose unterschieden.
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Was ist eine renale tubuläre Azidose?
Renale tubuläre Azidosen entstehen meistens durch defekte Antiporter und Transportkanäle in den Epithelzellen. Als Antiporter werden spezialisierte Kanäle in den Epithelzellen bezeichnet, durch die bestimmte Moleküle miteinander ausgetauscht werden können. Um eine genaue Ursache des Defekts nachvollziehen zu können, müssen zunächst die Resorptionsprozesse erläutert werden.
Die Resorptionsprozesse im Tubulus des Nephrons beginnen mit dem Austausch von Wasserstoffionen (H+) aus den anliegenden Epithelzellen mit Natrium aus dem Tubulus. Dieser Prozess findet über den Natrium/ Wasserstoff- Antiporter statt. Ein Molekül Bikarbonat (Hydrogencarbonat, HCO3) ist zu groß um über einen Antiporter resorbiert werden zu können. Deswegen muss Bikarbonat zunächst mit dem Wasserstoffion, das mit Natrium ausgetauscht wurde, zu Kohlensäure reagieren.
Die Reaktion wird chemisch beschrieben als HCO3 + H+ = H2CO3. Die Kohlensäure zerfällt als nächstes in Wasser(H2O) und Kohlenstoffdioxid(CO2). Kohlenstoffdioxid kann durch die Zellwand entweichen und löst innerhalb der Epithelzelle eine umgekehrte Reaktion aus, die sich wiederum in zwei Schritten vollzieht. Zunächst reagieren Kohlenstoffdioxid und Wasser zu Kohlensäure (CO2 + H20 = H2CO3).
Die Kohlensäure spaltet sich nun auf in Bikarbonat und ein Wasserstoffion (H2CO3 = HCO3 + H+). Das Bikarbonatmolekül ist nun über mehrere chemische Reaktionen in der Epithelzelle angekommen und kann über den Natrium- Bikarbonat-Cotransporter (NBC1) wieder in den Blutkreislauf aufgenommen werden.
Ursachen
Ein weiterer Grund für eine Azidose Typ I kann ein Defekt am Natrium-Bikarbonat-Cotransporter sein. Hier lagert das Bikarbonat zwar schon in der Epithelzelle, kann aber aus dieser nicht in den Blutkreislauf entweichen. Ursachen für die Azidose Typ II werden ebenfalls durch defekte Transportkanäle ausgelöst. Die Lokation des Defekts ist jedoch am proximalen und nicht am distalen Tubulus zu finden.
Symptome, Beschwerden & Anzeichen
Bei der Typ IV Azidose kann das Aldosteron innerhalb der Zelle keine erhöhte Natriumaufnahme gewährleisten. Häufig ist hierfür ebenfalls ein defekter Natrium-Hydrogen- Antiporter verantwortlich. Durch die Blockierung und Ausschwemmung von Natrium kann nicht genug Wasser resorbiert werden.
Als Folge kommt es zur Dehydratation, Hyperaldosteronismus und weiteren Beschwerden. Die Ursachen für defekte Transportkanäle sind mannigfaltig. Weitere Ursachen für eine renale tubuläre Azidose, die nicht mit defekten Transportkanälen und Antiportern zusammenhängen, sind ebenfalls vorhanden.
Diagnose & Krankheitsverlauf
Die renal tubuläre Azidose Typ I ist die am häufigsten auftretende Form. Sie entsteht durch Sekretionsstörungen von Wasserstoffionen (H+) im distalen Tubulus. Wasserstoffionen gewährleisten im distalen Tubulus eine Rückresorption von Bikarbonat. Bikarbonat spielt eine wichtige Rolle im Säure-Basen-Haushalt des Körpers. Eine mangelhafte Resorption von Bikarbonat kann deshalb eine Azidose auslösen.
Die Niere scheidet durch die schlechte Rückresorption vermehrt Natrium und Kalium aus. Der Urin wird nur mangelhaft angesäuert und erreicht maximal einen PH-Wert, der größer oder gleich sechs ist (Urin-Ph > 6). Infolgedessen tritt eine metabolische Azidose ein, die wegen der fortschreitenden mangelhaften Sekretion von Wasserstoffionen nicht vom Körper ausgeglichen werden kann.
Es entstehen durch die Ausschwemmung von Natrium und Kalium weitere Krankheitsbilder. Durch den niedrigen Kaliumhaushalt kann es zur Hypokaliämie kommen. Die mangelhafte Resorption von Natrium führt zur Volumendepletion des Blutes und fördert einen Hyperaldosteronismus und eine Hypercalciurie. Chronische Verläufe der renal-tubulären Azidose Typ I gehen häufig mit Nierensteinen (Nephrolithiasis) oder Nephrokalzinose einher.
