Beinlängendifferenz

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 1. März 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Eine Beinlängendifferenz ist durch einen erworbenen oder angeborenen Längeunterschied der unteren Extremitäten (Beine) gekennzeichnet. Etwa 40 bis 75 Prozent der Bevölkerung sind von einer Längendifferenz der Beine betroffen, die allerdings erst ab 1 bis 2 Zentimetern klinisch relevant wird.

Inhaltsverzeichnis

Was ist eine Beinlängendifferenz?

Die unterschiedliche Länge der Beine an sich ist oft mit dem bloßen Auge nicht zu erkennen und löst in erster Linie auch keine Beschwerden aus. Die Beschwerden und deren Symptome entstehen durch die vorhandene Asymmetrie im Körper und vor allem im Bewegungsapparat.
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Als Beinlängendifferenz wird ein Längenunterschied zwischen den beiden unteren Extremitäten bezeichnet. Generell wird zwischen einer reellen bzw. anatomischen und funktionellen Beinlängendifferenz differenziert.

Während die anatomische Beinlängendifferenz durch einen reell vorliegenden Längenunterschied der Beinknochen bedingt ist, wird ein funktioneller Längenunterschied vor allem durch Kontrakturen der Gelenke, des Kapselbandapparates oder der Muskeln sowie durch Fehlstellungen des Hüftgelenkes verursacht.

In aller Regel führt eine minimale Beinlängendifferenz zu keinen Beschwerden, kann allerdings eine Ausgleichswirbelsäulenverkrümmung oder ein Verkürzungshinken hervorrufen. Eine ausgeprägtere Beinlängendifferenz bedingt eine Statikveränderung des Muskel- und Skelettapparates, die nicht selten mit einem Beckenschiefstand und/oder einer Skoliose (Lumbalskoliose, zervikothorakale Skoliose) einhergeht.

Zudem können Spitzfußhaltung, Bandscheibenverschleiß, Osteophytenbildung und Spondylarthrose bei einer Beinlängendifferenz beobachtet werden.

Ursachen

Die anatomische Beinlängendifferenz ist in aller Regel auf kongenitale Fehlbildungen infolge angeborener Wachstumsstörungen der unteren Extremitäten (Osteochondrodysplasien) zurückzuführen, die sich in den Epiphysen (Wachstumsfugen), Metaphysen (Röhrenknochenabschnitt zwischen Epiphyse und Knochenschaft), im Periost (Knochenhaut) und/ oder Endost (innere Knochenhaut) manifestieren und zu einem einseitig verminderten Knochenwachstum führen können.

Darüber hinaus können auch Tumoren (Neurofibromatose Recklinghausen; Enchondromatose, Osteochondromatose), tumorähnliche Erkrankungen (fibröse Dysplasie) sowie (a)septische Entzündungen (Osteomyelitis, juvenile Polyarthritis) über einen Knochenmassenabbau eine Beinlängendifferenz hervorrufen.

Neuroorthopädische Erkrankungen wie Poliomyelitis (Kinderlähmung) können ebenso über eine Mindermineralisierung der Knochen eine Beinverkürzung induzieren. Funktionelle Längendifferenzen der Beine sind dagegen auf genetisch oder traumatisch bedingte Luxationen (Verrenkungen) oder Kontrakturen der Knie- Hüft- oder oberen Sprunggelenke zurückzuführen.


Symptome, Beschwerden & Anzeichen

Die unterschiedliche Länge der Beine an sich ist oft mit dem bloßen Auge nicht zu erkennen und löst in erster Linie auch keine Beschwerden aus. Die Beschwerden und deren Symptome entstehen durch die vorhandene Asymmetrie im Körper und vor allem im Bewegungsapparat. Auf diese Weise werden verschiedene Muskelgruppen, Sehnen und Gelenke unterschiedlich stark belastet, was früher oder später zu einseitigen Überlastungen und Schmerzen führen kann.

Äußere Anzeichen für eine Beinlängendifferenz können eine schiefe Haltung, allgemeine Haltungsschäden oder ein Beckenschiefstand sein. Diese Faktoren sind meist gut sichtbar, werden aber, solange keine Beschwerden auftreten, nur selten auf ihre Ursachen hin untersucht. Beinlängendifferenzen machen sich auch in der Abnutzung von Straßenschuhen bemerkbar.

