Tic und Tourette-Syndrom

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 12. März 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Bei einem Tourette-Syndrom kommt es zu chronischen Tics bzw. Ticstörungen. Tics sind dabei unwillkürlich auftretende Laute oder Worte, die meist von ebenso ungesteuerten ruckartigen und schnellen Bewegungen (z.B. Zucken) begleitet werden.

Inhaltsverzeichnis

Was ist das Tourette-Syndrom?

Das Ausführen von obszönen Gesten, Beleidigungen oder andere unangenehme Handlungen sind ebenfalls Bestandteil der Erkrankung.
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Als Tourette-Syndrom wird eine neurologisch-psychiatrische Erkrankung bezeichnet, deren Ursachen bis heute nicht vollständig geklärt sind. Die Bezeichnung der Erkrankung geht auf den französischen Neurologen Georges Gilles de la Tourette zurück, der 1885 das Tourette-Syndrom erstmals wissenschaftlich beschrieb.

Charakteristische Symptome des Tourette-Syndroms sind motorische und vokale Tics, d.h. plötzlich auftretende, unkontrollierte, arhythmische Bewegungen bestimmter Muskelgruppen (motorische Tics) sowie ungesteuerte Lautäußerungen (vokale Tics). Dabei ist die oft mit dem Tourette-Syndrom in Verbindung gebrachte, unkontrollierbare Neigung zu obszönen Äußerungen (Koprolalie) lediglich bei etwa einem Fünftel der Betroffenen zu beobachten und stellt kein charakteristisches Symptom des Tourette-Syndroms dar.

Daneben können bei Betroffenen des Tourette-Syndroms Symptome wie AD(H)S, Zwangshandlungen, Angst- und Zwangsstörungen sowie Depressionen beobachtet werden (Komorbidität).

Ursachen

Das Tourette-Syndrom kann genetisch und nicht-genetisch bedingt sein. Nach neueren Studien ist beim genetisch bedingten Tourette-Syndrom nicht ein einzelnes Gen, sondern mehrere Gene für die Vererbung des Tourette-Syndroms verantwortlich, wobei diese, wie auch der genaue Vererbungsmechanismus, bis heute nicht hundertprozentig bestimmt werden konnten.

Als gesichert gilt, dass Kinder eines am Tourette-Syndrom erkrankten Elternteils mit einer 50-prozentigen Wahrscheinlichkeit die Erkrankung erben und Männer häufiger betroffen sind als Frauen.

Darüber hinaus wird das Tourette-Syndrom auf einen gestörten Stoffwechsel im dopaminergen System des Gehirns zurückgeführt. Der Neurotransmitter Dopamin ist bei Betroffenen des Tourette-Syndroms übermäßig aktiv und führt zu einer Störung der motorischen Abläufe. Dieses Stoffwechselungleichgewicht wird durch emotionale Reize (wie Stress, Freude) verstärkt und löst die für das Tourette-Syndrom typischen Tics aus.

Bei einem sehr geringen Teil der vom Tourette-Syndrom Betroffenen wird eine bakterielle Streptokokken-Infektion im Kindesalter (wie Scharlach, Mandelentzündung) als Auslöser der Erkrankung vermutet (PANDAS-Syndrom).

Symptome, Beschwerden & Anzeichen

Bei den Betroffenen treten wiederholt schnelle körperliche Bewegungen (motorische Tics), Lautäußerungen (vokalische Tics) oder eine Kombination aus diesen beiden Handlungen auf, die keinem Zweck dienen. Die Betroffenen können die Tics zwar hinauszögern, aber nicht unterdrücken. Liegt das Tourette-Syndrom vor, kommt es zu einer Kombination mehrerer motorischer mit mindestens einem vokalischen Tic.

In vielen Fällen treten einfache motorische Tics wie Augenblinzeln, Grimassieren, Kopfrucken oder Schulterrucken auf. Seltener kommt es zu komplexen motorischen Tics wie Springen, Berührung von Menschen und Gegenständen, Kopropraxie (Ausführung obszöner Gesten), Körperverdrehungen oder Riechen. Ein weiteres Symptom ist wiederholtes selbstverletzendes Verhalten.