Komplikationen
Eine weitere Komplikation der renal-tubulären Azidose Typ I ist die Bildung von Nierensteinen. Diese können zu Nierenkoliken und Urinstau führen. Ein Urinstau verursacht häufig eine Nierenschädigung mit Nierenbeckenentzündung und Urämie. Bei der Urämie sammeln sich harnpflichtige Substanzen im Blut an. Im schlimmsten Fall treten krankhafte Veränderungen im Gehirn auf, die oft mit Bewusstseinsstörungen bis zum Koma verbunden sind. Die renal-tubuläre Azidose Typ II führt häufig zu Osteoporose und Knochenerweichung.
Hier ist die Gefahr von Knochenbrüchen und Verformung der Knochen erhöht. Außerdem treten bei Kindern Wachstumsstörungen und rachitische Veränderungen auf. Nierensteine werden in der Regel nicht gebildet. Die renal-tubuläre Azidose Typ III ist eine Mischform der Typen I und II. Hier können alle Komplikationen dieser beiden Typen vorkommen.
Schließlich ist die renal-tubuläre Azidose Typ IV von einer Hyperkaliämie gekennzeichnet, die unbehandelt lebensbedrohlich werden kann. Es kann zu schweren Herzrhythmusstörungen kommen. Manchmal ist der Herz-Kreislauf-Stillstand sogar das einzige Symptom, welches bei einer Hyperkaliämie auftritt.
Wann sollte man zum Arzt gehen?
Renale tubuläre Azidosen sollten nicht unbehandelt bleiben. Egal, ob sie angeboren oder erworben sind, ist die renale Säureausscheidung gestört. Wenn diese Störung nicht behandelt wird, wird die Azidose metabolisch. Diese Folgerung gilt für alle Formen der renalen tubulären Azidose, also den Typus I-IV.
Die Schädigung der Nierentubuli verhindert, dass genügend Säure aus dem Blut herausgefiltert wird. Die übermäßige Säurekonzentration im Blut ist messbar. Sie muss einen Ausgleich finden, da sonst das Säure-Basen-Gleichgewicht gestört wird. Die Auswirkungen können beispielsweise in geschwächter Muskulatur oder in einer Reflexminderung zu finden sein. Der Elektrolythaushalt wird zunehmend gestört.
Renale tubuläre Azidosen können als Erbkrankheiten bei Kindern auftreten. Sie können aber auch als vorübergehende Folge anderer Erkrankungen eintreten. Infrage kommen beispielsweise Autoimmunerkrankungen oder Diabetes mellitus. Auch die Verordnung bestimmter Medikamente kann dazu führen. Im Fall der Auslösung durch ein Arzneimittel muss dieses möglicherweise ausgewechselt werden.
Die Frage ist, ob eine renal-tubuläre Azidose überhaupt auffällt. Arztbesuche unterbleiben oft, wenn es durch die renal-tubuläre Azidose zu Folgeerscheinungen wie einem niedrigen oder hohen Kaliumgehalt im Blut, zu Dehydration oder Nierensteinen kommt. Selbst bei schmerzhaften Knochenerweichungen wird nicht unbedingt auf eine renal-tubuläre Azidose geschlossen. Dennoch sollte bei solchen Symptomen an eine renal-tubuläre Azidose gedacht werden.
Behandlung & Therapie
Durch die Verabreichung von Natriumhydrogencarbonat und Citraten kann schnell eine Verbesserung des Zustandes beobachtet werden. Eine Verabreichung von Kalium ist bei einhergehendem, niedrigem Kaliumhaushalt ebenfalls zweckmäßig. Die renal-tubuläre Azidose Typ II zeichnet sich durch einen persistierenden Defekt der Resorption im proximalen Tubulus aus.
Bei der Typ II Azidose wird ebenfalls zu wenig Bikarbonat resorbiert. Allerdings besteht der Resorptionsdefekt nicht im distalen Tubulus. Aufgrund der anderen Lokation des Defektes bleibt die Harnsäuerung im distalen Tubulus intakt. Die Übersäuerung, die durch das fehlende Bikarbonat eingeleitet wird, tritt zwar ebenfalls bei der Azidose TypII auf, zusätzliche Valenzen können jedoch durch die intakten Funktionen des distalen Tubulus ausgeschieden werden.
Die Folgesymptome der renal-tubulären Azidose Typ II sind, trotz der Möglichkeit, den Säureüberschuss abzuführen, der Azidose Typ I sehr ähnlich. Ein hoher Natrium- und Kaliumverlust geht einher mit Volumendepletion und Hyperaldosteronismus. Beschwerden wie Nephrokalzinose und Nephrolithiasis stehen bei der TypII Azidose nicht an. Große Mengen von Natriumcitrat oder Natriumlaktat können schnell eine Besserung herbeiführen.