Meist ist einer der Schuhe dabei stärker abgelaufen als der andere, vor allem im Ballenbereich und im Bereich des Absatzes. Vergleicht man Absätze eines Paares Schuhe miteinander, so fällt häufig auch auf, dass die beiden Schuhe unterschiedliche Abriebmuster aufweisen.

Fällt die Beinlängendifferenz größer aus als 2,5 Zentimeter, können Beschwerden bereits bei längerem Sitzen auftreten, da die Beine sich am Boden mit unterschiedlichem Kraftaufwand abstützen. Auch hier nimmt der Betroffene häufig eine Schonhaltung ein und beugt den Oberkörper weit nach vorne. Diese Fehlstellung ist optisch sehr gut zu erkennen und zu diagnostizieren.

Diagnose & Verlauf

Eine Beinlängendifferenz wird in aller Regel durch eine klinische bzw. manuelle Messung der unteren Extremitäten im Sitzen, Stehen und Liegen diagnostiziert. Eine Untersuchung des Beckens und der Wirbelsäule ermöglicht Aussagen zu strukturellen Veränderungen infolge kompensatorischer Anpassungsprozesse.

Anhand von Nomogrammen kann die zu erwartende Längendifferenz sowie das postoperative Knochenwachstum bei sich noch in der Wachstumsphase befindlichen Betroffenen prognostiziert und graphisch dargestellt werden. Abgesichert wird die Diagnose durch bildgebende Verfahren. So können Längendifferenzen röntgenographisch (u.a. Standbeinaufnahme) und computertomographisch vergleichsweise exakt bestimmt werden.

Im Rahmen einer sonographischen Beinlängenbestimmung können mithilfe von Entfernungsmarkern die Gelenkspalten lokalisiert sowie die Längen von Tibia und Femur ermittelt werden. Bei frühzeitiger Prognose und Therapiebeginn weisen beide Formen der Beinlängendifferenz eine gute Prognose und einen guten Verlauf auf. Untherapiert kann eine Längendifferenz der Beine allerdings zu einem Beckenschiefstand und zu Skoliose führen.

Komplikationen

In der Regel sind Beinlängendifferenzen nur dann medizinisch wichtig, wenn die Differenz der Beine höher als zwei Zentimeter ist. Kleinere Differenzen führen zu keinen Komplikationen und werden in der Regel auch nicht behandelt. Meistens kann der Betroffene alltägliche Dinge nicht einfach ausführen, da zum Beispiel auch ein gewöhnliches Stehen nicht mehr möglich ist.

Diesem kann durch Einlagen in Schuhen entgegengewirkt werden und findet vor allem bei kleineren Beinlängendifferenzen Anwendung. Ist die Beinlängendifferenz stärker ausgeprägt, können die Schuhe orthopädisch prepariert werden, sodass dadurch die Beinlängendifferenz ausgeglichen wird. Hier kommt es sonst zu keinen weiteren Komplikationen.

Durch die Beinlängendifferenz ist oft das Wachstum des Patienten stark eingeschränkt. Dies führt bei vielen Betroffenen zu einer Kleinwüchsigkeit. Diese kann sich vor allem im Kindesalter negativ auf die Psyche auswirken, da Kinder deswegen oft gemobbt werden. Auch durch die Beinlängendifferenz selbst können psychische Probleme und ein vermindertes Selbstwertgefühl entstehen.

Eine Behandlung des Symptoms selbst ist nicht möglich. Allerdings ist es sinnvoll, die Beinlängendifferenz schon im frühen Kindesalter zu identifizieren, da hier Operationen durchgeführt werden können, die das Wachstum beschleunigen und damit die Differenzen ausgleichen.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

Je größer die Beinlängendifferenz ausfällt, desto wichtiger ist die Behandlung. Minimale Unterschiede führen nicht oder nur hin und wieder zu Beschwerden. In dem Fall hilft gezielte Gymnastik oder eine frei verkäufliche Absatzerhöhung. Bei dauernden Schmerzen in der Hüfte, dem Becken oder im Bereich der Lendenwirbelsäule ist die Behandlung durch den Facharzt für Orthopädie notwendig. Nur er ist in der Lage, die Beinlängendifferenz und ihre Auswirkungen auf das Skelettsystem zu diagnostizieren.

Bei Säuglingen und Kleinkindern ist der Kinderarzt der erste Ansprechpartner. Er wird eine vorhandene Beinlängendifferenz bei den Vorsorgeuntersuchungen feststellen und eine sofortige Therapie einleiten. In den meisten Fällen haben die Kleinen danach im Erwachsenenalter keine Beschwerden mehr.

