Ambivalenz

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 27. Februar 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Von Ambivalenz ist in der Psychologie bei konträren Gefühlregungen, Gedanken oder Wünschen die Rede. Bleuler sieht die Ambivalenz als Ursachenfaktor für Erkrankungen wie Schizophrenie. Eine Erhöhung der Ambivalenz-Toleranz könnte so psychischen Erkrankungen vorbeugen.

Inhaltsverzeichnis

Was ist Ambivalenz?

Aus der Gegensätzlichkeit zweier Sichtweisen entstehen für eine Person mit Ambivalenz gegensätzliche Reaktionsoptionen, die sich hemmend auf die Entscheidungsfähigkeit auswirken.

Sowohl-als-auch-Einstellungen wie die Hassliebe kennt wahrscheinlich jeder Mensch. Gegensätzliche Wertungen in Form von Gedanken oder Gefühlen werden in solchen Einstellungen verbunden. Diese Einstellungen werden in der Psychologie unter bestimmten Bedingungen mit dem Begriff der Ambivalenz beschrieben.

Bei Ambivalenz handelt es sich dementsprechend um eine psychologische Funktion. Alle Dinge haben immer zwei Seiten. Der psychologische Begriff der Ambivalenz bezieht sich allerdings nicht ausschließlich auf diese Mehrseitigkeit, sondern vor allem auf den daraus entstehenden, inneren Konflikt. Aus der Gegensätzlichkeit zweier Sichtweisen entstehen für eine Person mit Ambivalenz gegensätzliche Reaktionsoptionen, die sich hemmend auf die Entscheidungsfähigkeit auswirken.

Karl Abraham beschreibt Kinder als typischerweise ambivalent, da sie durch Triebschwankungen angetrieben werden. Für den erwachsenen Menschen geht er von einer Ambivalenz-Freiheit aus. Ihm zufolge erleben psychisch gesunde Erwachsene also keine Ambivalenz. Einige Psychoanalytiker widersprechen dieser Ansicht und erkennen Ambivalenz in den meisten aller menschlichen Regungen.

Der Begriff der psychologischen Ambivalenz geht auf Eugen Bleuler zurück, der ihn Anfang des 20. Jahrhunderts erstmals verwendete. Als synonyme Begriffe gelten der der Ambitendenz und der Ambiguität. Freud übernahm die Ambivalenz in seine Psychoanalyse, entwickelt ihn weiter und übertrug ihn vor allem auf die Sozialpsychologie.

Ursachen

Die Ursache für psychische Ambivalenz sieht Erstbeschreiber Bleuler in einer Triebsteuerung, wie sie für Kinder charakteristisch ist. Bei Erwachsenen hält er die Ambivalenz grundsätzlich für pathologisch und durch eine psychische Erkrankung bedingt. Als ursächlichen Zusammenhang der Ambivalenz gibt er den größeren Rahmen der Schizophrenie an.

Die gleichzeitige Existenz von konträren Gefühlen und Gedanken im Sinne der Ambivalenz beschreibt Bleuler als das auslösende Moment einer Schizophrenie. Ambivalente Gefühlsgegensätzlichkeit sind für ihn affektive Ambivalenzen. Ambivalente Bedürfnisse bezeichnet er als Ambitendenzen und intellektuelle Ambivalenz ist für ihn das Nebeneinander gegensätzlicher Gedanken, das Konflikte im Patienten hervorruft und letztlich zur Spaltung der Persönlichkeit führt.

Schizophrene Tendenzen und Ambivalenz bedingen sich so gegenseitig. Diese Aussagen stehen im Widerspruch zu den Theorien vieler anderer Quellen. Zahlreiche Psychoanalytiker erkennen die Ambivalenz als typisch menschlich und halten sie nicht zwingend für ein pathologisches Phänomen. Sie sprechen demnach nicht von einer Krankheit als Ursache, sondern führen das Phänomen auf physiologische Vorgänge im menschlichen Geist, Körper oder Gemüt zurück.

Viele von ihnen sprechen von einer Ambivalenz der Libido und des Thanatos, wie sie einen Großteil menschlicher Regungen charakterisiert. Mit Libido und Thanatos ist das gleichzeitige Vorhandensein von Liebe und Trieb zur Destruktion gemeint.