So schlagen die Betroffenen etwa den Kopf gegen die Wand oder bestimmte Gegenstände, schlagen oder kneifen sich selbst. Zu den einfachen vokalischen Tics, die häufig auftreten, zählen Grunzen, Quieken, Räuspern, Fiepen, Zunge schnalzen oder Schnüffeln. Oftmals leiden die Betroffenen ferner unter komplexen vokalischen Tics wie Koprolalie (Ausstoßen obszöner Worte), Echolalie (Wiederholung von gerade gehörten Lauten oder Wortfetzen) oder Palilalie (Wiederholung von gerade selbst gesprochenen Worten).

Die Betroffenen neigen in Gesprächen allgemein dazu, Worte und kurze Sätze, die in keinem Zusammenhang zum Gesprächsthema stehen, plötzlich herauszuschleudern. Im Zusammenhang mit dem Tourette-Syndrom stehen außerdem Depressionen, Schlafstörungen, Lernschwierigkeiten und allgemeine Unruhe.

Diagnose & Verlauf

Für das Tourette-Syndrom liegen keine neuro-psychologischen Diagnoseverfahren vor, die Diagnose wird ausschließlich anhand der Symptomatik, d.h. der vorhandenen Symptome, gestellt. Ein Tourette-Syndrom liegt vor, wenn vor dem 21. Lebensjahr mindestens zwei motorische und ein vokaler Tic über einen Zeitraum von mindestens einem Jahr beobachtbar sind. Die meisten vom Tourette-Syndrom Betroffenen erkranken zwischen dem 6. und 8. Lebensjahr.

Das Tourette-Syndrom weist einen chronischen Verlauf auf und zeichnet sich durch einen schleichenden Erkrankungsbeginn aus. Im weiteren Erkrankungsverlauf unterliegen die Tics sowohl hinsichtlich der Intensität als auch der Häufigkeit starken Schwankungen und erreichen ihre stärkste Ausprägung vorwiegend während der Pubertät. Bei der Mehrheit der vom Tourette-Syndrom Betroffenen ist eine deutliche Abnahme der Tics im Erwachsenenalter zu beobachten.

Komplikationen

Das Tic und Tourette-Syndrom wirkt sich sehr negativ auf die Lebensqualität des Betroffenen aus und kann dabei auch zu starken sozialen Spannungen führen. Vor allem für Außenstehende können die Tics und Störungen sehr seltsam erscheinen, sodass die Betroffenen häufig gemobbt oder gehänselt werden. Allerdings kommt es in einigen Fällen auch zu aggressiven Handlungen gegen Erkrankte.

In der Pubertät kann es aufgrund des Tic und Tourette-Syndroms daher zu starken psychischen Beschwerden oder zu Depressionen kommen. Auch verschiedene Muskelgruppen werden von dem Syndrom unwillkürlich bewegt, sodass es zu Zuckungen und möglicherweise auch zu einem Krampf kommen kann. Die Ausprägung des Syndroms nimmt allerdings in vielen Fällen mit dem Alter ab, sodass sich der Alltag der Betroffenen normalisiert.

Eine kausale Behandlung des Tic und Tourette-Syndroms ist leider nicht möglich. Die Betroffenen sind auf verschiedene Therapien angewiesen, die die Beschwerden lindern und die Tics einschränken können. Allerdings kann dabei ein positiver Verlauf nicht garantiert werden. Weiterhin können auch Medikamente eingenommen werden. Komplikationen treten dabei nicht auf. Auch die Lebenserwartung des Patienten wird durch das Tic und Tourette-Syndrom in der Regel nicht negativ beeinflusst.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

Bei Auffälligkeiten des Verhaltens oder der Motorik ist grundsätzlich eine besondere Sorgfaltspflicht walten zu lassen. Ein Arzt wird benötigt, sobald es zu unwillkürlichen oder nicht steuerbaren Bewegungsimpulsen oder anderen Besonderheiten kommt. Ein Kontrollverlust über die Lautgebung ist ein Warnsignal des Organismus. Ein Arzt wird benötigt, um eine Ursachenforschung einzuleiten. Schlafstörungen, eine allgemeine Unruhe, Nervosität und Konzentrationsprobleme weisen auf eine Unregelmäßigkeiten hin.