Tritt die Differenz nach einem Trauma auf, ist die sofortige Behandlung notwendig. Bleibende Schäden lassen sich nur so minimieren oder völlig abstellen. Erkrankungen, die den Bewegungsapparat betreffen, können zum Beckenschiefstand führen. Auch dann ist die Behandlung durch einen Facharzt notwendig. Die Therapie ist auf die Grunderkrankung und deren Folgen ausgerichtet.

Behandlung & Therapie

Die therapeutischen Maßnahmen hängen vom Ausmaß der spezifisch vorliegenden Beinlängendifferenz ab. So bedürfen Längenunterschiede von bis zu einem Zentimeter bei Beschwerdefreiheit in aller Regel keiner Therapie. Zum Differenzausgleich kommen Schuheinlagen oder Zurichtungen am Konfektionsschuh (Fersenkissen, Fersenkeile) zum Einsatz.

Längenunterschiede von nicht mehr als drei Zentimetern können mithilfe einer orthopädischen Schuhzurichtung (Absatzerhöhung mit Sohlenausgleich) kompensiert werden. Bei stärker ausgeprägten Längendifferenzen (ab 3 cm) werden orthopädische Maßschuhe bzw. Maßschuhe mit Innenschuhen oder Fußbettungsorthesen empfohlen. Zudem kann ein Längenunterschied von bis zu 12 Zentimetern durch Innenschuhe, die den Fuß des kürzeren Beines in Spitzfußstellung bringen und über angepasste Absatzrollen verfügen, ausgeglichen werden.

Bei einer hochgradigen Beinlängendifferenz kommen Etagenschuhe oder orthopädietechnische Beinorthesen infrage, durch welche der Fuß auf einem synthetischen Fuß in Spitzfußstellung fixiert wird. Im Rahmen chirurgischer Eingriffe, die bei einer anatomisch bedingten Differenz von nicht weniger als 3 Zentimetern in Erwägung gezogen werden, sind generell verkürzende oder verlängernde Ausgleichsmaßnahmen möglich.

Hierbei stellt die temporäre Klammerung oder permanente Verödung noch nicht geschlossener Epiphysen zur Wachstumsreduzierung des betroffenen Knochens (Epiphyseodese) ein vergleichsweise einfaches Standardverfahren bei Betroffenen, deren Wachstumsphase noch nicht abgeschlossen ist, dar.

Darüber hinaus kann nach Abschluss der Wachstumsphase die längere Extremität osteotomisch verkürzt bzw. die kürzere durch einen Fixateur externe oder einen Verlängerungsmarknagel verlängert werden. Funktionell bedingte Beinlängendifferenzen sollten zudem zusätzlich kausal behandelt werden, um den auslösenden Faktor weitestgehend auszuschalten.

Aussicht & Prognose

Die Prognose einer Beinlängendifferenz ist von verschiedenen Faktoren abhängig. Zunächst einmal ist es wichtig, genaue Messungen durchzuführen, um eine anatomische Differenz der Beinlänge von einer funktionalen zu unterscheiden, da eine anatomische Beinlängendifferenz anders therapiert wird als eine funktionale. Bei einer funktionalen würde beispielsweise eine Schuherhöhung eher schaden als nützen.

Eine Differenz unter 2 cm kann die Wirbelsäule in der Regel noch gut ausgleichen, aber darüber hinaus ist die Prognose abhängig von einer möglichst frühzeitigen Behandlung. Wenn der Beckenschiefstand durch eine unterschiedliche Beinlänge nicht behandelt wird, kann es zu Rückenschmerzen und einer Wirbelsäulenverkrümmung (Skoliose) kommen.

Kann die Beinverkürzung bereits in der Wachstumsphase durch geeignete Maßnahmen behandelt werden, ist die Prognose gut und in den meisten Fällen ist auch kein chirurgischer Eingriff notwendig. Bei Verordnung von Schuheinlagen oder -erhöhungen ist die Aussicht auf Besserung positiv, wenn diese regelmäßig getragen werden.

Wenn eine Beinverkürzung erst später diagnostiziert wird, hängen die Aussichten davon ab, ob durch die Ungleichbelastung schon ein längerfristiger Gelenkverschleiß entstanden ist. Meistens sind dann neben der Behandlung der Beinlängendifferenz zusätzlich physiotherapeutische Maßnahmen notwendig, um Muskelverspannungen und Überlastung der Gelenke zu lindern. Je länger der Beinlängenunterschied andauert, umso größer ist durch den Gelenkverschleiß die Gefahr einer Arthrose.