Symptome, Beschwerden & Anzeichen

Letztlich verhält sich ein Mensch mit Ambivalenz widersprüchlich oder uneinig und wirkt damit nicht im Einklang mit sich selbst. Diese Widersprüchlichkeit im Verhalten ist für Menschen grundsätzlich nichts Ungewöhnliches. Allerdings kann starke Ambivalenz durch bestimmte Situationen zu einer psychischen Beeinträchtigung werden, die therapiebedürftige Dysbalancen der Psyche zur Folge hat.

Ungereimtheiten und Widersprüchlichkeiten im eigenen Verhalten sind damit bis zu einem gewissen Grad weitverbreitet, können laut Bleuler aber durchaus psychische Krankheiten bedingen, sobald sie Überhand nehmen. Das gleichzeitige Bestehen konträrer Gefühle, Regungen oder Willensvorstellungen muss sich nicht zwingend in Phänomenen wie der Hassliebe äußern, sondern kann sich auch in einem Leben zwischen Gehorsam und Auflehnung manifestieren.

Besonders im Gefühlsverhalten zu bestimmten Personen liegt häufig eine Ambivalenz vor. Den Extremfall der Ambivalenz beschreibt Freud zum Beispiel als Ödipuskomplex. Für zwei verschiedene Personen bewegt sich die Ambivalenz-Toleranz in unterschiedlicher Höhe, also die Fähigkeit zur Toleranz von Ambivalenz.

Je Ambivalenz-toleranter der Mensch ist, desto positiv angepasst wirkt er in seiner Persönlichkeit und desto besser kann er mit menschlich natürlichen Ambivalenzen umgehen. Für Personen mit einer geringen Ambivalenz-Toleranz liegt das Risiko für psychische Erkrankungen demzufolge höher.

Diagnose & Verlauf

Die Einschätzung von Ambivalenz-Toleranz nehmen Psychologen oder Psychotherapeuten vor. Das Ziel der Einschätzung ist es oft, das individuelle Risiko für psychische Erkrankungen abzuschätzen. Was Bleuler mit der Ambivalenz im Rahmen der Schizophrenie beschrieben hat, ist letztlich als eine geringe Ambivalenz-Toleranz zu verstehen. Die Unfähigkeit zum richtigen Umgang mit physiologischer Weise ambivalenten Gefühlsregungen und Wünschen kann also in Krankheiten wie Schizophrenie münden und spielt im Rahmen von deren Diagnostik eine entscheidende Rolle.

Komplikationen

Da es sich bei der Ambivalenz um eine rein psychische Erkrankung handelt, kommt es dabei in der Regel auch fast nur zu psychischen Komplikationen. Die betroffene Person steht oft unter Stress und hat Entscheidungsschwierigkeiten. Dies führt oft zu Panikattacken und Schweißausbrüchen. Diese können sogar nachts erfolgen, wenn der Patient einen schlechten Traum hat und die Realität nicht mehr einschätzen kann.

In den meisten Fällen führt die Ambivalenz zu psychischen Problemen und Depressionen. Darunter kann auch die Beziehung zur Familie oder zum Partner leiden. Der Patient verliert die Lebenslust und ist oft von Aggression und einer Unzufriedenheit begleitet.

Meistens stellt die Ambivalenz ein Symptom der Schizophrenie dar und muss auf jeden Fall durch einen Psychologen behandelt werden. Die Behandlung selbst kann mehrere Monate andauern, wobei es kein Versprechen gibt, dass ein Erfolg eintritt. Der weitere Verlauf hängt stark von der Auswirkung der Ambivalenz und dem physischen und psychischen Zustand des Patienten ab.

Im schlimmsten Fall kann eine Ambivalenz zu Selbstmordgedanken und schließlich zum Selbstmord führen, falls die inneren Spannungen sehr hoch werden. Eine Behandlung erfolgt nebenbei auch mit Medikamenten und soll den Patienten beruhigen. Durch das Symptom ist für den Patienten oft kein gewöhnlicher Alltag ohne Stress mehr möglich.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

Ob eine Ambivalenz durch einen Arzt behandelt werden muss, hängt meistens von der Ausprägung der Krankheit ab. Falls der Betroffene keinen besonderen Einschränkungen im Alltag unterliegt und nicht gefährlich für sich selbst und andere Menschen ist, ist eine Behandlung nicht zwingend notwendig. Nicht selten muss die Behandlung durch andere Menschen aus der Familie eingeleitet werden, da der Betroffene die Krankheit sich selbst nicht eingestehen möchte.