Die Beschwerden sind einem Arzt vorzustellen, da der Betroffene eine medizinische Versorgung benötigt. Die Wiederholung von gerade gehörten Lauten, ohne dass eine Sinnhaftigkeit hinter diesem Vorgang steht, gilt als Anlass zur Besorgnis. Bei einem selbstverletzenden Verhalten sollte schnellstmöglich ein Arzt konsultiert werden. Ein Schlagen mit den Händen an die Wand, das Hämmern des Kopfes an Gegenstände oder ungewöhnliche Verdrehungen des Körpers deuten auf eine vorliegende Erkrankung hin.

Die Betroffenen können ihre Handlungen nicht erklären und haben in den meisten Fällen keinen auslösenden Reiz. Gelangen Worte oder Teile eines Satzes ohne Kontrolle aus dem Mund des Betroffenen, ist ein Arzt von den Beobachtungen zu unterrichten. Das Ausführen von obszönen Gesten, Beleidigungen oder andere unangenehme Handlungen sind ebenfalls Bestandteil der Erkrankung. Störungen der Gedächtnistätigkeit, Lernschwierigkeiten oder ein Rückzugsverhalten aus der Teilhabe am sozialen Leben sind mit einem Arzt zu besprechen.

Behandlung & Therapie

Das Tourette-Syndrom ist, da dessen Ursachen bisher nicht vollständig geklärt werden konnten, weder medikamentös noch psychotherapeutisch heilbar. Entsprechend können lediglich die Symptome des Tourette-Syndroms mithilfe pharmakologischer und/oder psychologischer Therapiemaßnahmen gelindert werden.

Im Rahmen psychotherapeutischer Maßnahmen können Methoden zur Stressbewältigung sowie Entspannungstechniken erlernt werden. Besonders positive Resultate werden durch die sogenannte Reaktionsumkermethode erreicht, bei welcher die vom Tourette-Syndrom Betroffenen in der Wahrnehmung erster Anzeichnen möglicher Tics geschult werden und lernen, Mechanismen der Gegenregulation zu entwickeln.

Eine zusätzliche medikamentöse Behandlung sollte hingegen erst dann in Betracht gezogen werden, wenn die Symptome besonders ausgeprägt sind und als störend empfunden werden. Auch die bisher entwickelten pharmakologischen Behandlungsmethoden setzen nicht an der Ursache, sondern an der Symptomatik an.

Gute Resultate werden diesbezüglich mit Dopamin-Antagonisten erreicht. Diese werden von den Rezeptoren des Botenstoffs Dopamin gebunden und verhindern ein Andocken des Botenstoffs, so dass dieser blockiert und das oben beschriebene Stoffwechselungleichgewicht im dopaminergen System minimiert wird. Ein in Deutschland in vielen Fällen eingesetztes Medikament dieser Gruppe ist Tiaprid.


Vorbeugung

Für das Tourette-Syndrom existieren keine vorbeugenden Maßnahmen. Dennoch ist es sinnvoll, Stress auslösende Situationen zu meiden bzw. den Umgang mit diesen zu erlernen. Einigen Studien zufolge können einige nicht-genetische, umweltbedingte oder psychosoziale Faktoren das Tourette-Syndrom zwar nicht verursachen, jedoch die Ausprägung und Stärke der Erkrankung beeinflussen. So stellen beispielsweise Rauchen und Stress während der Schwangerschaft sowie Komplikationen während der Geburt Risikofaktoren dar, die die Ausprägung der für das Tourette-Syndrom typischen Tics verstärken können.