Vorbeugung
Die renal-tubuläre Azidose Typ IV wird durch eine mangelnde Natriumresorption im distalen Tubulus ausgelöst. Begründet wird die defekte Resorption durch einen Aldosteronmangel oder eine Aldosteronresistenz. Die Azidose Typ IV löst eine Hyperkaliämie aus. Die Ansäuerung des Harns ist jedoch nicht betroffen und funktioniert einwandfrei. Eine schwere Hyperkaliämie kann durch eine kaliumarme Ernährung vermieden werden.
Nachsorge
Um Folgeerkrankungen wie Nierensteine oder Osteoporose zu verhindern, ist es auch nach einer erfolgreich therapierten Renalen tubulären Azidose sehr wichtig, erneut auftretende Mangelzustände, sowie eine Verschlechterung der Nierenfunktion frühzeitig zu erkennen. Hierzu ist es elementar, regelmäßige Kontrollen der Kalium-, Natrium- und Nierenwerte im Blut, sowie regelmäßige ph-Tests des Urins unter Gabe von Ammoniumchlorid beim behandelnden Arzt durchzuführen.
Die Nachbehandlung und die Grenzwerte richten sich nach der Art der Renal tubulären Azidose. Liegt eine distale Renal tubuläre Azidose vom Typ 1 vor, ist es notwendig, lebenslang Kalium als Nahrungsergänzungsmittel zu nehmen und bei einer Verschlechterung der Werte zusätzlich Infusionen mit Kalium zu geben, um einen erneuten Ausbruch der Azidose sowie die Entstehung von Folgeerkrankungen zu verhindern. Bei einer proximalen Renal tubulären Azidose vom Typ 2 müssen lebenslang Natriumpräparate zugeführt werden.
Bei einer Verschlechterung der Werte im Blut können auch hier zusätzliche Infusionen notwendig sein, um den erneuten Ausbruch der Azidose und das Entstehen von Folgeerkrankungen zu verhindern. Liegt eine Renal tubuläre Azidose vom Typ 3 vor, müssen die Behandlung von Typ 1 und Typ 2 kombiniert werden. Bei einer Renal tubulären Azidose vom Typ 4 hingegen muss lebenslang eine kaliumarme Diät eingehalten werden, da die Möglichkeit einer Kaliumvergiftung besteht.
Das können Sie selbst tun
Mit der renalen-tubulären Azidose lässt es sich im Alltag gut zurechtkommen. Bei ersten Symptomen ist es wichtig, diese frühzeitig von einem Arzt abklären zu lassen. So können schwere Elektrolytstörungen vermieden werden.
Bei renaler-tubulärer Azidose Typ I sollte täglich Natriumbikarbonat getrunken werden. Um dem Risiko einer Hypokaliämie vorzubeugen, kann der Kaliumspiegel durch die Ernährung beeinflusst werden. Es empfiehlt sich der Verzehr von kaliumreichen Lebensmitteln. Das sind beispielsweise Nüsse, Hefe, Trockenobst, Bananen, Tomaten, Pilze, Kakao und Schokolade oder Kräuter.
Bei renaler-tubulärer Azidose Typ IV hingegen sollte eine kaliumarme Ernährung angestrebt werden. Der Verzicht auf kaliumreiche Lebensmittel und der vermehrte Konsum von kaliumarmen Lebensmitteln kann den Kaliumhaushalt auf einfache und alltagstaugliche Weise senken. Lebensmittel wie Reis, Grieß, Tofu, Zitronen oder Milchprodukte sind von Natur aus kaliumarm. Auch die Zubereitung von Speisen kann Einfluss auf den Kaliumgehalt haben. Kartoffeln sollten bei 70 Grad schonend gegart und langsam abgekühlt werden. Das Kochwasser sollte nicht konsumiert werden. Auf diese Weise lassen sich bis zu 80 Prozent Kalium reduzieren. Grundsätzlich ist es ratsam auch andere Lebensmittel abzukochen um die darin enthaltene Kaliumkonzentration zu verringern. Außerdem sollte anstatt Kaffee lieber Tee getrunken werden - Tee enthält deutlich weniger Kalium. Darüberhinaus kann die Einnahme von Entwässerungsmitteln hilfreich sein.
Quellen
- Braun, J., Dormann, A .J.: Klinikleitfaden Innere Medizin. Urban & Fischer, München 2013
- Hahn, J.-M.: Checkliste Innere Medizin. Thieme, Stuttgart 2013
- Keller, C.K., Geberth, S.K.: Praxis der Nephrologie. Springer, Berlin 2010