In schwerwiegenden Fällen ist gegebenenfalls die Behandlung in einer Klinik notwendig. Dafür sollte ein Arzt aufgesucht werden, wenn der Betroffene die Realität vom Traum nicht mehr unterscheiden kann. Auch bei Panikattacken, starkem Stress oder dauerhaften Schweißausbrüchen ist eine Behandlung sinnvoll. Eine ärztliche Untersuchung muss auch dann stattfinden, wenn der Betroffene ohne besonderen Grund aggressiv wirkt und die Lebenslust verliert.

Dabei kann es ohne Behandlung zu gefährlichen psychischen Komplikationen kommen. Eine dringende Behandlung ist dann notwendig, wenn der Patient Selbstmordgedanken zeigt oder schon einen Selbstmordversuch unternommen hat. Dabei kann der Betroffene auch in eine Klinik eingewiesen werden.

Behandlung & Therapie

Eine pathologische Ambivalenz löst unterschiedliche Erkrankungen der Psyche aus. Damit spielt das Phänomen der Ambivalenz bei der ursächlichen Therapie verschiedener Erkrankungen eine gesteigerte Rolle. In Bleulers Definition ließe sich etlichen Erkrankungen der Psyche vorbeugen, indem die Betroffenen geeignete Umgangsstrategien zur Ambivalenz erlernen.

Darüber hinaus könnten Strategien zum Umgang mit Ambivalenzen die Ursache einer psychischen Erkrankung auslösen, falls niedrige Ambivalenz-Toleranz tatsächlich eine ursächliche Rolle für die jeweilige Krankheit spielt. Die moderne Gesellschaft ist sich über die seelischen Überforderungen bewusst, denen sie Tag für Tag ausgesetzt ist. Aus diesem Grund werden Angebote wie Psychotherapie immer häufiger wahrgenommen.

In psychotherapeutischen Behandlungen lässt sich ein gesunder Umgang mit Ambivalenz erlernen. Darüber hinaus können moderne Ansätze wie die kognitive Verhaltenstherapie scheinbar konträre Wünsche und Gefühlsregungen miteinander in Einklang bringen, sodass Ambivalenzen abgeschwächt werden.

Falls Amivalenz und niedrige Ambivalenz-Toleranz bereits psychische Erkrankungen hervorgerufen haben, richtet sich die Behandlung nach der jeweiligen Erkrankung und kann sowohl symptomatisch medikamentöse Therapieschritte, als auch ursächlich therapeutische Schritte beinhalten.

Aussicht & Prognose

In der Regel kommt es durch die Ambivalenz zu relativ starken psychischen Einschränkungen und Komplikationen. Die Lebensqualität des Patienten wird durch die Krankheit deutlich verringert. Ohne ärztlicher Behandlung kommt es in den meisten Fällen auch nicht zu einem positiven Krankheitsverlauf oder zu einer spontanen Heilung.

Der Betroffene hat damit Schwierigkeiten, mit anderen Menschen Kontakte zu knüpfen, sodass es zu einer Ausgrenzung oder zu anderen sozialen Beschwerden kommen kann. Ebenso können Gefühle nicht richtig interpretiert werden, was zu Schwierigkeiten in zwischenmenschlichen Beziehungen führt. Teils führt die Ambivalenz damit zu psychischen Verstimmungen oder zu Depressionen. In schwerwiegenden Fällen kann der Betroffene durch die Krankheit auch an Selbstmordgedanken leiden und diese weiterhin auch ausüben.

Die Behandlung der Ambivalenz erfolgt durch einen Psychologen. In den meisten Fällen werden Medikamente nicht eingesetzt. Allerdings kommt es nicht in jedem Fall zu einem positiven Krankheitsverlauf. Auch der Betroffene selbst muss sich für die Therapie entscheiden und diese durchführen wollen. In schwerwiegenden Fällen kann die Behandlung auch in einer geschlossenen Klinik durchgeführt werden. Ob es dabei zu einem positiven Krankheitsverlauf kommt, kann in der Regel nicht universell vorausgesagt werden.