Vorbeugung

Einer kongenitalen anatomischen Beinlängendifferenz kann in aller Regel nicht vorgebeugt werden. Da ein operativer Ausgleich in der Wachstumsphase mit weniger Komplikationen verbunden ist, sollte der Längenunterschied frühzeitig diagnostiziert werden. Sekundär bedingten Beinlängendifferenzen kann gegebenenfalls durch eine konsequente Behandlung der zugrunde liegenden Erkrankung vorgebeugt werden.

Nachsorge

Bei einem Hüftschiefstand kann manuell ein Ausgleich geschaffen werden. In diesem Fall ist keine Nachsorge erforderlich. Nach dem Anpassen von Einlagen beziehungsweise Fersenkissen oder der Angleichung der Schuhsohle kann die Beinlängendifferenz ausgeglichen sein. Die Nachsorge stellt sicher, dass sie es in ausreichendem Maß ist und dass der Gang korrekt verlaufen kann. In regelmäßigen Abständen muss kontrolliert werden, ob die getroffenen Maßnahmen die Beinlängendifferenz noch genügend ausgleichen.

Auch operative Maßnahmen sind bei der Beinlängendifferenz denkbar. Erwartungsgemäß muss hier die Nachsorge in höherer Frequenz und mit größerer Sorgfalt ausgeführt werden. Treten Schmerzen auf, muss die Nachsorge besonders sorgfältig ausfallen. Die Ursache der Schmerzen muss ermittelt oder beseitigt werden. Ist die Beinlängendifferenz nach dem Einsetzen einer Hüftprothese aufgetreten, muss die Nachsorge sicherstellen, dass diese schnellstmöglich behoben wird.

Bereits kleine Unterschiede in der Beinlänge können einen Hüftschiefstand auslösen. Daher gehört zur Vorsorge, dass der Patient über mögliche Beinachsenverschiebungen aufgeklärt wird. Er muss wissen, dass diese nicht immer vermeidbar sind und in der Nachsorge einen Ausgleich finden. Die Nachsorge ist auch deswegen so wichtig, weil der operierte Patient bei Schmerzen oder Beinlängendifferenzen, über die er nicht hinreichend aufgeklärt wurde, Schmerzensgeld verlangen kann.

Das können Sie selbst tun

Bei einer Beinlängendifferenz sollte die Erarbeitung geeigneter Therapiemaßnahmen immer in Zusammenarbeit mit einem Arzt erfolgen. Die Beschwerden, die mit unterschiedlich langen Beinen einhergehen, können allerdings auch durch Selbsthilfe-Maßnahmen und einige Hausmittel reduziert werden.

So lässt sich eine leichte Differenz oftmals bereits durch spezielles Schuhwerk ausgleichen. Bei größeren Differenzen sollte frühestmöglich eine medizinische Abklärung erfolgen. Je schneller die Beinlängendifferenz erkannt wird, desto eher kann eine geeignete Behandlung begonnen werden.

Dadurch lässt sich etwaige Fehlstellungen und anderen Beschwerden oftmals vorbeugen. Gegen womöglich bereits entstandene Rücken- und Hüftschmerzen helfen physiotherapeutische Maßnahmen und sportliche Betätigung. Insbesondere gezieltes Faszientraining sowie Yoga-Übungen wie die Taube helfen bei der Stärkung des „schwachen“ Beins und gleichen Fehlstellungen aus.

Menschen mit einer Beinlängendifferenz sollten darüber hinaus auch auf einen gesunden Lebensstil achten. Ein fitter Bewegungsapparat zum einen und ein starkes Immunsystem zum anderen, helfen langfristig gegen Schmerzen und beugen psychischen Beschwerden vor. Sollten sich bereits psychische oder körperliche Folgesymptome eingestellt haben, muss ein Therapeut hinzugezogen werden. Generell ist für eine Genesung Akzeptanz und ein offener Umgang mit der Beinlängendifferenz wichtig.

Quellen

  • Breusch, S., Clarius, M., Mau, H., Sabo, D. (Hrsg.): Klinikleitfaden Orthopädie, Unfallchirurgie. Urban & Fischer, München 2013
  • Niethardt, F.U.: Kinderorthopädie. Thieme, Stuttgart 2009
  • Wülker, N., Kluba, T., Roetman, B., Rudert, M.: Taschenlehrbuch Orthopädie und Unfallchirurgie. Thieme, Stuttgart 2015

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