Nachsorge

Nach dem heutigen Erkenntnisstand ist das Tourette-Syndrom nicht vollständig heilbar. Die Krankheit kann mit Medikamenten nur gelindert werden. Der Patient muss ein Leben lang mit seinen Tics im Alltag zurechtkommen können. Aus diesem Grund ist eine Nachsorge sinnvoll. Sie erfolgt verhaltenstherapeutisch unter Anleitung eines Facharztes oder Psychologen. Das Ziel der nachsorgenden Betreuung ist ein angemessener Umgang mit dem Syndrom.

Im Rahmen der Nachsorge erlernt der Patient Wege zur Impulskontrolle. Für eine erfolgreiche Genesung sind regelmäßige Termine beim Verhaltenstherapeuten notwendig. Betroffene vom Tourette-Syndrom erfahren in ihrem Umfeld häufig Unverständnis und Zurückweisung. Auf dem Arbeitsplatz bilden sie eine Risikogruppe für Mobbing. Im familiären Bereich kann sich der Patient ebenfalls abgelehnt fühlen.

Depressionen oder ein vermindertes Selbstbewusstsein sind die Folge. In diesem Fall erfolgt die Nachsorge psychotherapeutisch. Die Prävention seelischer Störungen hat hierbei Priorität. Sie bezieht nahestehende Personen mit ein, wenn sie sich mit dem Zustand des Patienten überfordert fühlen.

Tourette-Patienten können einen normalen Beruf ergreifen. Viele von ihnen verfügen über eine ausgeprägte Kreativität. Die Nachsorge zielt auf das Herausarbeiten und (berufliche) Umsetzen der individuellen Begabung ab. Über das Bewusstwerden der eigenen Fähigkeiten erhöht sich das Selbstvertrauen des Patienten.

Das können Sie selbst tun

Beim Tourette-Syndrom handelt es sich um eine neurologische Erkrankung des Nervensystems, die vorwiegend genetisch bedingt ist. Es verläuft in der Regel chronisch, es ist also weder heil- noch therapierbar. Lediglich die Symptome können durch eine pharmakologische oder psychologische Verhaltenstherapie verbessert werden.

Eine Verhaltenstherapie kann durch gezielte Übungen dazu führen, dass Tics reduziert oder gezielt unterdrückt werden können, wodurch sich der Alltag der betroffenen Personen verbessert bzw. halbwegs normalisiert. Hierbei ist besonders das "Habit-Reversal-Training" zu erwähnen, das als besonders hilfreiche Form gilt, um Tics zu behandeln. In Deutschland gibt es allerdings noch nicht sehr viele erfahrene Therapeuten. Außerdem ist anzumerken, dass diese Maßnahme meistens nur Wirkung zeigt, wenn die Stärke der Symptome noch nicht allzu stark ausgeprägt ist. Hierbei kommt es auch darauf an, wie lange der Betroffene schon an seinen Tics leidet.

Als wesentlich wichtigere Maßnahme wäre die Sensibilisierung bzw. Aufklärung des persönlichen Umfeldes zu nennen. Da Tics in der Öffentlichkeit häufig und stark wahrgenommen werden, ist der psychische Leidensdruck betroffener Personen sehr hoch. Sowohl das Tourette-Syndrom als auch die Tics stoßen im Umfeld des Betroffenen auf Ärger, Erstaunen und Zurückweisung, was zu einer beidseitigen Ausgrenzung führen kann. Viele Personen fühlen sich vor allem durch die vokalen Tics provoziert und können sich nicht vorstellen, dass sie Bestandteil einer Krankheit sind. Aus diesem Grund ist es wichtig, das Umfeld aufzuklären, um Scham und Spott zu vermeiden und die betroffenen Personen zu integrieren.

Quellen

  • Arolt, V., Reimer, C., Dilling, H.: Basiswissen Psychiatrie und Psychotherapie. Springer, Heidelberg 2007
  • Gleixner, C., Müller, M., Wirth, S.: Neurologie und Psychiatrie. Für Studium und Praxis 2015/16. Medizinische Verlags- und Informationsdienste, Breisach 2015
  • Lieb, K., Frauenknecht, S., Brunnhuber, S.: Intensivkurs Psychiatrie und Psychotherapie. Urban & Fischer, München 2015

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