Vorbeugung

Psychischen Erkrankungen aufgrund gesteigerter Ambivalenz lässt sich durch die Erlernung geeigneter Umgangsstrategien und damit die Dämpfung von Ambivalenz im Rahmen einer Psychotherapie vorbeugen.

Nachsorge

Ob eine Nachsorge notwendig wird, hängt von der Intensität der Erkrankung ab. Einer leichten Form der Ambivalenz kann man durch Veränderungen im Umfeld begegnen. Neue Freizeitaktivitäten oder andere Sozialkontakte reichen manchmal schon aus, um die typischen Beschwerden abzustellen. Nach einer Heilung besteht keine Immunität.

Die Ambivalenz kann situationsbedingt immer wieder auftreten. Ein gewisser Grad an gegensätzlichen Gefühlen ist nicht ungewöhnlich. In einer ausgeprägten Form werden planmäßige Nachuntersuchungen notwendig. Hilfe empfangen Betroffene von Psychologen und Psychotherapeuten. Manchmal ist eine medikamentöse Begleitung angezeigt.

Bei starker Ausbildung bilden Verhaltenstherapie und die Einnahme von Psychopharmaka die wesentlichen Elemente der Nachsorge. Der Patient soll dadurch seine Gefühle und Wünsche besser in Einklang bringen. Das soziale Leben funktioniert so leichter. Im Alltag treten kaum noch Belastungen auf. Manchmal erstreckt sich eine ambulante Behandlung über Jahre, bis ein Patient Verhaltensstrategien selbst anwenden kann.

Die Nachsorge möchte zudem mögliche Komplikation im Vornherein abstellen. Sie liegen insbesondere dann vor, wenn sich die Erkrankung pathologisch ausbildet. Die Ambivalenz entwickelt sich zu einer Schizophrenie, Depression oder ähnlichem weiter. Für den Erfolg einer Behandlung kommt dem nächsten sozialen Umfeld eine wichtige Bedeutung zu.

Das können Sie selbst tun

Ob eine Ambivalenz behandelt werden muss, hängt in erster Linie von ihrer Ausprägung ab. Leichte Schwankungen lassen sich oft bereits durch geringfügige Anpassungen des Lebensstils regulieren. Das kann ein neues Hobby, sportliche Betätigung oder ein Wechsel des Berufs oder des Umfelds sein. Bevor diese Maßnahmen jedoch angewendet werden können, muss die Ambivalenz von den Betroffenen erkannt werden. Es empfiehlt sich deshalb, einen Arzt oder Therapeuten aufzusuchen, wenn immer wieder Ungereimtheiten und Widersprüchlichkeiten im eigenen Verhalten bemerkt werden.

Der Fachmann wird zunächst feststellen, ob es sich tatsächlich um eine ausgeprägte Ambivalenz handelt. Anschließend können geeignete Maßnahmen zur Etablierung eines gesunden Gefühlslebens ausgearbeitet werden. Der Therapeut wird dem Betroffenen geeignete Umgangsstrategien aufzeigen und in schweren Fällen einen Experten für Borderline-Persönlichkeitsstörungen hinzuziehen.

Im Rahmen weiterer Gespräche erlernt der Betroffene dann auch Maßnahmen der kognitiven Verhaltenstherapie, um die eigenen Wünsche und Gefühlsregungen besser miteinander in Einklang zu bringen. Sollten sich durch die Ambivalenz bereits psychische Erkrankungen entwickelt werden, muss außerdem eine medikamentöse Behandlung erfolgen. Alternative Therapieansätze können in Rücksprache mit dem zuständigen Arzt oder Therapeuten probiert werden.

Quellen

  • Gleixner, C., Müller, M., Wirth, S.: Neurologie und Psychiatrie. Für Studium und Praxis 2015/16. Medizinische Verlags- und Informationsdienste, Breisach 2015
  • Möller, H.-J., Laux, G., Deister, A.: Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie. Thieme, Stuttgart 2015
  • Payk, T., Brüne, M.: Checkliste Psychiatrie und Psychotherapie. Thieme, Stuttgart 2013

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